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Autograph: Zürich StA, F II 335, 2097f (Siegelspur) a Ungedruckt
LI]Seit langer Zeit hat Schertlin keinen Brief von Bullinger erhalten und auch selbst aufgrund
einer schweren Erkrankung keinen an diesen geschickt. Nun geht es ihm jedoch
wieder besser. -[2]Gern hätte er Bullinger gute Neuigkeiten berichtet, aber es gibt keine.
Da die mächtigen Herrscher [Kaiser Karl V. und König Ferdinand L] derart gegen die
vertriebenen, [vormals schmalkaldischen Feldherren]vorgehen, wird deren Lage zusehends
schlechter. Ein Ende dieses Wütens und Blutvergießens ist also nicht in Sicht. -[3]Inbriefe_vol_21-211 arpa
Augsburg wurde auf dern Perlachplatz [Rathausplatz]neben der Schlachtbank für das Vieh
eine für Menschen aufgestellt! Möge sich Gott angesichts der Leichen [der Hingerichteten]
erbarmen und diesem Zustand ein Ende setzen! -[4] Schertlin nimmt wahr, dass alle
Reichsstände so abgeschreckt sind, dass sie sich nicht mehr [gegen den Machtanspruch
Karls V]wehren. Ihr Widerstand gegen ihn wird in ihrem eigenen Blut ertränkt. Sie müssen
allen Forderungen des Kaisers zustimmen. -[5]Auf dem Augsburger [Reichstag]sind
nun beinahe alle geistlichen und weltlichen Fürsten und Kurfürsten versammelt. Laut
glaubwürdigen Berichten sollen sie den Schwäbischen Bund wieder errichten. -[6]Ferner
rechnet man jeden Tag mit der Ankunft von Philipp II., dem Sohn Karls V Die Stände sollen
bereits in seine Königs- oder Kaiserwahl eingewilligt haben! -[7]Auch soll Karl V eine
Gesandtschaft mit einer so großer Vollmacht an Papst Paul III. geschickt haben, dass eine
Versöhnung der beiden zu befürchten sei. Wenn das wirklich geschieht, stehe Gott [den
Protestanten]bei! -[8]Paul III. soll den deutschen [altgläubigen]Geistlichen aufgetragen
haben, der Verhandlung, die der Kaiser zur Klärung der Religionsfrage beauftragt hat, nicht
zuzustimmen. -[9] Während Karl V alle ausländischen Machthaber und Gemeinwesen
durch seine Handlungsweisen einen Angriff fürchten lässt, verfolgt er seine eigenen Pläne
mit Philipp II., Paul III. und dem gesamten Reich [zur monarchischen Reichsreform]. Und
keiner stellt sich ihm entgegen! Sollte er damit Erfolg haben, werden seine Nachbarn seinen
Plan zweifelsohne [zu spät]durchschauen. Kurz: Gott muss zur Hilfe kommen! -[10]Die
Bremer, Magdeburger und die anderen Hansestädte erweisen sich genau wie Graf Albrecht
VII. von Mansfeld, Graf Christoph von Oldenburg und weitere vertriebene Adlige weiterhin
als tapfer [im Widerstand gegen den Kaiser]! Sie sammeln Truppen, doch werden sie gegen
Karl V wohl nicht lange standhalten, sofern ihnen niemand zur Hilfe kommt. -[11]Die
Reiter von König Ferdinand I. nehmen auf ihren täglichen Steifzügen um Basel, die zum
Teil bis in die Stadt hineinführen, die armen [geflohenen]Landsknechte gefangen und
bekommen dabei auch Unschuldige zufassen. Die Reiter versuchen gemeinsam mit den
[Basler]Pfaffen [NN] und deren Anhängern, das einfache Volk durch Verleumdungen
gegen Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard, Johann Freiherr von Heideck, Friedrich
von Reifenberg und Schertlin lautstark aufzuhetzen. -[12] Von den Basler Ratsherren
hat Schertlin noch immer keine Erlaubnis zur Niederlassung erhalten, sondern muss zu
seinem [finanziellen]Nachteil, samt seiner Frau [Barbara von Stende]und dem ganzen
Hausstand, in einem öffentlichen Wirtshaus hausen. Im Vertrauen: Er würde ein Vermögen
dafür zahlen, wäre er damals bei den Zürchern oder in einem ihrer Gebiete geblieben!
Um Rat zu erlangen, wie er seine Angelegenheiten regeln könnte, hat er daher insgeheim
seinen Sohn [Hans Sebastian oder Hans Philipp]mit Briefen an Bullinger und Bernhard von
Cham losgeschickt. [Das Übrige]teilt Schertlins Sohn mündlich mit. Bullinger möge dem
Sohn vertrauen als sei es Schertlin selbst. -[13]Als Johann Freiherr von Heideck vor dem
Berner Rat stand, wurde ihm Unterstützung zugesagt. Zudem haben die Bieler vor, ihm ein
[ehemaliges]Kloster [als Wohnsitz] zu überlassen. Schertlin glaubt allerdings nicht, dass
einer der [deutschen]Feldherren vorhat, [dauerhaft] in Basel zu bleiben. Das aber ganz im
Vertrauen! -[14]Konstanz soll wohl weiterhin keine Unterstützung [gegen den Kaiser]
erhalten und sich in einer großen Notlage befinden. Sollte sich die Stadt hingegen den
Österreichern [den Habsburgern]unterwerfen, erhielte sie Geld und ihre Aussöhnung [mit
dem Kaiser]. -[15]Württemberg hat einen unsicheren Stand, da Ferdinand I. kein Interesse
an einer Strafzahlung [von Herzog Ulrich von Württemberg]hat, sondern sich Land undbriefe_vol_21-212 arpa
Leute zu eigen machen will! Der Kaiser soll darüber urteilen. -[16]Bullinger möge diese
vertraulichen Nachrichten auch den Zürcher Bürgermeistern Hans Rudolf Lavater und
Johannes Haab sowie Bernhard von Cham mitteilen und Schertlin diesen anempfehlen.
-[17]Laut den Augsburgern und anderen könne Schertlin mit einer vertraglichen Aussöhnung
[mit dem Kaiser]rechnen. Einflussreiche Leuten rieten ihm allerdings, nicht darauf
zu hoffen. Er ist völlig ratlos, wie es weitergehen soll.
Mein willig dienst unnd alles gutt, so ich vermag, sey euch alzeytt zu voran berait, ginstiger, lieber und vertrawter herr. Ich hab euch lang nichts geschrybenn 2 unnd von euch auch kam schreyben empfangenn. Mein ursach ist die schwere kranckait, mit dero ich ain lange zeytt beladen gewest. 3 Aber eß hat sich, gott sey lob, zimlich wol gebessertt.
Ich wolt euch gern gutte newe zeytung 4 zuschreyben, so kan ich dero gar kaine erfaren. Unser ding bösert 5 sich von tag zu tag. 6 Die großmechtigen potentaten 7 send in ain solche tiranney gegen unß armen vertribnen gefallen, das des wietens 8 und tobens unnd bluttvergiessens kam ende sein will. 9
In Augspurg ist auf freyem blatz, der Berlach genant, 10 neben der vichmetzig, ain menschenmetzigbanck aufgericht. Darauf ist ain sollich flaysch 11 , das es gott
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erbarmen mecht. Der well am gnedigs, muts ende daran machen.
So sich 12 ich, das alle hoch unnd nider gestäntt 13 im romischen reich dermassen ergrembt 14 , das der 15 kainer seinen kopf aufrichten darf 16 Und miessen in irem aignen blutt von ainem klainen gesind 18 ersteckt 19 werden. Alles, so an sie begertt wurtt, darzu miessens sagen amen. 20
In Augspurg send nun vast alle chur und fursten, gaistlich und weltlich, bey ainander. 21 Sie miessen, wie mich glaublich anlangt 22 , den grossen schwebischen punt 23 aufrichten und eingen 24 .
So 25 wartt man täglichs auf deß kaysers sone 26 . Den sollend die stend schon fur ain kayser oder konig zu investieren 27 bewilliget habenn!
Item so sol kayser abermals ain treffenliche 21 potschafft 29 mit vil und grossem bevelch 30 zum bapst 31 abgefertigett habenn unnd mit solchem, das geachtet wirdt, die hayd mit ainandern vertragen werden sollen. Geschieht das, so kum uns gott zu hilf!
Eß soll bapst den teutschen gaystlichen dermassen zugeschriben haben, daß sie
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auf kaysers beger zu dem furgenommnen colloquio 32 (im welchen soit erertert 33 werden, wie eß biß an ain concili in teutscher nation gehalten wird) nit bewilligen sollen.
||2097v. Der kayser heit 34 sich gegen alien außiendischen potentaten 35 und comunen, das ain yeder besorgt, er werde von im überzogen 36 . Aber dazwischen 37 fiert 38 er sein sach mit seinem son, bapst unnd der gantzen teutschen nation nach willen auß. 39 Niemant ist, der das wenigest dargegen handle! Wann er aber dise sach zusamen gebracht hatt, so werden die nechstgesessnen 40 comunen und potentaten one zweyfelich sein werck sehen. In summa: Ich sich in diser sach kam menschliche hilf. Eß will 41 niemant nichts thon. Gott von himel muß unß alaine zu hilf khumen!
Die von Bremen 42 , Maydenburg 43 sampt andern seestätten 44 , grafen zu Mansfeld 45 und Altenburg 46 , auch vilen vertrybnen vom adel send dannoch noch 47 manlich 48 : Bewerben sich gewislich umb 49 vil reutter und knecht 50 . Aber ich trag grosse fursorg: Da 51 sie sunst kam hilf finden, werden sie eß in die leng nit erharren 52 mogen.
Deß romischen konigs 53 reutter strayffen uns alle tag bis an und in die statt
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Basell, werfen nider und fachen 54 die armen knecht (ja auch die unschuldigen!) b , schreyen 55 und stoltzieren sampt den pfaffen und iren anhengen 56 uber Graf Jörgen 57 hern von Haydeck 58 , Reyfenberg 59 und mich und understeen sich 60 , mit solchem ain grossen unlust 61 bey dem hieygen 62 gemainen man unß gantz unlustig 63 zu machen
Ich hab noch biß hieher von den heuptern 64 alhie zu kainer aignen haushaltung gelangen mögen und lig sampt meiner hausfrawen 65 und allem gesind mit schaden 66 in ainem offnen wirtshaus. 67 Das zaig ich euch als meinem vertrawten ane: Ich wolt 1000 kronen bezalenn c , das ich bey meinenn lieben herren zu Zurich oder in irer fleckhen ainem gebliben were. 68 Ich hab derhalb zaigern 69 diser, meinen sone 70 , zu
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euch in stillem abgefertigett, sampt dem herren von Keyburg 71 , mir zu raten, hilflich sein, wie ich mein sach in riewigern stand 72 (und wie euch mein son anzaigen wurdt) richten kindt 73 . Dem bitt ich glauben zu geben, als ob ich selbst bey euch were.
||2098r. Der herr von Haydeck ist bey denen von Bern 74 gewest. Die haben ime fraintlichen trost zugesagt und wellen ime die von Bueyl 75 ain schons kloster eingeben 76 Ich gedenck, w|werd unser kainer alhie 77 beleyben mögen 78 . Saß bitt ich in stillem bey euch beleyben zu lassenn.
Wie ich vernim, so steett die stat Costentz auch noch on alle menschliche hilf wurdet von niemand getröst 79 , ist in grossen sorgen. 80 Doch wann sie wellen österreichisch werden, 81 soll men an gelt und vertrag 82 nit manglen.
Wurtenberg steett auf schmälem fuß 83 . Der romisch konig will gar kain gelt,
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sonder land und leutt gar haben. Doch soll der kayser den außspruch thon 84 .
Daß alles hab ich euch, meinem vertrawten herren, nit verhalten 85 sollenn, beyden herren bürgermaystern 86 und her Bernharten von Cham auch mitzuthaylen neben erbiettung meiner willigen diensten.
Ich wurd noch täglichs von denen von Augspurg und andern höchlich vertröst 87 gnedigster aussönung und vertrags, doch von hochen leutten trewlich 88 verwarnett 89 , mich dahin 90 nit zu vertrawen 91 . Bin in allen meinen sachen gantz irr 92 . Datum Basell, den 22. februarii anno 1548. Ewer gutwilliger S. Schertlin von Burtennpach, ritter, subscripsit.
[Adresse auf der Rückseite:] Dem wolgelerten, meinem hochvertrawten, ginstigen herren maister Hainrichen Bullingern, pfarhern der statt Zürich, zu aigen handen. 93