Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3145]

Sebastian Schertlin 1
an Bullinger
Basel,
Mittwoch, 22. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, F II 335, 2097f (Siegelspur) a Ungedruckt

LI]Seit langer Zeit hat Schertlin keinen Brief von Bullinger erhalten und auch selbst aufgrund einer schweren Erkrankung keinen an diesen geschickt. Nun geht es ihm jedoch wieder besser. -[2]Gern hätte er Bullinger gute Neuigkeiten berichtet, aber es gibt keine. Da die mächtigen Herrscher [Kaiser Karl V. und König Ferdinand L] derart gegen die vertriebenen, [vormals schmalkaldischen Feldherren]vorgehen, wird deren Lage zusehends schlechter. Ein Ende dieses Wütens und Blutvergießens ist also nicht in Sicht. -[3]In

a Mit Schnittspuren.
10 Lyon.
11 Unbekannt.
12 Der Satz ist ironisch zu verstehen; vgl. joli 14, 6.
13 Vgl. Lk21, 10-28.
1 Der ehemalige schmalkaldische Feldherr Schertlin war aus Furcht vor Bestrafung durch Kaiser Karl V. im Januar 1547 zunächst von Augsburg nach Konstanz und von dort, wie auch andere protestantische Feldherren, in die Eidgenossenschaft geflüchtet. In Basel hielt er
sich bereits seit dem 19. November 1547 und nicht, wie in Schertlins Autobiographie angegeben, seit dem 24. November auf; s. HBBW XX, Nr. 3079, Anm. 11; Nr. 3081,36-38; unten Z. 45; Schertlin, Leben 70. - Die zuvor vom Zürcher Rat erhaltene Erlaubnis, sich im Zürcher Gebiet (mit Ausnahme von Stein am Rhein) niederzulassen, hatte er indes nicht wahrgenommen; s. HBBW XIX, Nr. 2800, Anm. 22; XX, Nr. 2929, Anm. 1; Nr. 3073, Anm. 40; Gast, Tagebuch 302.


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Augsburg wurde auf dern Perlachplatz [Rathausplatz]neben der Schlachtbank für das Vieh eine für Menschen aufgestellt! Möge sich Gott angesichts der Leichen [der Hingerichteten] erbarmen und diesem Zustand ein Ende setzen! -[4] Schertlin nimmt wahr, dass alle Reichsstände so abgeschreckt sind, dass sie sich nicht mehr [gegen den Machtanspruch Karls V]wehren. Ihr Widerstand gegen ihn wird in ihrem eigenen Blut ertränkt. Sie müssen allen Forderungen des Kaisers zustimmen. -[5]Auf dem Augsburger [Reichstag]sind nun beinahe alle geistlichen und weltlichen Fürsten und Kurfürsten versammelt. Laut glaubwürdigen Berichten sollen sie den Schwäbischen Bund wieder errichten. -[6]Ferner rechnet man jeden Tag mit der Ankunft von Philipp II., dem Sohn Karls V Die Stände sollen bereits in seine Königs- oder Kaiserwahl eingewilligt haben! -[7]Auch soll Karl V eine Gesandtschaft mit einer so großer Vollmacht an Papst Paul III. geschickt haben, dass eine Versöhnung der beiden zu befürchten sei. Wenn das wirklich geschieht, stehe Gott [den Protestanten]bei! -[8]Paul III. soll den deutschen [altgläubigen]Geistlichen aufgetragen haben, der Verhandlung, die der Kaiser zur Klärung der Religionsfrage beauftragt hat, nicht zuzustimmen. -[9] Während Karl V alle ausländischen Machthaber und Gemeinwesen durch seine Handlungsweisen einen Angriff fürchten lässt, verfolgt er seine eigenen Pläne mit Philipp II., Paul III. und dem gesamten Reich [zur monarchischen Reichsreform]. Und keiner stellt sich ihm entgegen! Sollte er damit Erfolg haben, werden seine Nachbarn seinen Plan zweifelsohne [zu spät]durchschauen. Kurz: Gott muss zur Hilfe kommen! -[10]Die Bremer, Magdeburger und die anderen Hansestädte erweisen sich genau wie Graf Albrecht VII. von Mansfeld, Graf Christoph von Oldenburg und weitere vertriebene Adlige weiterhin als tapfer [im Widerstand gegen den Kaiser]! Sie sammeln Truppen, doch werden sie gegen Karl V wohl nicht lange standhalten, sofern ihnen niemand zur Hilfe kommt. -[11]Die Reiter von König Ferdinand I. nehmen auf ihren täglichen Steifzügen um Basel, die zum Teil bis in die Stadt hineinführen, die armen [geflohenen]Landsknechte gefangen und bekommen dabei auch Unschuldige zufassen. Die Reiter versuchen gemeinsam mit den [Basler]Pfaffen [NN] und deren Anhängern, das einfache Volk durch Verleumdungen gegen Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard, Johann Freiherr von Heideck, Friedrich von Reifenberg und Schertlin lautstark aufzuhetzen. -[12] Von den Basler Ratsherren hat Schertlin noch immer keine Erlaubnis zur Niederlassung erhalten, sondern muss zu seinem [finanziellen]Nachteil, samt seiner Frau [Barbara von Stende]und dem ganzen Hausstand, in einem öffentlichen Wirtshaus hausen. Im Vertrauen: Er würde ein Vermögen dafür zahlen, wäre er damals bei den Zürchern oder in einem ihrer Gebiete geblieben! Um Rat zu erlangen, wie er seine Angelegenheiten regeln könnte, hat er daher insgeheim seinen Sohn [Hans Sebastian oder Hans Philipp]mit Briefen an Bullinger und Bernhard von Cham losgeschickt. [Das Übrige]teilt Schertlins Sohn mündlich mit. Bullinger möge dem Sohn vertrauen als sei es Schertlin selbst. -[13]Als Johann Freiherr von Heideck vor dem Berner Rat stand, wurde ihm Unterstützung zugesagt. Zudem haben die Bieler vor, ihm ein [ehemaliges]Kloster [als Wohnsitz] zu überlassen. Schertlin glaubt allerdings nicht, dass einer der [deutschen]Feldherren vorhat, [dauerhaft] in Basel zu bleiben. Das aber ganz im Vertrauen! -[14]Konstanz soll wohl weiterhin keine Unterstützung [gegen den Kaiser] erhalten und sich in einer großen Notlage befinden. Sollte sich die Stadt hingegen den Österreichern [den Habsburgern]unterwerfen, erhielte sie Geld und ihre Aussöhnung [mit dem Kaiser]. -[15]Württemberg hat einen unsicheren Stand, da Ferdinand I. kein Interesse an einer Strafzahlung [von Herzog Ulrich von Württemberg]hat, sondern sich Land und


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Leute zu eigen machen will! Der Kaiser soll darüber urteilen. -[16]Bullinger möge diese vertraulichen Nachrichten auch den Zürcher Bürgermeistern Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab sowie Bernhard von Cham mitteilen und Schertlin diesen anempfehlen. -[17]Laut den Augsburgern und anderen könne Schertlin mit einer vertraglichen Aussöhnung [mit dem Kaiser]rechnen. Einflussreiche Leuten rieten ihm allerdings, nicht darauf zu hoffen. Er ist völlig ratlos, wie es weitergehen soll.

Mein willig dienst unnd alles gutt, so ich vermag, sey euch alzeytt zu voran berait, ginstiger, lieber und vertrawter herr. Ich hab euch lang nichts geschrybenn 2 unnd von euch auch kam schreyben empfangenn. Mein ursach ist die schwere kranckait, mit dero ich ain lange zeytt beladen gewest. 3 Aber eß hat sich, gott sey lob, zimlich wol gebessertt.

Ich wolt euch gern gutte newe zeytung 4 zuschreyben, so kan ich dero gar kaine erfaren. Unser ding bösert 5 sich von tag zu tag. 6 Die großmechtigen potentaten 7 send in ain solche tiranney gegen unß armen vertribnen gefallen, das des wietens 8 und tobens unnd bluttvergiessens kam ende sein will. 9

In Augspurg ist auf freyem blatz, der Berlach genant, 10 neben der vichmetzig, ain menschenmetzigbanck aufgericht. Darauf ist ain sollich flaysch 11 , das es gott

2 Schertlin schrieb Bullinger zuletzt am 14. August 1547 (HBBW XX, Nr. 2990). Aus der Korrespondenz, die mit Schertlins Brief vom 24. Juni 1547 (Nr. 2929) begonnen hatte, sind insgesamt 19 Briefe von diesem, keiner aber von Bullinger erhalten; s. HBBW XX, Nr. 2929, Anm. 1.
3 Schertlin litt mindestens schon seit Mitte Oktober 1547, also bereits vor seiner Ankunft in Basel, an einer fieberhaften Erkrankung (Wechselfieber?) und sollte sich erst im Laufe des Frühjahrs oder Frühsommers 1548 davon erholen; s. HBBW XX, Nr. 3040,78-81; Schertlin, Leben 70; Rudolf Thommen, Sebastian Schertlin in Basel, in: Basler Jb., 1897, 239f.
4 Nachrichten.
5 verschlimmert.
6 Gemeint ist die Lage der in kaiserliche Ungnade gefallenen und im Exil lebenden Feldherren des Schmalkadischen Bundes.
7 Schertlin dachte hier sicherlich an die Sieger des schmalkaldischen Krieges, Karl V. und dessen Bruder Ferdinand I
8 Wütens.
9 Vgl. auch Nr. 3144,6f.
10 Perlachplatz, der heutige Augsburger Rathausplatz, an dem der Perlachturm steht. Auf
dem Platz befand sich zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes die alte Stadtmetzg. Das Vieh wurde (zumindest in der kalten Jahreszeit) auf dem Platz geschlachtet, wie das etwa 1540 entstandene Gemälde von Heinrich Vogtherr d.J. "Der Rathausplatz im Winter" (Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Inv.-Nr. 9330) eindrücklich zeigt. -Nach der versuchten Meuterei durch kaiserliche Landsknechte, die im August 1547 in Augsburg geschehen war, ließ Karl V. auf dem Platz ein Gerüst errichten, auf dem die Rädelsführer des Aufstandes sowie in den folgenden Monaten noch weitere Verbrecher und in Ungnade gefallene Personen bestraft oder hingerichtet wurden. Zu diesen gehörte ebenfalls der schmalkaldische Söldnerführer Sebastian Vogelsberger, der am 7. Februar 1548 enthauptet wurde; s. HBBW XX, Nr. 3005,98-118 mit Anm. 85; Nr. 3144,7f; Achilles Pirmin Gasser, Der Heiligen Reichstatt Augspurg in Schwaben Chronica, hg. y. Wolfgang Hartmann, Bd. 3, Basel 1596 (VD16 G507), S. 65f.; Roth, Augsburg IV 56f.
11 sollich flaysch: derartiges Fleisch. - Gemeint sind die Leichen, die nach der Hinrichtung zur Schau gestellt wurden.


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erbarmen mecht. Der well am gnedigs, muts ende daran machen.

So sich 12 ich, das alle hoch unnd nider gestäntt 13 im romischen reich dermassen ergrembt 14 , das der 15 kainer seinen kopf aufrichten darf 16 Und miessen in irem aignen blutt von ainem klainen gesind 18 ersteckt 19 werden. Alles, so an sie begertt wurtt, darzu miessens sagen amen. 20

In Augspurg send nun vast alle chur und fursten, gaistlich und weltlich, bey ainander. 21 Sie miessen, wie mich glaublich anlangt 22 , den grossen schwebischen punt 23 aufrichten und eingen 24 .

So 25 wartt man täglichs auf deß kaysers sone 26 . Den sollend die stend schon fur ain kayser oder konig zu investieren 27 bewilliget habenn!

Item so sol kayser abermals ain treffenliche 21 potschafft 29 mit vil und grossem bevelch 30 zum bapst 31 abgefertigett habenn unnd mit solchem, das geachtet wirdt, die hayd mit ainandern vertragen werden sollen. Geschieht das, so kum uns gott zu hilf!

Eß soll bapst den teutschen gaystlichen dermassen zugeschriben haben, daß sie

12 sehe.
13 Stände.
14 abgeschreckt sind; s. SI ll 732.
15 derer.
16 aufrichten darf: aufzurichten wagt; s. SI XIII 1519 s.v. dörfen.
17 müssen.
18 Gemeint ist der Kaiser und seine Regierung.
19 erstickt; s. SI X 1590.
20 Zur kaiserlichen Handhabung der Reichstagsgeschäfte vgl. auch zuvor Nr. 3108,9-14; Nr. 3113,7-12.
21 Tatsächlich waren auf dem Reichstag sehr viele Reichsfürsten persönlich anwesend; s. Rabe, Reichsbund 182; Nr. 3142,82-85 mit Anm. 101.
22 mich glaublich anlangt: mir glaubwürdig berichtet wird.
23 Gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand I versuchte der Kaiser bereits seit 1545 im Rahmen seiner angestrebten monarchischen Reichsreform einen neuen Schwäbischen Bund (Reichsbund) zu errichten, nachdem der alte Schwäbische Bund 1534 aufgelöst worden war. Hierzu hatte er im Februar 1547 die Reichsstände nach Ulm bestellt. Die Verhandlungen wurden schließlich am 14. Juli abgebrochen, vertagt und nach Augsburg verlegt; s. HBBW XIX, Nr. 2762, Anm. 105; XX, Nr. 2927, Anm. 10; Nr. 2960, Anm. 25.
24 eingehen.
25 Ebenso.
26 Philipp II. von Spanien. -Besonders in Augsburg verbreiteten sich Gerüchte um die Bestrebung Karis V., seinen Sohn zu Ungunsten seines Bruders Ferdinand I. zum Römischen König und später zu seinem Nachfolger als Kaiser wählen zu lassen; s. Friedrich Edelmayer, Philipp II. Biographie eines Weltenherrschers, Stuttgart 2009, S. 59. -An der Tagsatzung in Baden, die am 23. Januar begann, wurde berichtet, dass Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba, nach Spanien gereist sei, um Philipp II. von dort nach Italien zu geleiten; s. EA IV/1d 907 1; vgl. Nr. 3115,5-7. -Philipp II. sollte erst am 21. Januar 1549 in Augsburg eintreffen; s. Gasser, aaO, S. 74.
27 fur ... zu investieren: als ... einzusetzen; s. FNHDW VIII 184.
28 wichtige; s. Fischer II 350.
29 Gesandtschaft.
30 mit ... bevelch: mit ... Befugnissen; vgl. FNHDW III 458.
31 Paul III. - Die Berichte über eine friedliche Übereinkunft zwischen diesem und Karl V. widersprechen den spätestens seit Oktober 1547 bis Anfang 1548 kursierenden Kriegsgerüchten zwischen den beiden; s. hierzu zuletzt Nr. 3137,40-48.


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auf kaysers beger zu dem furgenommnen colloquio 32 (im welchen soit erertert 33 werden, wie eß biß an ain concili in teutscher nation gehalten wird) nit bewilligen sollen.

||2097v. Der kayser heit 34 sich gegen alien außiendischen potentaten 35 und comunen, das ain yeder besorgt, er werde von im überzogen 36 . Aber dazwischen 37 fiert 38 er sein sach mit seinem son, bapst unnd der gantzen teutschen nation nach willen auß. 39 Niemant ist, der das wenigest dargegen handle! Wann er aber dise sach zusamen gebracht hatt, so werden die nechstgesessnen 40 comunen und potentaten one zweyfelich sein werck sehen. In summa: Ich sich in diser sach kam menschliche hilf. Eß will 41 niemant nichts thon. Gott von himel muß unß alaine zu hilf khumen!

Die von Bremen 42 , Maydenburg 43 sampt andern seestätten 44 , grafen zu Mansfeld 45 und Altenburg 46 , auch vilen vertrybnen vom adel send dannoch noch 47 manlich 48 : Bewerben sich gewislich umb 49 vil reutter und knecht 50 . Aber ich trag grosse fursorg: Da 51 sie sunst kam hilf finden, werden sie eß in die leng nit erharren 52 mogen.

Deß romischen konigs 53 reutter strayffen uns alle tag bis an und in die statt

32 Gemeint sind die Verhandlungen zum Interim, die Karl V. nach dem unfreundlichen Empfang seines Gesandten, Kardinal Cristoforo Madruzzo, Bischof von Trient, bei Paul III. in Rom angeordnet hatte; s. HBBW XX, Nr. 3090,[7].
33 erörtert.
34 verhält.
35 Schertlin dachte hier sicherlich an die venezianischen Städte, Florenz und Heinrich II.; vgl. Nr. 3130,18-20; Nr. 3137,102-105.
36 angegriffen; s. SI XVII 962 s.v. überziehen
37 unterdessen; s. FNHDW V.1 243f.
38 führt.
28 Siehe oben Anm. 20, Anm. 23 und Anm. 26.
40 benachbarten.
41 wird.
42 Nach dem schmalkaldischen Krieg verweigerten die Städte Bremen und Magdeburg noch bis in die 1550er Jahre die Aussöhnung mit Karl V. Die meisten anderen Hansestädte hatten den vom Kaiser geforderten Einzelverhandlungen zur Aussöhnung zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt war Göttingen (und Einbeck?) noch nicht versöhnt; von den kürzlich abgeschlossenen Verhandlungen der Städte Hildesheim (18. Februar 1548) und Hannover (20. Februar 1548) wusste Schertlin sicherlich
noch nichts, von der Aussöhnung mit Goslar (21. Januar 1548) konnte er vielleicht schon erfahren haben; s. HBBW XX, Nr. 2985, Anm. 10; Nr. 3060, Anm. 18.
24 Magdeburg.
44 Hansestädte.
45 Albrecht VII. von Mansfeld, oberster kursächsischer Feldherr, wurde nach der Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547) vom Kaiser geächtet. In der Schlacht bei Drakenburg am 23. Mai konnte er einen Sieg für die Protestanten erringen; s. HBBW XX, Nr. 2918, Anm. 18; NDB XVI 79. —Zur Truppensammlung unter Graf Christoph von Oldenburg s. Nr. 3120,18-22.
46 Oldenburg.
47 weiterhin.
48 tapfer.
49 bewerben sich umb: werben an.
50 Landsknechte.
51 Falls; s. SI XII 11.
52 aushalten.
53 Ferdinand I. war seit 1521/22 Erzherzog von Österreich und damit auch Regent in Vorderösterreich (Regierungssitz Ensisheim), das der Stadt Basel benachbart war; s. Territorien des Reichs V 256f - Die habsburgischen Reiter sollten wohl die von Karl V. im Januar


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Basell, werfen nider und fachen 54 die armen knecht (ja auch die unschuldigen!) b , schreyen 55 und stoltzieren sampt den pfaffen und iren anhengen 56 uber Graf Jörgen 57 hern von Haydeck 58 , Reyfenberg 59 und mich und understeen sich 60 , mit solchem ain grossen unlust 61 bey dem hieygen 62 gemainen man unß gantz unlustig 63 zu machen

Ich hab noch biß hieher von den heuptern 64 alhie zu kainer aignen haushaltung gelangen mögen und lig sampt meiner hausfrawen 65 und allem gesind mit schaden 66 in ainem offnen wirtshaus. 67 Das zaig ich euch als meinem vertrawten ane: Ich wolt 1000 kronen bezalenn c , das ich bey meinenn lieben herren zu Zurich oder in irer fleckhen ainem gebliben were. 68 Ich hab derhalb zaigern 69 diser, meinen sone 70 , zu

b Dieses und das folgende Klammerpaar ergänzt. -
c Am Rande nachgetragen.
1548 auf dem Augsburger Reichstag erlassenen Verbote durchsetzen, sich in fremden Kriegsdienst zu begeben. Als diese Mandate auch in Basel und Schaffhausen öffentlich angeschlagen wurden, sollten die Abgesandten der beiden Städte in dieser Angelegenheit an der Tagsatzung, die am 12. März 1548 begann, um Rat fragen; s. EA IV/1d 927 g; RTA-JR XVIII/3, S. 2558-2561, Nr. 352; Ines Grund, Die Ehre - die Freiheit - der Krieg. Frankreich und die deutschen Fürstenopposition gegen Karl V. 1547/48-1552, Teil 1, Diss. phil. Regensburg, Bad Camberg 2007, S. 16.
54 werffen nider und fachen: nehmen ... gefangen.
55 verleumden; s. SI IX 1459 s.v. verschreien.
56 pfaffen und iren anhengen: Schertlin meint hier wohl die noch in Basel verbliebene altgläubige Gemeinde; vgl. Nr. 3143,15-18.
56 Georg von Württemberg-Mömpelgard war, nachdem über ihn die Reichsacht verhängt worden war, etwa Mitte Januar 1547 von Reichenweier nach Basel geflohen; s. HBBW V, Nr. 650, Anm. 3; XX, Nr. 2943, Anm. 8.
58 Johann Freiherr von Heideck, geb. 1508, gest. am 20. Januar 1554, Oberbefehlshaber der württembergischen Truppen im schmalkaldischen Krieg, wurde nach der Niederlage der Schmalkalder 1547 mit der Reichsacht belegt und floh in die Eidgenossenschaft. Er wohnte im Eptinger Hof in der Basler Neuen Vorstadt (heute Markgräfler Hof Hebelstrasse 2); s. HBBW XVII, Nr. 2518, Anm. 48; ADB XI 294; Paul Burckhardt, Basel zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, in Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde,
Bd. 38, 1939, S. 91.
59 Der hessische Oberst Friedrich von Reifenberg, gest. 1595, hatte sich auf der Flucht vor dem Kaiser ebenfalls für eine gewisse Zeit nach Basel geflüchtet; s. HBBW XX, Nr. 3079, Anm. 11.
60 understeen sich: versuchen.
61 mit solchem ain grossen unlust: mit solch großer Anfeindung; s. Grimm XXIV 1148 Unlust.
62 hiesigen.
63 widerwärtig; vgl. SI III 1479.
64 Basler Ratsherren.
65 Barbara Senn, gen. Thormann (von Stenda); s. HBBW XIX, Nr. 2769, Anm. 18.
66 (finanziellem) Nachteil; s. SI VIII 172.
67 Da Schertlin zum einen mit der Reichsacht belegt worden war und zum anderen (wohl zu Recht) in Verruf stand, während seiner Feldzüge Kirchengüter geraubt zu haben, wurde sein Aufenthalt in Basel zwar vom Basler Rat geduldet. Er durfte sich aber nicht niederlassen, sondern musste mit dem [Roten]Ochsen, einem öffentlichen Gasthaus in Kleinbasel, Vorlieb nehmen. Weil dem kranken Schertlin das unruhige Umfeld nicht gefiel, sollte er nach Ablehnung eines entsprechenden Niederlassungsgesuches seitens des Rates sogar versuchen, einige der Ratsleute zu bestechen; s. HBBW XX, Nr. 3073, Anm. 40; Burckhardt, aaO, S. 91-93; Gast, Tagebuch 328 mit Anm. 40.
68 Siehe oben Anm. 1.
69 Briefüberbringer.
70 Hans Sebastian oder sein jüngerer, am 29. April 1531 geborener Bruder Hans Philipp


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euch in stillem abgefertigett, sampt dem herren von Keyburg 71 , mir zu raten, hilflich sein, wie ich mein sach in riewigern stand 72 (und wie euch mein son anzaigen wurdt) richten kindt 73 . Dem bitt ich glauben zu geben, als ob ich selbst bey euch were.

||2098r. Der herr von Haydeck ist bey denen von Bern 74 gewest. Die haben ime fraintlichen trost zugesagt und wellen ime die von Bueyl 75 ain schons kloster eingeben 76 Ich gedenck, w|werd unser kainer alhie 77 beleyben mögen 78 . Saß bitt ich in stillem bey euch beleyben zu lassenn.

Wie ich vernim, so steett die stat Costentz auch noch on alle menschliche hilf wurdet von niemand getröst 79 , ist in grossen sorgen. 80 Doch wann sie wellen österreichisch werden, 81 soll men an gelt und vertrag 82 nit manglen.

Wurtenberg steett auf schmälem fuß 83 . Der romisch konig will gar kain gelt,

Schertlin, die beide mit ihren Eltern nach Basel gezogen waren; s. Schertlin, Leben 10. 70.
71 Bernhard von Cham, von 1542 bis zum 23. Juni 1548 amtierender Landvogt auf der Kyburg, war mit Schertlin bekannt und hatte ihn ein Jahr zuvor, als dessen Lage in Konstanz angespannter wurde, zu sich eingeladen; s. HBBW VI, Nr. 893, Anm. 3; XIX, Nr. 2808,30-36; Dütsch, Landvögte 21. 78.
72 in riewigern stand: in ruhigeren Zustand.
73 könnte.
74 Gemeint sind die Berner Ratsherren.
75 Biel.
76 Tatsächlich sollte Heideck aber noch bis August 1549 in Basel verweilen; s. oben Z. 42-46; die Briefe Johannes Gasts an Bullinger vom 13. August [1548] (StA, E II 366, 129) sowie vom 17. August [1549] (Zürich StA, E II 366, 126).
77 in Basel.
78 können.
79 unterstützt; s. SI XIV 1395f.
80 Zur Lage der von den kaiserlichen Sanktionen schwer getroffenen Stadt Konstanz s. HBBW XX, Nr. 3092,[6]; Nr. 3110, Anm. 30.
81 Karl V. forderte von Konstanz eine bedingungslose Unterwerfung; s. HBBW XX, Nr. 3088, Anm. 10.
82 einer Aussöhnung. - Zum Aussöhnungsgesuch der Konstanzer beim Kaiser s. zuletzt Nr. 3142,2-8.
83 steett auf schmälern fuß: hat einen schweren Stand; vgl. Wander I s.v. Fuss, Nr. 205.
-Württemberg wurde 1546 durch die Kaiserlichen besiegt und besetzt. Herzog Ulrich von Württemberg musste sich im Hohentwieler (auch: Heilbronner) Vertrag vom 3. Januar 1547 verpflichten, dem Kaiser "Pass und Öffnung in seinem Land und seinen Festungen" zu gewähren; s. HBBW XX, Nr. 3081, Anm. 12. -Zudem hatte Ferdinand I. Ende 1547 eine Klage gegen Ulrich beim Kaiser eingereicht. In dieser warf er Ulrich vor, entgegen des Vertrages von Kaaden vom 29. Juni 1534 dem Schmalkaldischen Bund beigetreten zu sein und gegen König und Kaiser Krieg geführt zu haben. Er forderte daher die Absetzung des württembergischen Herzogs und die Konfiszierung seiner Güter durch Karl V. Die Lehensgüter sollten jedoch an Ferdinand I selbst gehen. Zur Klärung des Rechtsstreits wurde von Karl V. ein Richtergremium eingesetzt, dem der Kölner Erzbischof Adolf III. von Schaumburg (Vorsitz), Antoine Perrenot de Granvella, Viglius van Zwichem, Georg Sigismund Seld, Heinrich Has, Johann Marquard (von Königsegg), Johannes Colin (Colynus), Simon Revardus und Gerard von Voltwick, angehörten. Da aufgrund deren Nähe zum Kaiser und ihres Glaubens von keinem unabhängingen oder gar württembergfreundlichen Urteil auszugehen war, riet der Basler Jurist Bonifacius Amerbach, der für die württembergische Partei ein Rechtsgutachten erstellen sollte, dass man den Streit besser außergerichtlich lösen sollte. Für den für sich ungünstigsten Fall hatte Ulrich insgeheim


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sonder land und leutt gar haben. Doch soll der kayser den außspruch thon 84 .

Daß alles hab ich euch, meinem vertrawten herren, nit verhalten 85 sollenn, beyden herren bürgermaystern 86 und her Bernharten von Cham auch mitzuthaylen neben erbiettung meiner willigen diensten.

Ich wurd noch täglichs von denen von Augspurg und andern höchlich vertröst 87 gnedigster aussönung und vertrags, doch von hochen leutten trewlich 88 verwarnett 89 , mich dahin 90 nit zu vertrawen 91 . Bin in allen meinen sachen gantz irr 92 . Datum Basell, den 22. februarii anno 1548. Ewer gutwilliger S. Schertlin von Burtennpach, ritter, subscripsit.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wolgelerten, meinem hochvertrawten, ginstigen herren maister Hainrichen Bullingern, pfarhern der statt Zürich, zu aigen handen. 93

einen Erlaß vorbereitet, der vorsah, die Regierung an seinen Sohn, Christoph von Württemberg, zu übergeben, von dem er sich jedoch vorsorglich vertraglich am 7. April 1548 versichern ließ, nicht ohne die Zustimmung des Vaters zu handeln und diesem die Regierungsgewalt zurückzugeben, sobald die politische Lage dies erlaube. Hierzu kam es jedoch nie. Stattdessen sollte sich der Rechtsstreit zwischen dem Haus Württemberg und dem König noch bis zum 10. August 1552 hinziehen: Herzog Christoph von Württemberg, Ulrichs Sohn, willigte ein, Ferdinand I eine Summe von 300000 Gulden zu zahlen, wohingegen dieser seine Klage zurückzog; s. HBBW IV, Nr. 424, Anm. 64; Herbert Schempf Württemberg als Rechtsfall. Der Felonieprozeß gegen Herzog Ulrich 1548 bis 1553 im Spiegel der Rechtsgutachten, in: Ludwigsburger Geschichtsblätter 52 (1998), S. 35-46; Heyd, Ulrich von Württ. III 496-505; Christoph
Friedrich von Stälin, Wirtembergische Geschichte, Teil 4: Schwaben und Südfranken, Stuttgart 1873, S. 464. -Bereits am 10. Januar hatte Bullinger von Joachim Vadian erfahren, dass der Kaiser Landsknechte und Reiter nach Württemberg verlegte; s. Nr. 3107,41f.
84 den außspruch thon: die Entscheidung (hierüber) fällen; vgl. SI X 836 s.v. Usspruch
85 verschweigen; s. Fischer 111159.
86 Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab.
87 in Sicherheit gewogen; s. SI XIV 1414.
88 eindringlich; s. S XIV 1654.
89 darauf hingewiesen; s. SI XVI 1538.
90 darauf. - Gemeint ist die Aussöhnung.
91 zu verlassen; s. SI XIV 1600.
92 ratlos.
93 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Schertlins Sohn Hans Sebastian oder dessen jüngerer Bruder Hans Philipp; s. oben Z. 51-54 mit Anm. 70.