Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3130]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
Freitag, 3. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, F II 336, 283 (Siegelspur) a Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 1013, Nr. 1128

[1]Der [Überbringer des Briefes, N.N.] ist ganz und gar kein übler Pfarrer aus der Basler Landschaft. Er sei Bullinger aufgrund der Angelegenheit empfohlen, deretwegen er nach Zürich kommt. -[2]Bullinger lässt Myconius' Briefe einfach unbeantwortet! Um diesen zu beruhigen, soll er ihm den Grund hierfür durch den Pfarrer oder einen anderen Briefüberbringer übermitteln. Myconius muss seine Anliegen auch nicht noch einmal wiederholen, da er diese ja schließlich schon ausführlich in seinen zwei Briefen an Bullinger [HBBW xx, Nr. 3100; Nr. 3115]dargelegt hat. Dem ist auch nichts hinzuzufügen. Jedoch ist er in großer Sorge, dass es bald schlimme Nachrichten über die [Bestechlichkeit der altgläubigen] Nachbarn Zürichs geben wird. Das ist kaum zu glauben, weil sich das Gerücht jedoch hält, muss sich Myconius einfach fürchten. -[3] Von der Tagsatzung kommt kein Sterbenswörtchen, außer der Nachricht von irgendeinem Hauptmann [NN], laut der sich die Tagsatzungsgesandten gegenseitig grimmig beäugt haben. Das hat Myconius erschreckt und ihm einige unruhige Nächte beschert. -[4]Über das Konzil von Trient wird Bullinger ohne Zweifel alles wissen. Einige glauben, es werde weder in Bologna noch in Trient fortgesetzt. -[5]Alles, was Kaiser Karl V. sagt oder tut, deutet auf einen Krieg hin. Seine Ambition und sein Erfolg stacheln ihn dazu an! Die Eidgenossen werden ihm zur Beute fallen, wenn sie sich nicht in Eintracht und Gottesfurcht üben. -[6]Die Frommen fürchten König Heinrich II. von Frankreich, sind aber wegen der ungünstigen Lage gezwungen, sich ein Stück weit nach ihm zu richten. -[7]Laut dem Bericht von einem Reisenden [N.N], der von Sardinien kommend Italien durchquerte, wimmelt es in Rom, Florenz und den venezianischen Städten von Soldaten, um im Falle eines Einmarsches Karls V die Grenzen verteidigen zu können. Und ein Angriff sei zu befürchten! Allerdings erscheint Myconius unter den derzeitigen Umständen alles verdächtig. Vielleicht lässt ja der Kaiser solch betrügerische Nachrichten selbst in den Umlauf bringen, um die Eidgenossen in Sicherheit zu wiegen und sie dann unvorbereitet zu vernichten. -[8]Über den Vorfall mit den Bären von [Erzherzog]Maximilian, worüber Johannes Haller näheres weiß, möchte Myconius gern mehr erfahren. Ebenso über die Steckborner [Burschen]: Haben sie sich mit den Schwaben [aus Hemmenhofen]auf dem Eis des Zellersees [richtig: Rheinsees]geprügelt und diese in die Flucht geschlagen? -[9]Grüße.

S. Hic 1 ex fratribus est ruralibus non pessimus. Fac ipsum habeas commendatum de re, quapropter isthuc mittitur.

Scribere me sinis et non respondes. Per hunc vel illud significato, cur non

a Mit Schnittspuren.
1 Unbekannt.


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respondeas, ut sim quietior. 2 Non opus est repetere, que petii. Habes binas meas, que id satis explicant, puto. 3 Non est, quod addarn, nisi timorem vehementem propter vicinos tuos 4 , ut de quibus subinde peiora referentur. Non facile credo tam stupenda. Verum quod fama tam constans est, non timere non possum.

Ex comitiis 5 ne gry quidem 6 , nisi quod capitaneus 7 quidam inde retulit: Confoederatorum legati torve sese intuentur. Hoc verbum, quamvis incerturn, ita tarnen me terruit, ut inquietiores aliquot habuerim noctes.

De concilio nosti nimirum omnia. 8 Putant quidam neque Bononiense neque Tridentinum progressurum. Cesar 9 quicquid dicat, quicquid agat, totus in belligerando est. Ita stimulat eum ambitio et fortune praesens favor. Nos illi preda erimus, nisi concordia nostros animos foveat et timor occupet domini.

Gallum 10 pii timent et tarnen coguntur a temporum rnalignitate ad ipsum nonnihil inclinare.

Venit e Sardinia per Italiam quidam 11 , qui narrat Rorne et Florentie et in civitatibus Venetorum 12 omnia militibus esse plana, non in aliud tamen, nisi ut fines illorurn defendant, si cesar adveniat. Et timorem esse adventururn. Atqui sic sunt

2 Wie Bullinger in dem Antwortschreiben auf den vorliegenden Brief eingestehen sollte, hatte er Myconius seit seinem Schreiben vom 22. November 1547 (HBBW XX, Nr. 3081) nicht mehr geschrieben, obwohl dieser noch zwei Mal, nämlich am 28. Dezember 1547 (HBBW XX, Nr. 3100) sowie am 20. Januar 1548 (Nr. 3115), Briefe geschickt hatte; s. Nr. 3137,1-9.
3 Myconius bat mit seinen zwei vorhergehenden Briefen unter anderem um Auskünfte über die Haltung der Fünf Orte sowie zu den Gerüchten über die Spaltung der Eidgenossenschaft aufgrund der Intrigen von Kaiser Karl V.; s. HBBW XX, Nr. 3100,14-36; Nr. 3115,2. - Zu den falschen Gerüchten über die Spaltung der Eidgenossen s. auch Nr. 3117,26-41.
4 vicinos tuos: Gemeint sind die altgläubigen, Zürich benachbarten Orte.
5 Gemeint ist die Badener Tagsatzung, die am 23. Januar begonnen hatte; s. Nr. 3127, Anm. 19.
6 Vgl. Adagia 1, 8, 3 (ASD 11/2 234, Nr. 703).
7 Unbekannt.
8 Zur Verlegung des Trienter Konzils nach Bologna und dessen anschließende Vertagung unter Papst Paul III. s. Nr. 3113, Anm. 4.
9 Karl V.
10 Heinrich II. - Dieser hatte den Eidgenossen zugesichert, wie Bullinger am 11. August 1547 Myconius mitteilte, sich noch drei Jahre an das von seinem Vater, Franz I geschlossene Soldbündnis mit den Eidgenossen zu halten und diese im Fall eines Angriffes mit Waffen und Geld zu unterstützen. Da Zürich dem Bündnis nicht zugestimmt hatte und sich zudem Bern ab 1529 nicht mehr beteiligte, machte Heinrich II. allerdings die Eintracht der Eidgenossen hierfür zur Bedingung; s. HBBW XX, Nr. 2976, Anm. 1 und 3; Nr. 2984,8-21. -Myconius war der Überzeugung, dass die Orte zum Schutz der Eidgenossenschaft ein Bündnis mit Heinrich II. oder Karl V. eingehen müssten, wobei er selbst eher zu einem Abkommen mit Frankreich tendierte. Bullinger hatte hierfür kein Verständnis, da die Eidgenossen in diesem Falle auch Verbündete des Papstes würden; s. HBBW XX, Nr. 2967,6-11; Nr. 3054,9-21; Nr. 3071,27-34.
11 Unbekannt.
12 Venedig sowie die Städte, die Teil von Venedigs Herrschaftsgebiet auf dem italienischen Festland (Terra ferma) waren.


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tempora, ut omnia sint mihi suspecta. Cesar forsitan tales nuncios mittit, ut est fraudulentus, quo nos ab eius armis securos b b reddat, deinde vero imprudentes perdat.

De ursis Maximiliani 13 , de quibus Hallerus 14 novit, vellem certior fieri. 15 Et de Steckborensibus , an cum Suevis 16 in glacie jacus Cellensis 17 conflixerint et eos in fugam verterint, etc.

Vale in Christo cum pus omnibus. Basilee, 3. februarii anno 1548.

13 Erzherzog Maximilian, der spätere Kaiser Maximilian II. - Dass es sich hier um Erzherzog Maximilian und nicht um den römischdeutschen König und späteren Kaiser Maximilian I. (geb. 1459, gest. 1519) handelt, legt der Abschiedsbrief König Ferdinands I. an seine Söhne, Maximilian, Ferdinand II. und Karl II., nahe, den er anlässlich seiner Kriegsteilnahme am Schmalkaldischen Krieg am 14. Februar 1547 verfasst hatte. In diesem machte der König seinem ältesten Sohn Maximilian nämlich den Vorwurf zu viel Zeit mit seinem Bären (und der Musik) zu vergeuden; s. Oesterreichisches Archiv für Geschichte, Erdbeschreibung, Staatenkunde, Kunst und Literatur, Jg. 1, hg. y. Johann Wilhelm Ridler, Wien 1831, S. 190 (Nr. 48); Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen, hg. y. Franz Bernhard von Bucholtz, Wien 1838, S. 468. Wir danken Rainer Henrich für den wertvollen Hinweis
auf den genannten Abschiedsbrief.
14 Johannes Haller, der sich zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes in Zürich aufhielt, hatte seine Informationen über den Vorfall mit dem Bären von Maximilian, der damals in Augsburg residierte, sicherlich durch die Korrespondenz mit seinen Freunden aus Augsburg, wo er beinahe zwei Jahre gelebt hatte.
15 Über die Störung des Messbesuchs durch Maximilians Bären sowie über die Prügelei der Jugendlichen aus Steckborn und Hemmenhofen berichtet Bullinger in seinem Antwortschreiben vom 11. Februar 1548; s. Nr. 3137, 68-73 und 74-95.
16 Schwaben. - Gemeint sind die Jugendlichen aus Hemmenhofen; vgl. Nr. 3118,40-49.
17 lacus Cellensis: Zellersee, nordwestlicher Teil des Untcrsees. -Die Prügelei der Steckborner und Hemmenhofener geschah jedoch auf dem (teilweise) gefrorenen Rheinsee; s. Nr. 3137, 74-95.
Tuus O. M.

[Adresse auf Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro doctissimo, in domino suo. Zu[ric]h c .

b Über der Zeile nachgetragen. -
c Textverlust bei Entfernung des Siegels.