Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3127]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
Konstanz,
Mittwoch, 1. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 357, 262 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 683, Nr. 1507

[1]Blarer dankt für Bullingers Brief [nicht erhalten], den er gestern durch den deutschen Schulmeister [Benedikt Euander] erhalten hat. Nur kurz zuvor hatte er einen Brief für Bullinger [Nr. 3123 vom 31. Januar 1548]dessen Neffen Josua Bullinger mitgegeben. -[2 ]Er erwartet, dass das Brautpaar [Hans Rutishauser und Dorothea Diethelm gen. Münchin] jeden Augenblick bei ihm erscheinen und über den Stand [ihres Ehegesuchs]berichten. Da der Thurgauer Landvogt [Leonhard Holzhalb]wohl auch wegen dieser Sache nach Zürich reisen soll, möge Bullinger sein Mögliches [für das Brautpaar]tun! -[3]Die Konstanzer müssen sich im Warten [auf die Antwort Kaiser Karls V auf ihr Versöhnungsgesuch] weiterhin in Geduld üben. Verhüte Gott, dass daraus Unruhe und anderes Unglück erwächst! Die Gemüter von Ratsherren und Bevölkerung sind in der Not unberechenbar. -[4]Es wäre angebracht, wenn Johannes Gisling [bei seiner neuen Stelle]streng beaufsichtigt würde und keine Eigenverantwortung hätte. Er beteuert auch seine Bereitschaft dazu. Vielleicht meint er es ernst. Zurzeit kann er seinen zügellosen Begierden aber nicht standhalten. Gott erbarme sich seiner! -[5]Blarer wartet auf weitere Nachrichten von Bullinger über die Badener [Tagsatzung]. -[6]Die Briefe, die Blarer zur Weiterleitung nach Bern an Bullinger geschickt hatte, sind dort noch nicht angekommen. Zumindest hat der junge [Kaspar Seidensticker] den Erhalt in seinem letzten Brief nicht bestätigt. Bullinger soll es nicht vergessen! -[7]Euander, der gestern Bullingers Brief überbracht hatte, sollte als Eidgenosse wohl ohne Schwierigkeiten aus Konstanz weiterreisen können. Blarer gab ihm aber lieber keinen Brief mit, um ihn nicht dadurch in Gefahr zu bringen. -[8]Nachrichten über Ercole II. d'Este, Herzog von Ferrara, hat Blarer noch nicht erhalten. -[9]Wenn das in Blarers Brief von gestern genannte Buch "Onus ecclesiae"in Zürich erhältlich ist, soll Bullinger es ihm so bald wie möglich zukommen lassen. -[10]Nach der Prügelei mit den Steckborner Burschen ist nun noch ein Junge aus Hemmenhofen [N.N.]gestorben. Und mehrere sollen sich noch nicht wieder erholt haben. Glücklicherweise ist man sich einig, dass die Hemmenhofener die Schuld [an der Auseinandersetzung]tragen. -[11]Alle lassen schön grüßen. Auch Blarer selbst lässt Grüße an die Zürcher ausrichten. Man soll für Konstanz beten.

Gottes gnad und alles güts. Ich hab euch gestert by ewerm vetter 1 geschriben und

a Mit Schnittspuren.
1 Neffe; s. SI I 1133. - Der Überbringer von Blarers Brief vom 31. Januar 1548
(Nr. 3123) war Bullingers Neffe Josua Bullinger; s. Nr. 3133,1f.


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glich daruff ewere schreiben 2 by dem teutschen schulmaister 3 empfangen. Sag euch ewers fleysß grossen danck.

Das ehvolcklis 4 wart 5 ich all stund, wie es stand. Dann 6 der landtvogt 7 sich vernemen lassen 8 , alls welle er seib gen Zurich diß und anderer sachen halber. So er kerne, wellt das aller best euch möglich hierinn handlen.

Unser sach müssend wir allso in geduldt erharren. 9 Gott geb grosß unnd vyl gnad, damitt die lenge nitt zu undult 10 und anderm unrat 11 gerathe! Die vulgaria ingenia senatorum et plebis seind wunderbarlich 12 in der not.

Deß Gyslingers halb were gut, wa er etwan in zucht und maisterschafft 13 sein köndt, das er nitt aigen verwaltung hett. Er empeut sich 14 allweg 15 , er wellt sich lassen ziechen und strauffen 16 . Vyllicht ist im 17 ernst. Interim tarnen impotentibus illis affectibus vincitur. Gott erbarm sich sin 18 !

Von Baden 19 allso will ich wertig sein 20 , was ir weyter schreibind.

Ich hab euch vor ettlichen tagen brieff uff Bern geschickt. Sind noch nitt dahin

2 Bullingers Brief an Blarer, den dieser wie hier angegeben am 31. Januar erhielt, ist nicht erhalten. Da der Brief; wie Blarer unten Z. 14 angibt, erste Nachrichten über die am 23. Januar begonnene Badener Tagsatzung enthielt, kann Bullinger den Brief nicht vor dem 24. Januar abgefasst haben. Zudem muss Bullinger das Schreiben in Anbetracht der etwa zweitägigen Reisezeit von Zürich nach Konstanz spätestens am 29. Januar abgeschickt haben.
3 Gemeint ist der aus Markdorf (Bodenseekreis, Baden-Württemberg) stammende Benedikt Euander, der zu dieser Zeit bereits seit knapp fünf Jahren als Schulmeister in Zürich wirkte. Seit der zweiten Jahreshälfte 1546 war er Lehrer an der Fraumünsterschule; s. HBBW III, Nr. 242, Anm. 3; XIX, Nr. 2764, Anm. 18. 4 Brautpaar. - Gemeint sind Hans Rutishauser und seine bereits schwangere Cousine Dorothea Diethelm gen. Münchin, die ihre Ehe kirchlich anerkennen lassen wollten. Blarer hatte Bullinger um Unterstützung für deren Ehegesuch gebeten; s. Nr. 3106,1-11.
5 erwarte.
6 Denn.
6 Leonhard Holzhalb amtierte zu dieser Zeit als Landvogt im Thurgau; s. Nr. 3118, Anm. 3. -Zu Holzhalbs vorsichtigen Haltung gegenüber dem mündlichen Bericht des Brautpaares über die Zürcher Anerkennung der Ehe sowie zu seiner Reise nach Zürich s. Nr. 3118,5-9
mit Anm. 6.
8 sich vernemen lassen: hat zu verstehen gegeben.
9 Zum Konstanzer Versöhnungsantrag an Kaiser Karl V. s. zuletzt Nr. 3123,6-9.
10 Unruhe.
11 anderm unrat: anderer misslicher Lage.
12 seltsam; s. SI XVI 628.
13 Dienstherrschaft. -Johannes Gisling(er), der trotz des Konstanzer Verbots einen Tanz anlässlich seiner Hochzeit veranstaltet hatte, war aus der Stadt geflohen, ohne seine Strafe zu zahlen. Zuvor hatte er angegeben, eine neue Stelle im Bernbiet erhalten zu haben; s. Nr. 3110,14-18 und 3118,27-30. —Blarer ging offensichtlich davon aus, dass Bullinger auf eine etwaige Anstellung Gislings Einfluss nehmen konnte.
14 empeut sich: bietet sich an.
15 immer wieder; s. SI XV 857f.
16 sich lassen ziechen und strauffen: sich erziehen und disziplinieren lassen.
17 ihm.
18 seiner.
19 Die Tagsatzung in Baden hatte am 23. Januar 1548 begonnen; s. EA IV/1d 904-919, Nr. 415. -Bullingers letzter Brief an Blarer enthielt offensichtlich noch keinen ausführlichen Bericht über die Versammlung; s. oben Anm. 2.
20 wertig sein: erwarten.


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kommen, dann der jung 21 yetz brieff hieher geschriben hat, darinn kam melldung der andern brieff geschieht b . Wellts nitt vergessen!

Gestriger zöger 22 , dieweyl er yetz ain aidgnosß ist, mag er on all fahrlichait 23 wol hinuß kommen. Man thut im nichts. Hab im kaine brieff uffgeben wellen, damitt er nitt von deren wegen etwan in unfal 24 keme. 25

Vom hertzog von Ferrer 26 hab ich hie noch nichts gehört.

Das buch, davon ich euch gestert geschriben, Onus ecclesiæ genant, 27 ists zu Zurich fail 28 , wellt mirs, so bald ir kondt, züschaffen 29 .

Es ist die tag noch ain bub 30 zu Hemahofen gestorben under denen, so von den Steckborern geschlagen worden, und sollend mehr kranck sein. 31 Aber es gibt den Hemahofern yederman unrecht. Das ist das best.

Euch grutzend die unseren all. Grutzt die ewern von meinen wegen und bettend mitt allen truwen für unß. Gott mitt euch hie und dort ewigklich. Amen. Datum calendis februarii 1548.

21 Vermutlich ist Kaspar Seidensticker gemeint, der kürzlich seine Schulden bei Blarer und Jakob Funcklin beglichen hatte; s. hierzu Nr. 3125, Anm. 1. - Den nicht erhaltenen Brief hatte Blarer seinem Schreiben vom 10. Januar 1548 beigelegt; s. Nr. 3106,17f.
22 Benedikt Fuander; s. oben Anm. 3. -Dieser galt offensichtlich aufgrund seiner Lehrtätigkeit in Zürich als Eidgenosse; s. oben Z. 1f und Anm. 3.
23 Gefahr.
24 Unglück.
25 Die Gefahr war gegenwärtig, dass Briefe von oder aus Konstanz von kaiserlichen Agenten abgefangen und die Briefschreiber sowie die Überbringer bei verfänglichen Briefinhalten zur Rechenschaft gezogen wurden; s. HBBW XIX 37 ("Überlegungen zur Briefbeförderung").
26 Ercole II. d'Este, Herzog von Ferrara, geb. 1508, gest. 1559. -An der Badener Tagsatzung, die am 23. Januar 1548 begann, wut-
de berichtet, dass Ercole II. zum Gonfaloniere (Oberfeldherr) der Kirche ernannt worden war; s. EA IV/1d 907 1.
27 Blarer hatte sich bereits mit seinem Brief vom 31. Januar 1548 über den Druck Berthold Pürstingers, Onus ecclesiae, Köln 1531 (VD16 ), erkundigt; s. Nr. 3123,40-44.
28 käuflich.
29 besorgen.
30 Unbekannt.
31 Blarer hatte Bullinger zuvor mit der Beilage zum Brief vom 24. Januar 1548 von der Prügelei zwischen den Burschen aus Hemmenhofen (Baden-Württemberg) und Steckborn (Thurgau) auf dem gefrorenen Rheinsee berichtet; s. Nr. 3118,40-49. -Noch ausführlicher berichtet Bullinger über die Schlägerei in seinem Brief an Oswald Myconius vom 11. Februar 1548 (Nr. 3137,74-95).
32 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war vermutlich Hans Mangold; s. Nr. 3133, Anm. 4.
Tuus Ambr. Bi.

[Adresse auf der Rückseite:]Bullingero suo. Tiguri. 32

b In der Vorlage geschischt.