Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2918]

[Ambrosius Blarer
an Bullinger]
[Konstanz,
31. Mai 1547]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 847f (Siegelspur) Druck: Blarer BW II 630f, Nr. 1445

[J] Die Nachrichten sind derzeit so widersprüchlich, dass Blarer ganz ungern schreibt. Er kann sie sich kaum mehr anhören. -[2]Jetzt berichten die Augsburger Gesandten [aus dem kaiserlichen Lager], dass es noch keinen Friedensschluss zwischen Kaiser Karl V. und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen gebe! Man habe dem Kurfürsten (der in einem offenen Zelt von einem spanischen Militärrichter überwacht wird) einen roten Hut aufgesetzt. Der Kurfürst zeigt sich tapfer. Er will weder die Kurwürde noch seine wichtigsten Festungen abtreten. Der junge Johann Friedrich II. der Mittlere von Sachsen und seine Verbündeten stehen in Wittenberg in Rüstung. Landgraf Philipp von Hessen, Graf Albrecht von Mansfeld und Wilhelm von Thumshirn sollen ihre Heere vereinigt haben. Es wird noch rau zugehen! -[3]Verbürgt ist, dass die Ravensburger Gesandten ihrer Obrigkeit aus Nürnberg geschrieben haben: Sie könnten nicht zum Kaiser gelangen, weil die Wege versperrt seien. -[4] Freunde aus Ulm und

7 Vgl. z.B. Dtn 31, 6. 8: Jes 42, 16; Hebr 13, 5.
8 Siehe dazu oben Anm. 6.
9 fidis viris.
10 Gemeint ist der Verlauf des sächsischen Feldzugs von November 1546 bis April 1547.
11 Johann Friedrich I. von Sachsen.
12 Dresden. - Ein falsches Gerücht. Der Kurfürst blieb in Gefangenschaft. Erst vom 27. August 1552 datiert der kaiserliche Restitutionsbrief; s. Moritz von Sachsen PK VI 444, Anm. zu Nr. 293.
13 zerstreut; geschlagen.
14 Karl V.
15 Die Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai 1547; s. Nr. 2913, Anm. 23.
16 Dieser Brief wurde wahrscheinlich dem unbekannten Augsburger Boten anvertraut; vgl. dazu Nr. 2908, Anm. 23.
1 Dass Bullinger der Empfänger ist, geht aus unten Z. 32 hervor.
2 Das Datum des Briefes ergibt sich aus Nr. 2925,3f.


Briefe_Vol_20-228arpa

Augsburg zeigen an, dass der Kaiser vorhabe, Kavalleristen und Fußsoldaten gegen Konstanz zu schicken. Er habe von der Hegauer [Ritterschaft] Hunderte von Pferden verlangt. Der Vorstoß soll dazu dienen, die Reaktion der Eidgenossen zu testen. Falls diese den Konstanzern zu Hilfe eilen würden, hätte er einen guten Grund, sie anzugreifen und sie zu unterjochen. -[5] In Venedig trafen Nachrichten aus Konstantinopel ein, die mit einem Brief vom 23. Mai durch die öffentliche Post nach Augsburg befördert wurden. Sultan Suleiman rüste ein großes Heer, das ohne ihn bald [gegen das Reich]aufbrechen werde. -[6] Diesen Zettel soll [Thomas Blarer oder Konrad Zwick] dem Augustin [...]für Bullinger in Zürich mitgeben. Blarer kann ihm jetzt nicht schreiben.

Zytungen 3 mag ich äben 4 gar litt schreiben - so wunderbarlich unglich 5 ding wirt geschriben! Weht schier, das ich gar nichts horte.

Man schribt yetz von Augspurg, das ire gesandten 6 geschriben habind, der churfürst 7 seye noch nitt vertragen; 8 er werde in amer offnen zellt durch ain spangischen 9 parasell (das ist profosen 10 ) a verwart. Habind im ain rots hutlin uffgesetzt. 11 Könn inn yederman sechen, aber er seye gantz handtuch 12 . Well litt annemmen, das man im zumutet, das er sollt der chur 13 abtretten und dem kaiser 14 die besten vestinen ingeben 15 , etc. Ouch seye der jung churfürst , und die by im zu Wittenberg sind, gantz handtuch. Wellind sich nitt ergeben. Es seyen ouch der landtgrauff 17 und grauff Albrecht von Mansfeldt 18 und der Tumshirn 19 mitt iren hufen zusamen kommen. Und maint 20 man, es werde noch ruch zugohn.

Es schriben die gesandten von Ravenspurg iren herren widerum hinder sich von Nürenberg. Si konnind nitt weyter kommen und den kaiser nitt erraichen, 21 dann 22 die Sechsischen habind die pesß 23 und strassen allenthalb

a Klammern ergänzt.
3 Nachrichten.
4 jetzt.
5 wunderbarlich unglich: merkwürdig widersprüchlich.
6 Konrad Maier, Hans Heiß und Dr. Konrad Hei; s. Nr. 2913. Anm. 21.
7 Johann Friedrich I. von Sachsen.
8 Diese Stelle ist ais Richtigstellung von Nr. 2913,29-32, zu verstehen.
9 spanischen.
10 Militärrichter.
11 Wohl als Delinquententracht; vgl. SI VI 1756; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 4, Berlin/Leipzig 1931/32, S. 529.
12 tapfer.
13 Kurwürde.
14 Karl V.
15 übergeben. - So z.B. die Festungen Wittenberg und Gotha; s. Moritz von Sachsen PK III 413, Nr. 584; Mentz III 111.
16 Johann Friedrich II. der Mittlere von Sachsen.
17 Philipp von Hessen.
18 Albrecht VII. (auch als III. oder IV. bezeichnet) von Mansfeld (1480-1560), oberster kurfürstlicher Feldherr. Er hatte am 15. Mai sein Heer hei Hohnstedt (Lb. Northeim, Niedersachsen) mit den Truppen von Wilhelm von Thumshirn und Christoph von Oldenburg vereinigt und eilte dem belagerten Bremen zu. Bei Drakenburg erfocht er am 23. Mai den Sieg der Protestanten; s. Rudolf Häpke, Die Regierung Karis V. und der europäische Norden, Lübeck 1914, S. 265; Nr. 2911, Anm. 29.
19 Oberst Wilhelm von Thumshirn.
20 grob.
21 Der Kaiser befand sich vom 3. bis 25. Mai vor Wittenberg und vom 25. Mai bis 7. Juni in der Stadt selbst; s. Stälin 580.
22 denn.
23 Durchgänge. - Dass damals das Reisen in Sachsen nicht einfach war, geht auch aus Voigt, Moritz 441 hervor, wobei die


Briefe_Vol_20-229arpa

dermassen verlegt, das nieman weder zu noch vom kaiser heruß konne kommen. Diß ist gewisß, das denen von Ravenspurg von irenn, die sy zum kaiser geschickt haben, geschriben wirt. Nitt waiß ich, wie es ain ding wirt. 24

||848 So kommend warnungen von Ulm und Augspurg von guten leuten, die uns guts gunnend 25 , wie 26 der kaiser ettlich reütter heruff 27 ordnen welle mitt ettlichen fendlin knechten. Habe ouch den Hegöwern angemuet 28 , das sy ouch ettlich hundert pferd rustind, etc. Und will man gentzlich achten, er welle Costentz uberzucken 29 und sechen, ob sich die Aidgnossen iren an wellind nemmen oder nitt. Dann werdind sy sych unser annemen, so habe er ain gut ansprach an sy 30 , und werde sy allsdann auch understehn 31 underzetrucken.

So ist auß Constantinopel uff Venedig und von dannen gen Augspurg uff der post 32 geschriben uff 23. mau, das der Türck 33 entlich mitt grosser rüstung anziechen soll, wiewol selbs nitt in aigner person usß ettlichen treffelichen 34 ursachen.

Disen zedel 35 gib dem Augustin 36 ouch, das er inn mitt imme gen Zürich nemen und dem Bullinger uberantwurten könne, dann ich so gar uberillt byn, das ich ime äben nitt ain wort schreiben kan.

[Ohne Unterschrift.]

[Ohne Adresse.]

Truppen Herzog Moritz' von Sachsen (die den Truppen Thumshirns die Durchgänge zu versperren versuchten) auch dazu beitrugen.
24 Zu verstehen: wie es weitergeht.
25 gönnen.
26 dass.
27 In Richtung Süden (gegen Konstanz).
28 den Hegöwern angemutet: die Hegauer aufgefordert. überziehen; s. Fischer VI/1 74.
30 ansprach an sy: Grund gegen sie; s. Si X 725.
31 sich anschicken; bemühen.
32 Gemeint ist die öffentliche Boteneinrichtung zwischen Augsburg und Venedig; s. Wilhelm Mummenhoff Der Nachrichtendienst zwischen Deutschland und Italien im 16. Jahrhundert, Berlin 1911, S. 16.
33 Sultan Suleiman I. - Siehe dazu zuletzt Nr. 2888,15f.
34 wichtigen.
35 Die folgenden Zeilen, die vermutlich an Konrad Zwick oder Thomas Blarer gerichtet waren, sind als Anweisungen Blarers zur Übermittlung dieses nicht unterschriebenen und nicht datierten Nachrichtenzettels nach Zürich zu verstehen. Offensichtlich hatte Blarer sein Nachrichtenblatt schon vorher (wie in anderen Fällen) für Bullinger niedergeschrieben.
36 Der in Zürich studierende Augustin. dessen Familienname nicht bekannt ist; s. HBBW XVIII 184-186 und Anm. 12; 215f; 340-343; 4044; XIX 324. - Dieser Stelle zufolge muss man sich fragen, ob Augustin vielleicht doch der Sohn von Thomas Blarer war.