Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2908]

Johannes Haller
an Bullinger
Augsburg,
25. Mai 1547

Autograph: Zürich StA, E II 370, 61 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Der Zürcher Rat hat Haller und Thoman Ruman endlich abberufen! Ruman hatte nämlich schon vor, Augsburg zu verlassen, während Haller noch einige Zeit geblieben wäre. Nun aber will der Augsburger Rat sie nicht ziehen lassen, um keinen Anlass zur Kritik zu geben. Deshalb schrieb dieser dem Zürcher Rat und äußerte dabei seine Furcht vor einer Auflehnung der Augsburger Bevölkerung. Allerdings läge es im Interesse des Zürcher Rats sowie auch Hallers und Rumans, wenn man bei der Rückberufung bliebe und gute Gründe dafür vorbringen könnte. Denn Haller und Ruman wollen keineswegs bleiben! Die Augsburger Ratsherren müssen selbst zugeben, dass die [nach Augsburg zurückkehrenden] Priester vorhaben, ihre Religion, oder besser gesagt ihren Aberglauben, wieder einzuführen, ja dass vermutlich der Reichstag und vielleicht sogar ein deutsches Konzil in Augsburg abgehalten wird. Das aber will Haller angesichts der guten, ihm von Gott gegebenen Gelegenheit, aus Augsburg abberufen zu werden, nicht abwarten! Zudem geht auch das Gerücht, dass Kaiser Karl V. gegen die Eidgenossen ziehen wird. Käme es dazu, wurde Haller lieber mit allen Mitteln sein Vaterland verteidigen wollen! - [2] Es fiel Haller und Ruman schwer, sich noch zu gedulden, bis der Zürcher Rat mit dem an ihn gesandten Stadtboten [...] das Schreiben des Augsburger Rats beantworten würde. Der Rat versprach ihnen dafür, sie ehrenvoll zu verabschieden, sollte der Zürcher Rat an der Rückberufung festhalten. Falls also Bullinger geholfen hat, diese Abberufung zu erwirken, möge er sich erneut dafür einsetzen! Haller verlangt nicht von ihm, seinem Bericht über die Augsburger Lage Glauben zu schenken, zumal er wohl merkt, dass er ihm nicht so recht abnehmen kann, wie sehr L. [Georg Frölich] sich durch die Einwirkung von Hektor [Jakob Herbrot] verändert hat. Doch soll er wenigstens den Zeugnissen von Michael Keller und Nikolaus Müller gen. Maier trauen, die ihm ebenfalls schreiben [mit Nr. 2909 und Nr. 2910] und sich über [Herbrot]beklagen, während alle Verständigen Haller dazu beglückwünschen, noch rechtzeitig aus dem Fegefeuer befreit worden zu sein. Gelegentlich wird Haller die schwäbische Lebensweise, die von der Schlichtheit und Authentizität der Helvetier so weit entfernt ist, mündlich schildern. Bullinger möge also alles daran setzen, damit der Zürcher Rat seine Meinung nicht ändert. -[3]Gruß, auch an Bullingers Familie und an die Pfarrkollegen. Hallers Verwandter [...] wird in Augsburg die Antwort des Zürcher Rats abwarten, da er der Meinung ist, dass das Vorgehen des Augsburger Rates nur Theater sei. - [4] [P.S.:] Gerade kam ein rechtschaffener Zunftmeister [Hans Schweiglin?] auf Besuch, der der Ratssitzung beiwohnte, an der Hallers und Rumans Rückberufung besprochen wurde. Er meint, das Vorgehen des Rates sei ein völliger Witz. Deshalb gab er Haller den Rat, den Zürchern zu schreiben, damit sie ja nicht ihre Meinung ändern!

S. P. Revocat nos clarissimus Tigurinae urbis magistratus, 1 et profecto in tempore! Nam Romanus 2 alias intra paucos dies discessisset. Ego mansissem aliquanto tantum tempore. Retinere cupit nos amplissimus senatus Augustanus honoris gratia multa agens. Scribunt senatui Tigurino 3 eo solo tamen

1 Mit einem Brief vom 17. Mai; s. Nr. 2903, Anm. 10.
2 (Hans) Thoman Ruman (Römer).
3 Am 24. Mai (Zürich StA, A 202.1, Nr. 24 - auf Pergament). Mit ihrem Brief versuchten die Augsburger Behörden, eine


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praetextu, ne commoveatur simplex plebecula in eos. 4 Facient et ipsis et nobis gratissimam, si priorem vocationem 5 ratificent et praetendant rationes (quas possunt) honestas. Neutiquam enim mansuri sumus! Coguntur enim et ipsi confiteri reducendos cum sua religione (imo superstitione) a sacerdotes, futura hic universalia comitia 6 et fortassis etiam concilium Germanum 7 . Id quod ego data mihi divinitus tanta occasione et vocatione non expectabo! 8 Est praeterea rumor non inconstans Helvetios hello quaerendos esse a caesare 9 . Volo ergo meae ego adesse patriae eamque consilio, facultatibus manuque (utut res expostulat) defendere.

Vix dedimus eis 10 hoc, ut scriberent Tigurino senatui et ut ad eius nuncii 11 reditum differremus abitionem. Promiserunt se nos honorifice dimissuros, si

a Dieses und die zwei nächsten Klammerpaare ergänzt.
Verlängerung des Augsburger Aufenthalts von Haller und Ruman zu bewirken und versprachen dabei, diese zu schützen. - Haller übergab ferner dem Augsburger Amtsboten einen von ihm auch im Namen Rumans (der darunter nur eigenhändig unterschrieb) verfassten Brief vom 25. Mai (Zürich StA, A 177, Nr. 178). Darin bat er den Zürcher Rat, sich durch das Schreiben des Augsburger Rats nicht umstimmen zu lassen. Damit widerlegte er ferner (s. auch unten Anm. 8) die Argumente der Augsburger Behörden, die ihm zuvor ihren Brief an die Zürcher zu lesen gegeben hatten.
4 Vgl. HBBW XIX 97,42-44; 152,106-108.
5 Vom 20. Oktober 1545; s. HBBW XV 596 und Anm. 7. - Siehe ferner Alexandra Kess, Ein neu entdeckter Bullingerbrief aus dem Jahr 1544. Beobachtungen zu Bullingers Einfluss auf die Besetzung von Pfarrstellen, in: Zwa XLIV, 2017, 49, und die dort angeführten Stellen aus HBBW.
6 Der damals schon geplante Reichstag, der tatsächlich in Augsburg abgehalten wurde; s. dazu Nr. 2952, Anm. 6.
7 Damit ist ein in Deutschland abzuhaltendes Kirchenkonzil gemeint, auf das einige noch hofften, um die Religionsstreitigkeiten beilegen zu können. Papst Paul III. hatte nämlich nach der achten Sitzung des Konzils, die am 11. März noch in Trient (Reichsterritorium) begann, den Tagungsort nach Bologna (Teil des Kirchenstaats) verlegt, wo am 21. April die neunte Sitzung folgte. - Zu einem deut
sehen Konzil kam es nicht, stattdessen aber zur Ausarbeitung eines Reichsgesetzes in Religionsangelegenheiten (das sogenannte Augsburger Interim) durch ein dazu bestimmtes Gremium. Das Interim wurde allen aufgezwungen. Die Akten zum Interim sind in RTA-JR XVIII/2 1681-1995, diejenigen zu dessen Durchsetzung in Dinge!, Augsb. Interim veröffentlicht. Dazu s. auch Nr. 2994, Anm. 2.
8 In seinem Brief an die Zürcher Ratsherren (s. dazu oben Anm. 3) schrieb Haller, dass er und Ruman auf Abberufung hofften, "dann wir die herren heiter gefragt, ob si uns doch nun uff ein viertheil oder halb jar wüßind zu versicheren, das die mäß (so schon inn der statt gehalten wirt, und viel burger darzu gand) nitt wyter usbrech undt geufnet werde, das der bischoff und die pfaffen litt wider inn die statt gesetzt, wir inen uß den kuchen wychen rnüßind, das nitt inn kürtzem ein rychstag oder wol alsbald ein tütsch concilium hie ghalten werde, item, das nitt ein zug wider die Eidtgnoschafft (wie dann das gmein gschrei ist) werde fürgenommen? Darzu si gesagt: Nein, diß möge alles geschehen; möge auch wol nitt geschehen! Dorumm wir sehend, inen und uns weger sin, das wir jetz mit eeren und göttlichem beruff heimkornmind, dann über nacht mitt schmach und one beruffung."
9 Karl V.
10 Den Augsburger Ratsherren.
11 Unbekannt.


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denuo repetamur a vobis. Si ergo iuvisti prius 12 , fac, etiam nunc juves! Nob, mihi credas, quomodo se res habeant Augustanae (scio te non credere, quam sit mutatus ab illo Hectore 13 L 14 noster!), sed credas clarissimo viro d. Maiero et Cellario, qui tibi scribunt 15 et idem de ipso 16 quaeruntur mihique cum omnibus sani iudicii vins congratulantur, qui in tempore ex hoc liberer purgatorio. Describam aliquando coram tibi liberius mores Suevicos alienissimos a simplicitate et integritate Helvetica. Tu, rogo, insta, ne mutetur 17 vocatio! Ego tuus ero totus perpetuo.

Vale. Raptim ex collegio divae Annae Augustae Vindelicorum, 25. mai anno 1547. Saluta familiam et fratres. Expectabit responsum dominorum 19 interim affinis meus 20 , quia videt praeter praetextum esse nihil!

loan. Hallerus.

12 Bei der am 17. Mai erfolgten Rückberufung.
13 Sehr wahrscheinlich ist Jakob Herbrot damit gemeint, der mit "Hector" nicht nur die zwei ersten Buchstaben gemein hat, sondern auch (wie dieser einst in Troja) im damaligen Augsburg eine wichtige politische Rolle innehatte. - Frölich hegte Herbrot gegenüber einige Vorbehalte (s. HBBW XVI 150. 191). Vorliegender Stelle zufolge ist er während jener Krisenzeit Herbrot offenbar näher gekommen, zumal er zu dem anderen Bürgermeister, Hans Welser, ein gespanntes Verhältnis hatte (s. dazu HBBW XVII 419f und Anm. 6; 426 und Anm. 10). Nachdem Frölich und Herbrot 1548 bzw. 1553 aus Augsburg weichen mussten, ließen sie sich mit der Zeit in Lauingen nieder. Aus ihren 1554 verfassten Briefen an Wolfgang Musculus (Bodenmann 435-438) wird ersichtlich, dass beide sich weiterhin gut verstanden.
14 Gemeint ist Laetus (d.h. Georg Frölich). - Siehe dazu schon Nr. 2899, Anm. 6.
15 Michael Keller und Nikolaus Müller gen. Maier, die mit Nr. 2909 bzw. Nr. 2910 am gleichen Tag wie Haller schrieben. - Diese Briefe wurden für den Zürcher Rat frei ins Deutsche übertragen, etwas arrangiert und von einer unbekannten Hand auf Zürcher Papier ins Reine geschrieben, während die Namen der Verfasser jeweils von Bullinger unter der Briefübersetzung angebracht wurden (Zürich StA, A 177, Nr. 177). Bullingers Zeugnis zufolge wurden diese Schreiben dem Rat vorgelesen; s. Nr. 2917,3f.
16 de Hectore.
17 Subjekt sind die Zürcher Ratsherren.
18 Vgl. Nr. 2894, Anm. 87.
19 Der Zürcher Rat antwortete schon am 30. Mai (Entwurf: Zürich StA, B IV 16, 15 lr.; Druck: Scheurer, Haller 488-490) und erklärte sich bereit, den Augsburgern zu willfahren, auch wenn er sich zugleich um seine von den kaiserlichen Truppen bedrohten Angehörigen besorgt zeigte und überdies betonte, nur deshalb eine Verlängerung ihres Dienstes zu bewilligen, weil die Augsburger versprochen haben, sie zu schützen und zu schirmen und für ihre sichere Rückreise zu sorgen. - Am gleichen Tag schrieb der Zürcher Rat auch an Haller und Ruman (Entwurf: Zürich StA, B IV 16, 147v.; Druck: Scheurer, Haller 490-492) und erklärte, dass er "in bedenkung unser und uwer Eerren, ouch zum gutem und zum trost viler güthertziger" Menschen, der Bitte der Augsburger entgegengekommen ist, ihnen eine Kopie seines Briefes an den Augsburger Rat zukommen lässt und sie ernsthaft bittet, sich nicht über diesen Beschluss zu beschweren, weiterhin in Augsburg zu bleiben, bis sie beurlaubt oder abberufen würden, der Kirche wie bislang treu zu dienen, doch sich desto "stiller und ingethaner [zurückhaltender]" aufzuführen und auf Gott zu vertrauen, der sie bestimmt "retten und schirmen" wird. Sollten sie dem zustimmen, würden sie belohnt werden. Abschließend räumt er den beiden Zürchern die Möglichkeit ein, "wyh und kinder anheimbsch ze schiken".


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b Dum has concludo, venit ad me tribunus 21 , vir honestus et syncerus, qui et ipse senatui adfuit, cum proponeretur nostra revocatio. Is ait meras esse nugas, quas agant nobiscum consules 22 . Si velimus nobis consultum, ut scribamus Tigurinis, ne mutent sententiam! b [Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, Tigurinae ecclesiae pastori fidelissimo, domino suo observando. M. Heinrych Bullinger zu Zürich.