[2908]
Autograph: Zürich StA, E II 370, 61 (Siegelspur) Ungedruckt
[1] Der Zürcher Rat hat Haller und Thoman Ruman endlich abberufen! Ruman hatte nämlich schon vor, Augsburg zu verlassen, während Haller noch einige Zeit geblieben wäre. Nun aber will der Augsburger Rat sie nicht ziehen lassen, um keinen Anlass zur Kritik zu geben. Deshalb schrieb dieser dem Zürcher Rat und äußerte dabei seine Furcht vor einer Auflehnung der Augsburger Bevölkerung. Allerdings läge es im Interesse des Zürcher Rats sowie auch Hallers und Rumans, wenn man bei der Rückberufung bliebe und gute Gründe dafür vorbringen könnte. Denn Haller und Ruman wollen keineswegs bleiben! Die Augsburger Ratsherren müssen selbst zugeben, dass die [nach Augsburg zurückkehrenden] Priester vorhaben, ihre Religion, oder besser gesagt ihren Aberglauben, wieder einzuführen, ja dass vermutlich der Reichstag und vielleicht sogar ein deutsches Konzil in Augsburg abgehalten wird. Das aber will Haller angesichts der guten, ihm von Gott gegebenen Gelegenheit, aus Augsburg abberufen zu werden, nicht abwarten! Zudem geht auch das Gerücht, dass Kaiser Karl V. gegen die Eidgenossen ziehen wird. Käme es dazu, wurde Haller lieber mit allen Mitteln sein Vaterland verteidigen wollen! - [2] Es fiel Haller und Ruman schwer, sich noch zu gedulden, bis der Zürcher Rat mit dem an ihn gesandten Stadtboten [...] das Schreiben des Augsburger Rats beantworten würde. Der Rat versprach ihnen dafür, sie ehrenvoll zu verabschieden, sollte der Zürcher Rat an der Rückberufung festhalten. Falls also Bullinger geholfen hat, diese Abberufung zu erwirken, möge er sich erneut dafür einsetzen! Haller verlangt nicht von ihm, seinem Bericht über die Augsburger Lage Glauben zu schenken, zumal er wohl merkt, dass er ihm nicht so recht abnehmen kann, wie sehr L. [Georg Frölich] sich durch die Einwirkung von Hektor [Jakob Herbrot] verändert hat. Doch soll er wenigstens den Zeugnissen von Michael Keller und Nikolaus Müller gen. Maier trauen, die ihm ebenfalls schreiben [mit Nr. 2909 und Nr. 2910] und sich über [Herbrot]beklagen, während alle Verständigen Haller dazu beglückwünschen, noch rechtzeitig aus dem Fegefeuer befreit worden zu sein. Gelegentlich wird Haller die schwäbische Lebensweise, die von der Schlichtheit und Authentizität der Helvetier so weit entfernt ist, mündlich schildern. Bullinger möge also alles daran setzen, damit der Zürcher Rat seine Meinung nicht ändert. -[3]Gruß, auch an Bullingers Familie und an die Pfarrkollegen. Hallers Verwandter [...] wird in Augsburg die Antwort des Zürcher Rats abwarten, da er der Meinung ist, dass das Vorgehen des Augsburger Rates nur Theater sei. - [4] [P.S.:] Gerade kam ein rechtschaffener Zunftmeister [Hans Schweiglin?] auf Besuch, der der Ratssitzung beiwohnte, an der Hallers und Rumans Rückberufung besprochen wurde. Er meint, das Vorgehen des Rates sei ein völliger Witz. Deshalb gab er Haller den Rat, den Zürchern zu schreiben, damit sie ja nicht ihre Meinung ändern!
S. P. Revocat nos clarissimus Tigurinae urbis magistratus, 1 et profecto in
tempore! Nam Romanus 2 alias intra paucos dies discessisset. Ego mansissem
aliquanto tantum tempore. Retinere cupit nos amplissimus senatus Augustanus
honoris gratia multa agens. Scribunt senatui Tigurino 3 eo solo tamenBriefe_Vol_20-206 arpa
praetextu, ne commoveatur simplex plebecula in eos. 4 Facient et ipsis
et nobis gratissimam, si priorem vocationem 5 ratificent et praetendant rationes
(quas possunt) honestas. Neutiquam enim mansuri sumus! Coguntur
enim et ipsi confiteri reducendos cum sua religione (imo superstitione) a
sacerdotes, futura hic universalia comitia 6 et fortassis etiam concilium Germanum
7 . Id quod ego data mihi divinitus tanta occasione et vocatione non
expectabo! 8 Est praeterea rumor non inconstans Helvetios hello quaerendos
esse a caesare 9 . Volo ergo meae ego adesse patriae eamque consilio, facultatibus
manuque (utut res expostulat) defendere.
Vix dedimus eis 10 hoc, ut scriberent Tigurino senatui et ut ad eius nuncii 11 reditum differremus abitionem. Promiserunt se nos honorifice dimissuros, si
Briefe_Vol_20-207 | arpa |
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denuo repetamur a vobis. Si ergo iuvisti prius 12 , fac, etiam nunc juves! Nob, mihi credas, quomodo se res habeant Augustanae (scio te non credere, quam sit mutatus ab illo Hectore 13 L 14 noster!), sed credas clarissimo viro d. Maiero et Cellario, qui tibi scribunt 15 et idem de ipso 16 quaeruntur mihique cum omnibus sani iudicii vins congratulantur, qui in tempore ex hoc liberer purgatorio. Describam aliquando coram tibi liberius mores Suevicos alienissimos a simplicitate et integritate Helvetica. Tu, rogo, insta, ne mutetur 17 vocatio! Ego tuus ero totus perpetuo.
Vale. Raptim ex collegio divae Annae Augustae Vindelicorum, 25. mai anno 1547. Saluta familiam et fratres. Expectabit responsum dominorum 19 interim affinis meus 20 , quia videt praeter praetextum esse nihil!
loan. Hallerus. 12 Bei der am 17. Mai erfolgten Rückberufung. 13 Sehr wahrscheinlich ist Jakob Herbrot
damit gemeint, der mit "Hector" nicht
nur die zwei ersten Buchstaben gemein
hat, sondern auch (wie dieser einst in
Troja) im damaligen Augsburg eine
wichtige politische Rolle innehatte. -
Frölich hegte Herbrot gegenüber einige
Vorbehalte (s. HBBW XVI 150. 191).
Vorliegender Stelle zufolge ist er während
jener Krisenzeit Herbrot offenbar
näher gekommen, zumal er zu dem anderen
Bürgermeister, Hans Welser, ein
gespanntes Verhältnis hatte (s. dazu
HBBW XVII 419f und Anm. 6; 426 und
Anm. 10). Nachdem Frölich und Herbrot
1548 bzw. 1553 aus Augsburg weichen
mussten, ließen sie sich mit der Zeit in
Lauingen nieder. Aus ihren 1554 verfassten
Briefen an Wolfgang Musculus (Bodenmann
435-438) wird ersichtlich, dass
beide sich weiterhin gut verstanden. 14 Gemeint ist Laetus (d.h. Georg Frölich). -
Siehe dazu schon Nr. 2899, Anm. 6. 15 Michael Keller und Nikolaus Müller gen.
Maier, die mit Nr. 2909 bzw. Nr. 2910
am gleichen Tag wie Haller schrieben. -
Diese Briefe wurden für den Zürcher Rat
frei ins Deutsche übertragen, etwas arrangiert
und von einer unbekannten Hand
auf Zürcher Papier ins Reine geschrieben,
während die Namen der Verfasser
jeweils von Bullinger unter der Briefübersetzung
angebracht wurden (Zürich
StA, A 177, Nr. 177). Bullingers Zeugnis
zufolge wurden diese Schreiben dem Rat
vorgelesen; s. Nr. 2917,3f. 16 de Hectore. 17 Subjekt sind die Zürcher Ratsherren. 18 Vgl. Nr. 2894, Anm. 87. 19 Der Zürcher Rat antwortete schon am 30.
Mai (Entwurf: Zürich StA, B IV 16,
15 lr.; Druck: Scheurer, Haller 488-490)
und erklärte sich bereit, den Augsburgern
zu willfahren, auch wenn er sich zugleich
um seine von den kaiserlichen Truppen
bedrohten Angehörigen besorgt zeigte
und überdies betonte, nur deshalb eine
Verlängerung ihres Dienstes zu bewilligen,
weil die Augsburger versprochen
haben, sie zu schützen und zu schirmen
und für ihre sichere Rückreise zu sorgen.
- Am gleichen Tag schrieb der Zürcher
Rat auch an Haller und Ruman (Entwurf:
Zürich StA, B IV 16, 147v.; Druck:
Scheurer, Haller 490-492) und erklärte,
dass er "in bedenkung unser und uwer
Eerren, ouch zum gutem und zum trost
viler güthertziger" Menschen, der Bitte
der Augsburger entgegengekommen ist,
ihnen eine Kopie seines Briefes an den
Augsburger Rat zukommen lässt und sie
ernsthaft bittet, sich nicht über diesen
Beschluss zu beschweren, weiterhin in
Augsburg zu bleiben, bis sie beurlaubt
oder abberufen würden, der Kirche wie
bislang treu zu dienen, doch sich desto
"stiller und ingethaner [zurückhaltender]"
aufzuführen und auf Gott zu vertrauen,
der sie bestimmt "retten und
schirmen" wird. Sollten sie dem zustimmen,
würden sie belohnt werden. Abschließend
räumt er den beiden Zürchern
die Möglichkeit ein, "wyh und kinder anheimbsch
ze schiken".
b Dum has concludo, venit ad me tribunus 21 , vir honestus et syncerus, qui et ipse senatui adfuit, cum proponeretur nostra revocatio. Is ait meras esse nugas, quas agant nobiscum consules 22 . Si velimus nobis consultum, ut scribamus Tigurinis, ne mutent sententiam! b [Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, Tigurinae ecclesiae pastori fidelissimo, domino suo observando. M. Heinrych Bullinger zu Zürich. |