Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Die Pfarrer der Herrschaft Reichenweier an
die Pfarrer und Lehrer von Zürich
Reichenweier,
16. September 1535

Ausfertigung von Johannes Frosch: Zürich StA, E II 337, 110r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Sind nicht zufrieden mit der Absage, die sie auf ihre Berufung Leo Juds erhalten haben; sie schicken daher noch einmal Nikolaus König, mit Briefen von Graf Georg von Württemberg versehen, nach Zürich und bitten die Pfarrer, sich für die Entsendung Juds nach Reichenweier einzusetzen.

Gnad und frid von gott, dem vatter, durch sinen Christum Jesum, unsern herren.

Ersamen, wolgelerten, sonders lieben herren und brüder, ewer schriben belangend unsern lieben herren und bruder Leo Judae haben wir alles inhalts vernommen 1 . Und wiewoll wir mit a herzlichem b frolocken gehört die liebe und geneigten c willen, so ir haben, wa ir mit gutem gewissen khondend, uns zu rathen und ze helffen, des wir uns dan brüderlich und getrüwlich gegen euch bedancken mit dem erbietten, das wir derglichen willens allezyt auch wöllen erfunden werden. Jedoch khonden wir des abschlags, so ir uns gedachten Leo Judae ze lassenn versagt haben, nit gesättiget sin. Wan 2 ouch der hochgeporn

a vor mit gestrichenes nitt.
b korrigiert aus hertlichem.
c in der Vorlage genegten.
1 Der Brief ist nicht erhalten. — Die Pfarrer der Herrschaft Reichenweier (Elsaß) hatten auf Anweisung von Graf Georg von Württemberg, wie aus dessen Schreiben vom 13. September (vgl. unten Anm. 4) hervorgeht, in Zürich um die Freigabe von Leo Jud für den Kirchendienst in Reichenweier gebeten. Die Zürcher hatten darauf offensichtlich abschlägigen
Bescheid gegeben. Zu dieser Berufungssache vgl. Johann Adam, Evangelische Kirchengeschichte der elsäßischen Territorien bis zur französischen Revolution, Straßburg 1928, S. 295f; Marie-Joseph Bopp. Die evangelischen Gemeinden und Hohen Schulen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt a. d. Aisch 1963. —Genealogie und Landesgeschichte 5, S. 293; unten Nr. 658. 662, 29-31. 678f.
2 Denn.


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fürst, unser g[nedige]r herr, grave George 3 von Württenberg etc. deßhalben an ewere und unser gnedige herren burgermeister und rhate zu Zürich 4 , derglichen auch an Leonem 5 , hiemit ernstlich hat geschriben, demnach haben wir abermals unsern geliepten bruder Nicolaum Künig 6 , pfarherren zu Hunawiler, zu euch gesandt, beyhändige 7 gedachts unsers g[nedige]n herren von Würtenberg etc. brieve an ein rath und ine 8 , , Leonem, auch unsere an euch zu antwurtten und mit ernst anzehaltten, das uns Leo gelassenn werde; dan ir ine uns unbillichen 9 versagend, uß ursachen 10 , diewil das wort gottes sinen lauff by uch fry und ungeirret uberkhommen 11 , sollen ir das angezündt liecht under den sester 12 nit stürtzen, sonder auff den leuchter stellen, das es allen menschen im huß gottes leuchte 13 , ja noch vil meer, ir als die sterkern sollen uns, den schwächern, helfen und ine, Leonem, und sins glichen schnitter, ob
3 Georg, Graf von Württemberg-Mömpelgard, 1498-1558, war ein Halbbruder von Herzog Ulrich. 1513 kam er in den Besitz der elsässischen Herrschaften Reichenweier, Horburg und Bilstein. 1526 wurde er zudem Landesherr der württembergischen Grafschaft Mömpelgard (Montbéliard), von 1535 an als Statthalter Ulrichs. Im Jahre 1542 wurde er von dessen Sohn Christoph abgelöst, erhielt aber die Grafschaft im Jahre 1553 endgültig. Ab 1535 führte er in Mömpelgard wie auch in seinen eigenen Herrschaften die Reformation aufgrund der Zürcher Lehre ein, trat dem Schmalkaldischen Bund bei und fiel nach dem Krieg von 1546/1547 für einige Jahre in kaiserliche Acht. Graf Georg galt als frommer Fürst, er betätigte sich auch als geistlicher Dichter. Bullinger widmete ihm zwei seiner Werke (vgl. HBBibl I 148. 258f). Aus dem Briefwechsel der beiden sind noch etwa 60 Briefe Georgs und 6 von Bullinger erhalten. — Lit.: John Viénot, Histoire de la réforme dans le Pays de Montbéliard depuis les origines jusqu'à la mort de P. Toussain, 1524-1573, 2 Bde., Paris 1900, Reg.; Heinrich Rocholl, Herzog Georg von Württemberg und die Reformation im Ober-Elsaß, in: Kirchliche Monatsschrift 19, 1900, S. 475-482. 512-522. 561-578; P. Stälin, in: ADB VIII 709.
4 Graf Georg an Bürgermeister und Rat von Zürich, 13. Sept. 1535 (Zürich StA, A 195.1, Nr. 222).
5 Nicht erhalten.
6 Nikolaus König (Regius), geb. 1497 (oder 1499?), gest. 1561, war von 1523 bis 1560 Pfarrer in Hunaweier (Herrschaft
Reichenweier, Elsaß). 1534 trat er zur Reformation über. In den Verhandlungen mit Zürich um die Überlassung eines Pfarrers diente er als Beauftragter und Briefbote (vgl. dazu auch Beat Rudolf Jenny, Bullingers Briefwechsel mit dem Elsäßer Reformator Matthias Erb [1539-1571], in: HBGesA II 80f). Als Zwinglianer verließ er 1560, als in Reichenweier eine lutherische Kirchenordnung eingeführt wurde, sein Amt; er fand Zuflucht auf dem Schloß in Rappoltsweiler. König hinterließ eine Gräfin Anna Alexandria von Rappoltstein gewidmete Schrift mit dem Titel "Von dem waren lebendigen christlichen glawben". Aus dem Briefwechsel Königs mit Bullinger sind 6 Briefe erhalten. — Lit.: Adam, aaO, Reg.: Marie-Joseph Bopp. Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt a. d. Aisch 1959. —Genealogie und Landesgeschichte 1, S. 302, Nr. 2853, und ders., Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Ergänzungen und Berichtigungen, Neustadt a. d. Aisch 1965. —Genealogie und Landesgeschichte 5, S. 625, Nr. 2853; Ders., Die evangelischen Gemeinden, aaO, S. 296f.
7 in die Hände gegeben, eingehändigt (vgl. SI II 1409).
8 ihn.
9 zu Unrecht (vgl. SI IV 1167f).
10 aus [folgenden] Gründen.
11 bekommen (SI III 271f).
12 Gefäß, Hohlmaß (SI VII 1412-1414).
13 Mt 5, 15 par.


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sy glich nit woltten 14 , in des herren grosse ernden außtryben 15 , und was ir umbsunst empfangen, umbsonst geben. Hierumben langet an euch unser brüderlich und vertruwlich bitte, ir wöllen zu merung der eeren gottes und erpawung sins lybs, der kirchen, sonderlich aber in ansehung hochgedachts unsers g[nedige]n herren vonn ||110v. Württenberg etc. schribens, by einem rath, auch under uch selbs, die sachen dermassen fürdern, uff das unß unser geliepter bruder Leo gelassen werde, an welchem ir sonder 16 zwyfel die eer des götlichen namens fürdern und sin lob und pryß meeren werden, des auch wir alle zyt brüderlich und getrüwlich umb euch begerend zu verdienen.

Datum Richenwiler, donerßtags, den 16. tag septembris anno etc. 35.

Pfarheren und predicanten zu

Richenwiler und andern

fleckenn der herschafft

Württemberg 17 .

[Adresse f. 111v.:] Denn ersammen, wolgelertten und getrüwen predicanten und leßern, dienern der kilchen zu Zürich, unnsernn liebenn herren und brüdern.