Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3108]

Joachim Vadian
an Bullinger
St. Gallen,
Donnerstag, 12. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 351, 59 (Siegelspur) a Druck: Vadian BW VI 695

[1]Vadian wurde von Hieronymus Sailer höflich gebeten, den beiliegenden Brief an Francisco de Enzinas so rasch wie möglich nach Basel zu befördern. Da Bullinger wohl trotz seiner Pflichten dafür sorgen wird, dass dieser Brief schnell und sicher ans Ziel gelangt, will ihn Vadian niemand anderem anvertrauen. -[2]Neuigkeiten: Kardinal [Cristoforo Madruzzo] ist aus Rom [nach Augsburg]zurückgekehrt. Er hat Kaiser Karl V. die barsche Antwort [Papst Pauls III.] überbracht. Hinter verschlossenen Türen wird verhandelt. Es geht das Gerücht um, dass es [durch die Spannung zwischen Kaiser und Papst] zu schweren Unruhen in Italien kommen wird. Denn der Kaiser ist [mit der Antwort des Papstes]überhaupt nicht zufrieden. -[3]Der Reichstag soll in etwa einem Monat beendet werden. Es werden schon jetzt nur noch Bankette ausgerichtet. Alle Angelegenheiten liegen bei Karl V. Heimlich klagen alle Fürsten und Stände. Viele Menschen wünschen sich gar einen unverhofften Sieg über den Kaiser. Was er beansprucht, zeigt sich als Tyrannei. Gott erlöse die Seinen von diesem südländischen Teufel.

S. Dominus Hieronymus Sayle [rus 1 sa]ncte b,2 me suis literis rogat, quo, quam possim ocyssime, has, quae his tuis inclusae sunt, ad dominum Franciscum Dryandrum 3 perferendas curem. Ea caussa alu mittere nolui quam tibi quantumvis occupato nil dubitans, quin tua cura certo et brevi quidem Basileam advolent, etc.

Nova: Der cardinal 4 ist von Rom khomen, nammlich cardinal von Trient. Der sol

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren. -
b Textverlust bei Entfernung des Siegels.
1 Hieronymus Sailer, geb. 1494, gest. 1559, St. Galler Großkaufmann im Dienste der Weiser und Korrespondent Vadians.
2 höflich.
3 Francisco de Enzinas. - Bei dem Schreiben handelt es sich vielleicht um jenes von Matthias Claudius an Enzinas vom 31. Dezember 1547 (Enzinas BW 340-342).
4 Cristoforo Madruzzo, geb. 1512, gest. 1578, Bischof von Trient. - Er wurde am 6. November 1547 von Karl V. zu Verhandlungen bezüglich der Fortführung des Trienter Konzils aus Augsburg zu Paul III. nach Rom gesandt, da dieser nach der am 11. März 1547 beginnenden achten Sitzung des Konzils den Tagungsort von Trient (Reichsterritorium)
nach Bologna (Teil des Kirchenstaats) verlegt und schließlich am 6. September 1547 auf unbestimmte Zeit vertagt hatte, um es dem Einfluss des Kaisers zu entziehen. Dieser forderte durch seinen Gesandten die Rückverlegung des Konzils von Bologna nach Trient und die Entsendung von päpstlichen Legaten nach Augsburg, um über das Interim zu beraten. Im Gegenzug sicherte er zu, dass sich das Reich dem Konzil unterwerfen werde und dass die kanonische Papstwahl im Todesfall von Paul III. gesichert sei. Da Letzterer eine Beteiligung des kaiserlichen Statthalters in Mailand, Ferrante Gonzaga, an der Ermordung seines Sohnes Pier Luigi Farnese vermutete, lehnte er diese Forderungen


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dem kayser ain scharpf angebonden 5 antwort geben haben. Und wirdt im stillen vil gehandlet. Dabey aber momlet 6 man, eß möcht sich alle unruw in Italien ziechen. 7 Und sol der kayser gegen dem papst gar nit zufriden sein.

Der reychstag sol in monadtzfrist sein endtschafft 8 nemen. Und hat man jetzmal mit khainer sach mer zu schaffen, dann das man eß mitt panketen 9 ordenlich und kostlich außrichte. Das überig ist dem kayser alles übergeben, etc. Haimlich ist bey aller erbarkhait 10 große klag, allerlay beschwerden und unbillikhaiten. Et cupiunt optimi quique insperatam aliquam de caesare victoriam. Cernitur enim tyrannis, quam ille asseruit. 11 Dominus liberet suos a demonio 12 meridiano! Vale. In eyl zu S. Gallen, 12. ianuarii anno 1548. loachimus Vadianus.

[Adresse auf der Rückseite:] Vere pio et erudito viro d. Henrycho Bullingero, amplissimae ecclesiae Tigurine praesidi, domino et amico spectatissimo. 13

jedoch ab und empfing Madruzzo unfreundlich. Dieser kehrte schießlich am 5. Januar 1548 nach Augsburg zurück. Die von ihm mitgebrachte Antwort des Papstes sollte er den Reichsständen am 14. Januar 1548 im Auftrag des Kaisers vortragen; s. HBBW XX, Nr. 3005, Anm. 41; Nr. 3076,[3]; Nr. 3090,[7]; Nr. 3092, Anm. 46; Jedin, Trient III 116-118; NEIl) X 441-445; Rabe, Reichsbund 251f und Anm. 44-46; RTA-JR XVIII/2 1684-1686, Nr. 169; zur Farneses Ermordung s. HBBW XX, Nr. 2964, Anm. 5. - Erst während des Pontifikats von Julius III. (1550-1555) sollte die Versammlung in Trient wieder einberufen werden; s. HBBW XX, Nr. 2908, Anm. 7 und Nr. 3021, Anm. 18.
5 scharpf angebonden: barsch.
6 munkelt.
7 Vgl. zu Gerüchten über einen drohenden Krieg zwischen Papst Paul III. und Karl V. zuletzt Nr. 3102,22f mit Anm. 14.
8 Ende. - Der Augsburger Reichstag sollte erst am 30. Juni 1548 enden.
9 Banketten.
10 Obrigkeit; s. Adelung I 1649. -Gemeint sind die Fürsten und Stände.
11 Zu Karls V. Bestrebungen, eine monarchische Reichsreform durchzuführen, s. HBB W XX, Nr. 2960, Anm. 25.
12 Teufel; s. Dasypodius, Dict. 47r.
13 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war der St. Galler Bote Alexius Knoblauch; s. Nr. 3109, Anm. 4.