Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3102]

Bullinger
an Joachim Vadian
Zürich,
Dienstag,
3. Januar 1548

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 291 (Siegelspur) a Druck: Vadian BW VI 691f Nr. 1585

[1]Neujahrsgruß e. -[2]Bullinger dankt für den Brief Vadians [HBBW XX, Nr. 3101, vom 30. Dezember 1547] samt dem darin enthaltenen lehrreichen Briefentwurf an Aegidius Tschudi. Ohne Zweifel wird dieses Schreiben Tschudi beruhigen, auch wenn er sich als treuer Anhänger des Papsttums wohl kaum davon überzeugen lassen wird. Möge ihm der Herr die Augen öffnen! Alsbald wird Bullinger den Entwurf an Johannes Stumpf weiterleiten. -[3]Der Bote [N.N.], der Stumpfs Chronik nach Chur, Glarus und in den anderen Teil von Unterwalden gebracht hatte, konnte nach seiner Rückkehr kaum in Worte fassen, wie freundlich er an all diesen Orten empfangen wurde. Diejenigen, die die Exemplare nach Bern, Freiburg [i.Ü], Solothurn, Biel, Basel und Mülhausen bringen, sind noch nicht zurückgekehrt. -[4]Der vornehme Bannerherr Andreas Schmid wurde vom Kleinen und Großen Rat ausgewählt, um als Abgesandter nach Frankreich zu reisen. -[5]Am 1. Januar war der Däne Hans [Meissenheim]Bogbinder, einst ein Vertrauter des Erasmus, zu Gast L in Zürich]. Er kam auf direktem Weg aus Augsburg und wurde von einem vornehmen Engländer [NN.] und einem Franzosen [NN]begleitet. Da er in Eile war, blieb keine Zeit für lange Gespräche, bevor er nach Frankreich und von dort nach England aufbrach. Bogbinder besuchte auch den gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen. Bullinger vermutet, dass der Däne ein Agent des dänischen Königs Christian III. sei, da er alles über die Pläne Kaiser Karls V zu wissen schien. Aus seinen spärlichen Äußerungen konnte man auf vieles schließen. Bogbinder ist der Ansicht, dass ein großer Krieg zwischen Papst Paul III. und dem Kaiser bevorstehe. Mehr gibt es nicht zu berichten. -[6]Um Philipp von Hessen steht es sehr schlecht. -[7]Magdeburg wurde [vom Kaiser] zum Feind erklärt und geächtet. -[8]Möge der Herr Beistand leisten und den schrecklichen Wolf [Karl V] aus ihrer Mitte nehmen! Grüße.

Impraecor tibi, domine colendissime, et toti domui tuae ab omnipotente domino nostro annum omnibus modis et numeris felicissimum.

Literas tuas una cum forma responsionis 1 dandae d. Tschudo, erudita quidem illa, apposita, pia et utilissima, accepi et legi, ac ago tuae diligentiae et humanitati

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
1 forma responsionis: Gemeint ist der dem Brief Vadians an Bullinger vom 30. Dezember 1547 (HBBW XX, Nr. 3101) beigelegte, file Stumpf verfasste Entwurf einer Antwort an Aegidius Tschudi (Zürich ZB, A 69, Nr. 109; Teilveröffentlichung in Vadian BW VII 139-150, Nr. 103); s. HBBW XX, Nr. 3101, Anm. 11.
-Tschudi hatte sich am 11. Dezember 1547, unmittelbar vor der Druckfertigstellung von Stumpfs "Eidgenössischer Chronik" (VD16 S9864; BZD C396) über die dort publizierten Ausführungen über das Mönchtum empört. Um eine theologische Auseinandersetzung zu vermeiden, wünschte Bullinger, dass Vadi


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magnas gratias. Semper ego ex tuis eruditior efficior. Placabitur haud dubie hominis animus, quia humanus est vir, at nihil ei persuadebimus, metuo. Supersticiosissime enim adhaeret papatui. Dominus ipsi oculos et cor aperiat! Curabo, ut exemplum tuum Stumpfius primo quoque tempore habeat. 2

Rediit, qui 3 exempla chronicorum Curiam 4 et Claronam 5 , denique in alteram partem Undervaldensiun portavit, 6 nec potest satis depraedicare, quam grato animo et benefico exceptus sit I [ibi]b . Mittunt munera et publicas literas, quib[us] et gratias agunt et benevolentiam testantur. 7 [Qui 8 ] vero Bernam, Friburgum, Salodorum, Bien [nam], Basileam et Milhusium abierunt, nond[um] redierunt.

In Galliam legatus a senatu et plebe lectus est vir clarissimus [d.] Andreas Fabritius 9 , urbis nostrae antesignatus seu pandareta 10 , etc.

Calendis ianuarii pransus est nobiscum d. bannes Bibliopegus" Danus, ohm d. Erasmi Roterodami famihiarissimus. Veniebat ab Augusta recto cursu. Comitabantur

b Hier und unten Textverlust durch Papierverlust.
an als Bekannter von Tschudi sich der Sache annehme. Jener bevorzugte hingegen, dass Stumpf sich selbst an Tschudi wende, erklärte sich jedoch bereit, ihm hierfür einen Entwurf anzufertigen. Stumpf überarbeitete die Vorlage in seinem an Tschudi vermutlich noch im Januar 1548 verfassten Brief (Zürich ZB, A 69, Nr. 110); s. HBBW XX, Nr. 3096, [4] und Anm. 10; Nr. 3101, Anm. 12.
2 Bullinger schickte den Entwurf noch am selben Tag an Stumpf; s. oben Nr. 3103.
3 Unbekannt. -Vielleicht handelt es sich um einen Boten der Zürcher Druckerei Christoph Froschauers, in der kurz vor Mitte Dezember 1547 Stumpfs Chronik fertiggestellt worden war; s. HBBW XX, Nr. 3094, Anm. 4; Leu, Froschauer 53f.
4 Chur.
5 Glarus.
6 Nachdem zunächst nur ein Ortsteil Ob- oder Nidwaldens, wie Bullinger Vadian am 21. Dezember 1547 berichtete, ein Exemplar erhielt, wurde nun ein zweites dem anderen Ortsteil überbracht; s. HBBW XX, Nr. 3096, [4] und Anm. 7.
7 Die Orte zeigten sich mit dem Werk überaus zufrieden und stellten zum Teil große Belohnungen in Aussicht; s. HBBW XX, Nr. 3096, [4].
8 Darunter waren sicherlich Hans Rudolf Stumpf und Felix Müller, die ein Exemplar der Eidgenössischen Chronik nach Biel überbrachten
und dafür von den Bielern mit fünf Goldkronen bedacht wurden; s. Chronik von Benedict Rechberger, Biel StadtA, 1, 237, ccxlix, Nr. 12, S. 59.
9 Andreas Schmid, geb. 1504, gest. 1565, stand den eidgenössischen Vertretern (Ammann Dietrich von der Halden aus Schwyz, Landammann und Ritter Claus am Feldt aus Unterwalden und Antoni von Luternau aus Solothurn) vor, die zur Taufe von Claude de France, Tochter Königs Heinrichs II., gesandt wurden. Die Taufe fand in der königlichen Kapelle von Fontainebleau am Abend des 7. Februars 1548 zwischen 5 und 6 Uhr statt; s. HBBW III, Nr. 296, Anm. 3; HBBW XX, Nr. 3085,22-26 und Anm. 28f; Andreas Schmid an den Zürcher Rat, 23. Februar 1548 (Zürich StA, A 225.2, 48-49); Conrad Escher, Der Pannerherr Andreas Schmid, in: ZTB XXV, 1902, 120. -Eine zeitgenössische Darstellung der Gesandtschaft unter Führung Schmids findet sich oben auf S. 16.
10 Bannerherr: Träger der Hauptfahne; s. SI ll 1538.
11 Hans (Meissenheim) Bogbinder (Bibliopegus), gest. ca. 1564, war einst ein treuer Anhänger des 1523 abgesetzten Christians II. Später stand er erst in Diensten des Pfalzgrafen Friedrich II., dem Schwiegersohn Christians II., dann des dänischen Königs Christian III.; s. DBL 3 II 302f.


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eum Anglus quidam et Gallus nobiles. Volebat videre et salutare d. Pellicanum, Bibliandrum, me et reliquos. Festinabat ita, ut non sit datum diu colloqui. Abit in Galliam, deinde in Angliam. Fuit apud captum electorem 12 . Ego suspicor, illum Danorum regis 13 esse legatum. Omnia caesaris rescire videbatur. Nam ex pauculis illius verbis magna coniectare licebat. Putat ille omnino grave bellum exoriturum inter caesarem et papam papaeque sotios, etc. 14 Praeterea, quod scribam, non habeo quicquam.

Hessi 15 res pessime habent. Magdeburgenses publice declarati sunt hostes caesaris et implicati banno imperiali 16

Dominus adsit nobis et auferat e medio lupum 17 illum crudelissimum. Vale. Salutant te nostri omnes. Tiguri, 3. ianuarii anno 1548. Tuus Bullingerus.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d.d. Joachimo Vadiano, consuli Sangallensi, domino suo colendissimo. Sangallen.

12 Johann Friedrich I. von Sachsen. - Er war seit der Niederlage der Schmalkalder in der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 in kaiserlicher Gefangenschaft und weigerte sich, den Forderungen Karls V. in Religionsangelegenheiten nachzukommen. Zudem war ihm durch die Wittenberger Kapitulation am 19. Mai 1547 die Kurfürstenwürde entzogen worden. Er war zur Zeit des vorliegenden Briefs in Augsburg inhaftiert; s. HBBW XX, 32 und Anm. 155; Nr. 2948, Anm. 9; Nr. 2894,17-36 und Anm. 31; Nr. 2917, Anm. 12; Mentz III 108-111.
13 Christian III.; s. oben Anm. 11.
14 Gerüchte über einen drohenden Krieg zwischen Papst Paul III. und Kaiser Karl V. erreichten Bullinger bereits im Oktober 1547
aus Basel durch Oswald Myconius; s. HBBW XX, Nr. 3057,26-32 und Anm. 16.
15 Landgraf Philipp von Hessen befand sich seit seinem Fußfall vor dem Kaiser in Gefangenschaft, zu dieser Zeit in Nördlingen. Zudem wurde versucht, ihn durch eine Pestinfektion zu beseitigen; s. HBBW XX, Nr. 2948, Anm. 9; Nr. 3100 und Anm. 16.
16 Über Magdeburg war bereits am 27. Juli 1547 die Reichsacht verhängt worden; s. HBBW XX, Nr. 2934, Anm. 16. - Bullinger war offensichtlich entfallen, dass er selbst von Vadian hierüber bereits im September 1547 informiert worden war; s. HBBW XX, Nr. 3010,[6].
17 Gemeint ist Karl V.