Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[296]

Bullinger an
Oswald Myconius
[Zürich],
12. Dezember 1533

Autograph: Zürich StA, E II 347, 45. Siegelspur Teilübersetzung: [Emil]E[gli], in: Zwa I 321; Rudolf, Aussöhnungsversuch 511; Max Niehans, Die Bullinger-Briefsammlung, in: Zwa VIII 157

Bullinger konnte in Myconius' Brief [Nr. 295]einiges nicht verstehen; das nächste Mal soll sich dieser klarer und offener ausdrücken, da ja zur Zeit keine Gefahr für die briefliche Äußerung einer ehrlichen Meinung besteht. Andreas Schmid wurde, trotz der öffentlichen Proteste der Pfarrerschaft, in den Zürcher Rat gewählt. Obwohl sich der Rat offiziell zur Reformation bekennt, gibt es viel Feigheit, Heuchelei und Bequemlichkeit unter seinen Mitgliedern. Bullinger schämt sich der Zürcher und befürchtet die Abschaffung der evangelischen Wahrheit als Strafe Gottes. In der Eile konnte er noch nichts über die Verordnung einer Zürcher Gesandtschaft [nach Bern]erfahren.

8 Nach der Zusammenkunft mit Franz I. verließ Papst Clemens VII. Marseille am 12. November 1533 und kehrte nach Italien zurück, s. Pastor IV/2 482.
9 Herzog Heinrich von Orléans, zweitältester Sohn von Franz I., der spätere König Heinrich II.
10 Franz I. versuchte zu erreichen, daß Heinrich und Katharina von Medici mit ihrer Heirat in den Besitz der italienischen Städte Urbino, Mailand, Parma und Piacenza kommen sollten. Clemens VII. ließ sich aber nicht schriftlich darauf festlegen, s. Müller 251f; ähnliche Gerüchte um diesen Tatbestand wußte schon Berchtold Haller zu berichten, s. oben S. 234, 45f.
11 Landgraf Philipp von Hessen.
12 Franz I.
13 Zu den Kriegsplänen Philipps gegen Ferdinand I. von Habsburg und seinem Bündnis
mit Franz I. 1533/34 s. Jakob Wille, Philipp der Großmüthige von Hessen und die Restitution Ulrichs von Wirtemberg 1526-1535, Tübingen 1882.
14 Unbekannt.
15 Gemeint ist vielleicht das habsburgisch besetzte Herzogtum Württemberg.
16 Unbekannt.
17 Der von Bullinger am 4. Dezember empfohlene Briefüberbringer (s. oben S. 245, 63); weiter nicht bekannt.
18 Die Besprechung in Bern begann am 12. Dezember. Einer der Basler Gesandten war offenbar der Ratsherr Bernhard Meyer (s. die Instruktion für die Basler Delegation an der Tagung, ABaslerRef VI 376). - Zum Erfolg dieser Mission s. unten Nr. 304.
19 Bullinger konnte darauf nichts Genaues antworten, s. unten S. 250, 24f.


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Gratiam et pacem.

Rudius scribe posthac, frater charissime, quandoquidem nullum est periculum, cum quod fidis mandantur nunciis, tum quod res utiles et honestas tractamus, quarum 1 non est ut erubescamus, etsi resignentur epistolae. Non intelligo, quod tu putes consilium nostrorum contra vicinos, quod displiceat quodque tuis communicatum velis. Proinde, si quid est, quod magni sit momenti, ne pigeat repetere et paulo apertius perscribere.

Iam vero audi, frater charissime, inflictum a nuperis literis 2 alterum vulnus. Nescio, quibus fomentis leniam. Nam Andreas Faber 3 , Fabri consulis 4 filius, in senatum est lectus nobis maxime pro publica contione reclamantibus. Cerberus -nosti, das ich den Rüden 5 meyn -eiusmodi homines subinde in senatum vocat, nec quisquam nostrorum est, qui forti et intrepido animo sese temerariis ausis obiiciat: Fuco imponitur stolidis 6 . Non inviderem magistratum, si integros esse constaret. Publice quidem nostram fidem confessus est, in nostram fidem coniuravit, pontifitiam abnegavit, eucharistiam una cum fratribus fregit et fracturum se posthac stipulabatur, sed subinde hypocrisim et nescio quid mali latere vereor. Dominus conservet ecclesiam suam. Video enim multam illi imminere tempestatem, video multum animi accrescere cohorti impiae, video nimis puerilem credulitatem et securitatem adeoque et supinam negligentiam nostrorum fascinare animos, adeo ut etiam ad miraculum moniti, exciti, impulsi, tracti et pertracti a veterno evigilare nolint. Timeo profecto, timeo dominum aliquando istam[!] verbi et ministrorum contemptum abrogatione veritatis ulturum. Me certe nostrorum pudet pigetque. Dominus misereatur nostri propter gloriam nominis sui.

1 Siehe oben S. 247, 4-6.
2 Oben Nr. 293.
3 Andreas Schmid (Faber), 1504-1565, Sohn des Zürcher Bürgermeisters Felix Schmid, immatrikulierte sich 1517 an der Universität Tübingen, die er wegen Schulden ungefähr zwei Jahre später verließ. Über seine weitere Ausbildung ist nichts bekannt. 1527 gehörte er dem Zürcher Stadtgericht an. In der Schlacht bei Kappel kämpfte er mit und brachte das Stadtpanner nach Zürich zurück. Der Rat ernannte ihn daraufhin zum Pannerherrn. 1532 oder 1533 trat er von der Zunft zur Meisen in die Konstaffel über und war von Ende 1533 bis 1553 und nochmals von 1560 bis zu seinem Tod Mitglied des Kleinen Rates. 1537-1539 amtete Schmid als Landvogt in Baden. Anfang 1548 stand er an der Spitze der eidgenössischen Gesandtschaft, die zur Taufe der französischen Prinzessin Claudia nach Paris abgeordnet wurde. 1554-1559 war er Landvogt zu Kyburg. Der Reformation stand Schmid ablehnend gegenüber. Im Frühjahr 1532 verlautete gerüchteweise, der Pannerherr lasse in seinem Hause die Messe lesen. Die vorliegende Briefstelle zeigt, wie sehr der religiösen Einstellung Schmids immer noch mißtraut wurde.
Als Landvogt von Baden stand Schmid mit Bullinger im Briefwechsel, von dem ein Brief Schmids erhalten ist. -Lit.: AZürcherRef 1535. 1830; HBRG III 132. 177; Conrad Escher, Der Pannerherr Andreas Schmid (1504-1565), in: ZTB 1902, NF, Jg. 25, S. 112-131; A[drian] Corrodi-Sulzer, Die Vorfahren des Bürgermeisters Felix Schmid, in: ZTB 1936, NF, Jg. 56, S. 33-35 (berichtigt teilweise die Angaben von Escher, aaO); HBLS Supplement 153.
4 Felix Schmid (Faber), 1454-1524, war seit 1489 als Zunftmeister der Meisen Mitglied des Kleinen Rates, 1505-1507 und nochmals 1510 Landvogt zu Kyburg. Im Jahre 1511 wurde er zum Bürgermeister gewählt. Der Reformation scheint er, soweit nachweisbar, wohlwollend gegenübergestanden zu sein. - Lit.: Corrodi-Sulzer, aaO, S. 27-32; Jacob 240f; HBLS VI 211.
5 Die Gesellschaft zu Konstaffel, nach ihrem Zunfthaus auch «zum Rüden» genannt. Sie stellte zahlenmäßig mehr Reformationsgegner als irgendeine Zunft, ohne daß diese jedoch eine Mehrheit in ihren Reihen hätten bilden können, s. Jacob 64-66. 108f. 115.
6 Vgl. Otto 148, Nr. 723.


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Nuntius 7 ita festinabat, ut non potuerim certo experiri,

an a nostris legati sint missi 8 .

Vale.

12. decembris 1533.

Hein. tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Os. Myconio suo, Basileae.