Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2990]

Sebastian Schertlin
an [Bullinger]
Konstanz,
14. August 154[7]

Autograph: Zürich StA, E II 335, 2055 (ohne Siegelspur) a Ungedruckt

[J]Gewiss wird Bullinger erfahren haben, wie grausam König Ferdinand mit den böhmischen [Ständen] umgeht, um aus einem freien Königreich ein Untertanengebiet zu machen. Alle angesehenen Herrscher sollten etwas dagegen unternehmen! -[2] Kaiser Karl V. unterzieht sich in Augsburg einer Holzkur. Es gibt noch keine Verhandlungen, weil man auf König Ferdinand wartet. Dieser würde wie üblich ganz schmierig vorgehen. Kaiser und König wollen, dass alle österreichischen Erblande Teil des [geplanten] Schwäbischen Bundes werden. -[3]Weil der Vizekönig von Neapel, Pedro Alvarez de Toledo, einen mit kaiserlicher Erlaubnis abgeschlossenen Vertrag nicht wie vereinbart schriftlich aufgesetzt hat, ist es in Neapel zu einem noch größeren Aufstand gekommen als früher. Drei ins Schloss beorderte bedeutende Persönlichkeiten von Neapel wurden nämlich unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, den Vertrag zu unterschreiben. Zwei fügten sich. Einer [Giovanni Domenico Grasso]aber gab nicht nach. Als er danach von einem Gastmahl nach Hause zurückkehrte, starb er. Um den daraufhin erfolgten Aufstand niederzuschlagen, soll der Kaiser 100 Kanonen auf Rädern nach Italien schicken. -[4] Vonseiten der Hansestädte und des Grafen Albrecht von Mansfeld sind kriegerische Vorstöße zu melden. Was der Kaiser eingenommen hat, holen nun jene wieder zurück. Die Bremer haben von ihrem Erzbischof Christoph von Braunschweig, Land erobert. - [5] Nach seiner Rückkehr belästigt Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel erneut die in seinem Gebiet liegenden Städte. Letztere werden ihm wohl nicht erlauben, seine gräfliche Macht wieder auszuüben. - [6] Die gegenwärtige Lage ist so unsicher, dass die Eidgenossen gut daran tun, einträchtig zu sein und sich mit anderen Herrschern [wie etwa Heinrich II.] zu verständigen. Zu Recht sagt man, dass eine schützende Hand Goldes wert ist. Gruß an die Bürgermeister Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater, denen Bullinger dies mitteilen soll. -[7]Bullinger möge den beigelegten Brief an seinen Bestimmungsort weitersenden. Mein willigenn dienst unnd alles gut zuvor. Günstiger, lieber herre, ir bapt one zweifel wo! vernomen, wie der römisch könig mit den Böhamen also jämerlichen 4 umbgeet, auß ainem freyen königreich ain aigenthumb macht. Es solten alle potentatenn unnd erbare hertzenn darzu thun 5 !

a Mit Schnittspuren.
1 Dass Bullinger der Empfänger dieses Briefes gewesen sein wird, ergibt sich aus dessen heutigem Standort.
2 Das Jahr ergibt sich aus dem Briefinhalt.
3 Ferdinand I., der Ende Juni 1547 mit seinem Heer nach Böhmen zog, um die aufrührerischen Stände zu strafen; s. dazu Nr. 2935, Anm. 33. Den dabei erzielten Erfolg nutzte er, um den böhmischen Ständen das erbliche Thronfolgerecht der
Habsburger aufzuzwingen; s. Nr. 2929,5; Rudolf Hoke, Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte, 2. verb. Aufl., Wien u. a. 1996, S. 221; Hugo Toman, Das böhmische Staatsrecht und die Entwickelung der österreichischen Reichsidee vom Jahre 1527 bis 1848, Prag 1872, S. 21.
4 grausam.
5 darzu thun: etwas (dagegen) tun.


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Der kaiser 6 ligt zu Augspurg im holtz. 7 Unnd wurdet gar nichtzit 8 gehandelt, bis der könig auß Böham auch hierbei komen wurdet. 9 Der wurdet gantz glumpfig ding machen 10 , wie sein brauch ist. Sie beharren, noch alle östereichische erbland in den pundt 11 zu bringenn.

In Neapoli ist grösser aufrur dann hievor, 12 ursach 13 der viceroi 14 daselbst mit bewilligung ka[iserlicher]ma[jesta]t ain vertrag uffgericht und abgerett hat, aber denselben nit laut der abred beschribenn 15 . Unnd von 3 den fürnemsten personen, die er in das castell beschiden, gewölt underschribenn unnd versigelt habenn (welche sichs gewidert, sol er geantwurt haben, sie miessens thon oder sterbenn) b , die 2 haben willfaret, der ain 16 geantwurt, ehe wölle er sterben. Darauf man ime zu essenn geben; alsbald ist er haim gangen und gestorbenn. Das ist ursach noch amer vil grössern uffrur, dann hievor gewest ist. Kaiser[liche]ma[jesta]t sol 100 stuck büchsen 17 uff rädern hinein in Italiam schickenn.

Der krieg sol von den Seestetten 18 und dem von Mansfeld 19 widerumb angeen. Was kaiser vorhin eingenomen, nemen sie widerumb ein. ||v Die von Premen haben irem bischoff 20 lannd und leut eingenomen.

Alsobald he[rz]og c Herrich von Braunschwaig 21 widerumb in sein land komen, hat er abermals sein alt wesenn angefangen 22 gegen den genachpartenn stetten 23 , damit sie verursachet, das sie ine nit werdenn einkomen 24 lassenn.

b Klammern ergänzt. -
c Hier und unten Text teils im engen Einband verdeckt.
6 Karl V.
7 Vgl. Nr. 2983, Anm. 3.
8 nichts; s. SI IV 872.
9 König Ferdinand traf erst am 20. Oktober in Augsburg ein; s. Nr. 2970, Anm. 18.
10 glumpfig ding machen: schmierig handeln.
11 Zur beabsichtigten Wiederbelebung des Schwäbischen Bundes siehe die Verweise in Nr. 2989, Anm. 1.
12 Zum Aufstand in Neapel s. Nr. 2888, Anm. 14; Nr. 2915.
13 weil.
14 Pedro Alvarez de Toledo.
15 schriftlich verfasst (hat).
16 Wahrscheinlich ist hier vom neapolitanischen Stadtnotar Giovanni Domenico Grasso die Rede; vgl. Oberto Foglietta, Uberti Folietae Tumultus Neapolitani sub Petro Toleto prorege, Neapel 1769, S. 203f.
17 Kanonen.
18 die Hansestädte ("Seestädte"); s. dazu die Verweise in Nr. 2987, Anm. 30.
19 Albrecht VII. von Mansfeld.
20 Christoph von Braunschweig, Erzbischof von Bremen. - Der Graf von Mansfeld führte ab Anfang Juni 1547 zunächst mit Unterstützung Bremens einen heftigen Kleinkrieg gegen den Erzbischof von Bremen um die beiden Stifte Bremen und Verden. Mansfeld rächte sich damit für den Verlust seiner Grafschaft; s. Schulte, Hansestädte 204.
21 Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
22 Indem er sich u.a. für die Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes starkmachte.
23 Gemeint sind hier die im Gebiet des Herzogs liegenden Städte.
24 einsetzen; s. SI III 274. - Zu verstehen: sie werden ihm nicht erlauben, seine gräfliche Macht wieder auszuüben.


Briefe_Vol_20-420arpa

Es steen alle sachen noch irrig 25 , derhalb ir Eydgnossen vast 26 wol und recht thund, das ir ainig seyt, bleibt, unnd mit andern potentaten 27 uch vergleichet 28 . Dann werrende 29 han[d] ist goldes wert. Das wölt den hem burgermaistern 30 neben erpietung meines willigenn dienstes auch mittailen.

Datum Constantz, den 14. tag augusti anno 154[7]. Beigelegte brief bitt ich, an ir ort zu verordnen.

S. Schertlin von Burtenpach, ritter, subscripsit.

[Ohne Adresse.]