Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
8. April 1534

Autograph: Zürich StA, E II 336, 133r.-v. (Siegelspur) Teildruck: Corr. des réformateurs III 160-162

Gerüchte über einen großen französischen Aufmarsch in Richtung Mömpelgard gegen Gabriel Salamanca, Graf von Ortenburg. Die Basler befürchten einen Krieg in ihrer Nähe. In Paris ließ der König, der päpstlichen Bulle entsprechend, über fünfzig «Lutheraner» einkerkern. Nach seiner Besprechung mit [Philipp] von Hessen wandte sich jedoch alles zum Besseren: Vor dem und im Louvre wird das Evangelium von einem Augustinermönch und einem Karmeliten einer großen Zuhörerschaft, darunter vielen Vornehmen, frei verkündet. Die Bischöfe von Paris [Jean du Bellay] und von Senlis [Guillaume Petit] sind des Lutheranismus verdächtig, der Rektor [Nicolas Cop]ist geflüchtet, [Jean de]Sallignac wurde von der theologischen Fakultät ausgeschlossen. [Johanniterkomtur Guillaume Quynon?], die Theologieprofessoren [François]Vatable, [Jacques] Toussaint und [Pierre]Danès, auch viele gelehrte Mediziner usw. gehen zur evangelischen Predigt; darüber beklagte sich [Professor François] Le Picart in einer Predigt. Diese Nachrichten werden immer wieder bestätigt. In England wurde der Papst vom Erzbischof [Thomas Cranmer]exkommuniziert, in London wurden die Bilder von acht Kardinälen verbrannt. Nach letzter Meldung aus Frankreich ist [Gérard] Roussel wieder frei, [Noël] Béda verhaftet; ein langjähriger Gefangener aus Genf [Jean Pointet?] wurde jedoch verbrannt. Bitte um Nachrichten. Grüße.

S. Fama, lubens dicerem certa, est regem 1 Burgundiam intrasse cum ingenti exercitu. Animum esse petendi Montispelligardi, quem emisse narratur 2 ; in itinere rapit, quae iubet impetus. Vicinus est huic loco Gabriel Salmanca 3 Hispanus, in Germania potens, molestus nobilitati Germanicae, cuius potentiam infringere in consiliis regis plerique dicunt esse. Certum est nobilitatem regis propositum nihil vereri. Consultat hodie comes Ortenbergensis (ita vocant Hispanum illum) cum suis, quo modo sit occurrendum. Arma Sungaudiensibus

9 Johannes I. Zápolya, Woiwode (ungarisch: Wajda) von Siebenbürgen und König von Ungarn (Gegenkönig Ferdinands I.).
10 Gleiches berichtet auch Myconius unten S.133, 16f. Neben den Türkenzügen verheerten auch die Kämpfe zwischen Zápolyas und Ferdinands Truppen Ungarn bis zum Frieden von Großwardein (Nagyvárad) 1538, vgl. beispielsweise R. R. Betts, in: The New Cambridge Modern History II, The Reformation 1520-1559, hg. v. G. R. Elton, Cambridge 1965, S. 196-198.
1 Franz I. von Frankreich.
2 Vgl. Wille 156f. 168.
3 Gabriel Graf von Ortenburg, gest. 1539, aus Burgos, von spanischer Herkunft mit dem Namen Salamanca, ursprünglich vielleicht Kaufmann, später Hauptvertrauensmann und wichtiger Geldgeber von Erzherzog bzw. König Ferdinand I. von Österreich. Er tauchte 1514 in der kaiserlichen Verwaltung unter Maximilian I. auf, reiste 1519 in kaiserlichem Auftrag nach England, 1521 war er Leiter der Kanzlei von Tirol, 1522 Generalschatzmeister genannt, übte er die finanzielle


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sunt imperata, Alsaticis item reliquisque. Qui si proficiscentur, timendum, ne perierit et Sungaudia et Alsatia. Quare sunt, qui monent eum populum, ne pedem loco moveant, si salvi esse malint. Nihil video nisi consilium contra opinionem omnium. Quis non regem ad Italiam aspirare hactenus persuasus fuit? Et nunc vide, quo feratur. Displicet nobis 4 , si propius nos exercitum admoturus est. Perdita Sungaudia nobis periit horreum profecto nostrum. Quae res quam temporibus hisce foret incommodaturum, quis ignorare potest? De his hactenus.

Apud Parrhisios, ut literae 5 huc perlatae docent, aguntur mira. Principio rex commotus impetrata bulla pontificia contra Lutheranos 6 captivos duxerat ultra quinquaginta, inter quos paralytici 7 quidam in lectis gestabantur in carcerem 8 . Duravit haec commotio, usque dum ex colloquio cum principe Cathorum rex redierat 9 . Tum enim omnia reddita sunt tranquilla, nec solum hoc, sed etiam optimae spei plaena. Nam Augustinensis quidam 10 evangelium

Oberaufsicht über die Erbländer und Württemberg aus und schwang sich allmählich zum allmächtigen ersten Minister Ferdinands auf. Für seine bedeutenden Dienste wurde er von Ferdinand mit verschiedenen Gütern belehnt, 1523 erhob ihn Kaiser Karl V. in den Freiherrenstand, 1524 erhielt er die Grafschaft Ortenburg in Kärnten und damit den Grafentitel. Mit dem Kaufmannshaus Fugger in guter Beziehung, reichte sein Einfluß vom Elsaß bis nach Ungarn. Oekolampad erwähnt ihn Zwingli gegenüber 1528 sogar als möglichen Vermittler zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland (s. Z IX 358). Oft wurde er auch beschuldigt, sich auf Kosten seines Landesherrn bereichert zu haben. Nach dem Bauernaufstand von 1525 wurden die Klagen gegen Ortenburg in Tirol so laut, daß er vom Hof Ferdinands entfernt werden mußte; er wurde 1526 mit einer ehrenvollen Mission zum Kaiser gesandt. Bald wurde er von diesem als Landvogt im Oberelsaß eingesetzt und 1527 zu einer Englandmission verwendet. 1527/28 erwarb er sich mehrere Herrschaften im burgundisch-elsässischen Raum, 1528 wurde er Hauptmann in Görz, 1531/32 kaufte er Belfort, Delle und Isenheim im Elsaß, 1535 Schloß Landskron. Er wurde 1537 kaiserlicher Rat und ist sogar als «kaiserlicher Kriegskommissar in Deutschland» bezeichnet worden. 1534 rüstete er 400 Pferde aus (wohl für die Verteidigung Württembergs gegen Philipp von Hessen). - Lit.: Alfred Stern, Gabriel Salamanca Graf von Ortenburg, in: Historische Zeitschrift, Bd. 131, 1925, S. 19-40; Schlitter, in: ADB XXIV 437f.
4 Nämlich: den Baslern.
5 Welche Briefe aus Paris gemeint sind, ist
nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich um die Korrespondenz des seit Ende 1533 in Basel im Exil lebenden Nikolaus Cop.
6 Es handelt sich um zwei päpstliche Bullen: In der ersten (Rom, 30. August oder 1. September 1533) wendet sich der Papst an die Erzbischöfe, Bischöfe und Inquisitoren Frankreichs, in der zweiten an König Franz I. (Marseille, 10. November 1534). In beiden Bullen werden alle Häretiker aufgefordert, den Irrlehren abzuschwören; im Falle einer Weigerung sollten diese dem weltlichen Arm der Gerechtigkeit ausgeliefert werden. Der Papst beauftragte seinen Legaten auch, in Paris und Toulouse zwei für Ketzerangelegenheiten zuständige Persönlichkeiten als Appellationsstelle zu ernennen, s. Corr. des réformateurs III 116, Anm. 4; Bourrilly/Weiss 217.
7 Gemeint ist der Fall des Barthélemi Milon, der bereits am 20. Dezember 1533 in Paris verhaftet worden ist; am 10. November 1534 wurde er zum Tode verurteilt und am 13. November verbrannt, s. Corr. des réformateurs III 227, Anm. 6; Bourrilly/Weiss 111.
8 Die Nachricht stammt wahrscheinlich von Bucer, s. oben S. 46, Anm. 28.
9 Nach seiner geheimen Besprechung mit Philipp von Hessen in Bar-le-Duc kehrte Franz I. anfangs Februar 1534 nach Paris zurück, vgl. Wille 146-152; Corr. des réformateurs III 160, Anm. 3.
10 Vielleicht handelte es sich um den Augustinermönch Elie (Jean) Coraud (Courault), der wahrscheinlich zu den von Myconius am 28. Februar 1534 erwähnten vier Verhafteten (s. oben S. 74, Anm. 9) gehörte und inzwischen offenbar freigelassen war, s. Corr. des réformateurs III


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praedicat iuxta arcem Luffer a 11 magno populi concursu. In arce vero Carmelita barbatus 12 , qui ex Italia datus est a pontifice nepti suae 13 , ut curet, docet liberrime Christum. Regina, soror regis 14 , papae neptem gubernat. Viri nominatissimi conciones illas adeunt quotidie. Episcopi duo, Parisiensis 15 et Sanlius b 16 male audiunt , propter Lutheranismum 17 . Rector 18 ab urbe discessit propter evangelium, hoc est propter odium contractum ab evangelio. Salinas 19 , monachus trilinguis, extra synagogam eiectus est theologorum 20 . Nuper
a Über Luffer von fremder Hand: Louvre.
b Vorlage irrtümlich Sanliis.
160, Anm. 4. Später entfloh er nach Basel und dann nach Genf (s. Bourrilly/Weiss 215), wo er Mitarbeiter Calvins und Farels wurde.
11 Gemeint ist zweifellos die dem Louvre benachbarte Kirche St-Germain l'Auxerrois, s. Corr. des réformateurs III 160, Anm. 4.
12 Der Karmelitermönch ist namentlich nicht bekannt, vgl. Corr. des réformateurs III 160, Anm. 5.
13 Katharina von Medici, die mit Henri Herzog von Orléans verheiratete Nichte von Clemens VII., kam Anfang Februar 1534 in Paris an.
14 Margareta d'Angoulême, Königin von Navarra.
15 Jean du Bellay.
16 Guillaume Petit (Parvi), um 1470-1536, Dominikaner, Doktor der Sorbonne 1502, Vertreter der Doktoren der Bettelorden an der Theologischen Fakultät 1506, 1507 Generalinquisitor, 1508 Prior des Dominikanerkonvents in Blois. Seit 1509 war er Beichtvater des Königs unter Ludwig XII. und Franz I., nach 1515 auch königlicher Bibliothekar. Er war ein Freund von Guillaume Budé und Guillaume Cop, dem Leibarzt von Franz I. Die «drei Guillaumes» überzeugten den König, Erasmus zur Gründung des von den Humanisten gewünschten «Dreisprachigen Kollegiums» einzuladen. Petit trat öfters bei wichtigen staatlichen Feiern auf, er predigte auch am Vorabend der Schlacht von Marignano 1515. 1518 wurde er Bischof von Troyes, 1527 von Senlis. Die Theologische Fakultät der Sorbonne benützte ihn öfters als Verbindungsmann zum König, so u. a. 1535, als er Franz I. das mit Melanchthon geplante Gespräch auszureden half, sonst vertrat er aber immer den Willen des Königs auch gegen die Fakultät. Petit war ein gelehrter Humanist, ein Liebhaber von Büchern und toleranter Theologie, konnte aber manchmal auch sehr energisch gegen Reformer auftreten, die er für Häretiker hielt. Er gehörte zum Kreis der Königin
Margarete von Navarra und war ein Beschützer von Lefèvre d'Etaples und Erasmus. - Lit.: Corr. des réformateurs I 16, Anm. 4. 44, Anm. II. III 111, Anm. 27; Abel Lefranc, Histoire du Collège de France, Paris 1893, S. 47, Anm. 1; Farge, Paris Doctors 367-373.
17 Beide Bischöfe verhielten sich den Reformbestrebungen gegenüber gemäßigt, eher freundlich, s. Anm. 16; vgl. auch Bourrilly/Weiss 202. 212 et passim.
18 Nikolaus Cop.
19 Jean de Sallignac, gest. 1563, Benediktiner, 1533 Baccalaureus, 1536 Doktor der Theologie an der Sorbonne. Er geriet vorher dreimal in Gegensatz zur Fakultät: Am 15. Mai 1533, über eine Predigt von Gérard Roussel befragt, trat er mutig für diesen ein und durchkreuzte damit Noël Bédas Pläne zur Verurteilung Roussels. Am 28. Januar 1534 wurde gegen ihn und den Franziskaner Pierre de Nuptiis wegen ihrer Lehre eine Untersuchung durchgeführt, und bis zur Rücknahme gewisser Sätze wurden beide mit Disputationsverbot belegt. Am 2. Januar 1535 fand man verdächtige Bücher in Sallignacs Besitz. Trotzdem wurde er zum Doktorat zugelassen und als Kenner der «drei Sprachen» bald zum königlichen Lektor des Hebräischen ernannt. 1543 leitete er auf Wunsch von König Franz I. eine von Petrus Ramus verursachte Disput der Artistischen Fakultät, 1561 gehörte er zu den fünf Doktoren der Theologie, die Katharina von Medici zum Gespräch von Poissy mit den Hugenotten eingeladen hat; er verteidigte die Transsubstantiationslehre. Trotzdem fiel dort Beza die theologische Nähe Sallignacs zu den Hugenotten auf; dieser korrespondierte auch mit Calvin freundschaftlich und wird von manchen Forschern sogar zu den Protestanten gerechnet. Er starb freilich als Benediktiner im Kollegium von Marmoutier in Paris. - Lit.: Bourrilly/Weiss 203; Farge, Paris Doctors 401f.
20 Am 28. Januar 1534 wurde Sallignac mit Disputationsverbot belegt (s. oben Anm. 19), von seinem Ausschluß aus der Theologischen Fakultät ist jedoch nichts bekannt, vgl. Corr. des réformateurs III


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se prodiderunt D. de S. Ioanne Lateranensi 21 , Vatablus 22 , Tusanus 23 , Danesius 24 , viri consulares item aliquot, tria quatuorve paria doctissimorum medicorum ut discipuli Christi conciones audiendo quotidie. Clamavit nuper Picardus 25 sophista pro concione: «Actum est de nobis. Neminem praeter vetulas mulierculas circum me video. Viri eunt ad arcem Luffer.» Post haec
161, Anm. 8, wo er freilich mit Jerónimo de Salinas verwechselt wird.
21 Möglicherweise handelt es sich um Guillaume Quynon, Komtur des Johanniterordens, dessen Spital in Paris den Namen St-Jean de Lateran trug. Quynon amtete 1525-1542; seine Freundschaft mit Erasmus machte ihn zweifellos empfänglich für die reformatorische Lehre. - Lit.: Corr. des réformateurs III 161, Anm. 9.
22 François Vatable (Wastabled), gest. 1547, aus Gamaches (Picardie), studierte in Paris um 1519, zur gleichen Zeit wie manche Vorkämpfer der Reformation, u. a. Guillaume Farel, und wurde Professor des Hebräischen am Collège Royal 1532. Auf seine Schüler (u. a. auf Calvin) übte er eine starke Wirkung aus. Der Reformation gegenüber war er zunächst offen, zog sich jedoch mit der Zeit in sich zurück, ähnlich wie sein Freund Gérard Roussel. Trotzdem mußte er mehrere Untersuchungen und Zensuren der Sorbonne über sich ergehen lassen. Sein Kommentar zum Alten Testament zeigt ihn als Vertreter einer moderneren, lebensnahen Exegese. Königin Margareta von Navarra verdankte er viel, wahrscheinlich auch, daß er von Franz I. die Abtswürde von Bellozanne und später eine ehrenvolle Stellung am Kollegium von Cardinal-Lemoine (1544) erhielt. - Lit.: Corr. des réformateurs I 23, Anm. 2 und 45, Anm. 19. III 161, Anm. 10; Lefranc, aaO, S. 175-177; Jöcher IV 1466.
23 Jacques Toussain(t) (Tusanus), gest. 1546, aus Troyes, Schüler der berühmten Hellenisten Hieronymus Aleander und Guillaume Budé, Professor des Griechischen am Collège Royal seit 1532. Er war ein fleißiger und leidenschaftlicher Lehrer, wie ihn sein Schüler Petrus Ramus schildert, ein Vorkämpfer von moderneren Unterrichtsmethoden; Bezas «Icones» zeigen ihn als strengen Gelehrten. Sein literarisches Lebenswerk war bescheidener, auch sein großes griechisch-lateinisches Wörterbuch ist kaum von überdurchschnittlicher Bedeutung. Er lebte in einfachen Verhältnissen und unterrichtete bis zuletzt. - Lit.: Corr. des réformateurs III 161, Anm. 11; Lefranc, aaO, S. 173-175.
24 Pierre Danès, 1497-1577, aus altehrwürdiger Pariser Familie, lehrte seit 1530 Griechisch am frisch gegründeten Collège
Royal. Dank seiner außerordentlichen Begabung durchlief er eine glänzende, aber kurze wissenschaftliche Karriere und war ein gefeierter akademischer Redner, der freilich kaum nennenswerte Werke hinterließ. Anfänglich scheint er sich zur Reformation geneigt zu haben. Am 9. Januar 1533 ließ ihn Noël Béda vor das Parlament zitieren, zusammen mit Vatable und zwei anderen königlichen Lektoren, um ihnen die Auslegung der Heiligen Schrift ohne Erlaubnis der Universität verbieten zu lassen, was jedoch mißlang. 1534 wohnte er - wie auch die Vorlage zeigt - «lutherischen» Predigten ganz offen bei. Bereits die ersten Verfolgungen ließen jedoch diesen «eleganten Doktor» einlenken; aus dem Verfolgten wurde bald ein Verfolger, der u. a. auch als Zeuge gegen Petrus Ramus auftrat. Danès nahm als Gesandter des Königs am Konzil von Trient von Anfang an teil und hielt dort 1546 eine viel beachtete Rede. Heinrich II. ernannte ihn zum Erzieher des späteren Franz II., 1557 wurde er Bischof von Lavaur und nahm dann auch an der letzten Session des Konzils teil. - Lit.: Corr. des réformateurs II 348, Anm. 10. III 161, Anm. 12; Lefranc, aaO, S. 171-173; Contemporaries I 376.
25 François Le Picart, 1504-1556, aus einer Familie des Hochadels, seit 1526 Priester, 1527 Magister, 1529 Professor am Collège de Navarre in Paris. Als Baccalaureus trat er auf Anweisung der Sorbonne in seiner Predigt zur Fastenzeit 1533 gegen Gérard Roussel auf und wurde wegen Schmähungen gegen Königin Margareta von Navarra eingekerkert und verbannt. Wie Noël Béda kehrte auch er wahrscheinlich im Januar 1534 nach Paris zurück, war im Herbst wieder im Gefängnis, wurde jedoch auf Wunsch der Fakultät Ende November entlassen. Nach der Abwendung des Königs von der Reformation infolge der Plakat-Affäre wurde Le Picart bereits im Februar 1535 zum Doktorat zugelassen und erhielt 1536 einen der in der Fakultätsreform vorgesehenen Lehrstühle für die Heilige Schrift. Als geschätzter Prediger war er ein wirksamer Gegner der Reformation, der auch die ersten Jesuiten beeindruckt hat. Das Parlament berief ihn in eine Kommission von Doktoren zur Untersuchung «heimlicher


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venerunt literae 26 , quae diximus, adstruentes fere omnia. «Fere» dico; nam 35 omiserunt de Carmelitae 27 rebus alioqui cognitissimis.

Ex Anglia sunt haec: Patriarcha 28 papam excommunicavit, et Londini per ludum crematae sunt imagines octo cardinalium cum scortis suis 29 .

Praeterea hoc die ad me venit per certum nun-||133v. cium Ruffum 30 , qui hactenus detentus fuit, liberatum sententia. Bedam esse captum 31 . Ante dies 40 aliquot combustum, qui propter evangelium ante menses quindecim in carcerem ductus erat Gebennensis patria 32 . Cur nunc demum condemnatus sit, ignoro. De his satis.

De captivis 33 tuis cupio scire, quis finis. De senatu incumbe pro virili 34 .

Vale cum Utingero tuisque omnibus.

45 Basileae, octava aprilis anno 34.

O. Myconius tuus.

[Adresse darunter:] Domino Heinricho Bullingero pientissimo, amico et fratri in domino suo. T[iguru]m c .

c Loch im Papier infolge abgerissenen Siegels.
Häresien»; 1545/46 wirkte er bei wichtigen Ketzerprozessen und Hinrichtungen mit. Im Namen der Universität Paris begrüßte er 1547 den neuen König Heinrich II. Er starb in Reims. - Lit.: Corr. des réformateurs III 55f, Anm. 14. 20 und 162f, Anm. 13. 15; Bourrilly/Weiss 198. 204; Farge, Paris Doctors 262-266.
26 Nicht erhalten, vgl. auch Anm. 5.
27 Vgl. Anm. 12.
28 Thomas Cranmer, 1489-1556, Erzbischof von Canterbury.
29 Zum Beginn der Reformation in England s. u. a. Martin Schmidt, in: RGG II 475f.
30 Gérard Roussel, um 1480?-1550, aus Vacquerie bei Amiens, einer der bekanntesten Vorläufer der Reformation in Frankreich. Um 1512 lehrte er bereits als «régent» am Collège de Cardinal Lemoine in Paris (s. Farge, Paris Doctors 89) und gehörte 1520 zu den treusten Mitarbeitern des Faber Stapulensis. Wegen Bedrohung durch die Theologen der Sorbonne zog er sich nach Meaux zurück, wo ihm der reformfreudige Bischof Guillaume Briçonnet eine Pfarrstelle und bald auch ein Kanonikat verschaffte; seine Predigt rief aber den heftigen Widerstand der Mönche hervor. 1525 mußte er nach Straßburg fliehen, kehrte jedoch 1526 nach Paris zurück. In der Fastenzeit predigte er im Louvre in evangelischem Sinne, bis er auf Betreiben der Sorbonne verhaftet wurde. Dank der
Unterstützung durch Königin Margareta von Navarra erlangte er, nach einer Zeit des Predigtverbotes, seine Freiheit zurück. 1536 wurde er Bischof von Oléron, wo er manche Reformen in das Kirchen- und Schulwesen einführte, den konfessionellen Frieden jedoch immer vor Augen behielt und einen Bruch mit Rom vermied. In Mauléon von einem Fanatiker niedergeschlagen, starb er auf dem Heimweg nach Oléron. - Lit.: Charles Schmidt, Gérard Roussel, prédicateur de la reine Marguerite de Navarre, Strasbourg 1845; Bourrilly/Weiss 193-209. 228; Armand Lods, in: La grande encyclopédie, Bd. XXVIII, Paris o. D., S. 1073; Hans Rudolf Guggisberg, in: RGG V 1203f.
31 Bédas Schicksal war um diese Zeit sehr wechselvoll: im Frühjahr 1534 verhaftet, war er am 21. November noch in Gefangenschaft und wurde am 31. Januar 1535 degradiert, 1536 jedoch wieder frei, um danach wahrscheinlich wieder verbannt zu werden, s. oben S. 74, Anm. 10; vgl. Corr. des réformateurs III 162, Anm. 15.
32 Bei diesem Genfer Märtyrer handelte es sich wahrscheinlich um den Chirurgen Magister Jean Pointet aus Menthon bei Genf, s. Corr. des réformateurs III 162, Anm. 16; vgl. Bourrilly/Weiss 227.
33 Hans Leemann und Jakob Graf, s. oben S. 101, Anm. 20 und unten S. 126f, 2-20.
34 Nämlich: für die Wiedereinsetzung eines geheimen Rates, s. oben Nr. 331 und 343.