[2769]
Autograph: Zürich StA, E II 370, 49 (Siegelspur) Ungedruckt
[1] Wann wird Bullinger sein Schweigen brechen? Und warum muss Haller ausgerechnet in dieser katastrophalen Lage schon einen Monat lang auf Bullingers Rat warten? Die in Augsburg angestellten Zürcher Pfarrer [Haller, Lorenz Meyer; Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer LA.]werden ihren Weggang nur noch einige Tage aufschieben können. —[2]Anton Fugger hat bei Kaiser Karl V. einen Frieden erwirkt, doch unter derartigen Bedingungen, dass deren Annahme durch den Augsburger Rat überraschend ist. Zwar sollen Religion und Freiheit unangetastet bleiben, jedoch unter Auferlegung einer hohen Geldstrafe, der Aufnahme von kaiserlichen Besatzungstruppen in der Stadt (um einen Aufstand der Bürger zu verhindern) und der Auslieferung von Sebastian Schertlin und Bernardino Ochino. Und doch beschloss der Augsburger Große Rat, den Frieden anzunehmen! Das haben die Kaufleute, Steuereinnehmer und dergleichen Nichtsnutze angerichtet. Ihnen ist ein schändlicher Frieden lieber als eine riskante Freiheit und als das Kreuz Christi! Das einfache Volk ist empört. Ein Aufstand ist zu befürchten. Demnach müssen sich die Augsburger Pfarrer auch vorsichtiger äußern. Zwar hatten sie und Georg Frölich die Kaufleute zur Standhaftigkeit ermahnt, allerdings vergebens. Um dem Kaiser den Fußfall zu leisten, werden heute vier Gesandte [Marx Pfister, Konrad Maier; Sebastian Seitz und Jörg Hopfer] abgeordnet. — [3] Haller hat dies schon längst kommen sehen. Seltsam, dass Bullinger nichts schreibt! Er möge doch beim Zürcher Rat die rasche Rückberufung der Zürcher Pfarrer erwirken, da diese sich keinesfalls dem Vorkämpfer des Antichristen [Papst Paul III.]unterwerfen wollen. Zudem kann man sich gut vorstellen, was die Spanier in der Stadt treiben werden! —[4] Bernardino Ochino wird aus Augsburg fortgeschickt. Anscheinend soll auch Sebastian Schertlin die Stadt verlassen. Dieser drohte aber mit einem bewaffneten Aufstand seiner ihm verbliebenen 2'500 Kriegsknechte und der Bauern [aus der Umgebung]: Man werde überall von ihm hören! Eile ist also geboten, ehe die Straßen gesperrt werden und die Spanier kommen. Lieber von selbst den Abschied einreichen! Die Zürcher Pfarrer hoffen, dabei weder Bullinger noch dem Zürcher Rat einen schlechten Dienst zu erweisen. Haller weiß wohl, dass es nicht einfach sein wird, den Weggang aus Augsburg durchzusetzen, zumal die Augsburger Obrigkeit ein Gerede im Volk vermeiden will. Eine Genehmigung der Zürcher würde es den Zürcher Pfarrern schon leichter machen. Doch auch ohne eine solche will Haller lieber mit Frau [Elsbeth, geb. Kambli]und Kindern [Agnes und Johannes] ins Exil gehen, als sich unterwerfen! Bestimmt werden auch andere Prädikanten weggehen. Sie warten aber auf die Abreise der Zürcher (die am ehesten Grund dazu haben), um dann auch die Stadt verlassen zu können. —[5]Gruß. in Eile. Haller bittet um Nachsicht. Er ist so beunruhigt, dass er nicht weiß, was er schreiben und tun soll.
S. Quis tandem silentii tui erit finis, observande pater? Cur ita in his turbulentissimis
rebus tuis usque destituor et literis et consiliis? Equidem integro
iam, quid nobis sit agendum, mense abs te consilium expecto. 1 Eo
autem res devenere, ut, nisi intra paucos dies tuas et dominorum Tigurinorum
accipiamus non possimus ultra abitum ab Augusta differre.Briefe_Vol_19-188 arpa
Fuggerus 3 pacem apud caesarem 4 impetravit, sed talem, qualem ego nunquam credidissem senatum nostrum recepturum! Promisit quidem salvam religionem et libertatem, sed petit interim pecuniae mulctam numerosissimam. Vult etiam aliquot suorum militum cohortes sive vexilla ad praesidium urbis, ne tumultuent cives, imponere. Petiit Schertlinum 5 et Bernhardinum 6 sibi tradi. Nostri habito senatu magno a concluserunt se inituros pacem, quibuscunque tandem possint conditionibus. 7 Hoc effecerunt nebulones illi monopolae 8 , publicani, etc., qui inhonestam potius volunt habere pacem quam periculosam libertatem, quam crucem tollere velint Christi. Tantam nunquam vidi perfidiam! Reclamat vulgus. Metuenda seditio, unde etiam nobis parcius hac de re dicendum est. 9 Monuimus eos 10 fideliter, nominatim perstringentes negotium, sed nequicquam. Laboravit etiam d. Laetus 11 , ne deficerent, sed frustra. Dimittuntur hodie 4 legati 12 , qui supplices procidant ad pedes caesaris veniam petentes seseque dedentes.
Haec, cum iampridem futura vidissem, scripsi. 13 Tu tamen nihil adhuc (quod satis mirari non possum) b respondes. Rogo ergo denuo, 14 efficias apud senatum, ut sine ulla mora revocemur. Nolumus enim nos subiicere impio huic antichristi 15 propugnatori 16 . Quid futurum sit Hispanis in urbem venientibus, consideres ipse. Scis, quid quaerant. Intromissuri enim sunt eos; hoc aperte concluserunt.
Bernardinum alio dimittent. 17 Audio etiam iam Schertlinum relegatum in 18 , sed non satis compertum hoc. ||49v. Ich weiß aber, das er tröwt 19 hatt: Müß er darfon, well er sine knecht, deren er bis in 2'500 noch bi imm hatt,
Briefe_Vol_19-189 | arpa |
---|
und alle puren an sich hencken c20 , und ein selchen lerman anheben 21 imm land, das jederman von imm sagen müß. Dorumb ists amm zyt. Ich bsorg, wir werdind verkürtzt, 22 das die straßen verlegt 23 werdindt. So wellend wir der Spanger 24 nitt warten. Ee 25 selbst urlob 26 nemmen, hoffende, wir thüyind 27 daran weder üch nach 28 minen herren ein undienst 29 , wiewol ich weiß, das ich mitt großer marter 30 mich usrißen 31 müß. Dann si mich ungern werdend laßen von wegen deß gmeinen mans, und das si nitt das wort habind, 32 das die predicanten von inn ziehend. Dorumb welt ich gern, das man uns schribe, das ich dest beßer füg 33 hett. So man uns aber nitt schript, wil ich ee mitt wyb 34 und kind 35 ins eilend gan, wohin mich gott fart, dann ich mich dahin begeben 36 well. Es werdend uch ander predicanten uf sin 37 , die all uff uns sehend, diewyl wir besser ursach hin zü faren 38 habend dann si.
Vale. In yl. Ignosce. Tam sum perturbatus et dubius, ut quid scribam, quid agam, nesciam. Augustae, 25. ianuarii 1547.
I. Hallerus tuus.
[Adresse darunter:1 Clarissimo viro d. m. Heinrycho Bullingero, domino suo observando. Zürich m. Heinrych Bullinger. 39