[2759]
Autograph: Zürich StA, E II 370, 47f (Siegelspur) Ungedruckt
[1]Haller leidet darunter, dass er keine Antwort von Bullinger erhält, zumal er wegen seiner
bedrängten Lage so sehr auf dessen Rat wartet. Vielleicht werden ihre Briefe abgefangen. Er
schrieb am 26. [richtig: 27.]Dezember 1546 [HBBW XVIII, Nr. 2726]sowie am 7. [Nr. 2744]
und wohl auch am 9. Januar [nicht erhalten]. —[2]inzwischen sind seine Befürchtungen wahr
geworden. infolge der Versprechungen von Anton Fugger hat sich der Augsburger Große Rat
am 15. Januar zu einer Verständigung mit Kaiser Karl V. bereit erklärt, unter der Bedingung,
dass Religion und Freiheit unangetastet bleiben. Tags darauf ordnete der Rat Gesandte (unter
ihnen Fugger) zum Kaiser ab. Viele Augsburger aus dem einfachen Volk, die zu Beginn dagegen
waren, wurden von den schönfärberischen Begründungen des Rats betört. Dieser merkt
nicht, dass er dadurch seine Verbündeten verrät und sich dabei dem Vorkämpfer [Karl V.]des
[päpstlichen]Antichristen unterwirft, wobei er genau weiß, dass der Kaiser bei den bisherigen
Friedensschlüssen stets betont hat, dass die mit ihm versöhnten Städte ihre Religion nur
solange ausüben dürften, bis das allgemeine Konzil über die umstrittenen Religionsfragen
befunden hat. Da aber das Konzil bereits in Trient tagt, wird solch ein Frieden kurzfristig sein!
—[3] Ein solcher Frieden bedeutet die Preisgabe des ewigen Heils und den Verzicht auf die
Verkündigung des Evangeliums. Alle aber fürchten um ihr materielles Wohl und um den Verlust
ihres Besitzes in den kaiserlichen Ländereien. Sie wollen nicht für Christus leiden. Manche
einflussreichen Augsburger, darunter (einem Bericht von Georg Frölich zufolge) sogar ein
bisher standhafter Bürgermeister [Jakob Herbrot?], sagen offen, dass sie ihre Angehörigen
nicht wegen der Fürsten [Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen] und der
Prediger an den Bettelstab bringen wollen! Sie versichern dem Volk und den Pfarrern, dass sie
weiterhin das Evangelium schützen würden, merken aber nicht, dass der Kaiser dieses bekämpft!
Sie sind verblendet, zumal sie doch wissen, warum der Krieg unternommen wurde,
nämlich nicht gegen einige ungehorsame Fürsten, wie der Kaiser es behauptet, sondern zur
Auslöschung der lutherischen Sekte, wie dies der apostolische Gesandte [Girolamo Franco]
auf dem Tag zu Baden [vom 9. August 1546]verriet! Um sein Vorhaben am besten umsetzen zu
können, spielt der Kaiser die Verbündeten gegeneinander aus. Sobald er sich ihrer bemächtigt
haben wird, wird das Konzil die Exkommunikation der Protestanten beantragen und den
Kaiser mit der Umsetzung des Beschlusses beauftragen. Deshalb ist es klar, dass diejenigen,
die eine Unterwerfung unter den Sohn des Antichristen befürworten, völlig bezirzt sind!
—[4]Die Augsburger Pfarrer haben die Befürworter eines Friedens mit dem Kaiser beizeiten
und freimütig gewarnt. Als diese an eine Aussöhnung zu denken begannen, baten sie die
Pfarrer, nicht so heftig zu sein, da sie nichts gegen die Religion und die Freiheit des Vaterlandes
unternehmen würden. Jetzt, wo sie sich zu diesem Frieden entschlossen haben, verbieten
sie allen Pfarrern, in der Öffentlichkeit oder privat gegen den Frieden zu sprechen, um
keinen Aufruhr auszulösen! —[5] Die Zürcher Pfarrer in Augsburg [Haller, Lorenz Meyer,
Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer d.Ä.] antworteten den Befürwortern eines Friedens
einstimmig, dass sie niemals etwas gegen einen ehrenhaften und gottgefälligen Frieden eingewendet
haben noch je einwenden würden. Doch angesichts der veränderten Lage sähen sie
sich aus Glaubens- und Gewissensgründen dazu genötigt, ihre Obrigkeit in Zürich zu informieren.
Und da sie von dieser entsandt wurden, werden sie auch deren Anweisungen befolgen.
Georg Frölich hatte ihnen zu dieser Antwort geraten. Daraufhin legten sie brieflich [am 18.
Januar 1547] dem Zürcher Rat und den Bürgermeistern Johannes Haab und Hans Rudolf
Lavater die Gründe dar, weshalb sie nicht länger in Augsburg bleiben können und ihre Rückberufung
befürworten. — [6] Haller verlässt nur ungern die Augsburger Kirche. Es ist ihmBriefe_Vol_19-148 arpa
jedoch nicht möglich, einer Kirche zu dienen, die sich der Kirche des Antichristen unterwirft.
Wolfgang Musculus wird ebenfalls fortgehen, sobald er mehr über die Friedensbedingungen
erfahren hat. Frölich rät den Zürcher Pfarrern, Augsburg frühzeitig genug zu verlassen, da er
genau wisse, dass die Friedensbefürworter sich keiner der vom Kaiser gestellten Bedingungen
widersetzen würden. — [7] Frölich hat ebenfalls vor, Augsburg zu verlassen. Er konnte aber
noch nicht seine Freistellung erwirken. Er bat Haller, ihn Bullinger zu empfehlen und diesen
zu informieren (wovon er niemandem außer Haller erzählte), dass er an den Verhandlungen
mit dem Kaiser nicht beteiligt ist. Die Stadtobrigkeit hat einen [...] der Hauptsekretäre dafür
herangezogen und diesem Schweigepflicht auferlegt. Man kann sich gut vorstellen, was da
ausgebrütet wird! Frölich versucht derzeit, sein bei einer Gesellschaft angelegtes Geld zurückzuerhalten.
Er plant, nach Zürich oder Konstanz zu gehen. —[8] Haller weiß nicht, was aus
ihm werden soll, wenn Frölich, sein Förderer, nicht mehr da sein wird. Eigentlich wünscht er
gar nicht, Augsburg zu verlassen, muss es aber, weil die dortige Bevölkerung nicht bei Christus
und beim christlichen [schmalkaldischen] Bündnis bleibt. Als Helvetier kann er sich nicht
dem Kaiser, als Christ nicht dem Antichristen und als freier Mann nicht der Knechtschaft
unterstellen, gemäß Christi Worten "Hütet euch vor den Menschen!" [Mt 10, 17].
— [9] Daher möge doch Bullinger bei den Zürcher Ratsherren seine Rückberufung und die
seiner Zürcher Kollegen bewirken! Diese sind nach wie vor bereit, Christi Kirche zu dienen.
Sie meiden nicht das Kreuz, sondern diejenigen, die es nicht tragen wollen, mit dem Antichristen
paktieren und die christliche Gemeinschaft verlassen. Auch andere Augsburger
durchschauen die Lage und werden die Stadt verlassen. —[10] Hans Welser und Jakob Herbrot
wurden wieder als Bürgermeister gewählt; sie unterscheiden sich aber sehr in ihrem
Verhältnis zu Gott und dem Mammon! — [11] Der türkische Sultan Suleiman soll in großer
Rüstung stehen. Auch heißt es, dass bei der durch die Franzosen erfolgten Eroberung Genuas,
der Hauptstadt Liguriens, der Stadthauptmann Andrea Doria getötet worden sei. — [12] Vor
etwa drei oder vier Monaten kam der Savoyer Claude [d'Aliod] (genannt Hydroander) nach
Augsburg und verbreitete heimlich seine ketzerische arianische Lehre. Er verriet sich, indem
er dem Rat eine Schrift überreichte, in der er sich als Prophet des ungeteilten Gottes ausgab
und versicherte, dass die Augsburger mit seiner Lehre über alle Feinde und Sekten siegen, ja
sogar auch Juden und Mohammedaner zum wahren Glauben führen könnten. Die Augsburger
Pfarrer luden diesen Lästerer Christi und des Heiligen Geistes vor, verhörten ihn und zeigten
ihn dem Rat an, der ihm befahl, die Stadt umgehend zu verlassen. Da er dem Befehl nicht
nachkam, wurde er mit einigen seiner Anhänger inhaftiert. — [13] Ansonsten gibt es nichts
mitzuteilen. —[14]Bullinger möge bald antworten und sich beim Zürcher Rat dafür einsetzen,
dass dieser den in Augsburg wirkenden Zürcher Pfarrern (und nicht nur dem Augsburger Rat)
baldmöglichst zurückschreibt. Haller weiß, dass Letzterer die Zürcher nicht gerne gehen lassen
wird, weil er das Gerede des Volks fürchtet. Dies wird aber die Zürcher Pfarrer keineswegs
davon abhalten, Augsburg zu verlassen, falls ihre Behörden sie abrufen. — [15] Gruß,
auch an Anna [geb. Adlischwyler] und an die Kinder. Grüße auch von Bernardino Ochino, der
sich in diesen Wirren Bullinger empfiehlt und um dessen Rat bittet. Bullinger möchte ferner
Hallers flüchtige Schrift entschuldigen!
S. Quod nihil rescribis ad tot meas literas, dilectissime pater, et nihil consulis
in tam urgentibus necessitatibus, non tam miror quam doleo. Metuo
enim, ne intercipiantur literae. Scripsi 26. decembris 1 prions anni, 7, 2 et, nisi
fallor, etiam 9. ianuarii, 3 quibus omnibus insto, ut consulas, quid in praesenti
rerum statu sit agendum.Briefe_Vol_19-149 arpa
Sed dum tu differs, eo devenit res, sicut in tempore olfecimus, 4 quod senatus noster nuper magnus, ut vocant, collectus Fugckeri 5 pollicitationibus unanimiter decreverit se pacturos esse cum caesare 6 , si saltem salvam ab eo possint impetrare religionem et libertatem. Actum 15. ianuarii. 7 Crastina mox legatos dimisere (inter quos et ipsum Fugckerum) a8 ad caesarem supplices, ut clementer eos recipiat pacemque promittat. Quae res, quamvis plurimis ex civibus, maxime plebi, fuerit ab initio adversa valde, tamen tam coloratis adducuntur omnes argumentis, ut non videant, quanta perfidia relinquant alios suos confoederatos; quam impie se antichristi 9 subiiciant propugnatori 10 . quod ei, cuius perfidiam iam omnes in tectis 11 decantarunt, nunc habeant fidem, cum tamen sciant etiam aliarum urbium nullam esse a caesare receptam, nisi illo appendice, quod usque ad generale concilium in religione nihil sit tentaturus. 12 Quod, cum iam Tridenti sit congregatum, 13 facile est videre, quamdiu habituri simus pacem.
Ideo luce clarius est sub hac pace nos amittere pacem aeternam 14 et salutiferam huius pacis annunciationem 15 . Lucri bonus odor 16 dementat omnes. Verentur, ne eorum bona, quae in caesaris habent ditione, confiscentur ipsique propter Christum pati cogantur. Dicunt etiam quidam viri magni aperte se nolle propter principes hos 17 atque etiam concionatores suos mendicitati se suosque exponere; quam vocem a consule 18 , qui tamen hactenus fortem se praebuit, se audisse libere dicit d. Laetus 19 . Videmus ergo, qualis futura sit rei catastrophe. 20 Promittunt plebi multa ut et nobis; quanta constantia evangelium sint conservaturi et defensuri, quandocunque caesar hoc eis eripere sit conaturus; et stupidi homines non vident eum nunc nunc 21
Briefe_Vol_19-150 | arpa |
---|
nihil aliud agere! Sciunt, quid moliatur, quare susceptum bellum et quod ab initio statim huius belli ||47v. alias praetexuit causas se bellum movere tantum contra principes inobedientes, cum tamen pontificius legatus 22 Badenae aperte prodiderit ad extirpandam sectam Lutheranam esse susceptum. 23 Quomodo potest commodiore via evellere luxuriantem illam evangelii segetem, 24 quam si in partes distrahat confoederatos? Singulis deinde sibi subiectis pro suo arbitrio, uti vult, uti potest. Quare, obsecro, Tridentinum concilium ita arcum intendit, nisi ut nobis subiectis statim eiaculetur decretum excommunicationis caesarique exequutionem commendet? Quocirca video eos in sensum praeposterum datos 25 esse, qui iam suadent ecclesiae consultum esse, si se antichristi subiiciat filio.
Monuimus 26 summa constantia et libero ore eos in tempore, ita ut vocarint nos aliquando, cum negotium hoc primo ab ipsis conciperetur, rogantes, ne tam vehementes essemus b (quasi male de eis suspicaremur b )27 ; ipsos nihil prorsus acturos, quod contra religionem, salutem et libertatem patriae faceret. Sed iam, postquam parturierunt montes 28 illi et in lucem prodierit consilium eorum 29 , iam apertius etiam nobis interdixerunt omnibus, ne quid vel publice vel privatim contra pacem loquamur, ne forte seditionis spargamus semina.
Nos Tigurini 30 uno ore respondimus nos nec contra pacem, quae cum deo et honestate consistere possit, locuturos nec unquam locutos esse. Sed quoniam praesentem rerum videamus mutationem, nos adigi necessitate fidei et conscientiae, ut dominis hoc nostris Tigurinis significemus, penes quos vocatio nostra consistat. Quicquid illi nobis praeceperint et consuluerint, nos facturos. Suggessit consilium hoc d. Laetus. Scribimus itaque dominis consulibus 31 et senatui, 32 exponimus praecipuas causas, propter quas nec nobis nec ecclesiae consultum erit, ut diutius hic haereamus. Petimus revocari.
Invitus relinquo ecclesiam, sed in hac ecclesia servire non possum, quae se antichristi subiicit ecclesiae, maxime cum sciam, quanta pericula hinc
Briefe_Vol_19-151 | arpa |
---|
nobis omnibus immineant. Musculus 33 etiam ipse abiturus est, quamprimum audierit pacis conditiones. Suasit d. Laetus, ut in tempore nobis prospiceremus. Se enim scire, quod nullas sint recusaturi qualescunque conditiones, quas eis praescripserit caesar.
Parat et ipse ||48r. abitum. 34 Hodie discessurus erat, sed veniam nondum a dominis 35 petitam impetrare potuit. Rogavit is me anxie, ut suum tibi commendem negotium. lussit etiam, ut tibi scriberem (quod tamen soli mihi aperuit), quod totum hoc negotium de pace ineunda cum caesare se clam 36 sit c factum et dominos quendam alium 37 ex protoscribis 38 huic adhibuisse rei eumque sacramento astrinxisse, ne Laeto vel aliis de hac re quicquam dicat. Qualis ergo lateat in hac anguis herba, 39 facile aestimare licet. Petiit veniam 40 , sed nondum impetravit. Scio autem eum non mansurum. Hoc quaerit, quomodo facultates suas, quas penes sodalitia usuraria habet, possit salvas recuperare. Tigurum petet vel Constantiam. 41
Eo amisso Mecoenate 42 ego quomodo manerem? Mansissem utique nec unquam abire desyderavi, dum unanimes cum Christo et christianorum foedere stare voluerunt 43 . Sed postquam perfide deficiunt a confoederatis 44 , quibus aliquando dignas dabunt poenas, cum sim Helvetius, nolo me caesari, cum christianus, non possum me antichristo, cum sim liber, servituti subiicere. Sequar Christum, qui dicit: "Cavete ab hominibus"45 .
Proinde, praestantissime vir, rogo tuam excellentiam, ut negotium hoc nostrum apud amplissimum Tigurinae urbis senatum urgeas, ut revocemur. Parati erimus, sicut prius sic etiam in posterum, domino et ecclesiae, quantum dederit nobis dominus de spiritu suo, servire. Crucem non fugimus, sed eos, qui propter Christum crucem ferre nolunt. Fideles non relinquimus, sed perfidos; non christianos, sed antichristo se subiicientes relicto christianorum consortio et societate. Causa est honesta et sancta. Dummodo ne vos nobis deesse velitis! Non soli hoc facimus. Discedent et alii cives plurimi, quotquot sentiunt dolum, qui subest.
Welser et Herbrotus iterum in consulatum lecti. 46 Non possunt deo servire simul et mammonae. 47 Haec causa eos tam reddit varios.
Turcam 48 in maximo aiunt esse apparatu. Ferunt etiam Genuam, Liguriae metropolim, a Gallis esse captam caeso eius urbis gubernatore Andre Doria. 49
Briefe_Vol_19-152 | arpa |
---|
Venit ante 3 forte vel 4 menses Augustam Claudius ille greek Sabaudus 50 et clam habuit suos auditores. Arianam haeresim in multos seminavit. Tandem prodidit se ipsum scriptum offerens senatui, quo dicit se esse prophetam altissimi indivisi dei, missum ad hanc urbem, ut sua eam servet doctrina; quam si recipiant, sint superaturi omnes hostes, omnesque sectas, etiam Iudaeos et Mahumetanos ita ad fidei veritatem reduci posse, hocque per ipsum effecturum deum. ||48v. Nos hominem, non tam stultum quam blasphemum in dominum lesum et spiritum sanctum, vocavimus, audivimus. Audita dominis indicavimus, qui eum statim discedere iusserunt, sed illo nihilominus manente ipsum cum quibusdam suis auditoribus et sectatoribus 51 in vincula coniecerunt.
Praeterea non habeo quicquam, quod scribere referat d .
Commendo me tibi, mi pater. Rescribe, quaeso, mox et effice apud senatum, ut etiam nobis scribant (non modo dominis 52 ) e . Scio enim eos non libenter nos dimissuros, non propter amorem nostri, sed propter clamorem vulgi. 53 Sed si nos revocemur, eorum non movebunt nos vel dulcia vel aspera verba.
Vale cum uxore 54 et liberis charissimis 55 . Saluta dominos patres et fratres universos et singulos. Salutant vos fratres nostri, Bernhardinus 56 etiam, qui se tibi quoque commendat in his turbis; petit a te consilium. Augustae Vindelicorum festinanter, ut ex lituris apparet. Ignosce, quaeso. 19. ianuarii 1547.
Tui studiosissimus Ioannes
Hallerus.
[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, domino et patri suo charissimo. Zürich. M. Heinrych Bullinger.