Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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[Johannes Zwick] an
Bullinger
[Konstanz,
Mitte August 1534]

Autograph: Zürich StA, E II 346, 95r.-96v. (Siegelspur) Teildruck: Blarer BW I 515f, Anm. 1

Teilt für Bullinger allein Besonderes aus Ambrosius [Blarers]Brief an den Herzog [Ulrich][und einem Brief Blarers an Zwick] mit: 1. Blarers Befremden über [Erhard]Schnepfs Schroffheit, der ihm, weil Konstanz das Augsburgische Bekenntnis unterzeichnet habe und vom Kurfürsten [Johann von Sachsen] in den [Schmalkaldischen]Bund aufgenommen worden sei, nicht ein fleischliches, schrift widriges Abendmahlsverständnis aufdrängen dürfe. 2. Blarers einfaches Abendmahlsbekenntnis. 3. Seine Mahnung, in Württemberg das Gleiche wie in den umliegenden Städten lehren zu lassen zur Vermeidung von Zerrüttung und um genügend Pfarrer zu finden. [4.] Seine Bitte um Privataudienz, in welcher er dann die [Marburger Formel von 1529]als Grundlage einer Übereinkunft vorschlug. Schnepf nahm sie zu [Ulrichs] Freude an. [Württemberger oder Stuttgarter Konkordie]. [5.]Blarers Klage über die Hofleute und die Verzögerung seiner Berufung durch den Kanzler [Johannes Knoder]. [6.]Herzog [Ulrich]sei Melanchthon nicht gewogen wegen seiner Verunglimpfung in der Sprichwörtersammlung des [Johann Agricola] von Eisleben. Aus andern Nachrichten erwähnt Zwick [Leonhard]Ecks Aufenthalt in Stuttgart, die reichsrechtliche Selbständigkeit des Herzogs [Ulrich], Gerüchte von Berufungen [Andreas]Osianders und Philipp [Melanchthons]nach Tübingen, weil die Basler [Simon]Grynäus nicht ziehen lassen wollen. Bittet um Rat, wie man mit einem Arianer [Claude d'Aliod]handeln soll, und um Ausleihung von Pellikans Repertorium, falls es [Gregor]Mangolt nicht abschreibe.

1 Bis Blarers Berichte (Anm. 2) von der Württemberger Konkordie vom 2. August 1534 (Anm. 47) und vom Stuttgarter Besuch Leonhard Ecks vom 3. bis 5. August (Anm. 61) in Konstanz eintrafen, wird man einige Tage dazu rechnen müssen. Während Jakob Sturm über die Konkordie durch einen Eilkurier des Herzogs orientiert wurde (vgl. Blarer BW I 517 und unten S. 311, Anm. 17) und dadurch Bucer schon am 5. August reagieren konnte (Blarer BW I 517-519; PC II 219-223) und Jakob Otter in Esslingen am 6. August davon wußte (Blarer BW I 519f; Köhler, ZL II 339f), berichtete Thomas Blarer erst am 10. August darüber in die Schweiz (an Grynäus, Blarer BW I 520f). Zwick, der gegen Mitte August von Zürich nach Konstanz zurückgekehrt
war, wird Bullinger sofort orientiert haben, wahrscheinlich vor, kaum erst am gleichen Tag wie Georg Wimpfer, dem er am 17. August schrieb (s. oben S. 246f, Anm. 10). Bullinger wollte am 15. August in einem nicht mehr erhaltenen Brief von Blarer selbst Genaueres wissen (s. unten S. 386, 45-48), ob veranlaßt durch Zwicks Brief oder eher durch Gerüchte vor dessen Empfang, ist nicht mehr feststellbar. Haller wußte am 21. August viele Details (s. unten S. 387, 27-42). Bullinger gab die Nachrichten erst am 27. August an Vadian weiter (unten Nr. 429), der seinerseits von Zwick wegen umlaufenden Gerüchten am 23. August (Vadian BW V 182-184) ganz kurz orientiert worden war. - Auf die Zeit ungefähr eine Woche vor dem 23. August verweist auch die


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Lieber Maister Hainrich. Ich mus uch nebend der epistel 2 , die ir och anderen zaigen mögend, etwas bsünders und aigens zuschriben; doch lassends by uch beliben 3 ; dann wie mengerlay gen Zurch gschriben würt, also würt och mengerlay von Zurch schriben. So ist sünst das spruchwort gwiss: Silentium tutum praemium 4 . Noch 5 mag ich uchs nit verschwigen. Wann irs glesen hond, so zerrisend 6 den brieff, und was ir glich wol aim guten frund sagen weltend, so denckend 7 doch mines namens nit. Und mit dem geding 8 so wissend, das M. Am[brosius]9 ille noster dem fursten 10 ain brieff 11 zugschikt hat, als er schon gen Stutgarden komen 12 , und gar ernstlich darin gegen im ghandlet 13 des sacrament halb.

1. Erstlich, das in doch gantz befrombde, das in der Schnepff 14 so gantz

Frage, wie ein «Arianer» zu behandeln sei (unten Z. 76-80 und Anm. 74). Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 36, 79) setzt diesen Brief vor Zwicks Badeaufenthalt (dazu s. oben S. 246f, Anm. 10).
2 Vermutlich eine nicht mehr erhaltene Neue Zeitung, in welcher Zwick wichtige Nachrichten zusammengefaßt hat; kaum eine Abschrift von Blarers Brief an die Brüder Zwick vom frühestens 3. August 1534 (Blarer BW I 514-517), aus welchem Zwick hier zusammenfassend mitteilt (unten Z. 44-62) und zum Teil wörtlich zitiert (unten Z. 50-53. 57f. 61f).
3 bleiben (SI V 5).
4 Entspricht unserm «Schweigen ist Gold», vgl. Adagia 3, 5, 3 (LB II 829 B-C).
5 Dennoch, trotzdem (SI IV 641).
6 zerreißt. Bullinger kam diesem Verlangen nicht nach.
7 gedenkt, erwähnt (SI XIII 649-651).
8 Mit diesem Vorbehalt, unter dieser Bedingung (SI XIII 527f) lasse ich euch wissen.
9 Meister Ambrosius Blarer.
10 Herzog Ulrich von Württemberg.
11 Nicht erhalten. Blarer schrieb den Brief nach seiner ersten Unterredung mit Herzog Ulrich (Blarer BW I 514 und folgende Anm.) und sandte Zwick eine Abschrift (ebenda 515f), aus der dieser im folgenden (Z. 11-43) zusammenfassend und erläuternd mitteilt.
12 Blarer kam wahrscheinlich am 30. Juli 1534 in Stuttgart an, wie Traugott Schieß, Blarer BW I, Einleitung S. XXVII und Brecht, Blarer in Schwaben 155 annehmen und wie sich zurückrechnen läßt: Sein Brief an Ulrich führte zum zweiten Kolloquium am 2. August (unten Anm. 40); «nudiustertius» (Blarer BW I 516) war die erste Unterredung «a prandio» (ebenda 514), also nach dem Morgenessen am 31. Juli. Somit kam Blarer am Vorabend an. Heinrich Hermelink, Geschichte der
Evangelischen Kirche in Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart, Stuttgart und Tübingen 1949, S. 62, gibt ohne Beleg den 25. Juli als Ankunftstag. Vgl. noch unten Anm. 52.
13 ihm (vor ihm, ihm gegenüber, vgl. SI II 141f) seine Meinung dargelegt.
14 Erhard Schnepf (Schnepff), 1495-1558, aus Heilbronn, von 1520 an Reformator und lutherischer Pfarrer in württembergischen und nassauischen Orten, 1527 Theologieprofessor in Marburg. 1534 nach Württemberg berufen (s. unten Anm. 52), reformierte Schnepf von Stuttgart aus das «Land unter der Steig» (nördlich der Stuttgarter Weinsteige), nachdem er sich mit Blarer, der von Tübingen aus «ob der Steig» wirkte, am 2. August in der Abendmahlsfrage auf die vermittelnde Marburger Formel geeinigt hatte (s. unten Anm. 47). Differenzen zwischen den beiden blieben und zeigten sich deutlich in der Bilderfrage auf dem Uracher «Götzentag» 1537. Schnepf verfaßte zusammen mit Johannes Brenz 1536 die erste württembergische Kirchen- und 1537 die Eheordnung. Er nahm an Reichstagen und Religionsgesprächen teil und war oft Begleiter des Herzogs. 1544 wurde er Professor für Altes Testament und Dogmatik und zugleich Pfarrer in Tübingen und Superattendent des Stifts. Im Schmalkaldischen Krieg floh er für kurze Zeit (Januar 1547) zu Blarer nach Konstanz. Durch das Interim aus Tübingen vertrieben, wurde er Professor für Hebräisch in Jena, wo er zunehmend unter den Einfluß der Gnesiolutheraner geriet. - Lit.: Blarer BW I. II. Reg.; Julius Hartmann, Erhard Schnepff, der Reformator in Schwaben, Nassau, Hessen und Thüringen, Tübingen 1870; [Adolf] Brecher, in: ADB XXXII 168-172; Gustav Bossert, in: RE XVII 670-674; Robert Dollinger, in: RGG V 1467.


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grell 15 ersucht 16 habe, diewil doch die unseren der sächsischen confession 17 uff dem richstag zu Ougspurg 18 zughalten 19 und underschriben 20 habind, und der churfurst 21 mit sampt den sinen nit allain der underschribung, sunder och der erlüterung in dem artikel vom sacrament wol zufriden gwesen sye 22 und sich daruff mit den unseren in christenlich verstentnus 23 ingelassen hab. Hette also vermaint 24 , Schnepfius hette in 25 by dem selbigen bliben lassen, welche bekantnus nit anderst lutet, dann das der lib Christi ym nachtmal warhafftiklichen dargeraicht werde etc. 26 Diewil er in aber daby nit hab wellen lassen bliben, sunder yn uff ain vil gröbere und flaischlichere wys und wider die art der schrifft (hec verba sunt illius nostri 27 ), och änlichait des [gloubens]a , desglichen wider [das] furgeben 28 der eltesten, furnemsten lerer der kilchen, ersucht habe, und das ouch wyter dann wir nie syind ersucht worden, achte er, sin f[urstlich]g[nad] hab wol zu ermessen, mit was fugen 29 und christenlichen glimpf 30 sollichs bscheche 31 .

2. Wyter hat er dem f[ursten] in siner schrifft anzaigt, was doch sin bekantnus sye vom sacrament, namlich das die wort Christi war syind, wie sy lütind, das Christus, so er sagt: «Nemend, essend, das ist min lib» etc. 32 , sinen

a [gloubens]fehlt in der Vorlage und wurde ergänzt in Übereinstimmung mit Simlers Kopie, Zürich ZB, Ms S 36, 79, und Blarer BW I 515.
15 heftig, hitzig (vgl. SI II 729).
16 angegriffen, Konzessionen gefordert (vgl. SI VII 218.220f). Schon bei der Begrüßung von Blarer kam Schnepf auf den Gegensatz in der Abendmahlslehre zu sprechen, s. Blarer BW I 514; Brecht, Blarer in Schwaben 156.
17 Die im wesentlichen von Melanchthon ausgearbeitete, 1530 in Augsburg dem Kaiser vorgelegte Confessio Augustana ist erst durch die Unterzeichnung vieler Fürsten und Städte aus einem sächsischen zu einem allgemeinen lutherischen Bekenntnis geworden, vgl. BSLK S. XVII. 136f.
18 Der Augsburger Reichstag wurde am 20. Juni 1530 eröffnet und endete mit dem Reichsabschied vom 19. November 1530.
19 zugestimmt (Grimm XVI 448).
20 Konstanz unterzeichnete die Confessio Augustana und deren Apologie erst im April 1532 auf dem Schweinfurter Tag des Schmalkaldischen Bundes. Der Beschluß dazu war schon am Städtetag in Ulm am 24. März 1532 erfolgt. Man behauptete Übereinstimmung mit der Confessio Tetrapolitana, die man 1530 in Augsburg vorgelegt hatte und die man
beibehielt, vgl. Moeller, Zwick 149f; Brecht, Blarer in Schwaben 149; Winckelmann 185. 189-191.
21 Johann «der Beständige», Kurfürst von Sachsen, gest. am 16. August 1532.
22 Gemeint ist der 18. Artikel «Von dem sacrament des leibs und pluets Christi» der Confessio Tetrapolitana (BucerDS III 123-127), den die Kurfürsten und Fürsten am Tag zu Schweinfurt im April 1532 (vgl. Anm. 20) und schon vorher (wohl in Schmalkalden 1531) als mit ihrer (Augsburger) Konfession «einhellig» (übereinstimmend) anerkannten, s. PC II 113, Bernd Moeller in der Einleitung zu Bucer DS III, S. 24, Anm. 59.
23 Gemeint ist der im März 1531 geschlossene Schmalkaldische Bundesvertrag.
24 gedacht, erwartet, vorausgesetzt (vgl. Grimm XII/1, 852f).
25 ihn, d. h. Ambrosius Blarer.
26 Verkürzte Wiedergabe des X. Artikels des Augsburgischen Bekenntnisses, s. oben Anm. 22 und unten S. 308, Anm. 32.
27 Blarer (in seinem Brief an Herzog Ulrich, s. Anm. 11) wird hier somit von Zwick wörtlich zitiert.
28 Aussage, Lehre (vgl. SI II 90; Grimm IV/I I 732).
29 Recht (SI I 699f).
30 Rücksicht, Nachsicht (SI II 625f).
31 geschehe (SI VIII 439-441).
32 Mt 26, 26 par.


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gleubigen warlich sinen lib zu essen gebe ||95v. zu ainer spis des ewigen lebens 33 , das er in ynen und sy in ym ewigklichen bliben sollen 34 ; daby es billich bliben und usserthalb der ainfaltikait wyter nit sölte furwitzlich 35 disputirt noch flaischlich dancken 36 zugelassen werden. Das ist die summa siner bekantnus gwesen im brieff an den fursten.

3. Zum dritten hat er den fursten gar ernstlich vermanet, das er umsichtig sin welle in dem handel 37 und erwegen, was darus volgen möchte, vorus zu was ergernus und zerrüttung raichen möchte, wo er sin furstenthüm anderst dann by den umligenden stenden und stetten 38 glert und ghalten werd. Item hat er ym anzaigt, wo man uff solliche flaischliche und grobe wys vom sacrament solt glert und geredt werden, das man nit so vil truwer diener des wort gottes finden wurd, als er in sinem land bedörffen werd, sunder müste allerlay her gloffner lüt anstellen 39 etc.

[4.] Uber disse schrifftliche vermanung hat er vom f[ursten] wyter begert, das er in ad privatum colloquium admittiere. Das ist gschechen 40 etc. Da hat er die vorgenden puncten on zwifel ernstlicher gworben. In colloquio hat er in frylich och underricht, wie er mit dem Sch[nepfio] möcht überkomen 41 . Item so er mit im also uberkeme, und er anneme, das och Luther vom Ecolampadio angnomen 42 , das dann er, der f[urst], von ynen baiden die handschrifft

33 Vgl. Joh 6, 27.
34 Vgl. Joh 15, 4f.
35 neugierig, mit vermessener, ungehöriger Wißbegierde (curiositas, Vorwitz) (vgl. Grimm IV/I I 947. XII/2 1953).
36 Gedanken, Denken (SI XIII 607f).
37 in den Auseinandersetzungen um das Bekenntnis bei der Einführung der Reformation in Württemberg.
38 Zum Begriff Stand i. S. v. Staat, Stadt, vgl. SI XI 964-966. Blarer denkt wohl an Konstanz, Ulm, Straßburg, die von ihm reformierten schwäbischen Reichsstädte (bes. Esslingen) und die Eidgenossenschaft, vgl. Werner-Ulrich Deetjen, Studien zur Württembergischen Kirchenordnung Herzog Ulrichs 1534-1550. Das Herzogtum Württemberg im Zeitalter Herzog Ulrichs (1498-1550), die Neuordnung des Kirchengutes und der Klöster (1534-1547), Stuttgart 1981. -Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte 7, S. 16f. 28.
39 Die oberdeutschen und schweizerischen Freunde halfen Blarer bei der Suche nach evangelischen Pfarrern. Schnepf erhielt von seiner, der lutherischen Seite diesbezüglich weniger Unterstützung, vgl. Brecht, Blarer in Schwaben 160-162.
40 Am 2. August. Zu dieser wie auch zur ersten
Unterredung (s. oben Anm. 12) wurde nach einer Weile auch Schnepf zugezogen (Blarer BW I 514. 516). Dieses zweite Gespräch brachte den Durchbruch (s. unten Anm. 47).
41 übereinkommen, sich verständigen (SI III 272).
42 Blarer berief sich hier zweifellos auf die ihm Ende Juli 1534 von Bucer im Blick auf die Konkordienverhandlungen mit Schnepf gesandten «articulos concordiae datos nobis a Lutheranis Marpurgi» (Blarer BW I 513). Diese sind als Vereinbarung zwischen Luther und Oekolampad abgefaßt, und da Luther in einem Gespräch vom 3. Oktober 1529 in Marburg gegenüber Oekolampad zugab, daß Christi Leib nicht localiter im Abendmahl gegenwärtig sei (s. Köhler, ZL II 109-112. 337, Anm. 6), mag Blarer die Formel für ein Zugeständnis Luthers an die Zwinglianer und somit für eine Konkordie geeignet gehalten haben. Erst nachdem diese Marburger Unionsformel von 1529 am 2. August 1534 zur Württemberger (Stuttgarter) Konkordie geworden war (s. unten Z. 49f und S. 293f, 20-29) machte Bucer am 5. August 1534 Blarer darauf aufmerksam, daß Zwingli und Oekolampad diese streng lutherische Formel 1529


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43 erforderte; dann Am[brosiusj waist 44 wol inconstantiam illorum 45 etc. Uss dem verstond ir die epistel 46 am basten. Item, do der Sch[nepf] die bekantnus mit dem Am[brosio] angnomen 47 , hat der furst gsagt: «Das walt gott; es soll ain gute stund sin, daby sols bliben. Es soll, ob gott will, zu vil dingen nutz sin. Ich wais anschleg und pratica, die dadurch gwisslich sollen zu nünten werden, so min land sich mit den stetten verglichen 48 mag» 49 etc.

[5.] Item inter caetera scribit 50 : «In principe nichil desydero, in aulicis multa.» 51 || 96r. Och sind argwön vorhanden, das etlich davor gsin sind, damit Ambro[sius] wol ains monats später ist berüfft worden, dann vom fursten befolchen 52 . «Omnes b etc. Suppressisse quidam putant literas cancellarium 53 , quod princeps postea cognoscens ex bono viro indigne tulit.» 54 - Omnia haec, mi frater, mortuo scripsim c 55 .

[6.] Item, der f[urst] hat sich och hofflich 56 vernemen lassen, das er dem

b In der Vorlage ist omnes in Majuskeln geschrieben.
c Formbildung wie faxim. Blarer BW I 516 setzt in Analogie zu Z. 70 scripserim.
abgelehnt hatten (Blarer BW I 518). Vgl. Köhler, ZL II 113-117. 335-338; Oekolampad BA II 699; BucerDS IV 358f.
43 rechtlich verbindliche Unterschrift (SI IX 1586-1588).
44 weiß, kennt.
45 nämlich vieler lutherischer Theologen.
46 Siehe Anm. 2.
47 Nach mühsamen Verhandlungen erreichten Blarer und Schnepf in Gegenwart von Herzog Ulrich am 2. August 1534 eine Verständigung in der Abendmahlsfrage auf Grund der Marburger Unionsformel vom 3. Oktober 1529 (s. oben Anm. 40. 42), die sogenannte Württemberger oder Stuttgarter Konkordie. Einzelheiten berichtet Blarer in Briefen an Zwick (Blarer BW 1514-517) und Frecht (ebenda 528; unten S. 293f, 14-39). Siehe: Köhler, ZL II 335-337; Ernst Bizer, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1940, Nachdruck: Darmstadt 1962. - Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2. Reihe, Bd. 46, S. 65f; Moeller, Zwick 170; Brecht, Blarer in Schwaben 156.
48 in der Religion, vgl. oben Z. 34-37.
49 Wörtliches Zitat aus dem in Anm. 2 und öfters erwähnten Brief Blarers.
50 Das Folgende (bis Z. 59) enthält Zitate, die wohl dem fehlenden Schluß von Blarers Brief an die Brüder Zwick (vgl. oben Anm.2 und Blarer BW I 517) oder vielleicht einem andern, nicht mehr erhaltenen Schreiben Blarers entnommen worden sind.
51 Blarer fand wenig Rückhalt bei den aus politischen Gründen lutherisch gesinnten Hofleuten, s. Brecht, Blarer in Schwaben x55; Deetjen, aaO (Anm.38) 37. 281f.
52 Der Kanzler verzögerte Blarers Berufung, die Herzog Ulrich fast einen Monat zuvor befohlen hatte, so lange zugunsten jener von Schnepf, daß dieser am 29. Juli, einen Tag vor jenem, in Stuttgart eintreffen konnte, s. Blarer BW I 514; Brecht, Blarer in Schwaben 155; Hartmann, aaO (Anm. 14) 30f; vgl. Anm. 12.
53 Württembergischer Kanzler war von 1534 bis 1550 Dr. jur. Johannes Knoder (Cnoder), um 1492-1565, zuvor Kanzler bei Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard, später unter Herzog Christoph Geheimer Rat, ein Förderer der (lutherischen) Reformation, s. Pfeilsticker I § 1104; Deetjen, aaO (Anm. 38), S. 273f; Gerd Wunder, in: NDB XII 198f.
54 Frei zusammenfassendes Zitat aus Blarers Brief an beide Zwick (Blarer BW I 514), vgl. Anm. 2.
55 Gemeint ist: Das will ich einem wie das Grab Verschwiegenen geschrieben haben.
56 vorsichtig, behutsam, leise (SI II 1037).


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Melanthoni nit als gnedig sye «propter Islebii 57 proverbia 58 , in quibus Philippo autore nonnichil sibi maculae aspersit» 59 .

Item, D. Eck 60 ist dry tag zu Stugarten gwesen 61 , schribt mir ain gut gsell 62 ; hat man yn von hoff gspiset 63 etc.

Item, wissend, das der hertzog das land inhat mero imperio et potentia, das er niemants lehen tragt, dann vom rych 64 . Der künig mus den passion singen 65 , schribt mir ain guter frund 66 . Doch ist im die gnad bschechen, das die fursten verwilliget conditiones pacis in silentio ston 67 , es begebe sich dann, das inen nit welte ghalten werden; sed sigillis et fideiussoribus omnia sunt roborata 68 - . Omnia mortuo scripserim.

57 Johannes Agricola (Schnitter, spöttisch auch: Grickel) von Eisleben (daher: Islebius), 1492/94-1566, Schüler Luthers, wurde 1525 Schulrektor in Eisleben, 1536 Professor in Wittenberg, 1540 Hofprediger in Berlin und Generalsuperintendent von Brandenburg. Er nahm an der Leipziger Disputation 1519 und den Reichstagen von 1526, 1529, 1530, 1541 und 1547/48 teil. Als einziger evangelischer Theologe arbeitete er 1548 am Interim mit. In den antinomistischen Streitigkeiten waren seine engen Freundschaften mit Melanchthon (1527) und Luther (1537) zerbrochen. Dennoch gehörte der ehrgeizige Mann später zu den Gnesiolutheranern. Er dichtete auch Kirchenlieder. - Lit.: Z X 576, Anm. 8, und Reg.; Gustav Hammann, in: NDB I 100f; Walter Delius, in: RGG I 187f; Joachim Rogge, in: TRE II 110-118 (je mit weiterer Lit.).
58 Agricola-Islebius veröffentlichte 1529 seine ersten Sprichwörtersammlungen. In den Erläuterungen stellte er dreimal, davon einmal mit Berufung auf Melanchthon, Herzog Ulrich als einen im Volk allgemein bekannten Tyrannen hin, wofür er später mehrfach Abbitte leisten mußte, vgl. Johannes Agricola, Die Sprichwörtersammlungen, 2 Bde, hg. von Sander L. Gilman, Berlin-New York 1971. -Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts, Bd. I, S. 42. 84f. 228f und im Nachwort des Herausgebers Bd. II, S. 336-349.
59 Zitiert aus Blarers Brief an beide Zwick (Blarer BW I 516), vgl. oben Anm. 2.
60 Dr. iur. Leonhard Eck (1480-1550), seit 1513 der alles beherrschende Rat (aber de iure nie Kanzler, auch wenn er oft als solcher bezeichnet wurde) Herzog Wilhelms IV. von Bayern und seit 1525 auch von dessen Bruder Ludwig. - Lit.: Leonhard Lenk, in: NDB IV 277-279; Edelgard Metzger, Leonhard von Eck (1480-1550), Wegbereiter und Begründer des frühabsolutistischen Bayern, München-Wien 1980; Contemporaries I 419f.
61 Eck wurde am 18. Juli 1534 von Herzog Ulrich zu persönlichen Beratungen eingeladen (s. Ludwig Friedrich Heyd, Ulrich, Herzog zu Württemberg, Bd. 3, Tübingen 1844, S. 11-14). Da Eck in seiner nicht näher datierten, bei Wille 304-308 abgedruckten Relation über seinen Besuch an die Herzöge von Bayern die Predigten Schnepfs in Stuttgart erwähnt (der seit dem 29. Juli dort war, s. oben Anm. 52) und seine letzte Unterredung mit Ulrich auf einen Mittwoch ansetzt und am 11. August bereits in Linz ist (Metzger, aaO, S. 206), kann dieser Mittwoch nur der 5. August gewesen sein. Eck war demnach vom 3. bis 5. August 1534 in Stuttgart, vgl. auch Wille 217-219. 222; Metzger, aaO, S. 202 (wo die Einladung irrtümlich auf Anfang Juli gesetzt ist).
62 Unbekannt.
63 Eck erhielt sein Essen und Trinken vom Hof in die Herberge zugeschickt, wie er selbst berichtet, s. vorangehende Anm. und Wille 307.
64 Dies stimmt nicht: Im Frieden von Kaaden vom 29. Juni 1534 erhielt Herzog Ulrich Württemberg nur als habsburgisches Afterlehen (was so bis 1599 blieb). Er nahm dies unter der Bedingung an, daß er den Titel Reichsfürst mit Sitz und Stimme im Reichstag behalte und die Regalien vom Kaiser empfange, s. Keller 88-100; Heyd II 495-497; Wille 201-211.
65 König Ferdinand I. muß sein Leid (den Verlust Württembergs) auf sich nehmen, beklagen (vgl. SI VII 1192).
66 Unbekannt.
67 Landgraf Philipp und Herzog Ulrich erhielten die Kaadener Friedensartikel am 2. Juli, willigten ein - Ulrich allerdings widerwillig -, verzichteten auf einen Kriegszug durch Oberösterreich und entließen tags darauf das Heer, s. Wille 192. 211f; Keller 99f.
68 Der Friede war am 29. Juni 1534 in Kaaden (Böhmen) von König Ferdinand I., Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (Bevollmächtigter Philipps und Ulrichs, s.


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Item, ich vernim, das vil pratiken 69 vorhanden syind, damit luterisch predigen in das land komind. Etlich sagend und mainend, Osiander 70 und Philippus d 71 komind gen Tübingen; dann die von Basel habind Gryneum 72 nit wellen lassen. Bitten gott gar ernstlich; dann ich gloub, M. Ambrosius werd sich müssen liden 73 .

Item, ir möchten mich wissen lassen, wie ir doch vermaintind, das man mit aim Arrianer 74 handlen mocht 75 , nachdem nichts an im hulffe. Soll man

d Anfangsbuchstabe griechisch.
Keller 84) und den vermittelnden Fürsten Albrecht von Mainz und Georg von Sachsen unterzeichnet worden, s. Keller 93.
69 geheime, unerlaubte Umtriebe, Intrigen (SI V 568-570). Zur Sache vgl. oben Z. 55-58 und Anm. 52.
70 Von der letztlich mißglückten Berufung Andreas Osianders nach Tübingen, die von ihm selbst, Schnepf und Jakob Sturm (s. PC II 222) betrieben wurde, wußten Blarer und Bucer, die sie mißbilligten, von Mitte August an (Blarer BW I 522. 527. 530. 536 und Vadian BW V 184). Osiander weilte in der ersten Hälfte Oktober in Stuttgart (s. unten S. 341, 15f; Blarer BW I 562. 582. 585. 587) und war wohl wieder auf Sonntag, den 18. Oktober zurück in Nürnberg (ebenda 590). Aus Schnepfs Brief vom 31. Oktober erfuhr Blarer, daß Osiander nicht komme (ebenda 594). Siehe auch: Emanuel Hirsch, Die Theologie des Andreas Osiander und ihre geschichtlichen Voraussetzungen, Göttingen 1919, S. 273-275; Gottfried Seebaß, Das reformatorische Werk des Andreas Osiander, Nürnberg 1967. - Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Bd. 44, S. 213; Brecht, Blarer in Schwaben 163.
71 An eine Berufung Philipp Melanchthons dachten Blarer und Bucer schon im Frühling 1534, und sie und die Ihren hofften bis in den Herbst -vergeblich - auf sein Kommen, s. Blarer BW I 488. 492. 511. 522. 530. 532. 536f. 540f. 547. 561f. 567. 583. 590. 593. 602. In Herzog Ulrichs Auftrag versuchte Schnepf am 19. August Melanchthon für die Universität Tübingen zu gewinnen. Melanchthon, der von sich aus gekommen wäre, stellte den Entscheid dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen anheim. Dieser ließ ihn nicht ziehen, s. Melanchthon BW Regesten II 151, Nr. 1481. 153, Nr. 1487. 157, Nr. 1497; vgl. ferner: 153-155, Nr. 1488-1492. 157, Nr. 1495. 160, Nr. 1505. 163, Nr. 1510. 176, Nr. 1545; Melanchthon konnte erst im Herbst 1536 für drei Wochen (24. September bis 13./14.Oktober) die Universität Tübingen
besuchen, s. ebenda 270-274, Nr. 1785-1796.
72 Simon Grynäus für die Universität Tübingen zu gewinnen, war vom Frühsommer an der Wunsch Blarers, Bucers und der Ihren (Blarer BW I 501. 506. 511. 518. 532. 542. 550. 552. 560f. 580. 583. 590; PC II 211f), doch konnte die Berufung erst Ende September eingeleitet werden (Blarer BW I 554). Grynäus war bereit zu kommen, doch hielt ihn der Basler Rat zurück (ebenda 557. 582. 586) bis das Gesuch Herzog Ulrichs vom 5. oder 6. Oktober eintraf, ihm den Gelehrten «ein zittlang» zu überlassen (Karl Gauß, Die Berufung des Simon Grynäus nach Tübingen. 1534/1535, in: Basler Jahrbuch 1911, S. 88-130, bes. S. 92. Vom 28. Oktober bis mindestens am 6. November weilte Grynäus in Stuttgart, wo er sich mit Schnepf über das Abendmahl auseinandersetzte (Blarer BW I 594. 596-598. 601-606; PC II 227). Danach (wann genau, ließ sich nicht feststellen) kam er nach Tübingen. Die Basler riefen ihn schon am 21. Januar 1535 erstmals zurück, aber Herzog Ulrich erreichte, daß Grynäus bis Ende Juni 1535 bleiben konnte (Gauß, aaO, S. 99-106). Bemühungen, ihn bald wieder nach Tübingen zu holen, blieben erfolglos (Gauß, aaO, S. 106-118).
73 sich gedulden, sich schicken (SI III 1089f).
74 Gemeint ist Claude d'Aliod (Claudius Allobrox, von Savoyen), wie schon Simler richtig festgestellt hat (Zürich ZB, Ms S 36, 79), der sich im Sommer 1534 einige Monate in Konstanz aufhielt, um Mitte August verhört und vom Rat ausgewiesen wurde und kurz vor oder am 23. August 1534 Konstanz verließ, nach Straßburg ging, wo er im September auch ausgewiesen wurde (Vadian BW V 182f. 189f; Blarer BW I 530. 532-534. 539-541 sowie unten S. 310, 3f. Vgl. oben S. 158, Anm. 39).
75 Bullinger sandte Ratschläge, die Zwick am 9. September zurückgab, s. unten S. 308, 62. Auch seine «Assertio utriusque in Christo naturae» vom Oktober 1534 (HBBibl I 62) war gegen die Leugnung


Briefe_Vol_04_0282arpa

richten, so ists ergerlich, diewils den glouben antrifft; soll man verwysen, so tut er wyter schaden; soll man gfangen halten, so bruchts lang zyt und wil, wiewol es mich schier das best dunckte 76 .

||96v. Lieber, getrüwer her und bruder, lassend diss min schriben by uch bliben, und bittend gott.

Item, schickend mir by dem Mangold oder sünst das repertorium, so Pellicanüs gmachet hat 77 , wo es der Mangold nit möchte abschriben. Ich wils uch in ain monet verzug 78 wider zuschicken.

Damit sye der almechtig gott mit uch.

Haeae[!]literae tuae sunt, Bullingere, quas solus leges lecta priore epistola 79 .

[Ohne Adresse.]