Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2880]

Georg Frölich
an Bullinger
Augsburg,
12. April 1547

Autograph: Zürich StA, E II 356, 1004 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Bullinger wird sich über Frölich geärgert haben, und zwar zu Recht, weil dieser so lange nicht geschrieben hat, ja auch nicht nach Zürich gekommen ist, als er vor kurzem seinen kranken Sohn [Jonas] in Konstanz besucht hat. Bullinger verzeihe es ihm! Unzählige Probleme bereiten ihm. Sorgen. Er weiß aber auch, dass trotz des Kontaktunterbruchs ihre ewige Freundschaft nicht auf dein Spiel steht. -[2] Wenn doch nur das Elend in Augsburg ein Ende

10 Vgl. Mt 7, 15; 10, 16; Lk 10, 3; Joh 10, 1-16; Apg 20, 28f.
11 den Schaffhauser Ratsherren.
12 Theodor Bibliander.
13 Unbekannt.


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nähme! Die Augsburger werden wohl noch mehr leiden müssen, wenn Gott nicht eingreift. Ein Sieg der Feinde des Evangeliums über den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen würde stracks in die Knechtschaft führen. Hoffentlich wird er nicht zu Boden getrampelt! Seine Angelegenheit ist ja gerecht und fromm, und er verfügt über starke Truppen. Auch hat er bereits Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach und 1'500 Reiter bei Rochlitz festgenommen sowie den Landgrafen Christoph von Leuchtenberg besiegt. Die Böhmen halten zu ihm. Zudem haben seine Untertanen und die des Herzogs Moritz von Sachsen untereinander vereinbart, kein fremdes Heer in ihrem Land streifen zu lassen. Es sind auch viele Soldaten vom Herzog zu ihm übergelaufen. Wer kennt aber Gottes Pläne? -[3]Kaiser Karl V. und König Ferdinand sind in Eger am Böhmerwald. Bald wird man wissen, wohin sie ziehen! Die Böhmen schneiden ihnen die Proviantzufuhr ab und sind bereit, für Freiheit und Religion zu kämpfen. -[4]Es war nicht leicht, Johannes Haller in Augsburg zurückzuhalten, angesichts der dort herrschenden üblen Lage! Da aber ein treuer Diener Christi ausharren muss, solange die Aussicht besteht, nützlich zu sein, hat er sich ohne allzu großen Widerstand gefügt. Gegebenenfalls wird ihn Frölich mit alien Kräften in Schutz nehmen. -[5] Soeben kommt die Meldung über ein Abkommen zwischen dem Herzog und dem Kurfürsten! Kaiser und König werden also gegen beide Sachsen ziehen müssen! Wenn dies nur stimmen würde! -[6]Gruß an die Bürgermeister Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab, an den Stadtschreiber Hans Escher vom Luchs, an Rudolf Gwalther, Konrad Gessner, Konrad Pellikan, Johannes Fries und an die anderen Gelehrten. Aus dem Rathaus zu Augsburg.

S. Stomacharisne? Stomacharis jure quidem, mi observandissime atque omnium amantissime frater, quod tanto temporum intervallo nihil literarum ad te dederim, 1 presertim vero hoc nomine, quod paucos ante dies Constantia cum egroto meo filiolo 2 fuerim nec ultra a te progressus sim. 3 O, mi suavissime frater, multa imo innumera sunt, quae me angunt et distrahunt. Dabis igitur mihi veniam. Nam etsi scribendi officium nonnihil intermiserim, mutuus tamen amor et necessitudo haudquaquam imminuta, sed est duratura etiam post hanc vitam jugiter in coelesti patria. Amen.

Calamitates nostras nosti, quarum finis utinam tandem adsit 4 Pertulimus multa. Graviora perlaturi, nisi dominus, pater ille misericors, pro divina sua clçmentia aliud disposuerit. Nam si hostes evangelii de principe electore Saxone 5 triumphaverint, nos nihil aliud quam maera servitus manebit. Spero tamen res electoris melius habituras, quam ut hostium pedibus, veluti ipsi minantur, conculcetur. Habet porro causam et piam et iustam, nec illi copie fortes desunt. Profligavit praeterea adversariorum multos, marchionem 6 cum 1'500 equitibus ad Rochlitzium caepit, landgraphium a Leuchtenberg 7 profligavit.

1 Zuletzt hatte Frölich am 8. Februar an Bullinger geschrieben (HBBW XIX, Nr. 2803).
2 Jonas; s. HBBW XIX 442, Anm. 4.
3 Frölich war am 30. März von Augsburg in Richtung Konstanz aufgebrochen und hatte damals vor, bis nach Zürich zu reisen. Dazu kam es aber nicht; s. HBBW XIX 459,[1]; 462,[1].
4 Augsburg hatte sich Ende Januar unterworfen und war nun von Truppen des
Kaisers Karl V. besetzt; s. dazu HBBW XIX 188, Anm. 7; 388, Anm. 11; 413.
5 Kurfürst Johann Friedrich Ï. von Sachsen.
6 Markgraf Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach. - Zum Sieg des Kurfürsten über den Markgrafen am 2. März bei Rochlitz s. Nr. 2872, Anm. 27.
7 Landgraf Christoph von Leuchtenberg; s. HBBW XIX 425, Anm. 20.


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Boiemi ei adherent. 8 Ducis Mauricii 9 subditi cum electoris provincialibus inter sese pepigerunt, ne alienum militem amplius per agrum eorum vagari sinant. Multi quoque Mauritiani milites praesidiarii ad electorem defecerunt. Quis scit, quid deus facturus sit?

Cesar 10 et rex sunt in civitate Egra 12 ad Silvam Boiemicam 13 . Quo se vertent, dies brevi declarabit. Boiemi prohibent regi Ferdinando et caesari commeatum, atque arma sumunt, fortiter pro libertate et ans 14 pugnaturi. 15

Optimum virum Hallerum nostrum hactenus in his turbis egre retinui. Sepius habuit in votis abire, 16 nec mirum inter tot pericula et calamitates! Sed fideli Christi ministro eotenus 17 est in ministerio perseverandum, quoad spes fructuum subest. Propterea ipse mihi facile concessit. 18 Ego ipsi adero pro virili ipseque potius periclitabor, quam ut ei quicquam adversi contingere patiar.

Dum hec scribo, nuntium adfertur inter a ducem Mauritium et electorem bene convenisse, ita ut nunc caesari et regi cum utroque Saxone belligerandum erit. 19 Dummodo eventus huic nuntio respondent!

Ex me dices salutem plurimam dominis consulibus 20 , prothoscribae 21 , Gvaltero, Gessnero, Pellicano, Frisio 22 atque toti musarum domicilio 23 . Datum in senatu Augustano, 12. aprilis 1547.

Tuus Georgius Laetus, etc.

a In der Vorlage ist inter über der Zeile nachgetragen, allerdings versehentlich zwischen den Wörtern ducem und Mauritium.
8 Siehe dazu z.B. HBBW XIX 439,[3]; 443,25f, sowie unten Z. 22f.
9 Herzog Moritz von Sachsen.
10 Kaiser Karl V.
11 König Ferdinand I.
12 Eger (Cheb), Tschechien. - Der Kaiser war am 5. April in Eger eingetroffen, der König am 6. April. Sie vereinigten dort ihre Heere und blieben bis zum 13. April in der Stadt; s. Stälin 580; Bucholtz VI 40; Voigt, Moritz 354; Moritz von Sachsen PK III 342, Nr. 488; 363, Nr. 515; Heribert Sturm, Eger. Geschichte einer Reichsstadt, Augsburg 1951, S. 285.
13 Böhmerwald.
14 pro libertate et ans: Vgl. etwa Cicero, Orationes in Catilinam, 4, 24. - Mit dem Wort "arae" ist die Religion gemeint.
15 Die Böhmen. die auf der Seite des Kurfürsten standen (vgl. oben Z. 17), nisteten damals zum Zuge gegen den König und den Herzog; s. Voigt, Moritz 343f; PC IV/1 671, Nr. 596; Moritz von Sachsen PK III 325f, Nr. 459; 334, Nr. 471; 341, Nr. 486; 354, Nr. 497.
16 Siehe dazu z.B. HBBW XIX 150,49-56; 189,30-40.
17 usque ad hoc tempus.
18 Nämlich in Augsburg zu bleiben; s. HBBW XIX 252,22-24; 414,32.
19 Anspielung auf die Friedensverhandlungen und den Waffenstillstand zwischen Herzog und Kurfürst, die am 29. März in Mittweida (Sachsen) begonnen hatten und am 8. April vom Herzog abgebrochen wurden; s. Voigt, Moritz 348-350; Moritz von Sachsen PK III 302f, Nr. 424; 305f, Nr. 430f: 308, Nr. 435; 310, Nr. 438; 313, Nr. 443; 315, Nr. 445; 320f, Nr. 454; 327, Nr. 461, 330f, Nr. 467; 335-337, Nr. 473. 475f; 343f, Nr. 492.
20 Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab.
21 Stadtschreiber Hans Escher vom Luchs.
22 Der Schulmeister des Großmünsters (s. dazu HBBW XIX 173, Anm. 18), Johannes Fries.
23 Zürich als Sitz der Musen und Heimstatt der Gelehrten; s. HBBW XVIII 108 mit Anm. 30; XIX 285,40.


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[Adresse auf der Rückseite:1 Herrn Henrichen Bullinger, vorgeern 24 der kirchen Zurch, minem besonnder gunstigen herrn zu hannden. Zurch.