Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[330]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
26. Februar 1 [1534]

Autograph: Zürich StA, E II 343, 91r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Hat von Bullinger eine ausführlichere Antwort auf seine Briefe erwartet. Was in Zürich über den Besuch des Schultheißen [Hans Jakob von Wattenwyl] in Frankreich vermutet wird, trifft nicht zu. Der Schultheiß sollte dort nicht Hilfe, sondern lediglich die Garantie des früher zugesagten Friedens erwirken. [Jean Jacques]Farel ist gefangen. Über die Zustände in Bern, besonders über den Fall des Säckelmeisters [Bernhard Tillmann], hat er Bullinger bereits berichtet. [Hans] von Erlach, [Anthoni]Spillmann, [Niklaus] von Graffenried und [Sebastian] von Diesbach sind in eine Bestechungsaffäre verwickelt: Einige Savoyer hatten zum Teil mit Erfolg versucht, diese Politiker mit Geld zu bestechen, um die Einbürgerung eines Landsmannes [Philibert de Compois, Herr von Thorens], der mit Berns Hilfe gegen sie um verlorenen Besitz zu prozessieren trachtete, zu verhindern. Man spricht auch von Verrat im [Zweiten Kappeler]Krieg. Es fehlen nun insgesamt sechs Ratsherren; und diejenigen, die nachfolgen, sind entweder bejahrte Papstanhänger oder junge Hitzköpfe. Vom Drucker hören sie von Bullingers Kommentar zu den Petrus-Briefen. Bullinger hat die versprochenen Vorlesungen Biblianders zu den Propheten nicht geschickt. In Genf predigt [Guillaume]Farel öffentlich. Eine Berner Gesandtschaft hält sich der Genfer Kriegsschuld wegen dort auf. Die Berner Schüler führten den «Acolastus» [des Gnaphaeus] auf. Haller bittet im Auftrag von Anton Noll, Bullinger möge dessen in Zürich weilenden Sohn Sebastian zur Änderung seines Lebenswandels ermahnen.

Gratiam et pacem.

Geliepter Heinrice, ich hatt mich anderer brieffen versähen 2 , in denen mir uff die minen 3 ein antwurt schribist. Diewil aber das nitt beschähen, vilicht diner gschäfften halb - darff es dem vergessen nitt zuleggen -, so wil ich doch dir uff din gar kurtze gschrifft 4 antwurten.

Das by üch dess franczosen und unsers schultheissen halb die reed, ist nitt die warheit. Ich hab dich vorlangest dess handels berichtet, wenn du der brieffen nitt vergessen hettist. Wir suchend by niemand hilff, der unsern globen nitt bekent. Aber frid, so uns vorlangest zugsagt, begärend wir an unß gehalten werden; das ist unß nochmals zugesagt 6 . Vom verbrennen ist gar erdacht. Farelli bruder 7 ist von küngischen 8 gefangen, von unsern herren ein fürgschrifft 9 an den küng beschähen, die durch sinen canczler 10 licht 11

1 Haller wiederholt einige bereits im Brief vom 31. Januar 1534 mitgeteilte Nachrichten, womit die Einordnung in dieses Jahr feststeht.
2 erwartet (SI VII 566-568).
3 Siehe die Briefe Hallers vom 30. Dezember 1533 (HBBW III 274-276) und vom 31. Januar 1534 (oben S. 53-56).
4 Bullingers Antwort auf Hallers letzten Brief vom 31. Januar 1534 scheint äußerst kurz - vier Zeilen (s. unten Z. 61) - ausgefallen zu sein. Sie ist nicht erhalten.
5 Zur Reise von Schultheiß Hans Jakob von Wattenwyl an den französischen Hof s. HBBW III 271, 19-22 mit Anm. 10. 275,
6 Die Erneuerung des 1516 abgeschlossenen «Ewigen Friedens».
7 Jean-Jacques Farel, s. HBBW III 253, Anm.6 und 271, Anm. 10.
8 von den Königlichen.
9 Nach Corr. des réformateurs III 95f, Anm. 3 nicht erhalten.
10 Antoine du Prat (Duprat), 1463-1535, seit 1507 erster Präsident des Parlaments von Paris, Erzieher von Franz I., der ihn 1515 zum Kanzler ernannte, Exponent der extremen Katholiken. - Lit.: Corr. des réformateurs II 33, Anm. I; Z XI 357, Anm. 3.
11 geringschätzig, ohne Ernst (s. SI III 1048).


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enpfangen und verantwurt 12 . Aber consul 13 ist in hohen eeren enpfangen und abgefertiget, in 18 tagen sin reiß ussgericht 14 .

By unß wie es stand, hab ich dir ouch zumm teil zugschriben, maxime quaestoris 15 casum. Demnach hett ein saffoyscher herr 16 hie wellen burger werden, damitt er zumm rechten kommen möchte mitt ettlichen edlen, ouch Saffoyer, die imm sine schlösser ingenummen, welche edlen mitt gaben understanden, das burgrecht ze weeren 17 , und mitt gelt geworben an consulem Erlacensem 18 . Is ita abegit offerentem, ut vix e domo illius aufugeret. Deinde adortus est pandaretum Ludionem 19 10 coronatis. Is cum non minus negaret, dimisit nebulo 10 coronatos in domus ambitu. Quos cum Ludio reperisset, mox pandaretis quattuor obtulit, ut consulerent suo honori. Hi decreverunt, ut mox proprio nuncio munera remitteret, id quod fecit. Hinc famam suam redemit. Per illius enim integritatem rescivit fraudem magistratus.

Tercius in ordine pandaretus Grafenried 20 , et is quoque, alias ad rem attentus, renuit. Caeterum, dum uxori offerrentur et ipsa reciperet, obticuit ille. Hinc infamis factus est in dies vitae suae. Quartus consul a Diesbach 21 , vir alias non male malus. Huic lectum iam ingredienti cum servus ille 10 coronatos offerret nec diceret causam, sed herum suum in crastinum dicturum, recepit consul, tametsi mane legatione fungeretur Friburgum 22 . Rediens tamen cum obvium haberet herum illum, causam quaesivit, cur pecuniam misisset. Quam cum retulisset, obtulit se restituturum, tametsi secum non haberet, idque cum non mox fecerit nec revelarit, sed uxori restituenda commisent, factus est et ipse infamis. Haec est illa nostra tragedia, de qua multi multa ferunt.

Ceterum sunt et alia, quae de proditione quadam calamitosi nostri belli 23 dicuntur. Ea cum nondum venerint in lucem, nihil tibi scribere possum. Caremus nunc 5 senatoribus. Sextus totus est valetudinarius, reliqui iuvenes, nec habemus, qui tuto illis succedant. Aut enim senes sunt, sed pontificii, aut iuvenes calidi et minus prudentes. Tu cura, ut dominum ores pro nobis.

Quid sit institutum nostrum, legati 24 referant. Ego nihil horum scio. Quomodo et illi se habeant, nescio. Sed id subodoravi, a tuis tibi saepe imponi.

12 beantwortet (Grimm XII/I 79 f).
13 Hans Jakob von Wattenwyl.
14 ausgeführt, erledigt (SI VI 419-421).
15 Säckelmeister Bernhard Tillmann; über seine Absetzung hatte Haller am 30. Dezember 1533 (s. HBBW III 276, 62 f) und am 31 Januar 1534 (s. oben S. 54, 2-20) berichtet.
16 Philibert de Compois, Herr von Thorens.
17 verhindern.
18 Hans von Erlach. - Zu seinem Fall s. auch oben S. 55, 26-28 und Anm. 15.
19 Anthoni (III.) Spillmann, 1470-1540, aus Bern, war 1491, 1501 und 1513 Mitglied des Kleinen Rates und bekleidete verschiedene Staatsämter. u. a. war er
1513-1520 und 1525-1528 Venner. - Lit.: HBLS VI 471.
20 Niklaus von Graffenried. - Zu seinem Fall s. auch oben, S. 54 f, 2 1-26, und Anm. 10 und 13.
21 Sebastian von Diesbach. - Zu seinem Fall s. Tillier III 315 f.
22 Nach EA IV/IC 122 war Diesbach letztmals am 2. Juli 1533 nach Freiburg i. Ue. abgeordnet.
23 im Zweiten Kappelerkrieg.
24 Am 27. Februar berichteten Rudolf Stoll und Johannes Haab über die Verhandlungen der Städtevertreter und über den Beschluß, beim Solothurner Rat vorzusprechen, nach Zürich; s. Zürich StA, A 255.


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Ir hend fasnacht und gutt gschirr 25 by üch, et pacem, quam mundus dat 26 , multi amplectimini. Interim tamen non despero de vobis, quamdiu per te et symmistas et verbum domini et studia tantum habent locum et auctoritatem. By unß statt es, wie es parabolae Math. 13 [3-8. 18-23] de seminante anzeigend.

Typographus 27 scribit ad nos 28 de tuis in Petri epistolas annotationibus 29 , tu vero nihil, sed de Corinthiis 30 olim. De Theodori 31 iudicio in prophetas 32 nihil mittis multa pollicitus. Schlechtlich 33 , ich bin bstanden 34 . Ein kurtz brieffli schribst, da ich by semlicher bottschafft vil anders was erwarten.

Ze Genff prediget Farellus offentlich, aber in den hüsern. Unser herren botten, 4 von räten und burgeren 35 , ligent daselbs a prima ianuarii usque in hunc diem von der söld dess Jenfer kriegs 36 wägen, sind noch nitt bezalt. Ist grosse unrub daselbs.

Lusit iuventus nostra comaediam Acolasti 37 coram Helvetiorum legatis 38 . De iis tui referent. Also schrib ich ein langen tant 39 , welte gern, das du alle ding wystist. Aber du richtests mitt 4 linien usß.

Vale. Miror, num Pelicanus et Leo vivant. Toties illos per te saluto, illi nihil salutis offerunt. Interim Leo 40 multis huc scribit et libellos mittit 44 , me vero non uno iota dignatur.

Vale.

26. februarii umm die II in der nacht.

Prag wenig nach, wie ich dir schribe, allein daß du mich verstandist.

Vale rursum cum uxore 42 et liberis et me tuissimum semper redama.

Tuum minimum nummisma.

25 und laßt es euch bei Speise und Trank wohl sein.
26 Vgl. Joh 14,27.
27 Christoph Froschauer.
28 nicht erhalten.
29 Bullingers Kommentar zu den beiden Petrus-Briefen erschien im März 1534 bei Froschauer in Zürich (HBBibl I 52).
30 Bullingers Kommentar zum 1. Korintherbrief erschien im Juni 1534 bei Froschauer in Zürich (HBBibl I 53).
31 Theodor Bibliander.
32 Siehe HBBW III 276, 67f mit Anm. 33.
33 Kurz (SI IX 64).
34 verwirrt, betrübt (SI XI 710-712).
35 Die Berner Gesandten waren Sebastian von Diesbach, der später durch Wolfgang von Wingarten ersetzt wurde, Georg Schöni, Jakob Tribolet und Hans Rudolf von Graffenried (s. EA IV/ IC 239).
36 Im Oktober 1530 war ein bernisch-freiburgisches Heer von 10000 Mann nach Genf gezogen, um in Erfüllung des Burgrechtsvertrages die von den Anhängern Savoyens angestrebte Belagerung der Stadt zu verhindern. Der Konflikt endete mit dem Frieden von St. Julien vom 19. Oktober 1530. Siehe Arnold Biel, Die
Beziehungen zwischen Savoyen und der Eidgenossenschaft zur Zeit Emanuel Philiberts (1559-1580), Basel 1967. - Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 107, S. 5; EA IV/Ib 1501-1505.
37 Wilhelm Gnaphaeus, Acolastus de filio prodigo, 1529. Das Spiel des Gnaphaeus wurde von Georg Binder ins Deutsche übertragen und sollte am 29. April 1530 in Zürich aufgeführt werden, was jedoch unterblieb und erst 1535 nachgeholt wurde. Im selben Jahr erschien Binders deutsche Fassung bei Froschauer (Rudolphi 229), s. Jakob Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892, S. 307-309.
38 EA IV/IC 277-279 gibt die Namen der Abgeordneten an der Städtetagung vom 24. bis 26. Februar in Bern nicht. Vgl. aber oben Anm. 24.
39 Geschwätz (SI XIII 815).
40 Leo Jud.
41 Offenbar pflegte Jud den Kontakt mit Bern vor allem über Kaspar Megander. Aus dieser Zeit sind allerdings keine Briefe Juds an Megander erhalten.
42 Bullingers Frau Anna, geb. Adlischwyler.


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|| 91v. Habet apud vos Anthonius Noll 43 , vir pius, qui tibi etsi incognito optime vult, filium quendam serarium, vulgo ein schlosserknecht, nomine Sebastianus Noll 44 . Is cum, ut fertur, omnia turpiter dilapidet et alieno aere se gravet, rogat pater, ut eum tuo ore et clanculum admoneas, quatenus alium se gerat et resipiscat nequaquam patris loculo fretus. Quod si non fecerit, negabit illi imposterum omnem opem. Filius est non legitimo thoro natus. Id ut tibi iniungerem, quem putat omnia apud te posse, multis adhortatus est. Percontare igitur et age, ut patris literis 45 respondeas, ne credat vir ille me neglexisse, quod tantopere precatus est.

Vale.

Expectabamus a vobis Röstium 46 et Ran 47 . Hi fuissent nobis gratissimi et ad conciliandum urbes nostro iudicio maxime idonei. Sed spe nostra frustrati sumus. Die cristenlichen stett gond mitt einandren umm wie ein kacz umm den bry; trüwet 48 und seet 49 niemant dem andren, was imm amm herczen ist.

[Adresse darunter:] Heinrico Bullingero, apud Tigurinos ecclesiastae doctissimo suo fratri unice observando.