[2786]
Johannes Haller
an Bullinger
Augsburg,
1. Februar 1547
Autograph: Zürich StA, E II 370, 53f (Siegel)
Ungedruckt[1] Am 27. Januar brachten Hallers Verwandte [darunter Konrad Kambli]Bullingers Brief
vom 22. Januar [nicht erhalten]mit, während Bullingers Brief vom 14. Januar [Nr. 2752] erst
am Tag darauf ankam. Die Schreiben enthielten den Rat, solange wie möglich in Augsburg
auszuharren. Inzwischen müsste Bullinger einen Brief von Georg Frölich [nicht erhalten] und
einen weiteren von Haller [Nr. 2769 vom 25. Januar] mit Berichten über die aktuelle Lage
bekommen haben, während Frölich und Haller noch auf die Antwort Bullingers sowie die des
Zürcher Rates [auf Hallers Briefe vom 18. und 25. Januar an den Zürcher Rat] warten.
—[2] 1m Laufe ihrer Verhandlungen mit Kaiser Karl V. mussten die Augsburger versprechen,
Sebastian Schertlin zu entlassen (er wird wohl nach Zürich kommen) und kaiserliche Truppen
in der Stadt aufzunehmen. Der Rat hat Bernardino Ochino und Francesco Stancaro heimlich
verabschiedet, um Ochino nicht ausliefern zu müssen. Angesichts dieser Entwicklung hatten
die Zürcher Pfarrer in Augsburg [Haller, Lorenz Meyer, Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer
d.Ä.] den Zürcher Rat brieflich um Erlaubnis gebeten, Augsburg verlassen zu dürfen. Auch
war das Volk so aufgebracht, dass man die Häuser der Bürgermeister [Hans Welser und Jakob
Herbrot]zwei Nächte lang durch Wachen schützen musste. Zum Glück verhinderte Gott einen
Aufruhr, sonst hätte man die Pfarrer wegen ihrer Aufrufe zur Standhaftigkeit dafür verantwortlich
gemacht. —[3]Daraufhin trafen Hallers Verwandte im Auftrag von Hallers Schwiegervater
[Ulrich Kambli] in Augsburg ein. Sie wollten Hallers Frau [Elsbeth, geb. Kambli]
und die Kinder [Agnes und Johannes] nach Zürich zurückbringen. Doch gaben die Bürgermeister
nicht die Bewilligung dazu. Sie baten Haller und die anderen Prediger zu bleiben, um
zu verhindern, dass das Volk sie als Verräter in Verruf brächte. Sie rechtfertigten ferner den
mit dem Kaiser geschlossenen Frieden, weil den Augsburgern erlaubt wurde, ihre Religion
weiterhin bis zu einer allgemeinen Reformation im deutschen Reich frei auszuüben. Zudem
seien die Prädikanten vor dem Kaiser sicher. Die Bürgermeister versprachen ferner, alles
daran zu setzen, damit es zu keiner fremden Besatzung in der Stadt, und, falls ihnen das nicht
gelingen sollte, es dann höchstens zu einer Besatzung von drei Fähnlein deutscher Söldner für
einen Monat kommen würde, sodass der eitle Kaiser den Schein seiner Autorität zu wahren
vermag. Die Bürgermeister betonten auch, dass es gefährlich gewesen wäre, sich dem Kaiser
weiterhin zu widersetzen, zumal Augsburg nicht mehr auf Verbündete in Süddeutschland zählen
könne. Schließlich müsse man ja dem Kaiser gehorchen. Auch Landgraf Philipp von
Hessen und die Straßburger stünden bereits mit ihm in Verhandlung. Dies wurde Haller nicht
nur im Privaten, sondern auch öffentlich, in einer Versammlung der Pfarrer, von den Bürgermeistern
mitgeteilt, und dem Volk mit verheißungsvollen Worten schmackhaft gemacht.
—[4]Somit hat Haller keinen triftigen Grund mehr, Augsburg zu verlassen oder seine Familie
von dort wegzuschicken. Auch der Stadtschreiber Georg Frölich versucht inzwischen nicht
mehr, seinen Urlaub zu erwirken. Er riet auch Haller ab, Frau und Kinder wegzuschicken. Die
Bürgermeister versprachen Haller, im Falle von Gefahr ihn und seine Familie heimlich mit
einem starken Geleit aus der Stadt zuführen. Hallers Verwandte wurden vom Rat mit zwölf
Kronen für ihre Reise entschädigt und mit einem Ehrenwein beschenkt, damit sie Haller und
die Seinen in der Stadt zurückließen. —[5] Haller ist völlig hin- und hergerissen. Die Bürgermeister
halten ihn nun in der vom Kaiser bedrohten Stadt Augsburg zurück, während er
darauf wartet, von den Zürchern zurückberufen zu werden. Einige wollen, dass er bleibt,
andere wiederum, dass er geht. Es wäre gut, wenn er vom Zürcher Rat die Befugnis erhielte,
selbst entscheiden zu dürfen, Augsburg zu verlassen, falls sein Gewissen ihn dazu drängt.
Denn während er gezwungen ist, jedes Mal über die neuen Gefahren in Augsburg zu berichten,
um dann wiederum auf die Erlaubnis, Augsburg zu verlassen, warten zu müssen, wird er nicht
nur bezichtigt, ängstlich zu sein, sondern kommt es auch zu [gefährlichen] Verzögerungen.
—[6]Die drei anderen Zürcher in Augsburg, vor allem Meyer und Schwyzer, wollen unbedingt
aus Augsburg fort. In einem Gespräch mit den Bürgermeistern haben sie sich so frech aufgeführt,
dass man nicht vorhat, sie zurückzuhalten, falls sie gehen wollen. Das erfuhr Haller von
den Bürgermeistern selbst. Würde er das aber diesen Kollegen erzählen, würden sie sofort
abreisen. Doch will Haller zunächst den Bescheid Bullingers und des Zürcher Rats abwarten.
—[7]Er ist bereit, für Gottes Ehre Gefahren in Kauf zu nehmen; nicht aber Gefahren, die der
Kirche zum Nachteil gereichen. Er versucht nicht, sich bequem nach Hause zurückzuziehen.
Vielmehr möchte er weiterhin andere Menschen in der Fremde erbauen. Doch ob es der
Kirche und dem guten Ruf Zürichs dienlicher wäre, zurückzukehren oder in Augsburg zu
bleiben, soll Bullinger selbst entscheiden. — [8] Die Augsburger Gesandten haben am 29.
Januar dem Kaiser gehuldigt. Sie versuchen nun, die Einquartierung kaiserlicher Truppen in
Augsburg zu verhindern. Der Kaiser soll sich ihnen gnädig erwiesen und große Versprechen
gemacht haben. Denen glaube, wer will! — [9]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen ist
angeblich schon in Schlesien eingefallen, Leipzig sei eingenommen und Herzog Moritz nach
Böhmen geflohen. Es wird berichtet, dass ein großes Heer aus Dänemark, Holstein, Lüneburg,
Brandenburg und den Hansestädten gesammelt wird, das für Herzog Johann Ernst von Sachsen-Coburg,
den [Halb]bruder des Kurfürsten, bestimmt sein soll. Außerdem habe Cheireddin
Barbarossa einen Hafen des Kaisers in Afrika besetzt. Es stimmt aber nicht, dass der Landgraf
Frankfurt belagert hat. Die vom Kaiser entlassenen Soldaten streifen umher und stellen eine
Gefahr für die Reisenden dar. — [10] Pankraz Mötteli vom Rappenstein wurde ohne Sold
entlassen. Als er sich in dieser Woche auf dem Weg von Mindelheim nach Augsburg befand,
wurde er bei Angelberg von Italienern festgenommen. — [11] Der falsche Prophet Claude
d'Aliod hat seinen Irrglauben widerrufen, doch andere seiner Glaubensgenossen halten weiter
daran fest. — [12]Bullinger hat sich über den Brief von Haller an dessen Schwiegervater
[Ulrich Kambli]geärgert, weil Letzterer alles weitererzählt und dadurch dazu beiträgt, Haller
in Zürich den Ruf eines Angsthasen zu bescheren. Das schrieb auch Rudolf Gwalther, dem
Haller geantwortet hat. Für etwaige negative Folgen ist allein Kambli verantwortlich, zumal
Haller diesem etwas senilen Mann ohnehin nur selten schreibt. Diejenigen, die ihm Ängstlichkeit
vorwerfen, sind entweder nicht ganz bei Trost oder nur darauf bedacht, alle "Pfaffen"
(wie sie die Pfarrer nennen) schlecht zu machen. Gott kennt aber Haller; und auch Hallers
Kirche in Augsburg kennt ihn. Oder soll Haller etwa von nun an falsche Nachrichten mitteilen?
—[13] Gruß, auch an Frau [Anna, geb. Adlischwyler] und an die Kinder. Grüße von
Meyer, Schwyzer, Ruman, Wolfgang Musculus, Michael Keller und Sixt Birck.
S. Attulerunt mihi affines mei 1 tuas 22. ianuarii datas 2 eiusdem mensis 27.,
et quas 14. ianuarii scripsisti 3 , 28. demum accepi. Suades Augustae manendum,
quoad salva possimus conscientia et citra vitae discrimen. 4 Interim
tamen te puto alias a d. Laeto 5 et me 6 te accepisse, ad quas et tuum 7 et
amplissimi senatus Tigurini 8 expectamus responsum. In quibus, quis sit rerum
praesentium status, exposuimus.
Subiecerunt se nostri caesari 9 sicque cum ipso pacti, ut Schertlius (quem,
puto, brevi Tiguri videbitis)10 dimittatur milesque caesareanus pro praesidio
in urbem admittatur. 11 Petiit et Bernhardinum 12 caesar, quem senatus clam
una cum d. Stanggaro 13 dimisit. 14 His ita discedentibus nobisque militem
expectantibus 15 quid faciundum erat aliud, quam ut senatui scriberemus Tigurino,
quam quod veniam peteremus et liberam abeundi copiam? Commovebatur
etiam plebs, ita ut per duas integras noctes armati consulum 16
aedes sint tutati. Huius nos tragoediae, nisi dominus avertisset, authores
habiti fuissemus,
17 qui semper hortati suinus ad constantiam et perseverantiam.
Commode vero sic se rebus habentibus adveniunt affines mei 19 soceri 20
nomine uxorem 21 et liberos 22 abducturi. Consulibus ego rem indicavi: Non
potui impetrare. 23 Sed me suppliciter promissis et pollicitis rogarunt, ne
deseram eos, ne magis commotam reddam plebem. Me enim discedente
maius futurum hoc incendium omnesque vociferaturos se proditos esse et
venundatos, si discedant concionatores. Adhaec exposuerunt causas pacis
iustas et aequas: Liberam illis permitti religionem et talem, qualem modo
habeant, nullis additis ceremoniis, donec communis in regno Germanico fiat
reformatio. 24 Omnes etiam concionatores nominatim securatos 25 esse a caesarea
maiestate. Se etiam omnem lapidem movere, 26 ne ullus miles intromittatur,
et tamen, si recipere cogantur, tantum 3 vexilla Germanorum militum
esse recipienda ad mensem unum hoc saltem nomine, ut superbus
caesaris animus suam conservet authoritatem nomenque habeat apud alias
nationes, quod teneat Augustam, exponentes praeterea, quae calamitates fuissent
secuture, si repugnare (qui soli Iam in Superiore Germania reliqui
simus) pergamus. Nos nihil aliud quaerere quam religionem salvam. Hac
promissa in caeteris aequum esse parere imperatori. Langrafium 27 item et
Argento-||53v ratenses 28 iamiam agere etiam de pace cum caesare. Haec et
alia plura exposuerunt et mihi privatim et publice per consules ad conventum
ministrorum missi a . Publice item ad plebem haec coloratis proclamarunt
verbis.
Ideo me non habere ullam rationem honestam vel ipse discedendi vel
familiam dimittendi, quam proculdubio mox etiam essem secuturus. His
rationibus etiam aliquantum lenitus et persuasus, archigrammataeus noster 29
destitit urgere, quam petierat, discedendi veniam, 30 isque omnibus mihi modis
dissuadet, ut liberos et uxorem dimittam. Promiserunt etiam consules
spiendida: Se nolle me in ullum constituere periculum; si hoc videant imminere,
se me clam cum manu forti dimissuros. Dederunt praeterea affinibus
meis duodecim coronatos pro viatico, publicoque eos honorarunt vino, saltem
ut discederent nobis relictis.
Ego, quid mihi sit agendum, haereo prorsus. Hinc me tenent illi 31 . Illinc
expecto et a dominis Tigurinis revocari; hinc caesaris metuo iugum et perfidiam;
hinc dominorum me movet fides. Suadent multi, ut discedam, qui
me libenter carerent; hortantur, ut maneam, qui me libenter haberent. Vellem,
hoc unum a dominis Tigurinis impetrarem, ut liberum fieret mihi discedere,
quando bona conscientia manere non liceret. Dum enim semper
ipsorum cogor expectare responsum et interim, dum pericula aliqua significo,
in timiditatis suspitionem trahi, nimium res nostrae procrastinantur.
Quia ergo dubiae adhuc sunt res omnes, certi nondum quicquam constitui,
sed consilium tempus resque locusque dabunt. 32
Tres alii, praesertim Laurentius 33 et Rodolphus 34 , nihil nisi abitum meditantur
et quaerunt. Fuerunt apud consules, apud quos tam praefractis usi sunt
verbis et contumacibus, ut ex illis 35 ego audierim dominos eos duos b non
retenturos, si discedere velint. Hoc si ipsis indicarem, extemplo discederent.
Sed expectamus tuum et amplissimi senatus Tigurini consilium.
Ego profecto nullum detrecto periculum, quod ad gloriam Christi cedat,
sed ea, quae ad ecclesiae perniciem faciunt. Non tam cupio domi mihi bene
esse cum scandalo aliquo quam inter peregrinos male cum aliorum aedificatione.
Sed utrum hoc tempore sit faciendum et ecclesiae magis salubre et
nomini Tigurino honestum, te iudicem appello.
Legati ad caesarem missi 29. ianuarii caesari se dederunt. 36 Nunc agunt de
milite non recipiendo et rebus aiis Scribunt clementissimum se exhibuisse
caesarem et splendida pollicitum; quibus, qui velit, fidat!
||54r De electore 37 aiunt, quod Silesiam iam vastet. 38 Lypsiam captam, 39
ducem Mauritium aufugisse in Bohemiam. 40 Convenit innumerabilis exercitus
Danorum, Holsteinensium, Lünenburgensium, Brandenburgensium et
civitatum maritimarum 41 , quorum dux est Ernestus 42 , frater electoris. Aiunt
et caesarem in Africa portum quendam fortissimum amississe per Barbarossam
43 . Langrafium quidam, sed falso, Franckfurtum obsidere aiunt.
44
Caesar multos dimittit milites, qui undique discurrentes iter facientibus sunt
periculosi.
Metellus 45 a dominis dimissus at stipendio privatus, dum hac septimana a
Mindelheima 46 Augustam versus proficiscitur, apud Angelberg 47 ab Italis
captus est.
Claudius 48 ille pseudopropheta, nebulo pestilentissimus, revocavit errorem
suum, sed infecit alios, qui nondum revocare voluerunt.
De his, quod mihi succenses propter imprudentiam, quod scribam socero
meo 49 , quae ille deinceps diffundat, unde mihi timiditatis oboriatur nomen,
pauca respondi Gvalthero nostro, qui idem significavit. 50 Si quid peccatum,
soceri, non mea est culpa. Facio ego meum officium: Scribo illi rarissime et
simplicissime, quia scio eum propter senium 51 aliquantum delirare. Qui vero
ita mihi interpretantur, ut hinc me colligant esse pusillanimem, illi vel nullius
sunt iudicii vel alias mihi et omnibus pfaffis 52 (ut ipsi vocant) iniqui.
Parum curo Momos 53 illos impios. Novit dominus, qualis sim. Testabitur
ecclesia, qualem me praestiterim. Non volo nec possum falsa scribere, nisi
forte ipsi falsis magis quam veris delectantur! Sed de his paucula ad Gvaltherum.
Vale. Salutant te fratres nostri tres, 54 Musculus 55 et Cellarius 56 et Xystus 57
meus. Saluta tu quoque fratres omnes, uxorem 58 et liberos 59 charissimos.
erhaltenen Brief. —Bullinger hatte Haller
bereits früher eine ähnliche Ermahnung
erteilt; s.
HBBW XVII 188f.
Augustae Vindelicorum, calendis februarii 1547.
|
Ioan. Hallerus, perpetuo tuus.
[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, fidelissimo
Tigurinae ecclesiae pastori, domino suo et patri venerando. M.
Heinrych Bullinger. 60
|