[2743]
Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
7. Januar 1547
Autograph: Zürich StA, E II 357, 225f; [Beilage:] E II 357, 227 (Siegelspur)
Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 560-562,
Nr. 1391[1]Die Sache hängt ganz vom Herrn ab, auf den in allem zu vertrauen ist. —[2]Blarer wird
Bullingers Mahnungen [in einem nicht erhaltenen Brief]bezüglich eines akzeptablen Friedens
[mit Kaiser Karl V.]beachten, zumal hinterlistige Praktiken zu befürchten sind. Er denkt auch
nicht, dass die Konstanzer ihre Freundschaft mit den [vier protestantischen Orten]preisgeben
würden, besonders mit Bullinger, den Blarer mehr als sich selbst liebt. — [3] Er teilt völlig
Bullingers Standpunkt. Dessen "[Brevis] institutio"gefällt ihm sehr, und er hofft auf deren
weite Verbreitung [durch den Druck]. Er schickt sie dankend zurück. —[4]Es wäre nicht nötig
gewesen, dem Boten [...] Geld zu geben, da Blarer diesem schon 1/2 Florin ausgezahlt hatte!
—[5] Von [Georg]Frölich und [Johannes]Haller hat Blarer nichts gehört; mit Briefeschreiben
würden sie sich wohl der Gefahr aussetzen. Blarer hofft, dass Bullinger nicht vergebens
auf bessere Nachrichten [über die nach Augsburg entsandten Zürcher Pfarrer Lorenz Meyer
und Rudolf Schwyzer d.Ä.] wartet. —[6] Es ist unbekannt, aus welchem Ort [der Eidgenossenschaft]
die kürzlich erwähnten Gesandten stammen. Heute haben die Konstanzer einen
Boten nach Ulm geschickt, um Genaueres zu erfahren. Bullinger soll mit seiner ganzen Kirche
dafür beten, dass Christus den Seinen einen Weg aus dem Übel zeigt, ohne dass dadurch noch
Schlimmeres entsteht. Angesichts der drohenden Gefahr erweisen sich viele als schwach und
ängstlich. Für viele andere aber gibt es nichts Wichtigeres als Christi Ruhm und das Wohl des
Vaterlandes. Hoffentlich setzt sich letztere Gesinnung in dieser gefährlichen Zeit durch. Bullinger
soll unablässig dafür beten. — [7] Die von [Burkhard] von Kaltenthal angeführten
kaiserlichen Reiter, die neulich in Richtung Augsburg und wieder zurück gezogen sind, haben
unterwegs Pankraz Mötteli [vom Rappenstein]gefangen und nach Ulm geführt. Zudem haben
sie einen Wagen mit Gütern aus Augsburg (u.a. mit vier Ballen Barchent von [der Kaufmannsfamilie]
Bimmel) beschlagnahmt. In Ulm wurden sie jedoch aufgefordert, diese Fracht wieder
zurückzuerstatten. Zwei spanische Reiter, die auf Möttelis Pferden ritten, haben auf ihrem Weg
nach Ulm in Konstanz gespeist. — [8] Ein Freund [...] aus Ulm hat geschrieben, dass der
Kaiser ungefähr 7'000 spanische Soldaten im Oberland überwintern lassen wolle. Übrigens
sagten die [kaiserlichen]Reiter, dass sie wegen [der Verhaftung] von Mötteli den Sebastian
Schertlin nicht ergreifen konnten. —[9]Der Bischof von Augsburg [Otto Truchsess von Waldburg]
hat den Kartäusern in Buxheim befohlen, ihre alte Religion mit Messen, Gesang und
Zeremonien wieder auszuüben, ihren Habit erneut zu tragen und nicht mehr an den verbotenen
[evangelischen Predigten] in Memmingen teilzunehmen. Zwei Mönche [Johannes Chrysostomus
Haug und Hugo Schellang] wollen dies befolgen, zwei andere hingegen [Petrus Blomen
von Aachen und Andreas ...] keineswegs. Dies wurde am Vortag vom Memminger Stadtschreiber
[Georg Maurer]berichtet. —[10]Grüße und Aufforderung zum Gebet. Grüße auch
von K[onrad]Z[wick]und Thomas Blarer. —[11][P.S.:]Den beigelegten Brief möge Bullinger
mit Gruß an Hans Schöner aus Augsburg übermitteln. Blarer kann ihm nicht schreiben. Er
kann sich auch nicht vorstellen, wie dessen Angelegenheit sich zum Guten wenden könnte.
—[12][Beilage:] In Eile. Erhard Schnepf ist [gerade] mit den Angehörigen seines Haushaltes
und anderen Tübinger Frauen in Konstanz eingetroffen, weil man vonseiten der Kaiserlichen
ähnliche Gräueltaten wie in Marbach am Neckar befürchtet. —[13] Der Kaiser soll Frankfurt
erobert haben. — [14] Am Vortag hat der Obervogt zu Balingen, [Hans Kaspar] von Anwyl,
einen Knecht [...] nach Bischofszell geschickt, um Frau [Katharina, geb. von Neuneck] und
Kind, die er bei seiner Mutter [...] in Sicherheit gebracht hatte, wieder zurückführen zu lassen
mit der Begründung, dass der Kaiser sich gnädig erweise, Frieden geschlossen wurde und alle
Soldaten bereits abgezogen seien. Das soll man glauben! —[15] Konstanz möchte unbedingt
Genaueres über den Frieden mit Württemberg in Erfahrung bringen und wundert sich, dass
der Bote [...], den der Rat nun zum dritten Mal auf den Hohentwiel entsandt hat, immer noch
nicht zurückgekehrt ist. Er wurde am 3. Januar abgefertigt, und Blarer hatte ihm einen Brief
für [Johannes] Knoder mitgegeben. Einige sind der Meinung, dass der Kaiser Württemberg
einen Frieden angeboten hat, der etliche Klauseln enthält, die Herzog Ulrich von Württemberg
nicht annehmen will. Andere behaupten hingegen, dass der Herzog den Frieden angenommen
habe und dass dieser [hinsichtlich der Ausübung des Glaubens]günstiger ausfalle als jener
der Ulmer. — [16] Jeder, der sich dem kaiserlichen Frieden unterwirft (auch Esslingen und
Reutlingen sollen einen solchen geschlossen haben), muss den [Schmalkaldischen Bund]aufkündigen.
Folglich begreift Blarer nicht, wie man Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst
Johann Friedrich von Sachsen so leicht im Stich lassen kann! Wie kann man nur so verzagt
sein! —[17] Sobald der zu jeder Zeit erwartete Gesandte vom Hohentwiel wieder in Konstanz
ist, wird Blarer berichten. — [18]Bullinger möge beten, dass die Konstanzer sich nicht einschüchtern
lassen und in einen gottlosen Frieden einwilligen. Blarer ist bereit, [seiner Gemeinde]
beizustehen und jede Gefahr in Kauf zu nehmen. Einen faulen Frieden aber wird man
ihm nicht aufzwingen können.
S. Ita vere est, mi venerande Bullingere, charissime et optime in Christo
frater, pendet haec res tota a domino, a quo utinam omnia etiam consilia,
omnes conatus nostri adeoque etiam nos ipsi, quantulicunque sumus, perpetuo
pendeamus!
Quae de pacis condicionibus admones, 1 quales recipere nos conveniat,
quod me sane attinet, diligentissime curavero. Nam video, quanta nobis
perfidia merito sit metuenda, etiamsi sanctissime in speciem detur fides. De
nostris vicinis 2 (intelligis, quid velim) non puto committent nostri, quoad
eius omnino fieri potest, ut non illos constanter in amicitia retineant, te
imprimis, erga quem amor meus prius quam ipsa vita (mihi crede) a ponetur.
Quod iudicium mihi tuum paucis exposueris, gratiam habeo planeque illi
subscribo. "Institutio" tua 3 vehementer mihi probatur, magis autem probabitur,
überlieferte Schrift "Brevis institutio pastorum,
quomodo in his temporibus periculosis
consolentur et regant suae curae
commissas ecclesias. HB. 28. Ianuanii
1547" (Zürich ZB, Ms K 40, f. 132-141,
Nr.
8; Abschrift von unbekannter Hand,
datiert auf den 28. Januar 1547), die Bullinger
als Karlstagsrede am 28. Januar
vortrug; vgl. Nr.
2776,1-3; Nr.
2807,17-19.
ubi in innumera exemplaria divulgatam video. Eam nunc tibi remitto
maximis majores gratias agens, quod miseris.
Tabellario 4 non oportebat quicquam aut certe non tantum numerare, quum
praesertim ego illi viatici nomine 1/2 fl. dederim.
De Laeto 5 et Hallero 6 ne verbum quidem audio. Puto, quod non Iam tutum
illis sit ad quemquam de suis rebus scribere. Quod fore speras, propediem ut
meliora de vestris 7 audiamus, dominum obnixe precor, ne frustra speres.
Legati isti, 8 de quibus te proxime certiorem fecimus, cuius pagi homines
sint, prorsum ignoramus. Verum in hoc hodie a nostris nuncius 9 Ulmam
abmandatur, ut certo (si fieri possit) istuc resciscant. 10 Ah, mi frater, mi
anime et viscera mea in domino, fac cum tota tua ecclesia pro nobis pia et
perpetua apud Christum vota, ut suo spiritu dignam aliqua se professis rationem
indicet, qua explicari malis istis sic possimus, ut ne malis mala
infeliciter accumulemus! Video multorum in ferenda cruce et obeundis religionis
caussa periculis parum masculos animos, multorum etiam prorsus
metu expugnatos, quamquam interim specula nonnulla animum tenet meliorem
partem victuram infirmiorem. Multos profecto egregie solideque pios
habemus, quibus nihil Christi gloria et patriae salute antiquius est. Quorum
etiam sententiam in dubiis istis et periculosissimis rebus obtenturam speramus.
Tu nobiscum spera, neu spe ista excidamus caelestem patrem ardentissime
per filium suum Iesum Christum, servatorem nostrum, perpetuo precare.
||226 Die kaiserischen reuter, 11
so die tag hinab uff Augspurg und wider
heruff 12 kommen sind, deren der von Kaltental 13 oberester ist, haben den
Pancratz Möttlin 14 underwegen gefangen und neben unser statt hin uber die
pruel 15 hinab gen Ulm gefiert 16 . Der von Kalthenthal und die andern spanysche
herren der reuter haben ain wagen mitt güter von Augspurg (darunter
der Bymel
17 vier pallen mitt parchet 18 ) hereingefiert und hie arrestiert. Der
müsß es zü Ulm ledig machen
19 . Auch haben die spanyschen herren zway
des Möttelis rosß geritten, hie zü mittag gessen und darnach b hinab uff Ulm
gezogen.
Es ist auch von ainem güten freund 20 hieher uß Ulm geschriben, das der
kaiser 21 sein spanysch kriegsvolck heruff in die oberlendschen stett legen
welle, deren byß in 7'000 sein sollen, das man sy uswyntere. 22 Die reuter
sagend, sy seyen mitt dem Pancratz Möttelin verhindert worden; sonst wellten
sy den hoptman Schertlin 23 wol ergryffen haben.
Der bischoff von Augspurg 24 hat unser chartusern zü Buchshaim 25 alls ir
bischoff und ordinarius bevolchen, ir allte religion mitt messlesen, singen
und cerimonien vermög irs ordens 26 alsbald widerum zü üben, iren habit
antragen und sich der verpottnen 27 lehr zü Memingen enthalten. Das wellen
irer zwen 28 thain 29 , die andern zwen 30 gar nitt und eh 31 in das ellend gehn.
Haec omnia heri ad me archigrammateus Memingensis 32 .
Tu, mi Bullingere, bene in Christo vale cum tota tua domo pariter et
administris tuis in Christo, quos singulos meis verbis amantissime salutabis,
utque ecclesiam nostram domino sedulo commendent, diligenter exhortaberis.
Salutem tibi adscribere iubent nostri omnes, praecipue C[onradus]
Z[viccius] et germanus meus frater 33 . 7. ianuarii 1547.
A. Bl.
Wellt bygelegten brieff dem Hans Schöner
34 von Augspurg uberantwurten
und im vyl liebs und güts von mir sagen. Hab warlich nitt zyt ze schriben.
Ich kan nitt gedenken
35 , wie sich doch des güten mans sach schicken werde.
||227 [Beilage:]
In höchster yl. Es ist Schnepffius 36 herkomen mitt allem gesind und ettlich
mehr Tübinger weyber ausß entsytzung 37 der grausamen handlungen, so
der find 38 im stettlin Marpach 39 in Wirtemperg geübt hat.
Der kaiser soll yetzund Franckfurt ouch erobert haben. 40
Uff gestert hat der obervogt zü Balingen 41 (ist ainer von Anwyl) c seinen
knecht 42 heruff geschickt gen Bischofzell, das er sein wyb 43 und kind 44 die
er dann heruff zü der mütter 45 geflöchnet 46 hat, widerum hinab helffe belaiten,
mitt anzögung, das man ain gnedigen kaiser und ain friden habe. Seye
auch alles kriegsvolck widerum usß dem land gezogen. Das müssend wir
nun globen! Dann 47 hie ist ain vanitas 48 zü besorgen by disem mann und
seinem knecht.
Darneben wunder uns zum hochsten, wie die conditiones 49 seyen, und
befrombdt mine herren, wie es doch komme, das ir letster bott 50 , den sy yetz
zum dritten mal uff die Hochen Wiel 51 gefertiget, noch nitt widerkompt, der
doch uff montag 52 abgefertiget aubends, by welchem ouch ich widerum dem
doctor Knoder 53 allerlay geschriben. Es wellen ettlich sagen, der kaiser habe
der lantschafft 54 uff ir trungelich 55 ersüchen friden zügesagt mitt ettlichen
conditionen, die der hertzog 56 nitt wellen annemmen. Ettlich sagen, der hertzog
habs angenomen; 57 seye aber etwas glympfiger 58 dann dero von Ulm
handlung 59 .
In summa, diewyl yeder die pundtnusß 60 müsß uffsagen 61 , den der kaiser
annympt (wie dann Esslingen und Rütlingen 62 ouch schon gethon), kan ich
die rechnung nitt machen 63 , mitt was billicheit man den landtgrauffen 64 und
Sachsen 65 allso verlassen mög. Ach gott, wie ists doch so ain ellend verzagts
ding by denen leuten!
Wir wartend all ougenplick widerum bottschafft ab die Wiel. Alsdann
schreib ich euch by erster bottschafft wyter 66 .
Bittend trulich, trulich mitt styfem 67 glouben für uns, das doch mine herren
sich weder mitt tröwen 68 noch glatten worten vermögen lassind zü aincher
versönung, die nitt mitt gott sein mög. Alle fahrlichait 69 will ich gern
helffen beston um der warhait und gerechtikait willen. Aber frid und rü mitt
der ungerechtikait waiß ich nitt zü tragen, man thü mir, wie man welle.
Datum 7. ianuarii 1547.
Tuus A. Bl.
[Adresse auf der Rückseite:]Bullingero suo. Tiguri.