Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2739]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz,
4. Januar 1547]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 675f (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 558-560, Nr. 1390

[1]Bullinger wird nun sicherlich über die Ergebnisse der Verhandlungen [zwischen Georg Müller und Konrad Zwick] in Stein [am Rhein]informiert worden sein. Wie beschwerlich doch alles ist! [2] Peter Scher d.Ä. von Schwarzenburg schrieb am Vorabend einen Brief aus Balingen, voll von schrecklichen Nachrichten. Darin berichtet er, dass die Kaiserlichen in Württemberg so schlimm wüten, dass sie selbst die Türken in den Schatten stellen. Die Menschen flüchten, irren umher und wissen weder ein noch aus! In Markdorf [richtig: Marbach am Neckar] haben die Kaiserlichen entgegen ihrer Zusage besonders schrecklich gehandelt: Die Männer wurden an ihren Genitalien aufgehängt; ihre Frauen und Töchter vor ihren Augen geschändet; und um an das Geld der Leute zu kommen, folterte man sie auf jede erdenkliche Art und Weise; auch die Amtsträger wurden lange gemartert, ehe man sie tötete; Haus und Hof etlicher Adliger wurden niedergebrannt. Viele Pfarrer sind geflüchtet, weil man einigen die Genitalien herausschnitt. Auch nagelte man einigen Pfarrern Teller auf die Köpfe als Strafe dafür, dass sie die Tonsur der Geistlichen verweigert hatten. [3] Am vorigen Mittwoch [29. Dezember]hat der Herzog von Alba, Fernando Alvarez de Toledo, Stuttgart und Cannstatt zur Kapitulation aufgefordert. Obwohl die Städte um Bedenkzeit gebeten hatten, mussten sie sich sofort ergeben. Auch dort hat der Feind grausam gewütet. Scher vermutet, dass unterdessen auch Tübingen gefallen ist, auch wenn die Garnison des Schlosses vorhat, Widerstand zu leisten. [4] Lehrer und Studenten sind bereits aus Tübingen geflüchtet; so auch Erhard Schnepf der vorgestern in Konstanz eintraf wo man ihm auf seine Bitte hin Unterschlupf gewährt. Er wartet noch auf Frau [Margarete, geb. Wurzelmann] und Kinder. Auch er berichtet von großem Jammer. [5]Herrenberg wurde ebenfalls eingenommen. Das ganze Land [Württemberg] wird bald erobert sein, ausgenommen die besetzten Festungen wie Schloss Tübingen, Urach, Hohenasperg, Schorndorf Kirchheim unter Teck und wenige andere. Hoffentlich halten sie stand. [6]Blarer hat gestern einen Brief von [Johannes Knoder] vom Hohentwiel empfangen. Darin wird berichtet, dass Herzog [Ulrich von Württemberg] in Verhandlung [mit Kaiser Karl V] steht, dass er sehr unzufrieden ist und nur einen ehrlichen Frieden anstrebt. Seine Gesandten [Balthasar von Gültlingen, Johann Fessler und Ludwig von Frauenberg]sind noch nicht [vom Kaiser]zurückgekehrt. [7] Wie konnte sich nur solch eine Tyrannei widerstandslos durchsetzen? Wer hätte geglaubt, dass eines der beiden Lager zugrunde gehen würde, ohne jegliche Kriegshandlung? Gott möge helfen! [8] Doch noch ist Blarer unverzagt und hofft, dass auch dieser Feind mit Gottes Hilft nachgeben wird. Gott gebe

1 Der Briefinhalt sowie die Neujahrswünsche (unten Z. 53-55) lassen auf eine Datierung um die Jahreswende 1546/47 schließen. Aus der Angabe unten Z. 22 geht hervor, dass vorliegender Brief spätestens am Mittwoch den 5. Januar verfasst worden sein muss. Angesichts der hier übermittelten Nachrichten zu Marbach am Neckar, Stuttgart und Tübingen (s. unten Anm. 10, Anm. 19 und Anm.
25) zum einen und angesichts der Distanzen zwischen Marbach bzw. Stuttgart und Balingen sowie zwischen Balingen und Konstanz (s. unten Anm. 5) zum anderen kann vorliegender Brief kaum vor dem 2. Januar entstanden sein. In Kombination mit den Angaben unten Z. 57f und Anm. 56 ist der Brief somit auf den 4. Januar zu datieren.


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einen echten Frieden! Blarer wünscht Bullinger und den Seinen ein gnadenreiches und friedliches Jahr auf Erden, und jenseits das ewige Leben! [9]Aufgrund seiner vielen Verpflichtungen muss er nun den Brief schließen. Bullinger wird erfahren, dass der Konstanzer Rat an den Zürcher Rat geschrieben hat. [10]Anbei die Abschrift eines Schreibens [Hans] Baumgartners vom 23. Dezember. Der Rat erhielt es gestern in Abwesenheit von [Konrad Zwick]. Bullinger kann daraus ersehen, wie die [Friedensverhandlungen] mit schönen Worten [schmackhaft gemacht werden]. [11]Möge der Herr uns behüten! Grüße.

Hertzallergelieptester brüder, was zü Stain 2 gehandelt, werdt ir wol bericht sein. Ach gott, ewiger gott und barmhertziger vatter, wie tragend sich doch die sachen so gantz beschwerlich zü

Mein lieber schwager Peter Schär 3 schribt auff necht 4 von Balingen 5 auß Wirtemperg so ain kleglichen brieff. Ain froms hertz söllt billich 6 blüt darob wainen, das der zorn gottes so grausam über unß ergangen ist. Er zögt an, das die find 7 uber all ding grausam in Wirtemperg handlind, das kain Turck erschrockelicher handeln köndt: Die leüt fluchind 8 , gangind irrs, louffind hin und wider, wissind nitt wa uß; ziechind mütter und kind, jungfrauwen und allte weiber so jemerlich um 9 , das es ain stain erbarmen mocht! Im stättle Marckdorff 10 habend sy uber 11 ir züsagen so erschrocklich gehandelt, das unglouplich: Die menner by den gemechten 12 uffgehenckt, ire wyber und tochteren angsicht irer 13 augen geschondt, alle menschen mitt wunderseltzamen folterungen gepeiniget, gellt von inen ze pringen; alle ampt und bevelchsleut, die sy betretten 14 , müssend herhalten, vorhin lang gemarteret und darnach erst gar erwirgt werden! Ettlichen edelleuten haben sy auch huß und hof verbrent. Vyl pfarrer sind entrunnen uss den flecken und dörffern, dann 15 sy ettlichen die gmecht gar ausgeschnitten. Item sy habend negel in teller gehefft und ettlichen pfarrern uff die köpff genaglet und geschlagen,

2 Zum Treffen zwischen Georg Müller und Konrad Zwick in Stein am Rhein am 2. Januar s. HBBW XVIII 461, Anm. 56; 465f, 18-26; 466f,38-47.
3 Peter Scher d.Ä. von Schwarzenburg, dessen Verwandtschaftsgrad mit den Blarers nicht nachvollziehbar ist; s. HBBW XV 541, Anm. 30. "Schwager" wird jedoch auch zur vertraulichen Anrede unter nicht verwandten Personen gebraucht; s. Fischer V 1229.
4 gestern Abend.
5 Der Ort befindet sich etwa 95 km südlich von Marbach am Neckar, 70 km südlich von Stuttgart, 35 km südlich von Tübingen (alles Ortschaften, über die Scher in seinem Brief an Blarer berichtet hatte) und etwa 85 km nördlich von Konstanz, wo Blarer Schers Brief empfing, ehe er den vorliegenden Brief schrieb.
6 zu Recht.
7 Feinde.
8 fliehen; s. SI I 1182.
9 umziehen: hier möglicherweise im Sinne von quälen, belästigen; s. Grimm XXIII 1290. — Gemeint wäre also, dass die Feinde die Frauen und Kinder quälen.
10 Verwechslung mit Marbach am Neckar, wo vom 28. bis 30. Dezember die Truppen Philipps von Lannoy, des Prinzen von Sulmona, unmenschlich hausten; s. Heyd, Ulrich von Württ. III 448 und Anm. 19.
11 entgegen; s. SI I 58.
12 Genitalien; s. Fischer III 315.
13 ihrer Männer.
14 aufgreifen; s. Fischer I 956.
15 da, weil.


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zü inn gesagt: diewyl sy nitt platten 16 habind tragen wellen, müssind diß ire platten sin. In summa: Es ist ain unglouplich tyranny!

Uff nechstvergangen mittwoch 17 hat der duca de Alba 18 Stütgart 19 und Canstett 20 uffgefordert 21 . Habend sy ain verdacht 22 begert, aber nitt erlangen mögen, sonder habind sich gleich uffgeben müssen. Habind 23 da gehauset und noch, das es nieman ersagen 24 könne. Und achtet min schwager, sy habind yetz Tubingen auch inn, wiewol sich die im schloss weren wellen. 25

Die doctores und studenten sind vor ettlichen tagen all zerstoben 26 und hinwegg. Doctor Erhart Schnepff 27 ist uff vorgestert 28 herkommen von Tubingen. Wartet all stund seiner weyb 29 und kind 30 . Begert hie underschloff, der ime ouch bewilliget worden. Sagt von grossem jomer.

Herrenberg ist ouch berendt, und wirt das gantz land in kurtzen tagen gar eroberet, aussgenommen wa vestinen 31 sind mitt züsetzen 32 , alls schlosß Tubingen, 33 Urach, 34 Asperg 35 Schorndorff 36 , Kirchen under Teck 37 und wenig ander; mögend sich, wills gott, enthalten 38 .

16 Die Tonsur der katholischen Geistlichen; s. SI V 194.
17 Angesichts der unten in Anm. 19 gemachten Angaben kann hier nur Mittwoch der 29. Dezember 1546 gemeint sein.
18 Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba (1507-1582).
19 Stuttgart wurde am Donnerstag (nicht Mittwoch) den 30. Dezember aufgefordert, sich den Kaiserlichen zu ergeben. Am 31. Dezember musste die Stadt ihre Tore den Truppen von Francisco Duarte und Konrad von Boyneburg (auch Bemelburg genannt) öffnen; s. Heyd, aaO, 450; Karl Pfaff Geschichte der Stadt Stuttgart, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1650, Stuttgart 1845, S. 215f.
20 (Bad) Cannstatt, heute Stadtteil von Stuttgart.
21 zur Übergabe aufgefordert; s. FNHDW II 414.
22 Bedenkzeit.
23 Subjekt sind die Kaiserlichen.
24 berichten; Worte dafür finden; s. SI VII 408.
25 Tübingen hatte am Dienstag den 4. Januar eine Botschaft an den Herzog von Alba gesandt. Die Stadt huldigte Kaiser Karl V. am 6. Januar. Das Schloss aber blieb dem Herzog Ulrich von Württemberg erhalten, dank des entschlossenen Widerstands des Schlossvogtes Ulrich
Schilling; s. Heyd, aaO, S. 451; Karl von Martens, Geschichte der innerhalb der gegenwärtigen Gränzen des Königreichs Württemberg vorgefallenen kriegerischen Ereignisse, Stuttgart 1847, S. 272.
26 geflohen; s. SI X 1088.
27 Erhard Schnepf, Pfarrer und Professor in Tübingen.
28 Dank der genauen Datierung dieses Briefes in oben Anm. 1 steht nun fest, dass Erhard Schnepfs Ankunft in Konstanz auf den 2. Januar 1547 anzusetzen ist. Dieses Datum wird auch durch den Brief des Konstanzer Rats an Zürich vom 4. Januar (Zürich StA, A 177, Nr. 157) bestätigt. Daraufhin holte Schnepf seine Familie nach oder ging dieser zumindest entgegen, um zusammen mit ihr am 7. Januar in Konstanz einzutreffen; s. Nr. 2743,65-67. Demzufolge können nun die Angaben bei Hermann Ehmer Erhard Schnepf. Ein Lebensbild, in: BWKG LXXXVII, 1987, 102, präzisiert werden.
29 Margarete, geb. Wurzelmann.
30 Zu den acht Kindern Schnepfs s. Julius Hartmann, Erhard Schnepff, der Reformator in Schwaben, Nassau, Hessen und Thüringen, Tübingen 1870, S. 9. 128f.
31 Festungen.
32 Besatzung; s. Fischer VI/1 1382.
33 Siehe dazu oben Anm. 25.
34 Urach unterwarf sich am 9. Januar, nachdem es am 2. und 6. Januar dazu aufgefordert wurde; s. Martens, aaO, S. 272f.


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||676 Ich hab brieff ab Hochenwiel 39 empfangen uff necht, by denen ich abnym, das der hertzog 40 übel züfriden 41 und das er wol in ainer handlung 42 , aber gar nitt willens ist anzenemmen, das im verwisslich 43 und unehrlich seye. Seine gesandten 44 sind noch nitt widerum kommen. Mittler zeyt handelt der find alls tyrannisch und grausam. Hoff zü gott, es werde nichts drausß, das er sich allso an kaiser ergebe. Ist weger 45 , ain land vorloren 46 mitt ehren, dann mitt schand und unehr behalten. Es mag allweg 47 bald widerum gewunnen werden, sonder wann 48 ettlich vestinen halten und ja der herr gott ain benügen well haben.

Ach, min gott, ists nitt zü erbarmen, das solich tyranney on allen widerstand ain fürgang haben solle? Wer hetts ymmer 49 geglopt a , das man dermassen stillsytzen und ye ainer den andern, byß er verderbe, züsechen sollt! Hilff, ewiger gott! Wie ist das so ain grosser zorn?

Nun wolan! Noch byn ich unverzagt und hoff ongezwyfellt, diser find müsß ouch, und nun bald, frid geben und verzablen 50 durch weg und mittel, die dem lieben vatter im himel wol bekandt sind! Den helffend unß mitt ernst und trungelichem pitt 51 anrüffen. Er well unnß mitt gnaden ansechen, sein schwert instecken und ain bestendigen friden geben um des fridfursten 52 Jesu Christi willen! In dem wunsch und beger ich hertzlich usß allen krefften euch und den ewern vyl, vyl güter, gnadreycher, frydrycher, globricher 53 , liebricher und dultricher jar hie, und dört 54 das ewig leben! Amen. Amen.

a In der Vorlage gelopt.
35 Die Festung Hohenasperg bei Asperg (Lb. Ludwigsburg, B.-Württ.), etwa 18 km nördlich von Stuttgart; s. dazu schon HBBW XVIII 438, Anm. 18. Sie ergab sich am 15. Januar; s. Martens, aaO, S. 275.
36 Die Festung (Burgschloss) Schorndorf (Rems-Murr-Kreis, B.-Württ.), etwa 30 km östlich von Stuttgart. Die Festung ergab sich auch am 15. Januar; s. Martens, aaO, S. 275.
37 Kirchheim unter Teck (Kr. Esslingen, Baden-Württemberg), etwa 30 km südöstlich von Stuttgart. Die Festung wurde bereits am 31. Dezember vom Herzog von Alba zur Übergabe aufgefordert, ergab sich aber erst am 9. Januar (oder kurz zuvor); s. Martens, aaO, S. 275.
38 behaupten, standhalten; s. Fischer II 731.
39 Die Festung Hohentwiel bei Singen (Lkr. Konstanz), etwa 30 km nordwestlich von Konstanz. — Bei dem Briefschreiber handelte es sich vermutlich um den württembergischen Altkanzler Johannes Knoder; vgl. Nr. 2743,79f; Nr. 2746,25-30.
40 Ulrich von Württemberg.
41 Vgl. schon HBBW XVIII 426,44-50.
42 Friedensverhandlung. — Der Herzog stand seit Anfang Dezember in Verhandlung mit dem Kaiser; s. Heid, Ulrich von Württ. III 454-465.
43 tadelnswert; s. Fischer II 1408.
44 Balthasar von Gültlingen, württembergischer Hofrat und Kriegsrat des schmalkaldischen Bundesheeres, Kanzler Johann Fessler und Ludwig von Frauenberg; s. Heyd, Ulrich von Württ. III 466- 470.
45 besser; s. Fischer VI/1 353.
46 verloren.
47 wohl; s. SI XV 863.
48 sonder wann: besonders wenn.
49 je.
50 zugrundegehen; verzweifeln; s. SI XVI 106.
51 trungelichem pitt: inständigem Bitten.
52 Anspielung auf Jes 9. 5.
53 glaubensreiches (Jahr).
54 im Jenseits.


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Ich kan nitt mehr. So vyl ist der geschefft und schreibens, das mir uff dem hals lygt! Habt für güt 55 Es schreiben mine herren den ewern, wie ir bericht werdt. 56

So schick ich euch mitt ain copey aines schribens 57 . Ist erst gestert in abwesen meines vetters 58 meinen herren von dem reychen, gwaltigen mann, dem dem Pomgarter 59 , zükomen, wiewol 23. decembris geben, ausß dem ir leycht zü vernemmen hapt, was man sich mitt güten worten zü erlangen understaht 60 .

Der ewig, barmhartzig vatter behüt unß vor allem, das seinem nammen unehrlich und deßhalb unß an unserm hail und ewigen leben nachtailig seye! Grüzt all güt herren und freund. Euch grüzt yederman.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse: b ] An Maister Hainrich Bullinger c .