Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2563]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
3. September 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 246 (neu: 264)(Siegelspur) Ungedruckt

Immer noch heißt es, dass Martin von Rossem wegen der Bedrohung Frieslands durch den dänischen [König Christian III.] zurückgerufen worden sei. Einige behaupten, dass [Maximilian von Egmont, Graf] von Büren, den Rhein bei Bingen überquert habe und dabei die Hilfe eines Mainzer Kanonikers mit dem Beinamen "Leuis"[Siegfried Hundt von Wenckheim] beansprucht hat; andere wiederum, dass er den Strom nicht überquert habe, sondern beide Ufer besetze. Demzufolge schickten die Straßburger Kundschafter aus, die aber noch nicht zurückgekehrt sind. Man fürchtet sich vor Bürens Heer. Doch bis dieses zur Donau gelangt, kann noch viel passieren! [Matthias] Erb schrieb, dass Büren in Württemberg einfallen wolle. Andere meinen, er habe vor, über den Hunsrück zu ziehen, wie dies [Landgraf Philipp von] Hessen tat. Seltsam, dass sich niemand ihm entgegenstellt! Bernhard [Meyer zum Pfeil, dem Myconius zufällig begegnete]führte als Erklärung [dafür, dass beide sich kaum mehr sehen], seine vielen Verpflichtungen an (wohl wegen des künftigen Tags zu Aarau, zu dem er bereits abgereist ist) und meinte ferner scherzhaft, dass er Myconius ja auch nirgends antreffe! [Antoine] Morelet [du Museau], der Gesandte König [Franz' I.] von Frankreich [in der Eidgenossenschaft], hat vor einigen Wochen einen Franzosen [...] ins Lager des Kaisers [Karl V.] und des Landgrafen geschickt. Am 31. August befand sich dieser wieder in Basel. Er erzählte, dass Ingolstadt und die dort befindlichen Spanier ein Abkommen mit den [Schmalkaldenern] geschlossen hätten. Als Karl V. dies vernahm, soll er sich entschlossen haben, mit seinem Heer Regensburg zu verlassen, um die [Schmalkaldener]anzugreifen. Als die Spanier in Ingolstadt davon erfuhren, beschlagnahmten sie den [Schmalkaldenern] zwei Wagen mit Proviant. Unterdessen soll Karl V. durch einen Gesandten [...] dem Landgrafen den Kampf angesagt haben. Letzterer lagerte sich daraufhin an einer geeigneten Stelle, und als er hörte, dass 2'500 kaiserliche Reiter vorhätten, ihn anzugreifen, schlug er diese mit 3 '000 Reitern in die Flucht. Dabei wurden an die 40 Reiter und einige Büchsenschützen niedergelegt. Der Landgraf verlor nur einen Mann [Christof von Bodenhausen]. In Samt gekleidete Gefangene [Aurelio Ruffino und Bartolomeo dal Monte]gestanden, dass der Kaiser versprochen hätte, ihren Angriff zu decken, dass er aber kehrtmachte, sobald er die Feinde sah. Ein Straßburger Gesandter [Heinrich Walther] bestätigte diese Nachrichten und meldete ferner, dass die [Schmalkaldener]vorhätten, den Kaiser sobald wie möglich anzugreifen. Der Kaiser hat die Kriegserklärung [die Verwahrungsschrift" der Fürsten]zurückgewiesen und dem jungen adligen Überbringer [... von Plato] mit Tod durch den Strang statt Gefängnis gedroht. Vom Landgrafen und den Seinen, über die er die Reichsacht verhängt hat, wolle er nichts annehmen! Wird denn Gott solch eine Frechheit dulden? Der Stadtschreiber [Heinrich Ryhiner] erzählte, der König von Dänemark ziehe gegen den Feind. Das sei ihm bisher wegen des Widerstandes einiger Adliger und deren Handelsbeziehungen zu Holland sowie wegen eines in Speyer geschlossenen [Friedens]vertrages mit dem Kaiser nicht möglich gewesen. Angeblich haben [Herzog] Moritz [von Sachsen] und [Kurfürst Joachim II. von]Brandenburg zwischen den feindlichen Parteien zu vermitteln versucht. Myconius kann dies aber nicht glauben. [Den von Bullinger erwähnten Francesco di]Castellalto kennt Myconius nicht. Auch weiß er nicht, wo Heiterwang liegt. Bullinger hätte berichten sollen, ob er sich um die [Alpen]pässe und die Klause Ehrenberg Sorgen mache. Myconius dachte nämlich, dass diesseits der Pässe alles sicher sei und wundert sich, dass die [Schmalkaldener] die Ihren [von dort] abziehen! Wäre es nicht an der Zeit, dass [die protestantischen Eidgenossen](die Angst haben, vor dem was nicht zu fürchten ist) nun angreifen? Gott könnte ihre ängstliche Haltung bestrafen! Möge er sie bekehren! Die [Briefbeilage] wird Myconius nach der Lektüre zurücksenden.


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[P.S.:] Sollten die Fünf [Orte] sich mehr dem Kaiser als ihren Eidgenossen verpflichtet fühlen, dann haben sie sich wohl mit "Jösli" [dem Papst? dem Teufel?] verbündet!

S. Manet rumor de Martino a Ross 1 . quod revocatus sit propter Danum 2 , qui immineat Frisiae, Bürensis 3 vero transisse Rhenum dicebatur proditore canonico Maguntino a Leuis cognomento 4 apud Bingen; nunc vero non transisse, sed utramque marginem occupasse narratur. 5 Miserunt speculatores Argentinenses, quos nondum redisse autumo. De eo quidem exercitu timor idem nos ambos 6 tenet. Verum multa, nosti, cadunt inter os et offam 7 . Quidni igitur caderent longe plura etiam inter hunc exercitum et Istrum 8 ? Erbius 9 scripsit nudiusquartus rumorem esse Bürensem vi perrupturum Wirtembergarn. 10 Dicunt alii per montem transiturum, quem Hundsruck 11 vulgo vocant; iterum alii per eam viam, qua profectus est Hessus 12 . Minim, quod nemo occurrit.

Expostulavi cum domino Bernhardo 13 , sed blande. Excusavit negocia et quod nullibi occurrerim. Deinceps tamen nihil dedit, forsitan propter conventum Aroviensem 14 , quo abut.

Venit ultima augusti ex castris et Caroli 15 et Hessi missus 16 ante aliquot septimanas a Mauro 17 , legato Galli 18 qui sic narravit: Ingolstadium nostris iuramentum dedisse una cum Hispanis, qui illic erant. 19 Intellexisse rem Carolum et reliquisse Ratisponam cum omnibus copiis et obviam iisse nostris. 20 Id intelligentes Hispani post discessum nostrorum defecisse protinus

a Maguntino am Rande nachgetragen.
1 Martin von Rossem. — Siehe schon Nr. 2540,7-11, sowie Nr. 2544.
2 König Christian III.
3 Maximilian von Egmont, Graf von Büren.
4 Siegfried Hundt von Wenckheim; s. PC IV/1 338, Nr. 320, und Katharina Margareta Reidel, Bingen zwischen 1450 und 1620, s.I. 1965, S. 38.
5 Zur Rheinüberquerung der Truppen unter dem Grafen von Büren s. Nr. 2548, Anm. 50; Nr. 2551,5-11; und zuletzt Nr. 2561,9-11.
6 Bullinger und Myconius oder, im weiteren Sinne, Zürich und Basel.
7 multa cadunt inter os et offam: es trägt sich viel in einem Augenblick zu; s. Adagia 1, 5, 2 (ASD II/I 478, Nr. 402). 8 Donau.
7 Matthias Erb aus Reichenweier.
10 Ähnliche Befürchtungen in Nr. 2548, Anm. 50; PC IV/1 369, Nr. 346.
11 Der Hunsrück (Mittelgebirge in Rheinland-Pfalz und im Saarland), dessen Erwähnung
angesichts der vom Grafen von Büren eingeschlagenen Route in Richtung Frankfurt am Main hier keinen Sinn ergibt.
12 Landgraf Philipp von Hessen; vgl. nämlich PC IV/1 319, Nr. 299 (vom 16. August 1546).
13 Bernhard Meyer zum Pfeil. — Hier liegt eine Anspielung auf Nr. 2540,30-32, vor.
14 Die Tagsatzung der Vier protestantischen Stadtkantone zu Aarau vom 29. August; s. Nr. 2544, Anm. 4.
15 Kaiser Karl V.
16 Ein unbekannter Franzose; s. unten bei Anm. 28.
17 Antoine Morelet du Museau, Seigneur de la Marche-Ferrière.
18 König Franz I.
19 Zu dieser Verständigung mit Ingolstadt s. Nr. 2537, Anm. 6; Nr. 2548,20-29.
20 Zur Verlagerung des kaiserlichen Heeres s. Nr. 2533, Anm. 22; Nr. 2541, Anm. 29; Nr. 2550,35-37.


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et duos currus plenos commeatu cum aurigis retinuisse. 21 Interim Carolum misisse, qui 22 nunciaret Hesso praelium. Bonus hic delegit campum adcommodum et illum expectavit, dumque iam commedissent 23 , admonitus prope esse 2'500 equites, quorum singuli post se adducerent bombardarios 24 cum uncatis 25 singulos. Instructis e vestigio 3'000 equitum sit obviam, congreditur et in fugam hostes compellit equitibus usque ad 40 deiectis et aliquot bombardariis, uno tantum 26 de suis amisso. Captos esse aliquot serico villoso tectos 27 , qui narrarent caesarem pollicitum se comitem ipsis futurum, sed statim hostibus inspectis retro abiisse. His auditis ex Gallo 28 quidam credebant, quidam non, atque dum hererent ita, advenit tabellio Argentinensis 29 eadem omnino ferens, hoc solo adiecto b in animo esse nostris quamprimum adoriri Carolum instructum millibus usque ad 40. Et nisi elabatur versipellis 30 , aliquid fiet ad diem usque solis 31 . Orandus dominus noster Jesus Christus, ne deserat nos ad gloriam ipsius et ecclesiae augmentum.

Vir insolentissimus Carolus (quales odio habet dominus 32 ) indictionem belli 33 contempsit, abire iubens adolescentem nobilem 34 ni pro cathena velit laqueum 35 . Indignos putavit enim Hessum et suos, utpote excommunicatos 36 a se iterum atque iterum, ut ab eis aliquid huius 37 acciperet. Mirum, si deus ferat tantam superbiam diutius.

Scriba noster 38 heri mihi dixit Danum exercitu fortissimo proficisci in hostem. 39 Impediverunt ipsum hactenus nobiles, quibus lucrosa qauedam

b adiecto am Rande nachgetragen.
21 Zum Vorfall bei Ingolstadt s. Nr. 2548, 29-35.
22 Unbekannt.
23 Gemeint sind Philipp von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. — Die folgende Schilderung scheint aus einer Verflechtung von zwei Scharmützeln, das eine vom 26., das andere vom 29. August, entstanden zu sein. Zum Angriff vom 26. August, s. Nr. 2560,52-59; Zürich StA A 177, Nr. 30 (Berner Rat an den Zürcher Rat, 2. September 1546). In der letzen Schilderung ist von einer Kampfhandlung die Rede, bei der 20 Kaiserliche getötet und 20 weitere gefangen wurden. Zum Angrif vom 29. August s. Nr. 2560,66-71; Nr. 2561,22-28.
24 Büchsenschützen; vgl. Kirsch 362.
25 Hakenbüchsen; s. Nr. 2529, Anm. 16.
26 Christof von Bodenhausen; s. Nr. 2561, Anm. 27.
27 Gemeint sein könnten Aurelio Ruffino und Bartolomeo dal Monte, die zu den "etlich in sameten recken" (in Samt gekleideten Kerlen) gehörten und deren Gefangennahme
allerdings am 29. August erfolgt zu sein scheint; s. PC IV/1 367. Nr. 345, mit Anm. 4. — Vgl. aber Nr. 2560,55-59, und Nr. 2580,24-26.
28 Der bereits oben bei Anm. 16 erwähnte Gesandte von Morelet du Museau.
29 Heinrich Walther, Schreiber des Straßburger Kleinen Rats; vgl. PC IV/1, Nr. 347.
30 Karl V. — So schon in Brief Nr. 2501,20.
31 also bis Sonntag, den 5. September.
32 Vgl. Spr 6, 16-19. 33 Die schmalkaldische Kriegserklärung oder "Verwahrungsschrift" gegen den Kaiser; s. Nr. 2538, Anm. 39.
34 [...] von Plato; s. Nr. 2538, Anm. 38.
35 Eine Beleidigung, zumal Adlige nicht gehängt werden durften.
36 Zur Verhängung der Reichsacht über Kurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp durch Karl V. siehe Nr. 2548, Anm. 79.
~ Gemeint ist huius generis mit Bezug auf die "Verwahrungsschrift".
38 Heinrich Ryhiner.


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commercia sunt cum Hollandis et nescio quid foederis 40 icti superioribus annis Spire cum caesare.

De De Mauricio 41 et et Brandenburgensi 42 42 nihil certi habeo. Rumor stultissimus volavit his diebus de utroque, quod tentarent pacem facere inter partes hostiles, quem ideo non possum narrare, ne fidei aliquid dare videar.

Castelalteri c43 nomen ignoro et, Ayterwangen 44 ubi sit, nescio. Velim addidisses, timeresne de faucibus montium 45 et arce Erenbergo 46 . Equidem putaram omnia tuta esse citra fauces. Et mirum profecto omnes nostros profectos et neminem relictum, qui domum custodiat! Quin tandem et nos 47 eximus? Annon res et tempus nos vocant? Sed timemus, ubi non erat timendum. 48 Dominus, vereor, eum timorem vertat nobis in exitium. 49 Convertat nos, 50 et avertat iram suam a nobis! 51 Intendat in adiutorium nostrum, 52 si sumus ipsius, 53 ut salvi fiamus! Amen.

Tua 54 per ocium legere non potui. Legam et remittam.

Vale cum tuis. Basileae, 3. septembris anno 1546.

Os. Myconius.

d Sint die Quin etc. 55 dem k[eyser] me schuldig dann iren puntzgnosen 56 , so heb Jösli pundt mit inen d57

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, fratri in Christo colendissimo suo. Z[urich]e .

c el über der Zeile nachgetragen.
d-d Am Rande nachgetragen.
e Textverlust durch Entfernung des Verschlussbandes.
39 Eine Falschmeldung, der man auch im Schreiben des Rates von Konstanz an Zurich vom 5. September (Zürich StA, A 205/1, Nr. 224) begegnet. Zur vorsichtigen Haltung des dänischen Königs während des Krieges s. Nr. 2491, Anm. 30.
40 Zu diesem Abkommen von 1544 s. Nr. 2491, Anm. 30.
41 Herzog Moritz von Sachsen.
42 Kurfürst Joachim II. von Brandenburg.
43 Francesco di Castellalto, der für die Rückeroberung der Klause Ehrenberg kämpfte; s. Nr. 2542,4 und Anm. 9. — Offensichtlich war schon vor der eigentlichen Aufgabe der Klause am 5. September (s. Nr. 2507, Anm. 7) davon die Rede.
44 Heiterwang (Bez. Reutte, Tirol, Österreich).
45 Die Alpenpässe.
46 Die Klause Ehrenberg.
47 Gemeint sind die für ihre Kirchen verantwortlichen Pfarrer, wie Myconius und Bullinger.
48 Jes 8, 12.
49 Vgl. Nr. 2582,12.
50 Vgl. Lk 1, 16. 51 Ps 85 (Vulg. 84), 5.
52 Ps 38 (Vulg. 37), 23.
53 Ps 100 (Vulg. 99), 3.
54 Gemeint ist ein von Bullinger dem Myconius zur Lektüre ausgeliehenes Dokument.
55 Die Fünf Orte.
56 Bundesgenossen.
57 so heb Jösli pundt mit men: in diesem Fall hält Jösli einen Bund mit ihnen [d.h. mit den Fünf Orten]. — Über diese Redensart (insofern es eine ist) konnte nichts Überzeugendes gefunden werden. Möglicherweise ist mit "Jösli" der Papst oder der Teufel gemeint.