Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2580]

Matthias Erb
an Bullinger
Reichenweier,
12. September 1546

Autograph: Zürich StA, E II 361, 155 (Siegelabdruck) Ungedruckt

Der Überbringer Johannes Grünblatt, Pfarrer in Ostheim, steckt in Schwierigkeiten, von denen er selbst genauer berichten wird. Er verkaufte neulich in Kaysersberg Getreide, das er als Teil seines Gehaltes bekommt. Auf dem Rückweg kehrte er in der Ortschaft Kientzheim (die zur Herrschaft des Grafen [Georg] von Lupfen gehört) in ein Wirtshaus ein. Dort befanden sich einige Colmarer, die den Kaiser [Karl V. ]vergötterten. Auf die Frage, wer er sei, antwortete Grünblau, ein Diener des Wortes Gottes. Daraufhin wurden gegen ihn Verwünschungen ausgestoßen. Unbedacht erwiderte er, dass der Kaiser ein Vaterlandsverräter sei und gevierteilt werden müsse. Nun erzählt man überall davon, und es ist zu befürchten, dass die Leute von Colmar oder Ensisheim ihn auf der Landstraße festnehmen. Daher schien es den Hofbeamten des Grafen [Georg von Württemberg] gut, ihn für zwei bis drei Monate wegzuschicken, bis sich die Sache beruhigt hätte. Der Graf [von Württemberg] ist in den Krieg gezogen. Er führt das Heer seines Bruders [Ulrich von Württemberg], bestehend aus 12'000 anständig besoldeten Württembergern. Er soll [Maximilian von Egmont, den Grafen] von Büren, bei Neckarsuim angreifen. Ein Bote [...] des Grafen berichtete heute, dass Ingolstadt immer noch [von den Schmalkaldenern] belagert sei. Ein Hauptmann [Ottavio Farnese] aus dem päpstlichen Heer und ein vom Papst [Paul III.] dem Kaiser zu Hilfe geschickter mazedonischer Fürst [Aranito Comneno]sollen gefangen worden sein. Durch ihre Befragung konnten wichtige Informationen über die Pläne des Feindes ausgeforscht werden. Bullinger soll weiterhin beten. Er möchte das eilig verfasste Schreiben verzeihen. [Grünblatt]will nämlich schon abreisen. Grüße.

Gratia domini tecum. Hic bonus Ioannes Grunblat 1 , minister ecclesiae apud nos in Ostein 2 , est in magno discrimine, quod ipse dicturus est. Quare visum est optimatibus principis nostri 3 , ut bimestre Vel trimestre tempus migraret

1 Johannes Georg Grünblatt (Gri(e)nblatt; Grimblatt; gen. Hans; s. dazu Heinrich Weiß, Neuestes Baseler Bürgerbuch..., Basel 1836, S. 88). Er war ein Bruder oder Stiefbruder von Johannes Gasts Gattin Apollonia Glaser, deren Name eventuell auf den Beruf ihres Vaters zurückgeht (s. Gast, Tagebuch 102f). Von 1540 bis zu seiner Entlassung am 19. September 1543 war er Pfarrer in Rümlingen, Baselbiet. Durch Empfehlung Gasts an Erb wurde er Pfarrer in Ostheim, Herrschaft Reichenweier. Am 20. April 1548 wurde Grünblatt erneut an Bullinger empfohlen, diesmal von Gast (Zürich StA E II 366, f. 187). 1549 war er wieder in seiner elsässischen Pfarrstelle tätig.
1550 soll er Pfarrer in Boofzheim geworden sein. Seine Lebensdaten sind unbekannt. — Lit.: Gast, Tagebuch, 103f; Pe- Basel 78; Bopp-I 200. — Am 18. September 1546 wurde Grünblatt zusätzlich von Gast an Bullinger empfohlen (Nr. 2590). Er wird also nicht vor dem 20. September 1546 in Zürich eingetroffen sein. Er überbrachte ferner einen auf den 13. September 1546 datierten Brief des Reichenweierer Stadtschreibers Oswald Fürstenlob an Rudolf Gwalther und Hans Vogler d.Ä. (Zürich StA, E II 364, 102-104). Darin wird der unten geschilderte Vorfall auch kurz angesprochen. Zum Ereignis s. ferner Adam, Elsass 303.
2 Ostheim (Dép. Haut-Rhin, Elsass).


Briefe_Vol_17-446arpa

alio, ubi tutior viveret ac negotium vel sopiretur vel melius haberet. Atque ut intelligas, quid sit, paucis deliniabo. Nuper Keiserspergii 4 vendidit frumenta, quae habet ex suo stipendio, ac rediens per ditionem comitis a Lupffen 5 in oppidulo Kensheim 6 intravit in tabernam meritoriam 7 pransurus. Illic fuerunt et alii quidam, Colmarienses, qui suum caesarem 8 deum faciunt, 9 et dum uni potum prebuit, rogavit, quis esset. Respondit se esse ministrum verbi dei. Ille statim subiunxit a stomachando: "Gotz marter! 10 Es sol kein biderman 11 mit euch weder essen oder trincken", etc., cum aliis calumniis. Tandem hic noster bonus Ioannes satis irritatus animo incogitabundo 12 dixit: "Ey, der keiser ist ein schelm und verreter seins vatterlands. Es were wert, wan man im sein recht solte thon, das man in wie ein verreter vierteilet und uff die vier strassen 13 hencket!" Haec est summa negocii, nam singula perscribere certe non vacat, ut ipse indicabit. ||155v. Rumor hic ubique de eo negotio dissipatu[s]"b est. Hinc metuimus, cum sit in public[o] pago ac in via regia 14 , ne noctu intercipiatur a Colmariensibus vel Ensishemensibus. Hac c ergo causa discessus. Nos tibi illum commendamus, etc.

Princeps in militiam abiit. 15 Ducit fratris 16 exercitum 12 milia ex civibus Wirtenbergensibus, qui conducti sunt non minori stipendio quam gregarius ille miles 17 . Dominum a Buren 18 prope Neckersulm 19 aggredietur. 20

Heri venit veredarius 21 principis nostri, qui dicebat Ingolstadium adhuc obsideri, 22 ac in conflictu quodam capitaneum exercitus pape 23 captum 24 ,

a In der Vorlage sumbiunxit. —
b Hier und unten im engen Einband verdeckt.
C In der Vorlage Haec (= Haec).
3 Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard.
4 Kaysersberg (Dép. Haut-Rhin, Elsass).
5 Die Grafen von Lupfen waren Lehnsherren der hier nachfolgend erwähnten Ortschaft Kientzheim, die zur Herrschaft Hohenlandsberg gehörte. Seit 1529 hatte Graf Georg von Lupfen (1494-1546) das Lehen inne; s. Kindler von Knobloch II 548.
6 Kientzheim (Dép. Haut-Rhin, Elsass), östlicher Nachbarort von Kaysersberg.
7 taberna meritoria: Wirtshaus; Kirsch 1767 s.v. meritorius.
8 Karl V.
9 Zum Ausdruck vgl. Terenz, Adelphoe, 535.
10 Zu diesem Ausruf s. Nr. 2492, Anm. 10.
11 rechtschaffener Mensch.
12 gedankenlos.
13 Die vier Straßen der Welt sind eine Metapher für die vier Himmelsrichtungen; s. Grimm XIX 883. In Verrufungsfonneln ist diese Wendung gebräuchlich; s. Eduard
Osenbrüggen, Deutsche Rechtsalterthümer aus der Schweiz, Drittes Heft, Zürich 1859, S. 31 mit Anm. 17.
14 via regia: Landstraße; s. Kirsch 2423 s.v. regius.
15 Siehe dazu auch den oben in Anm. 1 erwähnten Brief von Fürstenlob an Gwalther und Vogler. Darin wird berichtet, dass Graf Georg am 1. September mit 24 Pferden und etwa 36 Personen seines Hofes zu seinem Bruder Ulrich nach Stuttgart geritten war und von dort am 11. September Nachrichten über die sich zwischen den Schmalkaldenern und den Kaiserlichen am 2. und 3. September zugetragenen Gefechte mitteilte.
16 Herzog Ulrich von Württemberg.
17 gregarius miles: ein gewöhnlicher Soldat; s. Kirsch 1313 s.v. gregarius.
18 Maximilian von Egmont, Graf von Büren.
19 Neckarsulm (Lkr. Heilbronn, Baden-Württemberg).
20 Herzog Ulrich fürchtete, von Büren werde


Briefe_Vol_17-447arpa

item quendam principem ex Macedonia, 25 qui a papa quoque caesari sit missus in auxilium. Ex iis nostri expiscati sunt omne adversariorum consilium. 26

Tu d ora dominum pro nobis cum ecclesia tua ardenter, ut facis, ut nos benignus deus liberet ab omni malo. 27

Min lieber Bullingere, nement vergut 28 . Ich hab in yl mussen schriben, damit ich diesen bruder 29 mechte flux abfertigen. Valete omnes. Salutabis omnes symmystas. Datum Richenville, dominica post nativitatem Marie 30 1546.

Tuus Erbius.

[Adresse auf f. 152a,v.:] Praestantissimo viro domino Henricho Bullingero. fratri in Christo charissimo, etc.

d nobis fehlt in der Vorlage.
mit seinem Heer über die Bergstraße oder den Odenwald gegen Württemberg ziehen, da der Deutschmeister (Wolfgang Schutzbar gen. Milchling) in Neckarsulm einige Reitergeschwader versammelt hatte; s. Heyd, Ulrich von Württ. III 405f. Von Büren kam aber nicht durch Neckarsulm; s. Nr. 2572, Anm. 43. Vorbeugend brandschatzten die Schmalkaldener in Neckarsulm und nahmen Mitglieder des Deutschen Ordens als Geiseln; s. PC IV/I 368 (Anhang vom 10. September 1546); Bernhard Demel, Der Deutsche Orden und die Stadt Neckarsulm (1484- 1805), in: Jb. für fränkische Landesforschung 45, 1985, 47.
21 Unbekannt.
22 Was seit dem 4. September nicht mehr der Fall war; s. Nr. 2581,105-108.
23 Papst Paul III.
24 Ein Vergleich mit Nr. 2560,55-59, erlaubt
die Vermutung, dass hier Ottavio Farnese, Herzog von Camerino, gemeint ist, dem die päpstlichen Truppen unterstellt waren. Allerdings wurde er damals nicht gefangen.
25 Aranito Comneno, Fürst von Mazedonien; s. HBBW XVI 368, Anm. 34. — Vornehme Gefangene werden ebenfalls in Nr. 2560,55-59, und Nr. 2563,26-28, erwähnt. Doch aus Nr. 2560, Anm. 35, geht hervor, dass weder Farnese noch Cornneno damals gefangen genommen wurden.
26 Vgl. Nr. 2560,59-61.
27 Vgl. Mt 6, 13.
28 nement vergut: nehmt es im Guten an.
29 Den oben genannten Johannes Grünblatt.
30 Das Fest Mariä Geburt wird am 8. September begangen (im Jahr 1546 ein Mittwoch). Demzufolge ist hier der 12. September gemeint.