Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2540]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
21. August 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 243 (neu: 261)(Siegelspur) Ungedruckt

Myconius hat sich wegen Bullingers langen Schweigens Sorgen gemacht und dachte an Krankheit, an ein Unglück oder an eine etwaige Verstimmung. Öfters fragte er [Johannes]Gast und andere, was denn der Grund dafür sein könnte. Umso willkommener war ihm Bullingers Brief [nicht erhalten] mit den guten Nachrichten! Zur Frage Bullingers: Der Hauptmann Martin von Rossem zog mit einem großen Heer nach Süddeutschland zu Kaiser Karl V. Er wurde aber von den Kaiserlichen zurückgerufen, weil [König Christian III. von]Dänemark und die Hansestädte in Karls Territorium eingefallen wären. Deshalb auch das Gerücht, laut dem ein großer Teil Frieslands besetzt sei. In Mainz trafen 70 Kavalleristen ein, die dort auf 2'000 Reiter (die sogenannten Schwarzen Reiter) und 14'000 Fußsoldaten warten wollten. Nachdem Bischof [Sebastian von Heusenstamm] sie verköstigt hatte, wurden sie aus der Stadt verjagt. Doch stationierte der Bischof 600 Mann am Rhein, um eine Überquerung des Flusses zu verhindern. Daraufhin kamen die Hessen, schickten die 600 wieder heim und besetzten drei Ortschaften am Rhein. Deshalb ist man nun der Meinung, dass [das niederländische Heer des Kaisers]abgeschnitten sei, sofern ihm ein Durchbruch anderswo nicht gelingt. In Ensisheim wurde auf Befehl König [Ferdinands I.] ein Landtag abgehalten, auf dem man neue Steuern festsetzte und jeden dritten Mann in den Krieg einberief Man sei dort stolz auf dieses künftige Heer, wobei andere Angst haben. Die Sundgauer führen Spieße und Harnische aus [Altkirch] heraus. Die Mülhausener beschaffen sich in Basel viele größere Kanonenkugeln. Martin [von Rossem] hat dem Kaiser geschrieben, er werde zurückgerufen. Er könne ihm deshalb keine Hilfe leisten und hätte selbst Hilfe nötig. Der Kölner [Erzbischof Hermann von Wied] führt Kirchenvisitationen wie in Friedenszeiten durch und erklärte einem Fragenden [...], dass dies gemacht werden müsse, ehe man sich für den Krieg rüste. Von Bernhard [Meyer zum Pfeil, dem Gesandten]auf der [Badener] Tagsatzung, hat Myconius noch gar nichts gehört. Bullinger irrt also, wenn er schreibt, dass Myconius wohl alles von Meyer erfahren habe. Heute werden zum ersten Mal die noch völlig unbekannten Ergebnisse der Badener Tagsatzung vor dem Rat vorgetragen. Gut, dass die Fünf Orte ihren Plan, die [eidgenössischen] Söldner zurückzurufen, aufgegeben haben! [Claudius] Cantiuncula hat an [Bonifacius] Amerbach geschrieben, dass Karl V. bei der Abreise aus Regensburg freigestellt hätte, das Evangelium zu hören oder die Messe zu besuchen. Der Herr möge seine Kirche vor der List des Spaniers bewahren! Bullinger soll im Interesse [der Kirche]auf seine Gesundheit achten und sich nicht überarbeiten! Grüße an [Rudolf] Gwalther. [Johannes] Gast grüßt zurück. PS.: Der junge Markgraf [Bernhard von Baden-Durlach] ist [mit Söldnern] beim Abt [Rudolf Garb] in das Kloster Schuttern eingefallen. Der Abt entwich nach Ensisheim. Als ein Mönch über die große Menge der von den Plünderern verzehrten Nahrungsvorräte klagte, antwortete der Abt, er sei schon froh, dass das Kloster stehengeblieben sei!

S. Anxius fui propter silentium tuum 1 ignorans, quid cogitandum. De valetudine venit in mentem adversa, de fortuna item sinistra nostrorum, de offensione tui, ubi tamen causa defuit. Summa: Ad Gastium et alios haud

1 Bullingers letzterhaltener Brief an Myconius datierte vom 29. Juli 1546 (Nr. 2516).


Briefe_Vol_17-325arpa

semel dixi: "Quid esse potest, quod non scribit?" Ideo ergo magis grate nunc sunt, quas dedisti, 2 et jucunda magis, quae significasti. Domino gratia, qui spiritum rectum largiatur ad gloriam nominis et verbi sui nobis.

Quod vero petis, sic habet. Martinus de Roß 3 , capitaneus, ingenti exercitu collecto coeperat proficisci in Germaniam Superiorem, ut suppetias ferret Carolo 4 . Et postquam jam aliquousque esset progressus, revocatus est a caesareanis, quod Danus 5 et civitates maritime 6 irruptionem fecissent in terras Caroline ditionis. 7 Hic rumor fert magnam partem Frisie occupatam esse.

Praeterea venerunt equites 70 Maguntiam, 8 ibi expectare volentes duo adhuc millia equitum a (hos vocant die schwartzen rüter 9 ) a et 14'000 peditum. 10 Priores post cibum et potum ab episcopo 11 sunt e civitate eiecti. Insuper autem idem 600 ad Rhenum collocavit ad claudendum transitum. Interea Hessi venerunt et sexcentis illis dimissis domum transitus Rheni tribus locis occuparunt. 12 Ita putatur et hic exercitus exclusus, ni alibi querant, ubi perrumpat.

Ensheimii nobilitas conventum habuit iussu regis 13 . Imposuerunt tributum novum et tertium quenque virum 14 delegerunt ad b bellum. lactant ferociores

a-a Am Rande nachgetragen. Klammern ergänzt.
b — In der Vorlage ab.
2 Nicht erhalten.
3 Martin von Rossem (Maarten van Rossum), niederländisch-geldrischer Feldhauptmann.
4 Kaiser Karl V.
5 König Christian III.
6 die Hansestädte (,,Seestädte").
7 Gemeint ist der von den schmalkaldischen Truppenführern Christoph von Oldenburg und Delmenhorst und Dido von Kniphausen befürwortete Einfall in die Niederlande, während die Hansestädte nebst Dänemark sie zur See unterstützen sollten. Der Plan wurde aufgegeben, und auf Landgraf Philipps Veranlassung zog die Truppe Richtung Frankfurt mit dem Vorhaben, sich dem Schmalkaldischen Heer anzuschließen; s. Rudolf Häpke, Die Regierung Karls V. und der europäische Norden, Lübeck 1914 — Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck 3, S. 233-239; Werner Storkebaum, Graf Christoph von Oldenburg (1504-1566). Ein Lebensbild im Rahmen der Reformationsgeschichte, Oldenburg 1959, S. 78-90. Vgl. ferner PC IV/1 298, Nr. 278 (vom 11. August 1546) das Denmark und die sächsischen stett in Friessland angegriffen haben sollen, welchs aber nit gewiss".
8 Gemeint ist eine Truppe Herzog Albrechts VII. von Mecklenburg, der die Vorhut Bürens befehligte. Bei dessen geplantem Einritt in die Stadt am 9. August befürchteten die Mainzer, dass er vorhabe, die Stadt einzunehmen, und wehrten sich dementsprechend; s. PC IV/1 287, Nr. 266; 298, Nr. 278; 309, Nr. 286; 318, Nr. 298; 320f, Nr. 301; Anton Brück, Stadt und Erzstift Mainz im Schmalkaldischen Krieg (nach den Protokollen des Mainzer Domkapitels), in: Hessisches Jb. für Landesgeschichte 4, 1954, 160f.
9 Siehe Nr. 2501, Anm. 24.
10 Damit sind die von Martin von Rossem und Egmont von Büren angeführten niederländischen Truppen gemeint; s. zu diesen Nr. 2512, Anm. 15; Nr. 2537,16— 18; Nr. 2548, Anm. 50.
11 Sebastian von Heusenstamm, der die hier erwähnten 70 Kavalleristen nicht abwehrte, sondern verköstigte; vgl. nämlich Nr. 2541,13-16. Siehe auch Nr. 2551,5— 11.
12 Vgl. PC IV/1 310, Nr. 288; und Nr. 2541,10-12. 16f und Anm. 16.
13 König Ferdinand I. — Die Ausschreibung eines Landtags durch die österreichische Regierung in Ensisheim (Dép. Haut-Rhin, Frankreich) auf den 11. bis 13. August


Briefe_Vol_17-326arpa

se habituros propediem exercitum, quo cum aliquid sint expedituri. Reliqui timent. Sungavienses 15 tragend vil spies und harnisch zur statt 16 uß, et Mulhusenses nostri apud nos coemunt glandium 17 maiuscularum magnum numerum.

Scripsit Martinus ille caesari se revocatum, 18 quare ferre auxilium nequeat. Opus esse, ut sibi succurratur. Coloniensis 19 velut in pace vivens invisit parochias suas, ut omnia pie agantur. 20 Rogatus a quodam 21 , quid ita temporibus adeo turbulentis faciat, respondit sic fieri oportere, deinceps se paraturum, quae pertineant ad bellum.

A comitiis 22 d. Bernhardus 23 ne verbum quidem mecum loquutus est, quocirca de his ignoro omnibus, de quibus scribis. Erras itaque, dum scribis: "Scio d. Bernhardum nihil te celare." Hodie senatui primum referuntur acta Badensia, de quibus nemo quicquam novit. Gaudeo, quod Quinquepagici a sua sententia de revocandis militibus discesserunt. 24

Cantiuncula, cuius nomen nosti, scripsit Amorbachio 25 Carolum, dum voluerit discedere Ratispona, evangelium audire vel adire missam reliquisse liberum. O ingenium Hispanicum! Dominus lesus tueatur suam ecclesiam.

1546, bei dem es auch um Maßnahmen gegen den Zuzug der Schweizer ging; s. PC IV/1 310, Nr. 289; Dieter Speck, Die vorderösterreichischen Landstände. Entstehung, Entwicklung und Ausbildung bis 1595/1602, Freiburg i. Br. 1994, Bd. 1, S. 181; Bd. 2, S. 880.
14 Laut Speck aaO, S. 880, jeden vierten Mann.
15 Sundgauer.
16 Wohl Altkirch, der Hauptort des Sundgaus.
17 Kanonenkugeln (aus Blei oder Stein); vgl. Kirsch 1292.
18 Siehe bereits oben Anm. 7.
19 Hermann von Wied.
20 Zum merkwürdigen Verhalten des Erzbischofs, der damals sogar die kaiserlichen Truppen unbehelligt durch sein Territorium ziehen und den Schmalkaldenern keine Hilfe zukommen ließ, s. Varrentrapp 269-271.
21 Unbekannt.
22 Die Badener Tagsatzung, die am 9. August begonnen hatte; s. Nr. 2529, Anm. 27.
23 Bernhard Meyer (Meiger) zum Pfeil, Gesandter Basels an der Badener Tagsatzung; s. EA IV/ld 655 (Vorspann).
24 Auf der hier erwähnten Tagsatzung forderten
die Neun Orte erneut die Rückkehr der bereits in Deutschland dienenden eidgenössischen Söldner (s. EA IV/1d 658 h), während die Zürcher sich weiterhin dem Rückruf dieser Söldner widersetzten (s. aaO, S. 652 i. 659 k. 663 dd). Vorliegende Stelle sowie Nr. 2546,14, und Nr. 2551,33-35, lassen aber vermuten, dass die Neun Orte den protestantischen Stadtkantonen offiziöse Zugeständnisse machten, indem sie diesen erlaubten, sich ihrem Schreiben an den Kaiser (s. dazu Nr. 2546, Anm. 13) nicht anzuschließen, indem sie ferner tolerierten, dass diese ihre Söldner aus Deutschland nicht zurückriefen, und indem sie den Gesandten des Bundes auf der Tagsatzung versprachen, sich an dem Krieg zwischen den Schmalkaldenern und dem Kaiser nicht zu beteiligen und fremden Söldnern keinen Durchzug durch die Schweiz zu gestatten; s. EA IV/1d 658 h
25 Claudius Cantiuncula (Claude de Chansonnette) an Bonifacius Amerbach, 18. August 1546 (AK VI 309, Nr. 2848). — Cantiuncula hielt sich damals in Ensisheim auf (s. AK VI passim) und wird wohl die Hauptquelle der aus Basel mitgeteilten Nachrichten über Ensisheim gewesen sein.


Briefe_Vol_17-327arpa

Vale in domino cum tuis et cura valetudinem! Laborum profecto nimium est. Si volueris prodesse diu, fac, quod in te est, vivas diu! Christus te nobis servet! Salutabis Gvaltherum diligenter. Resalutat te Gastius.

Basileae, 21. augusti anno 1546.

Tuus Os. Myconius.

Der jung margraf 26 ist dem apt von Schutteren 27 ins kloster gfallen. Hand 28 gessen und truncken. Er 28 ist gan Ensheim gwichen. Ist ein munch 29 kon. Hedt heftig klagt, sy heben vil win truncken, 4 ochsen und vil schwin verzecht. Spricht der apt: "Wenn nun 30 das kloster stadt, so ist imm recht", etc.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, ministro Christi fidelissimo, fratri in domino venerando suo. Zu[rich]c .