Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[288]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
22. November [1533]

Autograph: Zürich StA, E II 360, 45. Siegelspur. -Ungedruckt

Berichtet über den Inhalt des Vertrages, mit dem die Unruhe in Solothurn geschlichtet wurde. Beklagt die Niederlage der Reformierten und befürchtet, daß Bern als nächstes rekatholisiert werde. Die Stellung der einzelnen Schiedorte in den Verhandlungen um den Vertrag. Bittet Bullinger um Argumente, mit denen er, Haller, im Kriegsfall mahnen oder trösten könnte. Die Angelegenheit um Berns Hilfegesuch und Zürichs Antwort. Nachrichten über die Zusammenkunft von Papst Clemens VII. mit Franz I. in Marseille und die Hochzeit von Heinrich von Orléans und Katharina von Medici. Haller hat Zürichs Antwort auf Berns Hilfegesuch gelesen.

S. Geliepter bruder, wiss, daß Christus aber siner sach imm gantzen Soloturn piett hindersich gstelt 2 und ellender a statt dann noch nie. Ich verston, die sach sy also veranlasset 3 , daß die cives propter seditionem die straff hend an d hand gnummen 4 und sich widerumm inn die gehorsami ergäben, doch den globen beträffend hierinn gar nütt vertädinget 5 , sunder ein anstand 6 gmacht 14 tag. Sye inen denn neiswas angelägen, mögend si den nächsten tag ze Baden erschinen. Indem hatt sich schultheis Hug 7 im nammen der 6 orten 8 und Wallis vor den evangelischen erlütret, si wellind lib und gut daran setzen und die von Solothurn by dem meeren 9 helfen schirmen 10 .

6 Johannes Haab.
7 Oben S. 227, 10-13.
8 Ennio Filonardi, Bischof von Veroli. Seine Abberufung aus der Schweiz, die von Franz I. verlangt worden war, mußte unter dem Druck des Kaisers rückgängig gemacht werden. Er zog es jedoch vor, trotzdem abzureisen, und kehrte wohl noch im Oktober nach Mailand zurück, s. J. Caspar Wirz, Ennio Filonardi, der letzte Nuntius in Zürich, Zürich 1894, S.94 und Müller 252.
a vor ellender gestrichen sin sach.
1 Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Inhalt des Briefes eindeutig.
2 aufgehalten, gehindert, verworfen worden ist (SI XI 190f).
3 von den Schiedorten bestimmt (vgl. SI III 1391).
4 auf sich genommen (SI II 1381).
5 abgemacht, vereinbart (SI XII 451f). -Tatsächlich wurden im Vertrag vom 16. November 1533 keine Bestimmungen über den Glauben festgelegt, s. Haefliger 198.
6 Aufschub, Stillhaltefrist (SI XI 976).
7 Hans Hug, Schultheiß von Luzern.
8 Die V Orte und Freiburg.
9 abstimmen.
10 Am 15. November sprachen die Reformierten ihr Bedauern über die Ausführungen Hugs aus, s. EA IV/1c 204.


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Iam intelligis, quid sit meeren. Hic ferunt quaestorem nostrum 11 , sed suo nomine, quaedam addidisse, quibus pii omnibus territi a se invicem divisi sunt. Also b gatt es, quando ponimus carnem brachium nostrum c 12 . Die puren sind nienarumm 13 gstraffet, fry heim gelassen, soferr sy der statt schwerind. Imm eid ist begriffen: Des ersten schwerend si zur baner und dem meeren ghorsamen 14 , quod pauci ex rudioribus intelligunt, vel pusillanimitate intelligere nolunt. Also hend vast alle, ouch in der statt, geschworen, werdent uff dem land darzu triben, und gatt jemerlich zu. Die 8 man 15 sind noch nitt begnadet. Hüt erschinend sy vor unserm ratt. In summa: Christus ist verjagt und vertriben uss Solothurn. Hab kein hoffnung meer. Wir habend aber fründ zu fyenden gmacht und versähend unß nitt anders, dann daß wir die nächsten sind, die das bad müssend usstragen 16 . Man wirt uns allenthalben anzäpfen 17 , den kampf anbieten. So sind wir so plug 18 , erschrocken, unglych gsinnet, daß wenn man unß das bapstum und krieg anbieti 19 , werdint unser vil zum bapstum griffen, oder so es schon zum krieg kumme, werdint die beesten[!]wie by üch den halß drumm gäben 20 und die übrigen ins bapstumm und servitutem Antroniorum 21 zwungen. Denn so wissend wir, daß wir gsigen söllend. Es lassend sich ettlich mercken, aber vast still 22 , was es denn sy, wenn man schon joch 23 ein mess in der statt halte, lasse man das evangelium nütt dessminder predigen.

Üwer legaten 24 halb weiß ich nütt sunders: Ron 25 hett redlich darzu gredt, Habius 26 parum habet. Die unseren und Glareani sind byenandren gelägen. Die 6 ort hend sich schlechtlich 27 desß globensß halb nitt wellen inlassen, ja 28 den ze fürdren, aber wol ze vertilgen, dess sy och guten willen tragend. Si habend ouch minen herren verwissen 29 , sy habind an ettliche ort umm hilff gschriben. Was aber inen 30 ze antwurt worden (redtend uff üch 31 ), sy inen wol ze wissen 32 . Also ist nütt heimlichs meer.

b-c von Also bis nostrum am Rande nachgetragen.
11 Seckelmeister Bernhard Tillmann.
12 Jer 17, 5.
13 um nichts (SI I 229).
14 der Mehrheit gehorsam zu sein.
15 Siehe oben S. 226, 55-57 und Anm. 42 sowie Haefliger 198f.
16 die dafür büßen müssen (SI IV 1012).
17 reizen, herausfordern (Grimm I 523f).
18 schwach, furchtsam (SI V 39f).
19 zur Wahl stellte.
20 das Leben dafür opfern (vgl. SI II 1207).
21 der Katholiken, s. HBBW II 88, Anm. 3.
22 ganz im stillen.
23 auch (SI III 6).
24 Gemeint sind die an der Solothurner Vermittlung beteiligten Zürcher Gesandten. Außer den namentlich Aufgeführten waren es noch Jakob Werdmüller und Kaspar Nasal (s. EA IV/1c 175).
25 Heinrich Rahn, ca. 1483-1548, war 1515 und 1526 als Söldnerführer in Reisläuferprozesse verwickelt. Am Ersten Kappelerkrieg nahm er als Hauptmann teil. Im Sommer 1531 wurde er Bevollmächtigter des Zürcher Rates in den Auseinandersetzungen um Musso. Nach der Schlacht bei Kappel wurde er in
den Kleinen Rat gewählt, war 1535-1541 Landvogt von Kyburg und seit 1543 Seckelmeister. Oft vertrat er Zürich an den Tagsatzungen. Obwohl er ein heftiger Gegner Zwinglis und der Reformation war, setzte er sich nach 1531 loyal für die Interessen Zürichs ein. -Lit.: Georg Gerig, Reisläufer und Pensionenherren in Zürich 1519-1532. Ein Beitrag zur Kenntnis der Kräfte, welche der Reformation widerstrebten, Zürich 1947. - Schweizer Studien zur Geschichtswissenschaft, Neue Folge 12, S. 12, Anm. 13. 29. 64f. 67. 87f; Werner Schnyder-Sproß, Die Familie Rahn von Zürich, Zürich 1951, S. 23. 25-28. 31-37 und Reg.; Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 92f u. ö.; HBLS V 519.
26 Johannes Haab.
27 schlechterdings, unbedingt (SI IX 68f).
28 nämlich (SI III 2).
29 vorgeworfen (Grimm XII/I 2192-2196).
30 den Bernern.
31 sie spielten auf euch an (SI I 117).-Zu Berns Hilfegesuch an Zürich von Anfang November im Zusammenhang mit den Unruhen in Solothurn und Zürichs abschlägiger Antwort s. oben S. 225, 32-35 und Anm. 25.
32 Die V Orte hatten schon am 5. November davon Kenntnis, s. EA IV/1c 207.


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Eins welt ich, daß du mir dine epichiremata 33 schribist, mitt denen ich kumlich 34 von kriegen dehortierti, denne 35 , wo si angriffen wurdind, wie ich si tröstete. Dann mich wil beduncken, von gottes wort wägen kriegen, sy nie wol erschossen 36 . Gottes wort ze schirmen, trifft den tüfel an. Der wirt bestritten armis spiritualibus 37 , innocentia vitae, syncera fide d et oratione.

Der dinen brieff 38 halb mag mir kein copy werden. Eliciunt ex binis litteris hoc, quod scripsi, tametsi non adeo claris verbis. Es wirt ouch bi unß gemumlet 39 , der unseren manbrieff 40 sye nitt üch allen vorgläsen, wisse och nitt von üwerem schriben 41 jederman. Also gatt es! Ich förcht, ich förcht, der tüfel welle unß beschissen. Wir hend kuntschafft, der von Müsß 42 well ouch an unß. Fyend wirt es schnyen.

Vom Frantzosen und bapst hat mir einer gseet[!], der si bed gsähen in Massilia 43 , 18 cardinel, 35 bischoff, si habend ein brutlof 44 gmacht zwischend desß küngs sun 45 und desß bapsts basen 46 . Söllend noch ein vorhanden han. Der bapst siner basen zu einer gab gäben Plesentz 47 , Parma, Faventz 48 , das den keiser verdrossen, dann er besorget, der küng werde Meyland innämen, und hett daruff durch sin anwalten Rom ingenommen 49 . Wil selbs bapst sin. Darff der bapst nitt heim kummen. Das ist by unß die sag.

Ich bitt dich, verbrenn dise brieff all. Ich hab dess Imm Hag brieff 50 hinder mir 51 . Wenn du wilt, muß er dir wider werden, oder von mir in ernst behalten. Alle ding schrib ich in yl. Biß gott befolhen. Ich wart noch einer antwurt uff min arbetsälikeit 52 .

Vale.

22. novembris e .

Tuus B. H.

Hora 4ta postmeridiana ist mir der dinen brieff 53 ze läsen worden. Statt darinn, wie si bericht, unser botten ligend in der vorstatt 54 by den abgwichnen. Wo dem also wäre, wellint unsere herren sich nitt so gar partyig machen, sunder erwägen, den handel ze mittlen nach vermog der pündten. Haec est summa: Uss dem erläsen 55 , si werdint in diser sach nach lut und sag der pündten sich gegen den Soloturnern halten,

d nach fide gestrichen est [?].
e von fremder Hand hinzugefügt: 1533.
33 Diesbezügliche Aufzeichnungen Bullingers sind nicht bekannt.
34 bequem, passend (SI III a85f).
35 ferner, dazu (SI XIII 22).
36 zu Gutem ausgeschlagen (SI VIII 1391).
37 Vgl. Eph 6, 11. 13.
38 Die oben Anm. 31 erwähnte Antwort Zürichs an Bern.
39 heimlich geredet (SI IV 228).
40 Berns Hilfegesuch, s. oben Anm. 31.
41 Siehe oben Anm. 31 und 38.
42 Gian Giacomo von Medici, Herr von Musso.
43 Zum Treffen des Papstes Clemens VII. mit Franz I. in Marseille s. Müller 249-253.
44 Hochzeit (SI III 1117).
45 Heinrich von Orléans, 1519-1559, der zweitälteste Sohn von Franz I. von Frankreich, der spätere König Heinrich II.
46 Katharina von Medici, 1519-1589, Tochter Lorenzos II. von Medici. -Die Vermählung Heinrichs und Katharinas wurde am 28. Oktober 1533 vom Papst selbst in Marseille vollzogen.
47 Piacenza.
48 Faenza. - Das war der Wunsch Franz' I., doch ließ sich Clemens VII. nicht schriftlich darauf festlegen, s. Müller 251.
49 Ein Gerücht, das nicht zutraf; vgl. auch oben S. 232, 22 und unten S. 235, 5-10.
50 Näheres über diesen Brief Peter Im Haags ließ sich nicht ermitteln.
51 bei mir in Verwahrung (SI II 1414).
52 äußere Not, Seelenschmerz (SI I 424). - Haller meint wohl seinen Brief vom 23. September 1533 (oben Nr. 265).
53 Wohl der mehrmals erwähnte Brief Zürichs an Bern, s. oben Anm. 31 und 38.
54 in der Vorstadt von Solothurn.
55 Gemeint ist: Aus diesem zitierten Passus wurde herausgelesen (SI III 1417).


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so si unß dess ermanind. Ist mir hitziger gseet, denn der brieff selbs vermag 56 . Unser botten sind och nitt in der vorstat je gelägen, ouch die unseren, so zu inen gelüffen, abgmanet 57 . Lieber, bring min schriben nitt witer.

[Adresse auf der Rückseite:]An Meister Heinrich Bullinger, predicanten ze Zürich, sinem geliepten herren und bruder.