Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3146]

Gervasius Schuler
an Bullinger
Memmingen,
Mittwoch, 22. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 361, 341 (Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Als sich gerade ein allein Anschein nach verlässlicher Bote [NN]freiwillig zur Briefübermittlung anbot, ergriff Schuler die Gelegenheit und schrieb Bullinger. Denn bei all dem Betrug und Verrat ist jedes Schreiben schwierig und gefahrvoll! Und trotz [der Verlässlichkeit des Boten] war es Schuler lieber, dass dieser die Funktion des Briefes selbst übernimmt Lund Bullinger die Nachrichten mündlich mitteilt]. Die Themen, über die Schuler mit dem Boten persönlich gesprochen hat, möchte er Bullinger angeben: Schulers Lage in Memmingen; die von den Memminger Evangelischen befürchtete Vertreibung; die bei einem [Gast]mahl in Augsburg öffentlich geäußerten, unüberlegten Worte eines Mannes aus Geldern [Maximilian von Egmont, Graf von Büren]gegen die Stadt Konstanz; der Tod des Söldnerführers Sebastian Vogelsberger, wie er verhaftet wurde und mit welcher Standhaftigkeit er starb und wie Kaiser Karl V [die Hinrichtung]rechtfertigte; die 16 von Karl V erwählten Unterhändler L der Interimsausschuss]; das verbreitete Gerücht über einen künftigen Krieg, der sich laut einigen gegen die Eidgenossen richten wird; das Versprechen Karls V an Karl III., Herzog von Savoyen, [dessen Herzogtum zu restituieren]; die Verhandlung zwischen Karl V. und Papst Paul III. über das Konzil von Trient; das Herzogtum Württemberg. Über diese Themen wird der Bote Verlässliches berichten. -[2]Grüße, auch an Bullingers Frau [Anna, geb. Adlischwyler,]und deren Kinder. -[3]Durch die Missgeschicke anderer wird man klug. Man muss auf jene achtgeben, die unzuverlässig sind. Habsucht ist ein großes Übel! Denn kein Mensch ist unbestechlich. -[4]Über die Lage der Evangelischen in England wird Bullinger vielleicht schon Bescheid wissen. -[5]Philipp Melanchthon hat einen gewissen Spanier [Francisco de Enzinas], der sich derzeit in Basel aufhält, brieflich nach Konstantinopel beordert. Ob dieser gehorchte, hat Schuler noch nicht erfahren. Was kann man mehr dazu sagen? -[6]Zuerst sollte gemäß Gottes Willen den Deutschen vom Reich Gottes gepredigt werden. Weil sie sich aber zu einem großen Teil dagegen gewehrt und sich des ewigen Lebens als unwürdig erwiesen haben, wird sich Gott zu den Heiden hinwenden. Der Herr prüft [seine Kirche]im Vorübergehen. Selig, die an ihn glauben. Christus möge die Zürcher in der erkannten Wahrheit bestärken und jeglichen Betrug und Verrat von ihnen abwenden und ihnen ihre angestammte Tapferkeit und Aufrichtigkeit [weiterhin]verleihen, damit sie zum Ruhm Gottes und zur Mehrung ihrer alten [eidgenössischen]Tugenden jedem Feind entgegentreten können. -[7]Grüße, auch an Bullingers Frau, Theodor Bibliander, Konrad Pellikan und Rudolf Gwalther.

Gratiam et pacem a domino. Cum sese michi ultro offerret presentium lator 1 , volui per eundem, quia michi bonus videbatur, ad te scribere. Nam, ut sunt omnia plena dolis et proditionibus, difficile et plenumque periculis est omnia calami opera

a Mit Schnittspuren.
1 Unbekannt.


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significare. Volui tarnen, ut hic praesentium lator tibi esset vice epistole. Unde tantum quedam capita significare volui, de quibus ipse coram presentium latori locutus sum. Ex hiis poteris pro data tibi prudentia reliqua metiri:

* De b meo meorumque statu Memminge. 2

* De quibus exactionibus angamur.

* De temere dictis cuiusdam Geldii 3 contra Constantienses in publica mensa Auguste effusis.

* De obitu cuiusdam capitanei Sebastiani Vogelspergii 4 , quibus mediis in manus lictoris 5 traditus sit, 6 qua constantia animi diem clauserit, deque apologia 7 caesaris.

* De sedecim collocutoribus a caesare ordinatis. 8

* De commune fama futuri belli, de aestimatione quorundam ad Helvetios. 9

* De promissione caesaris duci Sabaudie 10 facta c .

b Schuler hat der gesamten Aufzählung ein De vorangestellt. Einzelne Punkte der Aufzählung beginnen dennoch mit einem (überflüssigen) De. -
c In der Vorlage factis. -Johann Jakob Simler (1716-1788) korrigiert in seiner Abschrift aus dem 18. jahrhundert (Zürich ZB, Ms S 66, 80) den Text ebenfalls dahingehend.
2 Schuler wirkte seit Ende 1533 als Pfarrer in Memmingen; s. HBBW I, Nr. 34, Anm. 5.
3 Maximilian von Egmont, Graf von Büren (heute in der Provinz Gelderland). -Wahrscheinlich handelt es sich um geäußerte Pläne zur Eroberung von Konstanz, von denen auch Ambrosius Blarer in zwei seiner Briefen an Bullinger von März 1548 (Nr. 3161; Nr. 3173), ebenfalls ohne Nennung von Bürens Namen, berichten sollte. Die Untersuchung der Eisdicke des Untersees, die Büren (etwa im Januar 1548) veranlasst hatte, stand möglicherweise hiermit in Zusammenhang; s. Nr. 3110,29-34.
4 Zur Hinrichtung des vormals in französischen Diensten stehenden Söldnerführers Sebastian Vogelsberger s. schon Nr. 3144,74
5 des Henkers; s. Kirsch 1657. -Unbekannt.
6 Zur Verhaftung von Vogelsberger s. Nr. 3144,7f mit Anm. 7 und Anm. 8.
7 Die Begründung des kaiserlichen Urteils,
durch die er Lazarus Schwendi in Schutz nahm, scheint als Flugschrift gedruckt worden zu sein; s. Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauf seines gantzen Lebens, auch was sich in dem Denckwerdiges zugetragen, so er mehrentheils selbst gesehen und gegenwärtig mit angehöret hat, Bd. 2, hg. y. Gottlieb Christian Friedrich Mohnike, Greifswald, 1824, S. 175. - Die Flugschrift der "Apologia" war nicht ermittelbar.
8 Zu den sechzehn Mitgliedern des Interimsausschusses s. Nr. 3135, Anm. 16.
9 Zu den Gerüchten über einen drohenden Krieg gegen die Eidgenossenschaft s. zuletzt Nr. 3107,42-52; Nr. 3120,5-12; Nr. 3133, 11-16; Nr. 3143,19-24.
10 Karl III. von Savoyen. - Zum Gerücht, dass Karl V. diesem zur Restitution seiner 1536 an Bern und Frankreich verlorenen Gebiete verhelfen wolle, s. zuletzt Nr. 3137,110.


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* De actione inter caesarem et pontificem 11 super habendo concilio.

* De ducatu Wirtenbergensi. 12

De his omnibus habebis certa ex nunctio. Vale in domino, dilecte frater, una cum dilectissima coniuge 13 et charis liberis 14 .

Werden witzig 15 mitt frembdem schaden. 16 Und hand 17 gut acht auff die, so nitt recht 18 am kommet ziehen. Pleonexia 19 ist ein verzweyfflet, verrucht und unverschampte [r]d bößwicht. Nec enim tam ferrea quemquam formavit natura virum, cuius rigor aera sperneret aut nostro foret inpenetrabilis auro, 20 etc.

De profectu evangelii in Anglia forte aliunde tibi notum est. 21

Philippus Melanchthon quendam doctum Hispanum nunc Basileae agentem 22 literis vocavit Constantinopolim. Num paruerit vocanti, nondum rescivi. Quid multis?

Nobis debebat Germanis primum dei consilio praedicari regnum dei. Sed quia bona pars repellimus et indignos nos iudicamus vita aeterna, conversurus est se dominus ad gentes, etc. In transitu est visitator dominus. Beatus, qui illum fide susceperit. Dominus lesus Christus corroboret vos in suscepta et agnita veritate, avertat a gente vestra omnem imposturam, fraudem et proditionem, donet vos avita fortitudine et integritate, ut possitis in gloriam dei et augmentum veterum virtutum obviare cuivis hosti.

Saluta nomine meo uxorem tuam, dominum Theodorum 23 , Pellicanum et d. Gvaltherum. Dominus tecum, mi venerande frater. Date Memminge, 22. februarii anno 1548. Tuus amicus veteri more tibi notus.

d Textverlust durch Papierverlust.
11 Paul III. -Zur Verstimmung zwischen Kaiser und Papst sowie zum vertagten Konzil s. zuletzt Nr. 3135,32-35 sowie Nr. 3137,40-48.
12 Zur unsicheren Lage des Herzogtums Württemberg s. Nr. 3145,62f mit Anm. 83.
13 Anna, geb. Adlischwyler.
14 Zu Bullingers Kindern s. Nr. 3114, Anm. 6.
15 klug; s. SI XVI 2386.
16 Vgl. Wander II 1408, Nr. 20. Nr. 27.
17 gebt.
18 Geschirr (eines Zugtieres); s. SI III 287.
19 Habsucht, griech. grec
20 Vgl. Aurelius Prudentius Clemens, Psychomachia 514-516.
21 John Burcher hatte Bullinger mit einem nicht
erhaltenen Brief über die Lage der Evangelischen in England berichtet. Dieser erhielt das Schreiben um Weihnachten 1547 und gab den Bericht am 13. Januar 1548 an Joachim Vadian weiter; s. Nr. 3109,28-45.
22 Francisco de Enzinas. - Obwohl Enzinas zu dieser Zeit tatsächlich mit dem Gedanken spielte nach Konstantinopel auszuwandern, hatte Melanchthon sicherlich nicht vor, ihn dorthin zu schicken. Vielmehr wird es sich um ein Missverständnis handeln, da Melanchthon mit zwei Empfehlungsschreiben dafür warb, Enzinas eine akademische Stelle in England zu verschaffen; s. Nr. 3128, Anm. 11.
23 Theodor Bibliander.


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[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heyricho Bullingero, veteri amico et fratri charissimo.