Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2594]

Georg Frölich
an Bullinger
[Augsburg],
20. September 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 333 (Siegeifragment) Ungedruckt

Frölich empfing Bullingers Brief vom 7. September [nicht erhalten]. Er hat ebenfalls alle anderen Schreiben Bullingers bekommen und, wenn er sich nicht irrt, alle beantwortet. Dass jedoch seine eigenen Briefe erst so spät oder gar nicht bei Bullinger ankommen, liegt nicht an ihm, sondern an den unzuverlässigen Boten. Bullinger braucht sich nicht für die Schreibtätigkeit Frölichs zu bedanken, zumal [seine Briefe] aus Zeitmangel nicht besonders sorgfältig verfasst wurden. Joachim Vadian schrieb wegen seines Verwandten Hieronymus Sailer einen Brief an Frölich. Sein Anliegen ist berechtigt, doch erhofft er sich zu viel. Wenn Frölich auch nur zur Hälfte leisten könnte, was von ihm erwartet wird! Er schätzt jedenfalls die Bekanntschaft mit [Vadian] sehr. [Hans Wilpert] Zoller ist wieder gesund. Gestern erhielt Frölich einen eigenhändigen Brief von ihm, in dem er von seinen Erfolgen berichtet. Die Augsburger Obrigkeit, Landgraf [Philipp von Hessen] und die anderen Fürsten machen den [protestantischen] Eidgenossen keine Vorwürfe. Sie glauben, dass sie auf diese zählen dürfen. Doch muss man wissen, dass die [Schmalkaldener] schon etwa 1'5000'000 Gulden für den Krieg ausgegeben haben und mehr als 100'000 Kriegsleute zu besolden sind. Ein so großes Heer hat noch niemand gesehen! Wenn man also vor Beginn des Winters keine neuen Eidgenossen annimmt, dann deshalb, weil man schon viel mehr Soldaten hat, als es gut ist, und [Kaiser Karl V] immer noch den Kampf vermeidet, obwohl das niederländische Heer sich ihm angeschlossen hat. Man wird ihn aber zum Kampf herausfordern! Vor 14 Tagen verlor der heftig beschossene Feind etwa 2'000 Mann. Er wäre sogar zur Flucht genötigt worden, wenn die [Schmalkaldener] einen Tag länger am selben Ort geblieben wären. Diese werden durch die Verzögerungstaktik des Feindes erschöpft. Doch sind sie bereit, alles aufzuopfern, zumal es ja um alles geht! Die gegnerische Seite sucht nach einen Frieden. Ein solcher kann jedoch nicht akzeptabel sein, es sei denn, Gott würde ein Wunder wirken. Der gelehrte und fromme Thomas Naogeorg, der die Schrift "Pammachius" verfasste, wurde von den Lutheranern vertrieben und floh nach Augsburg, wo er bei Frölich unterkam. Als Kurfürst [Johann Friedrich I.] von Sachsen davon erfuhr, verordnete er seine Verhaftung durch die Augsburger Obrigkeit. Einziger Grund dafür ist Naogeorgs Abendmahlsauffassung, die nicht lutherisch ist. Frölich musste ihn in einem Dorf [Lauingen] verstecken. Es ist zu befürchten, dass wegen des "neuen Papsttums"Naogeorg auch nach dem Krieg nicht in Augsburg bleiben kann. Vielleicht findet Bullinger eine Lösung für ihn. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Das kaiserliche Heer hat Ingolstadt verlassen und zieht gegen das hilflose kleine Städtchen Neuburg [a.d. Donau]. Dieses wird wohl erobert werden. Der Gegner steht nicht mehr als eine kurze Tagesreise von Augsburg entfernt. Die [Schmalkaldener] werden ihn angreifen oder dann Stellung vor Augsburg beziehen. Es könnte also noch vor dem Winter zum Kampf kommen. Anbei, höchst vertraulich, die "Artikel", derentwegen Naogeorg verfolgt wird. Sie wurden von Frölich aus einem Brief des sächsischen Kurfürsten abgeschrieben. Frölich weiß jedoch nicht, ob sie wirklich Naogeorgs Meinung entsprechen. Was Bullinger wegen [des Augsburger Gesuchs


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um] Prädikanten an [Johannes] Haller schrieb, hat Frölich gerne vernommen. Sobald der Bote [...] wieder zurück ist, wird [der Rat] erneut nach Zürich schreiben. Grüße.

S. Quas 7. septembris scripsisti, 1 relique etiam omnes tuae literae, vir clarissime atque amicorum precipue, mihi allate sunt, ad quas etiam singulatim, ni fallor, semper respondi. Qui autem fiat, ut meae a aliquando tardius, partim vero omnino non offerantur, 2 haud satis scio. Tabellarii sunt incidentales 3 et per hoc incerti, quorum incuria facile peccatur. Tu autem fratri tuo nihil imputabis.

Gratie pro mea scripsione non sunt agende, nam oscitanter et negligenter scribo, prout porro negotia et tempus sinunt. Te autem plurimum oro, ne mea graveris et offendaris rusticitate.

D. loachimus Vadianus, vir optimus, amicissimam et doctissimam ad me dedit epistolam 4 argumento a Hieronimo Sailer, affine suo, 5 sumpto. Quamquam oratio ipsa honestum quendam instigatorem referat, nimium profecto illi predicor et fib. Utinam dimidium praestare queam! Sed viderint illi, qui plus de me sentiunt et spargunt, quam par sit. Ego certe maximi facio tanti viri cognitionem et qualecunque sodalitium.

Zollerenus 6 optime convaluit, 7 cuius inditium infallibile est manus sive chirographus sua, quam heri accepi, qua etiam felices ipsius successus mihi significavit.

Ir sollennd mir glauben, das gemaine Aidgnoschafft nit allain by meinen herren, sonnder auch bei dem landgraven 8 und anndern fürsten zum hochsten entschuldigt 9 sind unnd wir unns alle aller eren, trewe unnd beistands bei inen versehen 10 . Ich verhoffe auch zu verursachen, das weitter verstannd unnd freundschafft bedersyts soll gesucht unnd gefunden werden. Wir sparend warlich des geldts nit, unnd will euch inn vertrwen nit bergen, das wir schon ob 11 15 mal hundert tausent gulden verkrigt 12 . Haben auch weitt ob hundert tausent kriegßleut zu besöldnen. Unnd, da 13 nit der winter so nahend vor der thure, wurden die Aidgnossen inn merer anzal angenumen unnd nach inen gestellt 14 , wiewol wir mehr lewt haben, als schier 15 gut ist. Ich vernimme von kainem kriegßman, der desglichen hauffen 16 ye beisamen

a In der Vorlage maeae.
1 Nicht erhalten.
2 Zu den fehlenden Briefen Frölichs an Bullinger s. Nr. 2574,17-19 mit Anm. Il und Anm. 12.
3 zufällige (vgl. ital. incidente), also keine eigens dafür bestimmten Boten.
4 Nicht in Vadian BW.
5 Der Grad der Verwandtschaft ist nicht bekannt. Vermutlich war Sailer ein Vetter zweiten Grades; s. Conradin Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser und seine
Tätigkeit im Lichte seines Briefwechsels mit Vadian, in: Zwa 20, 1993, 105.
6 Hans Wilpert Zoller.
7 Vgl. zuletzt Nr. 2585,11-13.
8 Philipp von Hessen.
9 Des Vorwurfes, sich nicht genügend für ihre Glaubensgenossen in Deutschland einzusetzen; vgl. zuletzt Nr. 2561,66-73; Nr. 2564, Anm. 13; Nr. 2574,48f.
10 bei inen versehen: von ihnen erwarten.
11 über, oder: etwa.
12 für den Krieg verwendet haben.
13 wenn.


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gesehen het. Unnd ist mir glaublich, das die ubermessig anzal gegen gott, unnd sunst zu rechnen, nit gut sei. 17 Dann wiewol der veindt 18 das niderlendisch volkh 19 und reutter alles zusamen gebracht, so ligt er doch noch vergraben 20 und will nit schlahen. 21 Man wurdt ine aber dannocht suchen!

Der fynndt hat durch der unnsern schießen vor 14 tagen ob 2'000 man verlorn, 22 und ist so verzagt worden, das er sich inn die flucht gegeben het, wa 23 die unnsern noch ainen ainigen tag desselben orts verharrt. Wir haben aber solche gelegenheit nit wissen mögen. Die sach wurdt inn die harr gezogen 24 unnd vermaint der fynndt, unns ußzematten 25 . Wir wollen aber darstrecken 26 , weil 27 wir haben und vermögen. Dann es gildt seel, leib, weib, kynnd, freihait, ere unnd gut

||333v. Uff des fynnds seitten wurdt fried gesucht unnd von mittlen gedicht 28 . Aber ich kan kainen erlichen göttlichen und nützlichen friden nit sehen noch erkennen, gott schicke me dann wunderbarlich. 29

Ich kan euch nit verhalden, das ain treffenlicher, gelerter, fromer theologus, Thomas Naogeorgus genannt, qui scripsit Pamachium tragediam doctissimam, 30 von den Lutherischen vertrieben unnd hiehere gen Augspurg geflohen. 31 Ist zu mir einkheret unnd unns allen gottwilkumb unnd angeneme gewest. Als nun der churfürst von Saxen 32 sollichs erfarn, hat er an myne herrn durch ein schriben begert, den erbern fromen man fencklich annemen 33 ze lassen. Unnd ist die ainig ursach, das er des herrn nachtmals halb nit lutherisch sein will, sonnder mit unns heldt. Darumb ich den fromen man von mir b thun und b uff ain dorff 34 inn hohen gehaimb verpergen mussen.

b-b über der Zeile nachgetragen. Dabei vergass Frölich aber, und zu ergänzen.
14 gefragt; s. Fischer V 1727. — Vgl. zur Angelegenheit Nr. 2565,24-27; Nr. 2576,53-55.
15 eigentlich.
16 desglichen hauffen: solch eine Menge.
17 Anspielung auf Ri 7, 1-8. — Vgl. Nr. 2500,15f; Nr. 2522.121.
18 Kaiser Karl V.
19 Die niederländischen Truppen unter Maximilian von Egmont, Graf von Büren.
20 verschanzt.
21 Vgl. Nr. 2599,4-6.
22 Gemeint ist die heftige Bombardierung des feindlichen Lagers am 2. September; vgl. Nr. 2574,29-31; Nr. 2581,82-99. 120-130; Nr. 2589,19-23; Nr. 2602,48— 50.
23 wenn.
24 inn die Barr gezogen: in die Länge gezogen; s. FNHDW VII 1159 s.v. harre.
25 erschöpfen; s. Grimm I 917.
26 (alles) aufopfern.
27 solange; s. Fischer VI/I 599.
28 von mittlen gedicht: Vermittlungsvorschläge ausgedacht; s. Fischer II 187. — Zur Sache vgl. auch Nr. 2598,37-41.
29 In seinem Brief an den Zürcher Rat vom 19. September 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 34) berichtet Heinrich Thomann, dass der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf eine Gesandtschaft an den Kaiser abgefertigt hätten; dass er ferner auf dem Tisch der Kanzlei (wo er untergebracht war) einen Brief gesehen habe mit dem Vermerk "Copie der antwurt der gutlichen Underhandlung".
30 Zu Naogeorgs "Pammachius" s. Nr. 2453, Anm. 5.
31 Siehe schon Nr. 2453,22-27; Nr. 2576,62-69; Nr. 2585,58f.
32 Johann Friedrich I. von Sachsen. — Vgl. Nr. 2596 und Anm. 68.
33 fencklich annemen: verhaften; s. Fischer II 942.
34 Lauingen, etwa 50 km nordwestlich von Augsburg, wie aus Hallers Brief an Bullinger,


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35 Besorg, ob schon diser krieg hienuber käme, meine herrn wurden me dannocht vor dem newen babstumb 36 nit erhalten mögen. Darumb denckht ime 37 nach, wa 38 wir doch den lieben man mit sein weib 39 und 2 jungen kynnden 40 mogen underbringen. Lasst mich eur bedenncken wider wissen.

Nach c diesem kumbt zeittung, das sich der fynndt uß seinem geleger vor Ingelstat heruff baß gen Nuiburg gethon. Unnd ist zu besorgen, nachdem es ein ring 41 , unbefesstnet stedtlin, er werds erobern, eh man rettung bringt. 42

Die unnsern werden dem vheindt, der mit aller macht uber ain cleine tagreiß 43 nit mehr von Augspurg ist, entgegenkumen oder sich vor Augspurg

c Von hier ab später nachgetragen, was nicht nur der Inhalt, sondern auch die Farbe der Tinte vermuten lässt.
ca. 7. Oktober 1546 (Zürich StA, E II 370a, 533), hervorgeht: "Detinuimus eum [= Naogeorgum] aliquot diebus apud Laugingen, apud quendam optimum virum. Sed quoniam non perpetuo illic tutus futurus erit, ad nos clam remigrabit." Am 1. Oktober berichtete nämlich Thomann dem Zürcher Rat (Zürich StA, A 177, Nr. 56), dass die Schmalkaldener in Lauingen ein "Fenli knecht inn bsatzung glegt" haben. Es bestand also die Gefahr, dass der Kurfüst über Naogeorgs Anwesenheit in Lauingen erfahren würde.
35 Dieser Stelle wie auch Nr. 2596,91, zufolge kann Naogeorg nicht erst am 25. September mit einem Ehrengeschenk von 20 Gulden von der Stadt Augsburg verabschiedet worden sein, wie es Friedrich, Kirchmair 99 behauptet. Entweder ist "15. September" zu lesen, oder (was weniger wahrscheinlich erscheint) wurde Naogeorg dieses Geld erst später für seinen Unterhalt in Lauingen zugesandt; vgl. Nr. 2596,92-94.
36 Gemeint ist hier die neue Macht der Lutheraner.
37 darüber.
38 wo.
39 Vielleicht Margaretha Hinzenhauser, ehemalige Priorin des Dominikanerinnenklosters Pettendorf (Lkr. Regensburg), die Naogeorg nicht allzulange nach seinem Austritt 1525 aus dem Dominikanerkloster von Regensburg heiratete (s. Friedrich, Kirchmair 85). Allerdings führen einige Quellen als Vorname der Priorin "Katharina" an. Von Naogeorgs Ehefrau, die im November 1548 starb, ist nur der Vorname "Margaretha"
bekannt (s. Beat Rudolf Jenny, Basler Quellen zur Lebensgeschichte des Thomas Naogeorg, in: BZGA 69, 1969, 213; Friedrich, Kirchmair 103). Demzufolge muss derzeit offen bleiben, ob damit die gleiche Frau gemeint ist. Sollte es nicht dieselbe sein, wüsste man nicht, ob im vorliegenden Brief Katharina Hinzenhauser oder Margaretha [...] gemeint ist. Es ließe sich aber erklären, warum sowohl Jenny als auch Friedrich bei der kurz vor Weihnachten 1549 geheirateten Anna Husschwedlin von der "dritten" Frau Naogeorgs sprechen.
40 Bekannt ist nur der Name zweier Töchter: Elisabeth (die im Dezember 1548 oder kurz darauf starb) und Sabina (die 1563 noch lebte). Beim Tode seiner Frau Margaretha im November 1548 lebten drei Kinder Naogeorgs: "abstulit enim [deus] mihi uxorem charissimam relictis tribus liberis infantibus" (Naogeorg an Bullinger, 11. Dezember 1548, Zürich StA, E II 345, 376), und im Jahr 1553 ebensoviele; s. Jenny, aaO, 220 mit Anm. 44; Friedrich, Kirchmair 103. 106. 109. 41 kleines.
42 Frölich war die am 19. September erfolgte Kapitulation Neuburgs a.d. Donau (gefolgt von der Einnahme am 20. September) freilich noch unbekannt; s. dazu Nr. 2596,27-40; Thomann an den Zürcher Rat, 21. September 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 39f); Weissmann 115-117. 119f.
43 Ein Heer legte damals durchschnittlich ungefähr 2 bis 2,5 Meilen am Tag zurück; s. Schüz, Donaufeldzug 27, Anm. 5 (eine deutsche Meile ergibt etwa 7 bis 8 km). —Vgl. Nr. 2596 und Anm. 43.


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lägeren, allso das noch vor winters die sach dieses grossen wercks zum ennde lauffen mag. Der almechtig stee unns bei. Amen.

Im höchsten vertrauen ubersennde ich euch hiemit die articul 44 , darumb Thomas Naogeorgus verfolgt wurdt. Isti articuli per me sunt descripti ex literis principis Saxonic, quamvis ignorem, an ipse ita vel secus sentiat.

Was ir mynem lieben herrn und bruder Hallero geschriben 45 von wegen der predicanten, hab ich gern gehört. Sobald unnser bott 46 wider kumbt, soll euch witter geschriben werden.

Valeant omnes et singuli nostri fratres Tigurini! 20. septembris 1546.

Tuus Georgius Laetus, etc.

[Adresse auf f. 336v.:] Dem christenniichen, hochgelerten herrn Heinrichen Bullinger, vorgeern 47 der kirchen Zurch, meinem gunnstigen herrn zu hannden."