Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3160]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
Montag, 12. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 338, 1448 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BWII 689f Nr. 1515

[1]Blarer erhielt gestern Abend [11. März 1548]die im Folgenden wiedergegebenen Neuigkeiten aus Augsburg, die ihm der Memminger Stadtschreiber [Georg Maurer]weitergeleitet hatte. -[2]Auf dem Augsburger Reichstag herrsche Ruhe. Kaiser Karl V. liege krank im Bett. -[3]Man rechne täglich mit der Abreise von Königin Maria von Ungarn in die Niederlande. König Ferdinand I bleibe hingegen noch länger in Augsburg. -[4]Die [altgläubigen] Geistlichen bestünden hauptsächlich darauf ihre alten Rechte und Besitzungen zurückzuerhalten. Sollte der [lnterimsausschuss] in den Verhandlungen keine Übereinkunft erzielen, werde Karl V [selbst] eine Lösung dafür suchen. -[5] Über [die kaiserlichen Pläne]gegen Konstanz seien zeitweise erschreckende, jedoch völlig unbegründete Gerüchte zu hören gewesen. In Augsburg vernehme man nun aber, dass die Stadt vom Kaiser sicherlich verschont werde. -[6]Ein [spanisches]Regiment marschiere mit dem gefangenen Landgrafen Philipp von Hessen von Nördlingen und ein weiteres von Dinkelsbühl nach Heilbronn, von wo sie dann nach einer gewissen Zeit weiter an den Rhein hinab ziehen werden. -[7]Dem kaiserlichen Plan für einen neuen Reichsbund stehe man aus Sorge vor einem neuen Schwäbischen Bund zurückhaltend gegenüber. Die Reichsstädte würden diesem Vorhaben zustimmen, wenn die anderen Stände sich ebenfalls dazu entschlössen. Sie glauben nämlich, der [neue]Reichsbund würde dem Frieden zuträglich sein. [Soweit die Nachrichten aus Augsburg]. -[8]In großer Eile. -[9][P.S.:]Neulich hat Blarer der Frau von Marcell Dietrich von Schankwitz [Anna, geb. Zehntmeier] einen Brief für Bullinger [Nr. 3157 vom 10. März 1548]mitgegeben. Nun macht sich auch der Briefbote [N.N..] des vorliegenden Briefes auf den Weg, während Blarer sich [wieder] seinen zahlreichen Verpflichtungen widmet.

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
40 Überbringer des vorliegenden Briefes war Petrus
Franciscus Rizardus; s. oben Z. 44.


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Uff necht 1 ist mir ain schriben komenn vom stattschriber zu Memingen 2 . Kompt allererst von Augspurg. 3 Darinn steht Allso:

Es ist gantz still uff dem richstag. 4 Kaiserlich majestat lygt im holtz 5 .

Konigin Maria 6 soll all tag verrucken in das Niderland. Der römisch konig 7 blipt noch da.

Die gaistlichen 8 wellen iren halb nichts handlen lassen, sonder vor allen dingen vermög der rechten 9 restituiert werden. Aber kaiser will mittel drinn 10 suchen, wa 11 man sich sonst nitt vergleichen kan. 12

Es ist ain wyl 13 ewer 14 halb mancherlay grausamer sag 15 , doch on allen grund, gewesen. Bin 16 ongezwyfellt, er 17 werd ewer sach wol und glucklich ussfieren 18 . Kan

1 Uff necht: Am Vorabend (11. März 1548).
2 Georg Maurer amtete von 1524-1549 als Stadtschreiber in Memmingen; s. HBBW XIII, Nr. 1758, Anm. 1.
3 Der Verfasser des Briefes ist unbekannt.
4 Kaiser Karl V. hatte sich aufgrund einer Erkrankung zurückgezogen und ließ die Reichstagsgeschäfte ruhen. Der von ihm eingesetzte Intertimsausschuss hatte zu dieser Zeit bereits mehr als zwei Wochen nicht mehr getagt; s. den Brief von Jakob Sturm, Marx Hag und Hans von Odratzheim an den Straßburger Rat vom 4. März 1548; s. PC IV/2 884f Nr. 738.
5 lygt im Holtz: Gemeint ist ein längerer, etwa einmonatiger Bettaufenthalt von Syphiliserkrankten im warmen Zimmer, verbunden mit einer Fastenkur mit Guajakholztee und der Behandlung der Geschwüre mit dem Schaum der Guajakabkochung; s. HBBW XV, Nr. 2094, Anm. 15; vgl. ferner HBBW XVI, Nr. 2362,19f mit Anm. 18; Enzyklopädie Medizingeschichte, Bd. 1, hg. y. Werner E. Gerabek u.a., Berlin/New York 2004, S. 514. - Zu des Kaisers Leiden im Vorjahr s. HBBW XX, Nr. 2943,11f; Nr. 2977,13; Nr. 2984,50; Nr. 2990,5; Nr. 3005,8-10.
6 Maria von Ungarn, seit 1531 Regentin der Niederlande, sollte am 12. oder 13. März 1548 nach Brabant aufbrechen; s. HBBW XII, Nr. 1643, Anm. 72; Creutznachers Diarium 323; NBD X 279, Nr. 97; PC IV/2 887, Nr. 739, Anm. 7.
7 Ferdinand I sollte noch bis Anfang Juli 1548 in Augsburg bleiben; s. Stälin 580.
8 Gemeint sind jene altgläubigen Geistlichen,
die Teil des Interimsausschusses waren. Zu deren Mitgliedern aus den verschiedenen Ständen s. Rolf Decot, Die Reaktion der katholischen Kirche auf das Interim, in: Das Interim von 1548/1550. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, hg. y. Luise Schorn-Schütte, Heidelberg 2005, S. 371 mit Anm. 16; Rabe, Reichsbund 418f mit Anm. 49.
9 vermög der rechten: gemäß ihrer [alten] Ansprüche; s. SI IV 107 s.v. Vermög; VI 240f Recht. - Zu den Forderungen der Geistlichen und des Kaisers s. RTA-JR XVIII/2 1708-1731, Nr. 177, passim.
10 Gemeint: bei der Restitution der Ansprüche der Altgläubigen.
11 wenn.
12 Zur kaiserlichen Handhabung der Reichstagsgeschäfte und zur Befürchtung, Karl V. könnte sich über die Beschlüsse des Interimsausschusses hinwegsetzen, vgl. auch Nr. 3108, 9-14; Nr. 3113,7-12; Nr. 3145, Anm. 20 und Nr. 3152,9-16.
13 ain wyl: eine Zeit lang.
14 Gemeint sind die Konstanzer. -Zur Lage der von den kaiserlichen Sanktionen schwer getroffenen Stadt s. HBBW XX, Nr. 3092,27-34; Nr. 3110, Anm. 30.
15 Gerücht.
16 Subjekt ist der Memminger Stadtschreiber Georg Maurer, der Blarer die Nachrichten aus Augsburg übermittelt und diese, wie aus der vorliegenden Stelle hervorgeht, auch kommentiert hatte; s. oben Z. 1f.
17 Karl V.
18 handhaben. -Zum Konstanzer Versöhnungsantrag an den Kaiser s. zuletzt Nr. 3157,


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nitt 19 anderst yetz hören.

Zway regiment sampt dem landtgrauffen 20 , so zu Nördlingen und Dinckelspichel 21 gelegen, sind hinab uff Hailprunn verruckt. Werden kurtz tag da verharren und dann wyter hinab an den Rein ziechen.

Zu dem newen pundt 22 ist man unwillig. Es möchte gleich so bald widerum ain schwebischer pundt werden. Doch weren die stett willig, der kaiserlichen majestat hierinn willzefaren 23 , wann 24 es die andern stend ouch thäten. Dann 25 die stett achten 26 , auch wurde diser grosser pundt zu grossem frid dienstlich sin.

Datum in hochster yl, den 12. martii 1548. [Ohne Unterschrift.]

Hab euch allererst 27 per Marcelli uxorem 28 auch geschriben. Und ut diser bott 29 hinweg under 30 vyl minen geschefften.

[Adresse auf der Rückseite:]Bullingero suo. Tiguri.

20-25.
19 nichts.
20 Philipp von Hessen hatte sich vor dem Auszug des spanischen Regiments aus Nördlingen am 1. März 1548 ebendort in kaiserlicher Gefangenschaft befunden. Hiernach war er bis zu seiner Verlegung in die Festung in Oudenaarde (Belgien) etwa um den 20. August 1548 in Heilbronn inhaftiert. Das spanische Regiment sollte (samt dem Gefangenen) in Cannstatt (bei Stuttgart) zum kaiserlichen Tross dazustoßen, der vom 23. bis zum 24. August 1548 in Vaihingen (bei Stuttgart) rasten sollte; s. Creutznachers Diarium 322; Fritz Wolff Der gefangene Landgraf. Der Weg in die Gefangenschaft, in: Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform, hg. y. Ursula Braasch-Schwersmann u.a. in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission für Hessen, Marburg/Neustadt an der Aisch 2004, S. 128. 130;
Stälin 580; zur Gefangenschaft des hessischen Landgrafen s. zuletzt Nr. 3149, Anm. 6.
21 Dinkelsbühl.
22 Zu den Plänen von Karl V. und seinem Bruder Ferdinand I., den Schwäbischen Bund wieder zu errichten, und zu dem Widerstand der protestantischen Stände dagegen s. Nr. 3145, Anm. 23.
23 zuzustimmen.
24 wenn.
25 Denn.
26 glauben.
27 vor kurzer Zeit; s. SI I 476.
28 Die Ehefrau von Marcell Dietrich von Schankwitz, Anna, geb. Zehntmeier, hatte nach ihrem Aufenthalt in Konstanz Blarers Brief an Bullinger vom 10. März 1548 nach Zürich überbracht. Zu ihrem Aufenthalt in Konstanz bei Blarer s. Nr. 3157,lf und 17-19.
29 Unbekannt.
30 während; s. SI I 325.