Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3157]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
Konstanz,
Samstag, 10. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 357, 312 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BWII 688f Nr. 1514

[1]Blarer hat brieflich von Marcell Dietrich von Schankwitz und persönlich von dessen Frau [Anna, geb. Zehntmeier] von Bullingers fortwährendem Beistand erfahren und weiß nicht, wie er ihm dafür angemessen danken kann [von einer Wiedergutmachung ganz zu schweigen!). Blarer hofft, dass die beiden sich dankbar erweisen werden und wird sie auch dazu ermahnen. Schließlich ist Schankwitz ein launischer Hitzkopf der sich aber schnell wieder besänftigen lässt und eine christliche Zurechtweisung annimmt. -[2]Blarer würde sich gern für Bullingers außergewöhnliche Buchgeschenk ["Series et digestio temporum"[ erkenntlich zeigen, das einer von vielen Beweisen seiner Freundschaft und Hilfsbereitschaft ist. Da ihm das bisher nicht möglich war, bewahrt er seine Dankbarkeit und wird Bullingers tatkräftigen Beistand in angemessener Form erwidern, sobald sich eine Möglichkeit bietet. Bis dahin betet Blarer aufgrund der Vielzahl von Bullingers Wohltaten für diesen und dessen Familie um reichen und immerwährenden Segen. Nach der Abreise von Schankwitz' Gattin, die sich seit einigen Tagen bei ihm aufhält und ihm ziemlich zur Last fällt, wird sich Blarer mit größtem Vergnügen der Lektüre von Bullingers Werk widmen! -[3]Da die Konstanzer der Willkür Kaiser Karls V. und König Ferdinands I. ausgesetzt sind, ist ihre Lage nicht besser, sondern wohl eher schlechter geworden. Mögen die Konstanzer die sie schützende Gunst Christi nicht verlieren. Als Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle, von einem zuverlässigen

a Mit Schnittspuren.
272. 341. 397, erfährt man ferner, dass Forrer als Arzt in Winterthur praktizierte und daselbst 1562 doch noch zweiter Pfarrer (mit etwas eigensinnigen Ideen) wurde. Er starb 1594. Mit Konrad Gessner stand er in Korrespondenz und besorgte nach dessen Tod die deutsche Übersetzung von dessen Tierbuch, die 1563 erschien (VD16 G1728), von dessen Fischbuch, die 1575 erschien (VD16 G1742), sowie von dessen Schlangenbuch, die 1589 erschien (VD16 G1797) - Der hier genannte
Student übermittelte Bullingers Schrift ebenfalls an Johannes Gast und Celio Secondo Curione. Falls Bullingers Buchgeschenken Briefe beigelegen haben, sind diese nicht erhalten; s. Nr. 3163,1-3 mit Anm. 2; Nr. 3168,2f mit Anm. 1.
8 Der Überbringer des vorliegenden Briefes und des beiliegenden Werks "Series et digestio temporum" war vermutlich Konrad Forrer; s. oben Anm. 7.


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Mann [NN]auf das Konstanzer [Versöhnungsgesuch]angesprochen wurde, kündigte er an, ihm die kaiserlichen Forderungen an Konstanz in sieben oder acht Tagen mitzuteilen. Die Konstanzer üben sich in Geduld. Gebe Gott der Angelegenheit einen guten Ausgang! -[4]In Augsburg wird berichtet, dass Prinz Philipp II. von Spanien in Genua gelandet und nun in Begleitung von Fernando Alvarez de Toledo, dem Herzog von Alba, nicht mehr weit von Augsburg entfernt sei. Nach seiner Ankunft solle er [Margarete von Frankreich] heiraten, die Schwester des französischen Königs Heinrich II. -[5]Bullinger hat inzwischen zweifellos Blarers letzten Brief [Nr. 3155 vom 3. März 1548]erhalten, den der Hauslehrer der Söhne von Junker Jakob Rordorf namens Fischer, dessen Vornamen Blarer nicht kennt, überbringen sollte. Diesem Brief lag auch ein von Hans Schöner an Bullinger gerichtetes Schreiben [nicht erhalten]bei. -[6]Ein in Konstanz eingetroffenes Schreiben besagt, dass die [evangelischen]Prediger in Augsburg angehalten wurden, wieder einen Chorrock in der Kirche zu tragen, und dass in jeder Kirche ein Kruzifix aufgestellt werden müsse. Doch die Prediger, allen voran Wolfgang Musculus, sollen sich diesen Forderungen widersetzen. Gott möge bewirken, dass die [evangelische]Religion erhalten bleibt! -[7]Grüße von Thomas Blarer, Konrad Zwick und Blarers Familie. Bullinger möge sie in seine Gebete einschließen. Grüße an Bullingers Frau [Anna, geb. Adlischwyler] und alle Kollegen und Bekannten. Erneuter Gruß. Bullinger möge eifrig für die Konstanzer beten!

S. Marcellus 1 vero suis literis, uxor autem jam coram sic nobis indefatigabilem laborem tuum in se iuvandis depraedicarunt, ut nihil supra 2 utque non habeam, unde pares officiositati tue gratias agere (non enim dicam referre!) b possim. Spero autem istos hommes ita se tibi probaturos, ut penitere te illius indefessae operae tue nunquam possit. Id, quod ut faciant, qua possum diligentia et sepe et diligenter ipsos exhortabor. Marcellus stomacho est, fateor, paulo irritabiliore ac ira facile incandescit, at facile item placatur. Cetera valde pius: Mox etiam post istam animi impotentiam admoneri se et christianice obiurgari sustinet.

Pro munere tuo 3 vere egregio, quod multis et varus iisque magnificis superioribus tuis erga me beneficiis addere voluisti, gratias itidem magnificas referre me opportebat. Verum quum omni iam occasione gratificandi tibi destituar, animum tarnen longe gratissimum usque conservare sic omnibus modis studebo, ut primam quamque occasionem, que affulserit, mordicus sim apprehensurus nec prius dimissurus, quam

b Klammern ergänzt.
1 Marcell Dietrich von Schankwitz. -Er hielt sich gemeinsam mit seiner Frau Anna, geb. Zehntmeier, in Zürich auf; s. Nr. 3110, Anm. 37. -Sein Brief an Blarer ist nicht erhalten. -Offensichtlich hatte sich seine Frau von der Erkrankung erholt, die in Blarers Brief vom 24. Januar 1548 (Nr. 3118,16-19) erwähnt wird, und war ohne ihren Mann nach Konstanz gereist. Vermutlich hatte sie bei dieser Gelegenheit Bullingers nicht erhaltenes Antwortschreiben auf Blarers Brief vom
3. März 1548 (Nr. 3155) samt dem dazu beigelegten Druck "Series et digestio temporum" (HBBibl I 176; VD16 B9689) überbracht.
2 ut nihil supra: vgl. Terenz, Andria, 120; Cicero, Epistulae ad familiares, 14, 1, 4.
3 Gemeint ist hier wohl Bullingers zwischen dem 28. Januar und dem 10. Februar 1548 erschienenes Werk "Series et digestio temporum"; s. oben Anm. 1 sowie Nr. 3121, Anm. 1.


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vel aliquo usque largissime illi munificentie tue respondeam. Interea vero, dum istuc paro, benignissimum patrem in celis per filium suum Christum summis votis comprecabor, ut de sue benedictionis thesauro te tuosque omnes locupletare hic nunquam cesset, ac eternum deinde conservet. Legam incredibili voluptate, ubi primum iam Marcelli uxor, que mecum fuit diebus aliquo multum negocii exhibens, abierit.

nostre res nihilo meliore loco sunt, quam nuper fuerunt, fortassis etiam peiore, quod quidem ad caesaris 4 et regis 5 animos pertinet. 6 Faxit rex noster Christus, ut a suo illo favore, quo solo tutis nobis esse licebit, nunquam excidamus! Granvella hat kurtzlich zu Augspurg zu ainem guten mann 7 , der inn 8 unserhalb angesprochen hat, gesagt, er welle im in siben oder acht tagen wol anzögen 9 , wie es unserhalb stande und was man von unß haben welle. Allso wartet man uff solichs. Der lieb gott welle, das es etwas guts werde!

Es wirt zu Augspurg gesagt, wie der jung printz 10 uss Hispania zu Genua ankommen und yetzund mitt dem duco de Alba nitt fehr 11 seye. So er heraußkomme 12 , werde man ime des konigs in Franckreych schwöster 13 vermechlen 14 .

Scripsi 15 ad te per n. Fischer 16 , puerorum doctorem apud Rordorff. Nec dubito,

4 Karl V.
5 Ferdinand I
6 Zum Konstanzer Versöhnungsgesuch an den Kaiser s. zuletzt Nr. 3155,4f; zur Rolle hierbei von Nicolas de Perrenot, dem Herrn von Granvelle, s. Nr. 3110, Anm. 30. -Zu einem befürchteten kaiserlichen Angriffs. Nr. 3142, 79-81.
7 Unbekannt.
8 ihn.
9 berichten.
10 Philipp II. -An der Tagsatzung in Baden, die am 23. Januar 1548 begann, wurde berichtet, dass Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba, nach Spanien gereist sei, um den Prinzen von dort nach Italien zu geleiten. Dieser sollte allerdings erst am 21. Januar 1549 in Augsburg eintreffen; s. Nr. 3145, Anm. 26.
11 fern.
12 erscheine.
13 Margarete von Frankreich, geb. 1523, gest. 1574, Schwester von König Heinrich IT. von Frankreich. - Sie sollte tatsächlich aber Herzog Emanuel Philibert von Savoyen im Jahre 1559 heiraten, um den Frieden von Cateau-Cambrésis zwischen Frankreich, Spanien und England zu besiegeln; s. Arnold Biel, Die
Beziehungen zwischen Savoyen und der Eidgenossenschaft zur Zeit Emanuel Philiberts (1559-1580), Basel u.a. 1966, S. 10. - In den Jahren 1539 und vor allem 1546 wurden Gerüchte über eine Heirat von Karl V., dem Vater von Philipp II., mit Margarete von Frankreich verbreitet; s. HBBW IX, Nr. 1285,63-64; XVIII, Nr. 2708,25-28; Nr. 2711,6-8; Nr. 2722,24-27. —Aus der Korrespondenz zwischen Bullinger und Margarete von Frankreich ist ein Brief Bullingers vom 10. April 1572 erhalten (Zürich StA, E II 342, 660).
14 vermählen.
15 Blarers Brief an Bullinger vom 3. März 1548 (Nr. 3155).
16 Über den von Junker Jakob Rordorf, gest. 1556, einem Freund Bullingers, angestellten Hauslehrer ist abgesehen von seinem im vorliegenden Brief angegebenen Familiennamen Fischer nichts bekannt. Auch Blarer scheint nur seinen Familiennamen, nicht aber seinen Vornamen gekannt zu haben. - Zu Rordorf s. HBBW V, Nr. 567, Anm. 50. -Von Rordorfs Söhnen lebten zu dieser Zeit Hans Jakob, geb. 1531, gest. 1591, Heinrich, geb. 1534, Werner, geb. 1535, Nikolaus und Johannes, beide


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quin jam cas literas acceperis. Misi autem et Schönen 17 epistolam tibi inscriptam.

Es wirt her geschrieben, man habe c den predigern zu Augspurg zugemutet 18 , das sy in der kirchen ain chorrock anstossind 19 . Item, das man in yeder kirchen ain crucifix uffrichte. Aber die prediger, sonderlich der Meuslin 20 , haltind sich gantz wol. 21 Der herr gott verlieh hertz und gnad, das die religionsach uffrecht blyb!

Germanus meus 22 frater 23 cum Conrado Zviccio meaque domo diligentissime te salutant tuasque apud dominum efficacissimas interpellationes unice cupiunt. Saluta sanctissimam tuam coniugem 24 cum omnibus fratribus et amicis. Bene vale, mi venerande pariter et charissime frater, et pio tuo seduloque patrocinio domino nos christianice commenda. Constantiae, sabbatho ante Letare 25 1548. Tuus A. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Heinricho Bullingero, venerando suo longeque omnium charissimo fratri. 26