Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3163]

Johannes Gast
an Bullinger
Basel,
Dienstag, 13. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 366, 189 (Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Gast hat in den vergangenen Tagen die [erbetene Abschrift der Zürcher Ehegerichtssatzungen zur Scheidung von Aussätzigen]sowie Bullingers Buch "Series et digestio temporum" dankend erhalten. Er wird sich bei Gelegenheit dafür erkenntlich zeigen. [2]Sollte Bullinger Interesse an dem Werk Martin Bucers über das fehlgeschlagene Regensburger Religionsgespräch [Ratisbonae in altero colloquio"]bekunden, schickt es ihm Gast gern zu, zumal heute auch der Druck des [letzten], die englische Kirche betreffenden Teils [Martini Buceri ad ecclesiam Anglicanam"]Lin Basel]abgeschlossen worden ist. [Noch während der Drucklegung]hat Bucer auf vielen Seiten Änderungen vornehmen lassen, um in Hinblick auf die im schmalkaldischen Krieg erlittene Niederlage niemanden vor den Kopf zu stoßen. [3] Gast möchte erfahren, ob [Thomas Naogeorg] in seinem Büchlein über den vergangenen [schmalkaldischen]Krieg [bello germanico in laudem bannis Pedionaei"] in Bullingers Augen bei der Verharmlosung der Kriegsgründe den Nagel auf den Kopf getroffen hat. [4]Es gibt keine Neuigkeiten aus Basel. [5]Königin Maria von Ungarn ist in Straßburg und die Straßburger lassen für sie lächerliche prunkvolle Messen feiern. Die [Evangelischen]sind in Religionsangelegenheiten so unbeständig! [6]Die Ensisheimer [Regierung]schickt ihre Reiter überall umher. Diese verlangen von allen mutmaßlichen Kriegsleuten den Schwur, in den nächsten vier Jahren nicht in die Dienste König Heinrichs II. von Frankreich zu treten. Diese Reiter sind überall und hätten beinahe Lauch]Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard ergriffen. [7]Demnächst wird Gast über die Lin Basel] neu erschienenen Bücher berichten. [8]Grüße.

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.


briefe_vol_21-275arpa

S. in domino. Tabulas 1 transmissas et librum 2 , quem us diebus accepi de serie et digestione temporum, etc., accepi. 3 Pro quibus donis gratias ago immensas et habiturus sum etiam data occasione.

Si librum 4 Buceri de colloquio abrupto Ratisponensi desideras, uno verbo scribe, et mittam. Narn hodie absoluta est ecclesiae Anglicane pars. Multa mutavit 5 folia, ne quem offendat propter belli nostri infelicem exitum 6 .

1 Gemeint ist die von Gast am 25. Januar 1548 erbetene Abschrift der Zürcher Ehegerichtsartikel zur Scheidung von Aussätzigen; s. Nr. 3120,33f.
2 Zu Bullingers Werk "Series et digestio temporum" (HBBibl I 176; VD16 B9689), das zwischen dem 28. Januar und dem 10. Februar 1548 veröffentlicht wurde, gehörte auch eine tabellarische, chronologisch angeordnete Darstellung der in der Apostelgeschichte festgehaltenen Ereignisse von der Auferstehung Christi an bis ins Jahr 70 n. Chr. (aaO, f. a2v.-a3r.), die als Fortführung von Bullingers nur handschriftlich überlieferten Chronologie "Continua temporum annorumque series"(Zürich ZB, Ms D 200a) aus dem Jahr 1544 gedacht war; s. Nr. 3121,[1] mit Anm. 1 und Anm. 3. -Der Überbringer des Buches (vermutlich Konrad Forrer aus Winterthur) übermittelte auch je ein Exemplar an Celio Secondo Curione und an Oswald Myconius. Letzterer erhielt bei dieser Gelegenheit ebenfalls Bullingers Brief vom 8. März 1548; s. Nr. 3156, Anm. 7; Nr. 3168,2f mit Anm. 1.
3 Gast nennt den Erhalt der Abschrift der Ehegerichtssatzungen getrennt vom Erhalt des Buchgeschenks. Da beiden Sendungen wohl ein Brief Bullingers beigelegen haben wird, ist von zwei nicht erhaltenen Schreiben Bullingers auszugehen, wobei Letzeres wohl wie der zuvor genannte Brief an Myconius am 8. März 1548 verfasst worden sein dürfte.
4 Das 1548 in Basel gedruckte Werk "Disputata Ratisbonae in altero colloquio" von Bucer (VD16 B8868; Bucer Bibl. Nr. 185) hätte laut Titelblatt auch die Schrift "Responsio ad Stephanum, Episcopum Vintoniensem, Anglum, de coelibatu sacerdotum et coenobitarum"enthalten sollen. Dieser Teil konnte jedoch nicht rechtzeitg fertiggestellt werden: Spätestens am 20. Januar 1548 muss Bucer dem Basler
Drucker Johannes Oporin brieflich Änderungswünschen zugeschickt haben. Dieser erkundigte sich wohl leicht verärgert etwa am 22. Januar nach der Kostenübernahme für diese Anpassungen. Bucer ließ ihn kurz vor seiner Abreise aus Straßburg durch einen Brief an Francisco de Enzinas vom 23. Januar wissen, dass er für die Druckkosten aufkomme (Enzinas BW 360f, Nr. 39b). Oporin, der von seinem damaligen Mitarbeiter Enzinas bzw. vom Briefüberbringer, Fernando Diaz Paterniano, von Bucers Aufbruch nach Ulm erfahren hatte, schrieb wegen einiger Unklarheiten in Buccrs Anweisungen daraufhin am 4. Februar an dessen Privatsekretär Konrad Hubert. Dieser muss rasch geantwortet haben, da ihm Oporin am 17. Februar bestätigte, Bucers Wünsche umgesetzt zu haben (Abschrift in Zürich ZB, Ms S 66, 48). Der Druck der "Responsio"wurde unter dem Titel "Gratulatio Martini Buceri ad ecclesiam Anglicanam" (VD16 B8888; Bucer Bibl. Nr. 184, dort mit fehlerhafter Druckerzuweisung), wie der vorliegende Brief angibt, am 13. März fertiggestellt. So blieb Oporin noch ausreichend Zeit, das Werk auf der Frankfurter Frühjahrsmesse anzubieten, die im Jahr 1548 etwa vom 3. bis zum 25. März stattfand. -Die von Gast genannte Textüberarbeitung der "Responsio" zeigt sich u.a. darin, dass zwei Lagen dieses Quarto-Druckes je nur zwei Blätter statt den üblichen vier haben; s. Ferdinand Mentz, Bibliographische Zusammenstellung der gedruckten Schriften Butzer's, in: Zur 400jährigen Geburtsfeier Martin Butzer's, Straßburg 1891, S 151, Nr. 78. -Der erste Teil der "Disputata"wurde vermutlich schon früher auf der Buchmesse präsentiert.
5 Subjekt ist Bucer.
6 Gemeint ist die Niederlage des Schmalkaldischen Bundes gegen Kaiser Karl V.


briefe_vol_21-276arpa

Libellum 7 de bello proximo mitto tuum iudicium expectans, an iste bonus vir rem acu tetigerit 8 , qui conatur initia huius belli mitigare.

Nos novi nihil habemus.

D. Maria 9 regina Ungarie Argentine Egregrias 10 habent 11 missas et satis ridiculas. Molliores sumus in religione nostra quam ulla cera aut surculus.

Ensisheymenses 12 habent suos equites allen orten streffen. Wo 13 yemant Konne eim 14 krieger gleich sehen b , dem geben sy 15 in eydt 16 , zum Franzosen 17 nit ziehen in 4 jaren 18 . Streifen hin und her. Fere captus fuisset dux Georgius Wirtembergensis 19

De libris novis excusis proxime scribam. 20

Vale. 13. martii 1548. Basilee.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Henrycho Bullingero, pastori Tigurine ecclesiae vigilantissimo, suo in domino charissimo. Zurich.

b In der Vorlage sehe.
7 Es handelt sich hierbei wohl um eine Abschrift von Thomas Naogeorgs (Kirchmeyers) Antwortgedicht auf die von Johannes Pedioneus verfasste Schrift "Dc bello Germanico Liber"(VD16 P1110. P1111), das etwa im August 1548 unter dem Titel "Dc bello germanico in laudem bannis Pedionaei"(VD 16 K967) in Basel gedruckt werden sollte. Georg Frölich hatte die Abschrift auf seiner Suche nach einer Druckmöglichkeit offensichtlich an Gast geschickt, ohne jedoch mitzuteilen, dass er auch Bullinger mit seinem Brief vom 19. Januar 1548 (Nr. 3113,19-25 mit Anm. 10) eine weitere geschickt hatte.
8 Vgl. Adagia2,4, 93 (ASD 11/3 392, Nt. 1393).
9 Maria von Ungarn. - Tatsächlich reiste sie erst am 12. oder 13. März 1548 aus Augsburg ab. Der Straßburger Rat befürchtete zu dieser Zeit allerdings, dass sie mit unangenehmer Botschaft (die Verlegung des Reichstags nach Straßburg?) in ihre Stadt kommen und dort länger verweilen könnte. Möglicherweise erhob sich hieraus das Gerücht, man hätte die Messen wieder eingeführt, um weniger Anstoß zu erregen; s. Nr. 3160, Anm. 6; PC IV/2
887, Nr. 738 mit Anm. 9f.
10 =egregias; s. Stotz VII, Nr. 290.2.
11 Subjekt sind die Straßburger.
12 Ensisheim war Sitz der vorderösterreichischen Regierung; S. Territorien des Reichs V 257. - Über das Vorgehen der königlichen Reiter hatte am 22. Februar 1548 bereits Sebastian Schertlin in seinem Brief an Bullinger berichtet. Vermutlich sollten sie das kaiserliche Verbot durchsetzen, anderen Herrschern Kriegsdienst zu leisten; s. Nr. 3145,42-46 und Anm. 53.
13 Wenn.
14 einem.
15 Gemeint sind die Reiter.
16 dem geben sy in eydt: den lassen sie schwören; s. SI I 91.
17 König Heinrich II. von Frankreich.
18 in 4 jaren: die nächsten vier Jahre.
19 Georg von Württemberg-Mömpelgard. - Zu dessen Aufenthalt in Basel s. Nr. 3135, Anm. 2.
20 In dem nächsterhaltenen Brief Gasts an Bullinger vom 23. März 1548 (Nr. 3169) sollte es nicht dazu kommen.
Tuus Gastius.