[2722]
Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
23. Dezember 1546
Autograph: Zürich StA, E II 357, 215-217 (Siegelspur);
[Beilage:] E II 357a, 677 (Siegel) aTeildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 549-550,
Nr. 1383;
Druck der Beilage: Blarer BW II 551, Nr. 1383; Anecdota Brentiana.
Ungedruckte Briefe und Bedenken von Johannes Brenz,
hg. y. Theodor Pressel, Tübingen 1868, S. 258f
[1] Herzog Ulrich von Württemberg ist am vergangenen Dienstag (21. Dezember] mit 200
[Reitern]auf den Hohentwiel gewichen. Die Kaiserlichen liegen in seinem Land und haben
unter anderem Weinsberg eingenommen. Das ganze Land ist über die Flucht des Herzogs
erschrocken, obwohl es wahrscheinlich schon besser ist, dass er sich zurückgezogen hat. Er
hat nämlich vor acht Tagen den größten Teil seiner Truppen beurlaubt und die Festungen
Schorndorf und [Hohen]asperg mit nur wenigen, aus auswärtigen Landsknechten bestehenden
Fähnlein versehen. —[2] Etliche Konstanzer Ratsherren sind der Meinung, die Eidgenossen
sollten an den Herzog einen freundlichen Brief richten oder an Kaiser [Karl V.]schreiben und
Letzterem zu verstehen geben, dass sie nicht vorhätten, dem Untergang Württembergs, ihrer
Kornkammer, passiv zuzusehen. Wenigstens sollten die Zürcher den Anfang machen, indem sie
sich beim Herzog über die Lage erkundigen. —[3] Es gäbe vieles zu berichten, aber Blarer
kann nur schreiben, bis der nach Zürich aufbrechende Konstanzer Ratsbote [...] eintrifft.
—[4] Etliche sind der Meinung, dass man es [mit dem Einfall der Kaiserlichen in Württemberg]
auf die [süddeutschen Reichs]städte und auf die Eidgenossen abgesehen hat. Der Herr
verleihe seinen Schutz! —[5]Nach dem Bericht eines Augsburgers [...](der Frau und Kinder
nach Konstanz in Sicherheit gebracht hat) soll [Nicolas Perrenot, Herr von] Granvelle, mit
seinem Heiratsplan [zwischen Karl V. und Margarete von Frankreich] bei [Franz 1.] auf
Interesse gestoßen sein. Dagegen berichtet ein Reisender [...] aus Bourges, dass der König
Granvelle nicht empfangen wollte und diesem stattdessen ausrichten ließ, dass er seinem
Herrn, dem Kaiser, nicht traue, da dieser sich nie an Abmachungen gehalten hat. Übrigens
soll der König ein Mandat verabschiedet haben, demzufolge niemand mehr wegen seines
Glaubens verfolgt werden soll. Hat Bullinger etwas dazu erfahren? —[6] Ulm verhandelt mit
dem Kaiser über einen Frieden. Dies missfällt den anderen Städten sehr. Das Verzagen nimmt
zu. Die in Gefahr schwebenden Städte Esslingen und Reutlingen werden wohl angesichts ihrer
hoffnungslosen Lage einen ehrlichen Frieden aushandeln wollen, den man ihnen aber nicht
halten wird. —[7]Graf Georg von Württemberg, der junge Markgraf [Bernhard] von Baden[Durlach]
und Balthasar von Gültlingen waren auf Befehl Herzog Ulrichs im kaiserlichen
Lager. Bei ihrer Rückkehr wurden sie von einem kaiserlichen Herold [Hans Reichwein] begleitet
(der Kaiser selbst soll nicht im Lager, sondern in den Niederlanden sein). Was die
Gesandtschaft erreicht hat, weiß Blarer nicht. Der Herzog ließ den kaiserlichen Herold etliche
Tage warten und empfing diesen erst am 19. Dezember in Balingen auf dem Weg nach Hohentwiel.
Danach soll er sehr verstimmt gewesen sein und den Herold fortgeschickt haben.
a Jedes Dokument hat eigene Faltungen, eine eigene Adresse und ein eigenes Siegel. Die
Beilage (zu der Blarer durch Bucer kam; s. unten Anm. 76) ist wohl dem vorliegenden Schreiben
zuzuordnen, wenn man in Betracht zieht, dass der von Brenz am 13. Dezember in Schwäbisch
Hall verfasste Brief via Straßburg und Konstanz nach Zürich befördert werden musste
und Bullinger bereits am 25. Dezember bekannt war; vgl. nämlich Nr. 2724, 8-10.
Man wird sich wohl nicht über die Friedensbedingungen einig geworden sein. Es wäre gut,
wenn man nun mit den Eidgenossen (wenn sie es wollten) das Hegau militärisch besetzen
würde, zumal es für die Eidgenossen schlimme Folgen hätte, wenn der Kaiser das Gebiet
einnehmen oder dort sein Winterlager aufschlagen würde. Wie käme man dann an das Getreide,
von dem noch so viel im Land ist? Gott erbarme sich! Blarer hofft immer noch, dass
Gott sich zeigen wird, wenn es zum Äußersten kommt. —
[8]Bullinger soll den beigelegten
Brief die kleine Truhe und das Geld aus Augsburg an Hans Schöner übermitteln oder dem
Ratsboten den Weg zu Letzterem weisen. Der Bote konnte eine der Truhen nicht mitnehmen.
—
[9] Dänemark und die Hansestädte sollen gegen Herzog Moritz [von Sachsen] ziehen.
—
[10] Bullinger möge sein Bestes tun, um den Eidgenossen klarzumachen, was sie zu tun
hätten. Die Lage ist kritisch! Betreffend die Gesandtschaft [von Luzern und Freiburg zu Franz
1.] ist Blarer zuversichtlich. Man sollte nun eine Tagsatzung einberufen und dem Herzog mit
einem Schreiben Mut zusprechen. —
[11] Blarer muss abbrechen. Er will den Boten nicht
länger aufhalten. Er hatte vor, einen eigenen Boten zu schicken, ehe er von der Abfertigung
dieses Ratsboten erfuhr. —
[12]Bullinger soll für die Konstanzer beten, die das Gleiche für ihn
tun werden. —
[13](Beilage:](Johannes] Brenz an Bucer, Schwäbisch Hall, 13. Dezember
1546: —
[14] Brenz hat vor kurzem einem Franzosen [...], einem Bürger Straßburgs, einen
Brief für Bucer mitgegeben. Genauso wie (im August] die Ankunft (des Landgrafen Philipp
von Hessen und des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen]für die Papisten furchterregend
war, so ist nun der Abzug der Fürsten für die Zurückgelassenen beschämend. Es bleibt
diesen nichts anderes übrig, als zu trauern und den Spott ihrer Nachbarn über sich ergehen zu
lassen. Doch auch wenn die Christen immer wieder von der Welt bedrängt werden, wird
Christus schließlich siegen! Der Kaiser hat Schwäbisch Hall in Gnade aufgenommen. Über
die Bewahrung der Privilegien der Stadt und ihrer Religion wurde jedoch nicht gesprochen.
Dies soll später behandelt werden! Immerhin wurde der Stadt bis dahin weder ein Statthalter
aufgedrängt noch ein kaiserlicher Stellvertreter gesandt. [Maximilian von Egmont], Graf von
Büren, ist mit seinem Heer in Richtung Frankfurt aufgebrochen, der Kaiser in Richtung Heilbronn
und Württemberg. Von wo soll nun die Hilfe kommen? Unterdessen aber muss Brenz
weiterhin sein Amt verrichten, nämlich zur Frömmigkeit und zum Gebet aufrufen. Gott wird
sein Volk nicht verlassen! Bucer und seine Kollegen sollen für Schwäbisch Hall beten.
—
[15] (P.S. Blarers:] Nachdem der (Rats]bote noch nicht da ist und ein Brief Bucers mit
einem beigefügten Schreiben Brenz' eingetroffen ist, legt Blarer eine Abschrift davon bei.Fruntlicher, fürgeliepter herr und bruder, ich schreib in grosser yl, das hertzog
Ulrich von Wirtemperg uff zinstag nechst 1 zu nacht mitt 200 pferdten
uff die Hochenwiel 2 gewychen ist, und ligind ime die kaiserischen im land. 3
Habend Wynsperg 4 und etwas mehr ingenommen. Ist man im gantzen land
erschrocken, sonderlich diewyl der herr 5 davon ist, wiewol es vyllicht gut
sein möcht. das er uff Wiel 6 ist. Er hat sein landtvolck. so er by ainander
gehapt, vor acht tagen widerum haimziechen lassen. 7 Hat noch ettlich, aber
wenig fendle frombder knecht und ettlich vestinen 8 , namlich Schorndorff 9
Asperg 10 und ander, damitt besetzt.
Hab ich euch in yl nitt verhalten konnen, dann ettlich vertrauwt leut
meiner herren 11 mainen, man köndt yetz nitt bessers thain 12 , dann, so ir und
ander, die b gmainen Aidgnossen, vermöchten, das sy hertzog Ulrichen uff
die Wiel schribind und sich gutz gegen im emputten, oder das sy dem
kaiser 13 ernstlich schribind, sy könnind diß land nitt allso verderben lassen,
diewyl 15
es ir kornkast seye, 14 etc., wie dann die warhait und gmainen Aidgnossen
vyl daran gelegen, oder das doch die von Zürich dem hertzogen
züschribind, 16 damitt 17
man anlaitung in die sach hette und man darin kome.
Ich hett euch vyl ze schriben. Wart all ougenplick, wann der bott uff seye,
den mine herren den ewern schicken wellend 18 . Will schreiben, diewyl 19 er
nitt kompt.
Es wellend etlich mainen, die sach seye alle uber die stett und Aidgnossen
angesechen 20 , davon aber nitt gut ze schriben. Ach, herr gott, hilff, rath und
byß 21 unser bester schutz und schirm hie und dört!
Hutt sagt mir ainer von Augspurg 22 (hat sein weyb und kind hieher geflöchnet
23 ) c , im werde gloubwirdig geschriben, das der Gravella 24 sein sach
by dem Franzosen 25 wol aussgericht und der heurat 26 seinen fürgang habe:
Das sölle gewiss und war sein. Dargegen ist ainer von Burgis 27 die tag hie
gewesen. Sagt für gewiß, das der könig den Gravella nie hab persönlich für
sich wellen lassen
28 , sonder zu im gesagt,
29 sein herr
30 hab im nie nichts
gehalten
31 , mitt vyl andern dergleichen reden. ||216 Item der könig, sagt er
32
für die warhait, hab mandat allenthalb
33 usgehn lassen, das man fürohin
nieman mehr um des gloubens willen tödten sölle
34 Wisst if etwas davon,
fugts unß ouch zu vernemmen.
Ulm steht in ainer handlung fridens halber mitt dem kaiser, 35 darab ander
stett groß missfallen, 36 wiewol es noch in der feder. Bricht aber ye mehr und
mehr uß, und werden ander ouch verzagt. Esslingen steht auch in grosser
fahr 37 und Reutlingen. Und diewyl sy sechen, das sy ja dem kaiser zu
schwach sind und nienen kain reddung 38 , werden sy vyllicht ouch nach
ainem ehrlichen friden trachten, ja den man aber inen nitt halten wirt. 39
Graff Jörg von Wirtemperg 40 und der jung marggrauff von Baden 41 mitt
dem Balthiß von Gultling[en]d42 sind von hertzog Ulrichs wegen in des
kaisers leger gewesen. 43 Und wie 44
sy widerum komen, ist des kaisers herolt
mitt inn kommen e (der kaiser ist nitt by disem volck, das in Wirtemperg
lygt; man sagt, er seye im Niderland) e45 . Aber was sy pracht
46 haben, hat
man mir aigentlich nitt können anzögen, allain seye der herolt etlich tag dem
hof nachgehengt
47 . Hab in der hertzog nitt für wellen lassen, byß erst yetz
am heruffryten uff die Wyel
48 , alls der hertzog sontag nechst
49 zu Balingen
50
uber nacht gelegen. Seye der herolt abgefertiget worden und der hertzog
ubel zefriden
51 , das man acht, man seye im friden
52 zerschlagen der conditionen
halber. Daruff 53
seye er hinweg geritten. Möchte man yetz wol ain
zutz 54 im Hegöw machen, wann
55 die Aidgnossen auch wellten, wie inen
dann warlich nitt wenig daran gelegen, soll
56 man um diß land kommen und
kaiser sein wynterleger da haben.
57 Hilff gott! Wie werden wir ain kornmarckt
haben? Es ist noch überuß vyl korn im land!
58 Der truw, lieb gott
erbarm sich unser! Ich hoff noch ymerdaren, wann es uff den notknopf
59
komme, gott werde sich sechen lassen.
Gebt bygelegt brieff, trüchlin 60 und gelt dem Hans Schöner von Augspurg
oder weysend den botten 61 zu imm. Es ist noch ain truck 62 . Hat er nitt
konnen tragen.
217r.
|| Sonst schreibt 65
man, Dennmarck 63 und die Seestett seyen starck uff
wider hertzog Mauritzen 65 .
Sind 66 dran, so best ir mögen, damitt die Aidgnossen sechen, was sy ze
thain habind. Dann warlich, es steht alles spytzig 67 . Uff die bottschafft,
davon ir mir geschriben, 68 das sy 69 in namen der II ort 70 abgefertiget worden,
dessen unversöhnlicher Inhalt in
Heyd, aaO, S. 460-462, zusammengefasst
ist.
were ich guter hoffnung, sy sollten die sachen recht behertzigen und wol
ermessen. Were wol ains tags
71 wert, und das hertzog Ulrichen fruntlich
zügeschriben wurde
72 , damitt er ain hertz gewünne
73 .
Ich kan eben gar nitt mehr. Haind für gut. 74 Wolt euch ain aignen botten
geschickt haben. So ich aber erfaren, das mine herren disen 75 schicken wellen,
hab ich kosten gespart. Darff inn lenger nitt uffhalten.
Gott bevolchen. Bittend trulich, trulich für unß. Thaind wir ouch. Datum,
den 23. decembris 1546 zu ainr ur.
A. Bl.
[Adresse auf f. 217v.:] An Maister Hainrich Bullinger. Zürich.
||E lI 357a, 677 [Beilage:] Brentius ita ad Bucerum: 76
S. in domino. Scripsi ad te ante paucos dies, quas litteras dedi Gallo
cuidam 77 , civi vestro, et puto eas nunc te accepisse. Quam terribilis papistis
fuit adventus nostrorum principum, 78 tam turpis ac faedus est nunc discessus
ipsorum. Nobis desertis aliud nihil reliquum est praeter gemitus, lachrimas
et miserias. Facti sumus opprobrium vicinis nostris. In nos psallunt, qui
vinum bibunt. Sed bene habet! "In mundo pressuram habebitis; ego autem
vici mundum"79 . 'O greck 80 recepit Halam 81 in gratiam. De conservandis
privilegiis et de religione ne gry quidem 82 . Ea omnia reiecta sunt in
aliud tempus. Nondum autem impositum est urbi praesidium, necdum huc
missus est vicarius caesaris. Comes a Buren 83 proficiscitur 84 cum exercitu
suo ad Francofordiam, Carolus autem ad Hailbrunam 85 et Wirtembergam.
Quid ergo dicemus? Quo nos vertemus? "Sicut oculi servorum in manibus
dominorum suorum"
86 , etc. "Unde etiam veniet auxilium nobis?"
87 . Faciamus
igitur nostrum officium! Pergamus pietatem docere et deum precari!
"Non enim repellet dominus plebem suam"
88 , etiamsi videatur nunc se durum
exhibere. Et dabit eventum, ut ferre queamus! Commendo nos et nostram
ecclesiam valde afflictam tuis ac symmystarum ac
ecclesiae tue precibus.
Bene ac feliciter vale. Ex Hala, 13. decembris.
Tuus Io. Brentius.
Quia nuncius nondum fuit abmandatus 89 et a Bucero mihi litere 90 allate sunt,
quibus Brentii ad se epistolam adiunxit, visum est illam etiam descriptam ad
te dare.
[Adresse auf der Rückseite:]Bullingero suo.