Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2719]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
[Zürich],
18. Dezember 1546

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 213 (Siegelspur)

Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 548f, Nr. 1382

[1] [Johannes] von Ulm wird gemäß Blarers Rat handeln. Blarer soll sich aber ebenfalls behilflich zeigen, da Johannes beim Kauf [der von Johannes Fries angebotenen Bücher] wirklich ein gutes Geschäft macht. Blarers Plan scheint geeignet. Bullinger befürchtet nur, dass ein anderer ihm beim Kauf zuvorkommen könnte. [2]Regula [Mayer]beklagt sich über [Konrad]Hofherr und ist der Meinung, dass dieser sie betrügt. Bullinger will sich der Sache nicht mehr annehmen. Soviel zu Blarers erstem Schreiben [Nr. 2716, 2-38]. [3]Bullinger hat Blarer nicht wirklich der Nachlässigkeit [in der Nachrichtenübermittlung] bezichtigt! Doch stimmt es, dass er sich wegen der furchterregenden Verhältnisse stets [nach Blarers Briefen] sehnt, allein schon deshalb, weil er auf einen guten Ausgang der Lage hofft. Wenn also Blarer länger nicht schreibt, wird Bullinger nervös. Blarer macht es aber schon richtig. Er soll nur so fortfahren. Unterdessen wird er [Bullingers] nächstes Schreiben [nicht erhalten] empfangen haben; zudem auch Biblianders Brief und zwar durch den nach St. Gallen entsandten Zürcher Boten [Heinrich Tischmacher]. [4]Blarer möge helfen, beraten, schreiben, soviel er kann! Wenn Ulm nur nicht aus dem [Schmalkaldischen] Bund austritt! Sollte aber der Teufel die Stadt dazu bringen, darf man sich von ihr trotz allem nicht trennen, denn es käme nur noch schlimmer! Lässt man sich vom Gesang der Sirenen einschläfern, bricht schon das Verderben ein! Der Nachricht vom Tod des Kaisers [Karls V.]soll man ja keinen Glauben schenken! Sie ist nur eine List, damit [die Schmalkaldener]nachlässig werden. Der Kaiser ist genauso tot wie die Katze in Aesops Fabel! Er ist der "im Betrügen erfahrene König"[Dan 8, 23], der echte Sohn des Antichristen! Man darf ihm keineswegs vertrauen! [5]Anbei [Georg] Frölichs Brief [an Blarer], den Bullinger dankend zurückschickt. [6] Wenn Herzog

über die von ihm verfasste "Historia vera de morte Diazii"gebeten; s. Nr. 2705, [2].
3 Vgl. Nr. 2694, [5].
4 Siehe dazu Nr. 2673, Anm. 14.


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Ulrich von Württemberg es wollte, wäre ein Sieg schon halb gewiss. Lässt er sich aber vom Kaiser betören, so geschähe dies zum großen Schaden der Städte! Der schirmende Gott (der schon ein solcher war, als Württemberg sich noch unter Ferdinand I. befand) lebt immer noch! [7] Am Mittwoch [15. Dezember] haben der Kleine und der Große Rat mehrheitlich beschlossen, dass die Militärbeamten das Geschütz und die Wagen mit Artillerie ab sofort bereitstellen sollen. Außerdem wurde beschlossen, Abgeordnete von Haus zu Haus zu schicken, um zu kontrollieren, dass jeder seinen Harnisch und seine Waffen parat hält. Wer nicht bereit ist, soll dies bis zur nächsten Inspektion nachholen, sonst muss er mit einer Strafe rechnen. Ferner soll sich jeder mit Geld, Kleidern und Schuhen angemessen ausstatten. Sobald die Lage es erfordert, werden Hauptleute, Bannerherren und Fähnriche einberufen, während die anderen, Jung und Alt, sich rüsten. Alle haben sich mit diesen Maßnahmen einverstanden erklärt. Gott verleihe Gnade! [8]Grüße an [Thomas] Blarer und (Konrad Zwick].

Gnad und frid. Hans von Ulm wirt die sach an die hand nemmen, wie ir geradten. 1 Ir söllend ouch das best darzu thun, dann er warlich an dem kouff vii gewint, 2 und ist imm 3 uß der maassen wol ze than 4 . Fürcht nun 5 , der lang verzug mache, das ein ander in den kouff schlieffe 6 .

Des Curions 7 halb beklaget sich die gut Regula 8 übel. Sagt, sy werde verforteylt 9 von Curio, etc. Deß wil ich mich wyter nitt beladen. So vil uff uwer erst schryben 10

Ich hab üch noch nitt alls 11 übel geschulten 12 der farlessikeit halb, alls ir es verstand und rächnend. 13 Mich belangt seer übel 14 ! Und sagt man so grewlich ding, das mir angst ist, alein das 15 ich die sach gern gut säch. Wenn ir dann so lang nitt schribend, wirt ich ettwan undultig 16 . Aber ir thund genug. Farend nun für! Ich acht, ir habind nunmeer aber 17 ein schryben 18 empfangen; gäben noch 19 Buchmans 20 brieff, und 21 üch durch unser löuffern einen 22 zügestellt, der durch Sangallen zu üch geloffen.

1 Im Brief Nr. 2716,2-26, in dem Blarer dargelegt hatte, wie Johannes von Ulm am besten zum Geld für den von Bullinger im Brief Nr. 2697 vorgeschlagenen Bücherkauf kommen könnte.
2 Vgl. nämlich Nr. 2697,24f.
3 dem (die Erwerbung der Bücher).
4 uß der maassen wol ze thun: überaus gut zu tun.
5 nur.
6 schlüpfe (s. SI IX 161), im Sinne von: Johannes beim Kauf zuvorkomme.
7 Konrad Hotherr.
8 Regula Mayer, der Hotherr Geld schuldete; s. Nr. 2716,27-38.
9 übervorteilt, betrogen (s. SI XII 1510) — zumal Hotherr ihr nicht wie versprochen das ihr geschuldete Geld zu Martini ausbezahlte.
10 Nr. 2716 vom 16. Dezember. —Dies setzt ein zweites Schreiben Blarers voraus. Die weiter unten beobachteten Bezüge auf
Blarers Aussagen erlauben den Schluss, dass der von uns als Nr. 2716 bezeichnete Brief ursprünglich aus zwei verschiedenen Briefen (Nr. 2716,2-38, und Nr. 2716,39-77) bestand, beide vom 16. Dezember, und dass vermutlich der zweite dieser Briefe dem Brief Blarers (Nr. 2717) vom 17. Dezember beigelegt war, zumal unten in Z. 15f eine Anspielung auf dieses Schreiben vorzuliegen scheint.
11 also, so.
12 gescholten.
13 Bullinger bezieht sich hier auf Blarers Verteidigung in Nr. 2716,41-46.
14 Mich belangt seer übel: Ich sehne mich sehr (nach Deinen Briefen); s. SI III 1334.
15 alein das: nur schon weil.
16 ungeduldig.
17 abermals, erneut.
18 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers an Blarer.


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Hälffend, radtend, schribend, werbend, thund, was ir mögend 23 ; alein das sich Ulm nitt 24 vomm pundt trenne! 25 Ob 26 sy aber der tüfel betruge, so trennend üch doch nitt 27 . Warlich, ir werdents hernach erger haben und mee kostens erlyden müessen! Lassend ir üch von der Syrenen xang 28 entschläffen 29 , ir werdint flux 30 daruff geweckt werden zu üwerm verderben. Gloubend der red nitt von des keyssers 31 todt! Es ist ein list und betrug, alein üch sumselig 32 33 ze machen, das ir üch niergend versähind! Er ist grad todt wie die katz imm Aesopo. 34 Rex est intelligens propositiones et aenigmata 35 , magni antichristi germanus filius. Trüwend imm nut, so betrügt er üch nut!

Hie schick ich üch mitt danck Laeti 36 brieff.

Wo 37 hertzog Ulrych wol wil, ist die sach wol halb gewunnen. 38 Last er sich betören, so ists den stetten ein grosser schad. Aber der läpt noch, der uns schirmpt 39 , do 40 Wirtemberg noch ferdinandisch was.

Mittwoch 41 ist das meer 42 in rat und burgern 43 worden, den [zeu]gmeistern a 44 ze gebieten, das sy das geschütz [und wag]en artalary , etc., rüstind, alls ob 213v. man morn [ußz]iehen wöllt; das lüt, die darzu verord-|| net, in statt und land von huß zu huß gangind, besähind harnisch und gwar 45 ; wer nitt gefast 46 , das er sich der nächsten volgenden tagen rüst, und, so man wider

a Hier und unten Textverlust durch Papierverlust. Die Ergänzungen können nicht garantiert werden.
19 Gäben noch: rechnet noch dazu.
20 Gemeint ist ein Brief Theodor Biblianders an Blarer (nicht in Blarer BW).
21 der; vgl. SI I 321.
22 Heinrich Tischmacher; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1546/47, S. 63 der Ausgabenabteilung für laufende Boten.
23 Anspielung auf Blarers Vorhaben, viele Briefe nach Augsburg zu verschicken; s. Nr. 2717,1-6.
24 vom Schmalkaldischen.
25 Zur Haltung Ulms s. zuletzt Nr. 2716,49— 54.
26 Wenn.
27 trennend üch nitt: geht nicht auseinander.
28 Gesang. —Zum verlockenden Gesang der Sirenen vgl. Homer, Odyssee, 12, 36-54.
29 in den Schlaf singen; s. SI IX 116.
30 flugs.
31 Karl V. —Zu diesem falschen Gerücht s. die Verweise in Nr. 2700, Anm. 20. — Hier reagiert Bullinger auf Blarers Bemerkung in Nr. 2716,42-44.
32 nachlässig; s. SI VII 969.
33 genauso; s. SI VI 505.
34 Die Fabel vom Kater und den Mäusen; s. Äsop, Fabeln. Griechisch-deutsch, hg.
und übersetzt von Rainer Nickel, Düsseldorf/Zürich 2005, S. 841, Nr. 79.
35 Anspielung auf den von Daniel prophezeiten König der Endzeit (s. Dan 8, 23: "rex ... intelligens propositiones" — die Hinzufügung von "aenigma" entspricht der Bedeutung des an dieser Stelle gebrauchten hebräischen Wortes), den Bullinger hier offensichtlich mit Karl V. gleichsetzt.
36 Georg Frölich. — Zu diesem Brief s. Nr. 2709,16f und Nr. 2716,63.
37 Wenn.
38 Zu Blarers Meinung über Ulrich von Württemberg s. zuletzt Nr. 2716,68-70.
39 schirmt. — Gemeint ist Gott; s. Hi 19, 25; Ps 37 (Vuig. 36), 39; Dan 3, 17. 28f.
40 als (nämlich zwischen 1519 und 1534, als Württemberg dem Hause Habsburg, genauer Ferdinand I., unterstellt war).
41 15. Dezember.
42 ist das meer worden: wurde abgestimmt; s. SI IV 370f.
43 rät und burgern: Kleiner und Großer Rat.
44 Artillerie.
45 Gewehr, Waffen.
46 vorbereitet (gerüstet).


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kummen wirt, gerüst sye oder miner herren straaff und ungnad erwarte; das jederman mitt gällt, kleydern und schuhen frutig 47 und eerlich gerüst sye; sobald es dann die notturfft erhöusch 48 , das man houptlüt, panerherren und fendrichen näme und jederman darzwüschen 49 , jung und allt, gerüst sye. Und ist von den gnaden gotts jederman willig und einig. Gott verlich uns allen sind gnad!

Grüssend mir üwern lieben bruder 50 und vettern 51 , mine günstige herren, und versähend üch zu uns alle zyt aller trüw und rechter liebe. Decembris 18., 1546.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Sinem lieben herren und brüder m. Ambrosien Blaureren, predicanten zu Constantz b .