Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1381]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
6. April 1540

Autograph: Zürich StA, E II 343, 164 (Siegelspur) Ungedruckt

[Bucer]berichtet aus Schmalkalden: Die elf Theologen, die dort versammelt sind, wollen keine Vereinbarungen über Religion und Kirchengüter, wenn nicht Übereinstimmung in den Grundfragen der Lehre besteht. Der geldrische Herzog [Wilhelm von Jülich] bleibt fest, während Kaiser [Karl V] in Gent Gericht hält; der Herzog glaubt Frankreich nicht fürchten zu müssen und wird von England unterstützt. Zwar ist der Kaiser den schmalkaldischen Gesandten freundlich begegnet, doch ist ihm nicht zu trauen, und der Papst will die Religionsfrage nicht durch die Reichsstände klären lassen; [Matthias] Held wird vielleicht bald scheitern. Der englische König [Heinrich VIII.] ist gesprächsbereit; man sendet ihm Schriften über die umstrittenen Fragen. Der Kaiser will mit mehreren Königen zusammentreffen und wird vielleicht schon bald gegen [die deutschen Protestanten] vorgehen. In Gent wurden 25 Gefangene hingerichtet; Wilhelm von Fürstenberg ist Abt geworden, und Herzog Heinrich von Braunschweig scheint mit seiner jüngsten Kampfschrift einen Krieg provozieren zu wollen. Myconius legt neue Disputationsthesen [Karlstadts?]bei; Bullinger soll die nach Basel gesandten [Studenten] dazu anhalten, sich angemessen auf die Auseinandersetzung mit Papisten vorzubereiten.

S. Ex Smalcaldo sunt haec 1 : Philippus 2 , Pomeranus 3 , Ionas 4 , Crucingerus 5 a Saxone 6 ab Hesso 7 , tres, ab inferioribus civitatibus duo, unus a duce Heinricho Saxone, undecim cum Bucero sunt Smalcaldii 8 . Consentiunt nihil paciscendum de religione vel bonis ecclesiae nisi cum iis, qui doctrinam iustificationis, verum usum sacramentorum et clavium recipient, nec concedent, quod vel puritati fidei vel libertati christianae aliquid detrahat 9 . Verum

1 Zum Schmalkaldischen Bundestag vom 1. März bis 15. April 1540, der vor allem der Vorbereitung auf das angekündigte Religionsgespräch diente, s. bes. PC III 27-43, Nr. 25 (Protokoll der Straßburger Gesandten) und ADRG I/2 1102-1112, Nr. 393 (Abschied vom 15. April); vgl. auch unten Nr. 1398, 2-24. — Der folgende Bericht ist von Z. 1 bis Z. 28 teilweise fast wörtlich zwei Schreiben Bucers an seine Straßburger Kollegen (ohne Datum) bzw. an Johannes Sturm und Ulrich Chelius (vom 10./12. März) entnommen. Bedrot hatte eine Abschrift davon an Myconius und Grynäus gesandt; s. Zürich ZB, Ms F 80. 112f.
2 Philipp Melanchthon.
3 Johannes Bugenhagen.
4 Justus Jonas.
5 Kaspar Cruciger.
6 d. h. im Auftrag des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen.
7 Landgraf Philipp von Hessen.
8 Neben Bucer und den oben genannten Delegierten des Kurfürsten waren folgende Theologen anwesend: Balthasar Raid, Antonius Corvinus und Johannes Kymeus aus Hessen, Nikolaus Scheubel im Auftrag Herzog Heinrichs von Sachsen, Johannes Timann aus Bremen, Nikolaus von Amsdorf aus Magdeburg sowie (nur zeitweise, deshalb hier nicht mitgezählt) Erasmus Sarcerius aus Nassau-Dillenburg (vgl. WA Briefwechsel IX 20).
9 Ausdruck dieser Haltung ist das Wittenberger Gutachten vom 18. Januar über


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conventus non facile expectandus, et caesar 10 videtur gravia moliri. Animi omnium, qui stant ab evangelio, firmi sunt et vigilant vigilantibus hostibus.

Geidrius 11 stante suo nigro (hoc quid sit, nescimus 12 ) non deerit promissis, quibus Geldrios in fidem recepit 13 . Caesar Gendavi facit iudicia et iam 50 in vincula coniecit 14 ; populum tamen nondum exarmarunt. Persuasum est Geldrio regem G[alliae]15 caesari contra se auxilia abnegasse. Dux Suffulciae 16 , Anglus, nomine regis sui 17 magna pompa ad Gallum concessit et est regia magnificentia exceptus, ut videamus, quid Gallus possit erga omnes. Misit rex Angl[iae] Geldrio affini 18 vim pecuniae non parvam 19 .

Legati principum auditi sunt a caesare; nondum respondit, respondebit autern brevi 20 . Promisit per Sceperum 21 ein zimliche 22 antwurt. Simulatam interpretantur hanc clementiam et verentur, ne talis sit propter Turcam 23 etiam. Egerrime videtur promissurus idem, ut status conveniant et de religione serio consultent. Papam 24 aiunt timere veritatem et ordinum consensum.

die Beilegung der Kirchenspaltung (WA Briefwechsel IX 19-35, Nr. 3436; MBW 2352), das den Räten in Schmalkalden vorgelegt wurde (vgl. das Begleitschreiben vom 10. März, MBW 2392). Zu einer Abschrift dieses Gutachtens von Bullingers Hand vgl. unten Nr. 1398, Anm.1.
10 Karl V.
11 Herzog Wilhelm von Jülich, Berg und Kleve.
12 In der Kopie, die Myconius vorlag (vgl. oben Anm. 1), lautet die unverständliche Stelle: "Geldrius iurat se salvo suo nigro cupiat " non defuturum promissis ... Simler korrigiert in seiner Abschrift "cupiat" in "capite" (s. Zürich ZB, Ms S 47, 167).
13 Gemeint ist wohl, er werde Geldern gegen die Ansprüche des Kaisers verteidigen.
14 Vgl. oben Nr. 1363, Anm. 7.
15 Franz I.
16 Nicht der Herzog von Suffolk, Charles Brandon, sondern der Herzog von Norfolk, Thomas Howard, reiste im Februar 1540 an den französischen Hof; s. LP XV, Reg. (s. v. Howard).
17 Heinrich VIII.
18 Am 6. Januar hatte Heinrich VIII. Anna von Kleve, die Schwester von Herzog Wilhelm, geheiratet; vgl. Prüser, England 230.
19 Vgl. Prüser, England 251.
20 Die Gesandten des Schmalkaldischen Bundes -Georg von der Planitz, Georg von Boyneburg, Johann Schevrine und Peter Sturm - waren am 24. Februar vom Kaiser empfangen worden und hatten am 14. März eine allgemein gehaltene Antwort erhalten; der Versuch, eine weitergehende Deklaration zu erlangen, blieb erfolglos. Vgl. PC III 21. 25.
21 Cornelis de Schepper (Cornelius Duplicius Scepperus, eigentlich Cornelis de Dobbele), geb. um 1502/3, gest. 1555, von Nieuwpoort (Flandern), studierte in Paris und Löwen, bevor er als Vizekanzler in die Dienste des vertriebenen dänischen Königs Christian II. trat. Ab 1526 war er Rat und Staatssekretär am Hof Karls V. und wurde in den folgenden Jahren mit zahlreichen wichtigen diplomatischen Missionen betraut. Seit 1534 gehörte er dem niederländischen Geheimen Rat und seit 1538 dem Staatsrat an; ab etwa 1547 beschränkte sich seine Tätigkeit auf Verwaltungsaufgaben in den Niederlanden. —Lit.: [Franz von]Krones, in: ADB XXXI 93-97; Albrecht Luttenberger und Peter G. Bietenholz:, in: Contemporaries III 218-220.
22 angemessene.
23 Sultan Suleiman I.
24 Paul III.


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Ideo apud caesarem omnia impedit. Heldium 25 quoque casurum in foveam, quam fodit 26 , omnino putant.

Anglus insuper offert disputationem scriptis et coram. Scripta quatuor parata sunt, quae mittentur: De coniugio, missa, utraque specie et votis 27 .

Kalendis aprilis statuerunt convenire caesar, Gallus, Ferdinandus, Schotus 28 . Quatuor sunt, quibus caesareani minantur: Anglus, Danus 29 , Geldrius, nos. In aula de nobis minimum iactatur, forsan quia primi designati sumus bello. Hortandus est itaque populus ad poenitentiam et preces.

Praeterea caesar ex captivis 25 rotis implicuit 30 . Amicis eorum negavit sepulturam 31 . Gulielmus, comes Furstenber[ensis], abbas factus est 32 . Abbatiae nomen prorsus excidit. Timetur bellum, adeo contumeliose Heinrichus, dux Brunswigensis, libello publico 33 contra electorem 34 et Hessum egit. Audio hos dixisse non verbis, sed manu vindicaturos se iniuriam. Mihi videtur consulto sic actum a Brunswigense praesente caesare, ut videlicet nostri bellum incipiant; nam huc omnia consilia sua hactenus direxerunt. Age, nos didicimus et docemus domini esse regnum et potentiam et gloriam in saecula saeculorum 35 ; hoc teneamus. Concedat dominus, ut, qualitercunque nos invaserit, nos simus parati.

25 Matthias Held (Helt), von Arlon (Belgien), gest. 1563, war ab 1527 Assessor am Reichskammergericht und wurde 1531 Reichsvizekanzler. Der kompromißlose Gegner der Protestanten war zeitweise ein einflußreicher Berater des Kaisers. Nachdem seine Verhandlungen mit den Schmalkaldenern 1537 zu einer Verhärtung der Fronten geführt hatten, betrieb er die Gründung des katholischen Nürnberger Bundes. Als Gegner der Ausgleichspolitik und der Religionsgespräche geriet er jedoch am Hof zunehmend ins Abseits und verlor 1541 seine Stellung, . worauf er sich als Privatmann nach Köln zurückzog. — Lit.: Irmgard Höß, in: NDB VIII 465f; Albrecht Luttenberger, in: Contemporaries II174f.
26 Vgl. Ps 7, 16 u. ö.
27 Die von Melanchthon verfaßten Abhandlungen (MO XXIII 667-720) wurden am 14. April übersandt; vgl. MBW 2412.
28 Zum Gerücht, König Jakob V. und weitere Könige würden mit dem Kaiser zusammentreffen, vgl. auch oben Nr. 1366, 17-19 mit Anm. 15.
29 König Christian III. von Dänemark.
30 Am 17. März waren in Gent neun Gefangene
enthauptet und aufs Rad geflochten worden; s. Relation des troubles de Gand sous Charles-Quint, par un anonyme, [hg. v. Louis P.] Gachard, Brüssel 1846, S. 87-90.
31 Dies ist unrichtig (s. ebd.).
32 Hintergrund dieses Gerüchts ist die umstrittene Abtswahl in Gengenbach, auf die der Graf in verschiedener Weise Einfluß zu nehmen suchte; s. Johannes Volker Wagner, Graf Wilhelm von Fürstenberg 1491-1549 und die politisch-geistigen Mächte seiner Zeit, Diss. Saarbrücken 1964, Stuttgart 1966. — Pariser Historische Studien IV, S. 190-194.
33 Gemeint ist Herzog Heinrichs "Andere Antwort auf das falsche Libell" (VD 16, A 7278-7281); vgl. Georg Kuhaupt, Veröffentlichte Kirchenpolitik. Kirche im publizistischen Streit zur Zeit der Rehgionsgespräche (1538-1541), Göttingen 1998. — Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 69, S. 147-153 und 331f, Nr. II.
34 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen.
35 So die Doxologie am Schluß des Vaterunsers.


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Mitto tibi et Theodoro 36 disputationem aliam 37 . Putaram risum me Theodoro moturum, sed bone deus, quam omnia video non tam seria quam cognitu necessaria. Putas tu vitam christianam posse consistere sine talibus disputationibus? Admonebitis vestros, quos huc misistis 38 , ut diligentiam utilitati aequam hic navent, si voluerint olim congredi cum papistis.

Vale cum uxore 39 et liberis 40 cunque Theodoro et Pellicano.

Basileae, 6. aprilis anno 1540.

Tuus Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, episcopo Tigurino, domino et fratri in Christo observando suo.