Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2867]

Johannes Haller
an Bullinger
[Augsburg],
30. März 1547

Autograph: Zürich StA, E II 359, 2813 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Georg Frölich wird alle Neuigkeiten, insbesondere die denkwürdigen Taten des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen erzählen. Augsburgs Zukunft ist völlig ungewiss. Die Pfaffen und Kaiser Karl V. werden erst dann ruhen, wenn sie Christus gekreuzigt haben! Der Herr rette seine Kirche, die jetzt von ihren früheren Stützen bedroht wird! [2]Bullinger soll Frölich stärken, damit er nicht die Augsburger Kirche im Stich lässt. innerhalb eines Monats hat dieser sich sehr verändert! Er wird sich jedoch kaum bestechen lassen haben. Vermutlich verhält er sich anders, um den Pfarrern Mut einzuflößen. Irgendwann aber könnte er die allgegenwärtige Korruption erkennen und jegliche Hoffnung auf Besserung aufgeben. Haller weiß, wovon er spricht! [3] Deshalb schreibt auch Michael Keller [Nr. 2865]. Wolfgang Musculus versprach ebenfalls zu schreiben. Möge Bullinger aus diesen Briefen erkennen, dass die Pfarrer nicht aus Angst oder grundlos Augsburg verlassen wollen. [4] Haller muss abbrechen, denn er erfuhr von Frölichs Abreise erst, als dieser schon das Pferd besteigen wollte. Er bat ihn, vorliegendes Brieflein abzuwarten und fragte auch Keller an, kurz zu schreiben. Dieser traut vielen Personen nicht, die von den weit von Augsburg entfernten Zürchern noch geschätzt werden! Eines Tages vielleicht wird Haller Bullinger alles eröffnen. [5] Gruß. [6] Es gelingt ihm kaum, Thoman Ruman in Augsburg zurückzuhalten. im nächsten Brief soll Bullinger den Ungeduldigen aufrichten. Wo Hans Wilpert Zoller steckt, ist ein Rätsel. Hallers Bruder Wolfgang soll die bereits abgeschriebenen Notizen zu [Bullingers] Predigten über die Apostelgeschichte schicken. Haller will nach Ostern über dieses Buch zu predigen beginnen. Er zieht in die Wohnung von Bernardino Ochino, während Sebastian Lepusculus oder Ruman seine bisherige Wohnung übernehmen wird. [7]Gruß an Kollegen und Familie. In Eile.

S. P. Quod ad res novas attinet, omnia habebis ex d. Laeto 1 Plura enim sunt et scitu memorabilia, quae Saxo 2 agit. Res nostrae tam sunt incertae, ut in crastinum vix, quid futurum sit, iudicari possit. Pfaffi cum suo caesare 3 non cessabunt, donec crucifigatur Christus! Dominus ecclesiae suae succurrat! Video enim eos, qui ipsius columnae 4 esse aliquando sunt visi, minari ruinam.

Tu dominum Laetum conforta et mone, ne ecclesiae causam deserat. Nescio enim, quam sit intra mensem unum et alterum factus alius, 5 sive muneribus sit lenitus (quod non libenter credo) a , sive nos b6 consolandi gratia hoc facit. Videt forsan ita omnia esse corrupta, ut facilis non sit curatio. Non frustra moneo.

a Dieses und das nächste Klammerpaar ergänzt.
b Über der Zeile nachgetragen.
1 Georg Frölich, der vorhatte, bis nach Zürich zu reiten; s. Nr. 2865,1f. Doch dazu kam es nicht.
2 Johann Friedrich Ï. von Sachsen. — Anspielung u.a. auf dessen Sieg bei Rochlitz; s. Nr. 2832, Anm. 35.
3 Karl V.
4 Gemeint sind die Augsburger Ratsherren (s. dazu unten Anm. 12), die die Friedensbedingungen des Kaisers akzeptiert hatten; s. Nr. 2769, Anm. 7.
5 Bis Ende Januar wollte Frölich Augsburg


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Ideo etiam scribit Cellarius 7 . Scribet aliquando Musculus etiam (nam promisit) 8 , ne putes nos esse vel meticulosos vel sine causis affectare abitum. 9

Non possum nunc plura, nam nescivi ipsum 10 discessurum esse, quam cum iamiam ocreatus 11 vellet conscendere equum. Rogavi, ut expectet me vel unam lineam scribentem. Interim Cellarium etiam rogavi, c ut scriberet vel unum verbum, c cui etiam multi sunt suspecti, de quibus vos, quoniam procul estis, bene sentitis. 12 Non libenter scribo multa. Dicam tamen aliquando, si dominus dederit, ut conveniamus, omnia.

Vale et ora pro nobis dominum.

Romanum 13 vix mecum retineo. Est aliquantulum impatientior. Rogo ergo, ut in proximis literis ipsum confortes. Wo Zoller 14 bub, nimpt mich wunder. Fratrem meum 15 mone, ut, si quae in Acta descripsit, mittat. Tam enim post pascha 16 ordiar. Migro in aedes d. Bernardini 17 . Lepusculus 18 aut Romanus mihi succedet. 19

Vale. Salvos cupio fratres omnes una cum familia tua. Festinanter omnino. 30. martii 1547.

I. Hallerus, perpetuo tuus.

c-c Am Rande nachgetragen.
verlassen und hielt auch die dort wirkenden Zürcher dazu an. Dann aber änderte er seine Haltung; s. Nr. 2785, Anm. 8; Nr. 2787,34-40; Nr. 2791,20-27; Kirch, Fugger 128.
6 Gemeint sind die Augsburger Pfarrer.
7 Michael Keller, dessen Brief Nr. 2865 laut vorliegender und der unten in Z. 14-17 gemachten Angabe vermutlich vom 30. und nicht vom 29. März ist. Dass der bettlägerige Keller sich im Datum geirrt haben könnte, ist gut möglich.
8 Wolfgang Musculus' nächsterhaltener Brief an Bullinger datiert vom 14. Juli 1547 (Zürich StA, E II 359, 2821).
9 Vgl. Nr. 2770; Nr. 2791,5-16. 31-37. 48-54; Nr. 2821,1-8.
10 Gemeint ist Frölich; s. oben Anm. 1.
11 gestiefelt; s. Kirsch 1946.
12 Haller denkt etwa an Hans Welser und Jakob Herbrot (s. Nr. 2744,66-69; Nr. 2754,5; Nr. 2786,12-16; Nr. 2812,88-91; Nr. 2858,6-8) wie auch an Claudius Pius Peutinger (s. Nr. 2865, Anm. 12).
13 (Hans) Thoman Ruman (Römer).
14 Hans Wilpert Zoller. —Vgl. Nr. 2858,3f.
15 Wolfgang Haller.
16 Im Jahre 1547 fiel der Ostersonntag auf
den 10. April. —Zur Angelegenheit s. Nr. 2821,170-175 und Anm. 116.
17 Bernardino Ochino. der nach Basel geflüchtet war; s. Nr. 2786, Anm. 14. — Es handelte sich um das sogenannte Wunderhaus bei St. Anna, in dem auch Sixt Birck und Michael Keller wohnten; s. Roth, Augsburg III 242.
18 Der aus Basel herangezogene Sebastian Lepusculus (Häslin).
19 Haller hatte nach seiner Ankunft in Augsburg zunächst bei Georg Frölich gewohnt (s. HBBW XV 647,15-17) und war (vermutlich etwa im Frühjahr 1546) in eine eigene Wohnstätte im Moritzkloster umgezogen (s. HBBW XVI 185,1-9; Bähler, Haller 18, Anm. 68). Bereits im Dezember 1546 hatte er sich eine größere Wohnung gewünscht (s. HBBW XVIII 364f). — Ruman und seine Familie wurden wohl nach dem 4. Dezember 1546 im Augsburger Martinskloster am Kesselmarkt untergebracht; s. HBBW XVIII 286.161f; 308. Anm. 63 (welche dahingehend zu korrigieren ist, dass Ruman mit seiner Familie vermutlich noch mindestens bis zum 4. Dezember 1546 bei Haller wohnte).


Briefe_Vol_19-464arpa

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinrycho Bullingero, fidelissimo Tigurinae ecclesiae antistiti, domino suo plurimum colendo.