Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2819]

[Matthias Claudius]
an Bullinger
[St. Gallen,
1zwischen dem 20. und
26. Februar 1547]

Autograph: Zürich StA, E II 343a, 299 (Siegelspur); [Beilage:] E II 346a, 527 a Ungedruckt

[1]Bullinger soll sich nicht wundern, dass Claudius nicht schreibt, obwohl ihm Boten zur Verfügung stehen. Er hat nichts Lesenswertes mitzuteilen und will auch nicht Bullingers Zeit mit seinen konfusen Briefen verschwenden, da dieser schon so viel zu tun hat. [2] Hieronymus Sailer, Claudius' Dienstherr, lässt ausrichten, dass er Bullingers Brief vom 4. Februar [nicht erhalten]und die Silbermünze mit dem Christusbildnis empfangen hat. Francisco de Enzinas wird Sailers Dank schon ausgerichtet haben. Letzterer möchte aber noch betonen, dass das ihm erwiesene Wohlwollen ihn noch mehr berührt als das wertvolle Geschenk selbst! [3] Es gibt kaum etwas mitzuteilen, außer dass heute die Meldung aus Antwerpen kam, Kaiser Karl V. habe den frommen, betagten Kölner Erzbischof Hermann von Wied entlassen, ihm die Kurwürde entzogen und an dessen Stelle einen Kanoniker namens Adolf von Schaumburg eingesetzt, welcher vom Kölner Klerus mit Begeisterung empfangen worden sei. Der Erzbischof soll sich nicht gewehrt und lediglich gesagt haben, dass er sich für die Verwaltung dieser Kirchenprovinz wohl nicht geeignet habe und daher seine Stelle willig einem anderen überlasse. [4] Die Herzöge Christoph und Ulrich von Württemberg sollen ihre Länder an König Franz I. von Frankreich verkauft haben. Sailer möchte wissen, ob Bullinger Verbürgtes darüber weiß. [5]Beiliegend übermittelt Sailer ein Schreiben aus Augsburg. Darin wird das

a Die Falten der Beilage zeigen, dass Letztere bereits zusammengefaltet in den großer zusammengefalteten Brief eingeschoben wurde.
22 Dieser Brief wurde (wie auch Brief Nr. 2815) den damals nach Zürich zurückreisenden Studenten anvertraut; s. oben Z. 10-12.
1 Da aus unten Z. 26-28 hervorgeht, dass Hieronymus Sailer einen Brief aus Augsburg erhalten hat, wird vorliegender Brief noch in St. Gallen verfasst worden sein. Zu den damaligen Aufenthaltsorten von Sailer s. HBBW XVII 195, Anm. 2.
2 Dem vorliegenden Schreiben ist die Abschrift eines Briefes aus Augsburg vom 15. Februar 1547 beigelegt. Angesichts der Tatsache. dass Augsburg etwa 180 km von St. Gallen entfernt ist, kann vorliegendes Schreiben kaum vor dem 20. Februar entstanden sein. Da Claudius uten
Z. 1-5 betont, schon länger nicht mehr geschrieben zu haben, wird vorliegendes Schreiben vor Claudius' Brief Nr. 2834 vom 3. März 1547 zu datieren sein. Da ferner der zuletzt erwähnte Brief einen nicht mehr erhaltenen Brief Bullingers voraussetzt, in dem Bullinger sich (genauso wie Claudius im vorliegenden Brief) für sein längeres Schweigen entschuldigt (s. Nr. 2834,1 f), wird der nicht mehr erhaltene Brief Bullingers, den Claudius am 3. März beantwortete, wohl eine Antwort auf vorliegendes Schreiben gewesen sein. Da Zürich etwa 80 km von St. Gallen entfernt liegt, kann vorliegendes Schreiben kaum nach dem 26. Februar angesetzt werden.


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Verhältnis zwischen Kaiser und Papst Paul III. gut ersichtlich. Möge die Nachricht stimmen! Da nun der Kaiser seine Macht in Deutschland ausüben kann und sich auch schon um die Religionsangelegenheit kümmert, ist nämlich [aus Sicht des Papstes] zu befürchten, dass er das ihm gegebene Versprechen nicht einhalten werde. [6][Beilage:]Am 2. Februar empfing der Kaiser den päpstlichen Gesandten [Girolamo Verallo]. Dieser eröffnete ihm die drei folgenden Vorwürfe des Papstes: [7]Erstens wundere sich der Papst, dass Verallo so selten zu einem Gespräch mit dem Kaiser vorgelassen und nur von Nicolas Perrenot, dem Herr von Granvelle, empfangen werde. Hierzu gab der Kaiser verschiedene Gründe an, unter anderem seine unzähligen Schwierigkeiten mit den Feinden und seine angeschlagene Gesundheit. Deshalb dachte er, dass es wohl ausreichen würde, wenn Verallo die Angelegenheiten des Papstes seinem Rat [Granvelle] mitteilte! [8] Zweitens wundere sich der Papst, dass er bei der Begnadigung der deutschen Städte vom Kaiser überhaupt nicht erwähnt werde, wo er sich ihm doch so behilflich erwiesen hat (als wollte der Papst diese Städte gemeinsam mit dem Kaiser innehaben!). Daraufhin fragte der Kaiser lachend, ob denn der Papst ihn in das Bündnis mit den Eidgenossen einbezogen habe? Zudem meinte er, dass der Papst überhaupt keinen Grund hätte, sich zu beschweren, weil er die Religionsangelegenheit keineswegs vergessen habe! [9] Drittens könne der Papst nicht verstehen, wieso der Kaiser das so ruhmreiche italienische Heer nicht heimgeschickt hat und stattdessen bei sich in dieser Kälte zurückhält. Der Kaiser antwortete: Falls Verallo schon vor einigen Tagen vorhatte, über die Beurlaubung der Italiener mit ihm zu sprechen, bereue er es sehr, ihn nicht sogleich empfangen zu haben. Er hätte nämlich die Italiener sofort entlassen! Verallo wisse ja, welches Unheil sie während des Krieges verursacht haben! Am Tag darauf bestellte der Kaiser die italienischen Hauptleute zu sich und entließ sie alle. Es war erstaunlich festzustellen, wie sehr sich der Kaiser über diese Entlassung freute. Er muss gegen den Papst sehr aufgebracht sein. Aus Augsburg, den 15. Februar.

S. Non mirabitur humanitas tua me ad te b privatim nihil scribere, praesertim tanta tabellariorum opportunitate. Sed mihi ignoscet t[ua] h[umanitas], quia te, tanto viro, nihil dignum habeo. Absterret etiam, quod tanta negotiorum mole hisce temporibus obrutus es, ut parum superesse temporis putem ad legenda incondita mea scripta.

Quae vero nunc scribo, ea domini 3 nomine ad te exarare jussus sum. Accepit tuas literas 4. februarii missas 4 una cum incluso nummo argenteo imaginem Iesu representante. 5 Et quia per d. Franciscum Dryandrum 6 iussit tibi magnas agere gratias, tamen, ut cognoscas sibi eum acceptum fuisse nec

b Über der Zeile nachgetragen.
3 Hieronymus Sailer.
4 Nicht erhalten.
5 Eine silberne Medaille, wie vermutlich diejenige, die in Zürcher Kunst 203, Nr. 245; und Zürcher Münzen und Medaillen. Ausstellungskatalog, Zürich 1969, S. 25. 52, Nr. 128, abgebildet ist. — Falls diese Medaille tatsächlich durch Walzenprägung entstanden ist, wie es Emil Hahn, Jakob Stampfer, Goldschmied, Medailleur und Stempelschneider von Zürich 1505-1579, in: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, XXVIII/1, 1915, 19 (Beschreibung auf S.
44, Nr. 23; Abbildung auf Tafel IV), behauptet, käme diese Münze hier nicht in Frage und wäre erst nach 1555/56 anzusetzen. Vielleicht aber bedarf diese Behauptung einer Hinterfragung, oder es handelt sich hier um eine frühere Prägung dieser Medaille. — Anlass dieses Geschenkes wird wohl die Geburt von Sailers Tochter Felicitas gewesen sein; s. Nr. 2796, Anm. 2.
6 Francisco de Enzinas, der sich etwa am 15. Februar (s. Nr. 2809) offensichtlich via Zürich von St. Gallen nach Basel zurückbegeben hatte.


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tam magnitudinem et praestantiam illius quam animum gratum dantis considerare, iubet tibi denuo etiam per me gratias agere cum summae suae c erga te benevolentiae commemoratione.

Atque nova quaedam tibi scribere volens nihil plane memoratu dignum succurrebat, quam quod hodie ex Antverpia 7 allatum est caesarem 8 abdicasse d [e]piscopatu et functione electoria d venerabilem et pientissimum virum archiepiscopum Coloniensem 9 et in eius locus substituisse coadiutorem quendam canonicum nomine de e Schomberg, qui ante aliquot dies Coloniam ingressus magno Coloniensium applausu exceptus est. Iste vero venerabilis senex nihil contra locutus est quam se prorsus non idoneum nec suffitientem esse huius ecclesiae f [eti reipublicae f administrationi, itaque alten libenter locum dare.

Preterea fama est hic ducem juniorem et seniorem Wirtembergensis ditionis 10 suas omnes regiones et civitates Francorum regi 11 certo pretio vendidisse. Si quid hisce de rebus vel de aiis certius habeas, rogat se dominus per opportunitatem vicissim certiorem fieri.

Mittit tibi dominus exem-|| 299v plar literarum ex Augusta 12 , nescio a quo missum h , in quibus leges, quomodo inter caesarem et papam 13 conveniat, si utique his 14 credendum est. Sed quia Iam tyrannidem exercuit 15 et in religionem grassare incepit, metuendum, ne compositis paulisper in Germania rebus non prestet ei 16 fidem, quam dedit. 17

[Ohne Unterschrift.]i

c Über der Zeile nachgetragen.
d-
d Am Rande nachgetragen. Das e in episcopatu ist im engen Einband verdeckt.
e Über der Zeile nachgetragen.
f-f Am Rande nachgetragen. Das et ist im engen Einband verdeckt.
g In der Vorlage ist das a durchgestrichen, als wollte Claudius die Tatsache vertuschen, dass dieser Brief an Sailer gerichtet war.
h In der Vorlage aus missurarum korrigiert.
i Von späterer Hand wurde irrtümlich hinzugefügt: Joh. Comander.
7 Wo Sailer geschäftlich tätig war; s. Conradin Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser, und seine Tätigkeit im Lichte seines Briefwechsels mit Vadian, in: Zwa 20, 1993, 110f. 120.
8 Karl V.
9 Hermann von Wied, der am 24. Januar de facto durch den Eid abgesetzt wurde, den die Landstände dem vom Papst bereits im Juli 1546 designierten Nachfolger Adolf III. von Schaumburg auf Befehl der kaiserlichen Kommissare leisteten; s. Nr. 2793, Anm. 3.
10 Die Herzöge Christoph und Ulrich von Württemberg.
11 König Franz I. von Frankreich. — Siehe dazu Nr. 2753,14-16; Nr. 2817.
12 Die unten veröffentlichte Beilage.
13 Paul III.
14 his literis.
15 Subjekt ist der Kaiser.
16 dem Papst.
17 Im Vertrag zwischen dem Kaiser und dem Papst vom 26. Juni 1546 (s. dazu HBBW XVII 146 und Anm. 52; 288, Anm. 10) war u.a. festgelegt worden, dass ohne Erlaubnis des Papstes oder dessen Legaten der Kaiser mit den Gegnern des Konzils und den Protestanten keine Abkommen schließen dürfe, die dem katholischen Glauben nachteilig sein könnten; s. Des Bapsts und Kayserlicher Mayestät Bündtnuß, aus dem Latein ins Teutsch Transferiert, s.l. 1546 (VD16 ZV 16721), f. A4r.


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[Adresse darunter:] Clarissimo et ornatissimo viro Heinricho Bullingero, Tyguri a contionibus, domino suo plurimum observando. Tyguri.

[Beilage:]18

||E II 346a, 527 Caesar pontificis legatum 19 secunda foebruarii excepit, quum tria se caesari propositurum diceret:

Primum pontificem admodum mirari, quoniam j suo nuntio tam rarus ad caesarem daretur accessus aut colloquendi facultas, potissimum quum multa narraret loca, 20 in quibus caesar illum ad Grandvelanum 21 remitteret. Hic caesar respondit, quam illo aut illo loco fuisset impeditus, quam multum negotii ab inimicis illi impenderet, quam non semper fuisset recta valetudine, 22 et k eiusmodi per multa, adeo ut finem faciens putaverit illi sat esse, si suo consilio 23 sua nuncius pontificius communicaret.

Secundus fuit pontificem admodum mirari, quoniam', quum caesar tanta auxilia ab illo accepisset, 24 illius nullam faceret mentionem in suscipiendis Germanie civitatibus, perinde 25 ac si eas sibi cum caesare communes esse vellet. Risit caesar et, quam sollicite illum Heivetico foederi 26 inclusisset, interrogavit, putavitque pontificem nihil minus quam tale quid murmurare oportuisse, quum in m illis, quae ad religionem spectant, occupandus esset.

Tertio miratus est pontifex, quamobrem tam fortes milites et mundi huius gioriam, Italicum exercitum, his frigoribus 27 tam diu detineret et non potius illum in Italiam remitteret. Inquit caesar: "Si, mi nunci n , veniam vestris militibus petiturus ad me ante dies aliquot accessum cupivisti, profecto nunc doleo illum tibi non datum esse, ||527v ut eos remitterem, qui victorie

j In der Vorlage als qm abgekürzt, wobei hier in Anbetracht von unten Z. 50 auch quamobrem
gemeint sein könnte.
1 —
k Fehlt in der Vorlage. Siehe oben Anm. J•
m in Fehlt in der Vorlage.
n lii der Vorlage nuncii.
18 Dieser in Augsburg von einer unbekannten Person verfasste Brief war an Hieronymus Sailer gerichtet (s. oben Z. 26-28) und könnte von Claudius paraphrasiert worden sein.
19 Girolamo Verallo, der am 2. Februar 1547 dem Kaiser ein päpstliches Breve vom 22. Januar überreichte, dessen Inhalt sich gut mit dem Inhalt der vorliegenden Beilage deckt. Verallo berichete selbst über sein Gespräch mit dem Kaiser in einem Brief vom 2. und 3. Februar (NBD IX 442-451, Nr. 132). Vgl. ferner Pastor V 593-595.
20 Zu verstehen: er erzählte von vielen Fällen.
21 Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle.
22 Vgl. etwa Nr. 2742,13f; Nr. 2768,14f; Nr. 2771,38-41.
23 seinem Rat (gemeint ist Granvelle).
24 Der Papst hatte im Juni 1546 mit dem Kaiser ein Bündnis geschlossen (s. oben Anm. 17), laut dem er den Krieg führenden Kaiser mit Geld und Hilfstruppen Unterstützen würde; s. HBBW XVII 230, Anm. 57; 288,9f. Siehe aber auch HBBW XVIII 137, Anm. 49.
25 Von hier an kommentiert der unbekannte Briefschreiber.
26 Welches Bündnis gemeint ist, bleibt schleierhaft. Vermutlich handelt es sich um das angeblich von Papst Paul III. geplante Bündnis mit den Innerschweizern; s. EA IV/1d 779 aa, Nr. 5. Das falsche Gerücht könnte in Zusammenhang mit der Mitte Februar in Luzern nachgewiesenen Gesandtschaft des Papstes an die V Orte entstanden sein; s. aaO, 769 d.
27 Zum kalten Winter 1546/47 s. Nr. 2788, Anm. 28; Nr. 2803,9; Nr. 2811,18.


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potius obstiterunt quam profuerunt! Nosti enim, inquit, quantorum malorum autores fuere!"28 Atque ita convocatis caesar altero die militum praefectis eos abire iussit. 29 Ac mirum quam caesar letetur se ab illis liberum, adeo ut multis argumentis colligam caesaris animum in pontificem esse admodum ulceratum. 30

Ex Augusta, 15. februarii.

Tuus Clodius. 31