Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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BULLINGER AN
HEINRICH BUCHTER
Kappel,
3. April 1527

Autographe Abschrift: Zürich ZB, Msc C 86 a, Nr. 3, 29v. 3/4 S. 4°, sehr gut erhalten Ungedruckt

Bullinger betont die lautere Absicht bei der Verfassung seines nach diesem Widmungsbrief folgenden Werkes über das weibliche Geschlecht.

Heinrychus Bullingerus Heinrycho Buchtero salutem et christianam innocentiam a deo per Christum.

Aristotiles [!] ille Stragirites 3 [!], in philosophorum albo haudquaquam postremus, adeo putabat ad morum corruptelam picturas lascivas facere, ut non dubitarit principes admonere, legibus istas penitus esse proscribendas 4 . Eo igitur flagitiosius foret, si quispiam christianorum eo raperetur dementiae, ut id sibi ceu augustum sumeret, quod tanta indignatione a gentibus videt esse repulsum. Cumque hoc ipsum ego non ignorarem, adeo demens non fui, ut id pingi curarem, quod mihi meam fidem certo senseram obscuraturum. Quod ergo finxi, ita pingi curavi, ut non modo aphrodisium 5 non esset, sed ne a maximis quidem nostrae religionis dissentiret mysteriis. Id quod et libello hoc 6 affatim ostendimus, quem tibi in praesentiarum dedicamus, potissimum vero, ut intelligas eiusmodi picturam, qualem tu Tiguri nuper ex officina primum redeuntem vidisti, non dedecere

1 Heinrich Buchter, gest. 1547, von Zürich, spätestens seit 1519 Konventherr in Kappel (vgl. «Regesten derjenigen Urkunden des Cistercienserklosters ... zu Kappel, welche nicht in der Sammlung von Gerold Meyer von Knonau enthalten sind», Nachlaß von Arnold Nüscheler, 19. Jh., Zürich ZB, Msc R 337, 168), zuerst Kaplan und seit 1526 Pfarrer im nahen Kilchberg (Kt. Zürich), einer Kollatur des Klosters Kappel; 1528 nahm er mit der Zürcher Delegation an der Berner Disputation teil (ABernerRef I 1466). 1530 wurde Buchter Pfarrer in Zurzach (Kt. Aargau), wo er 1531 in einer Predigt die Messe als größte Ketzerei bezeichnete, die je auf die Erde gekommen sei. Daraufhin verlangten die V Orte die Bestrafung Buchters wegen Störung des Landfriedens (EA IV lb 1227; HBRG III 351). Im April 1532 finden wir Buchter als Pfarrer in Hedingen (AZürcherRef 1838), dann noch im selben Jahr in Meilen (Kt. Zürich). Nach dem Tode Kaspar Meganders (s. unten S. 214f, Anm. 53) wurde er 1545 Prediger (Archidiakon) und Chorherr am Großmünster in Zürich. — Mit Bullinger war Buchter gut bekannt (s. Staedtke 287); im Herbst 1524 hielt er sich ja noch in Kappel auf (vgl. aaO, Msc R 337, 170). — Lit.: Leo Weisz, Quellen zur Reformationsgeschichte des Großmünsters in Zürich, in: Zwa VII 193; Hans Willi, Geschichte der Kirche auf Kilchberg am Zürichsee im Rahmen der Entstehung und des Aufbaues der Zürcherischen Landeskirche, Zürich (1944), S. 179; LL IV 414; Pfarrerbuch 47. 226.
2 Kappel als Abfassungsort ist am Ende des Buchter gewidmeten Werkes erwähnt, Zürich ZB, Msc C 86a, Nr. 3, 35v.
3 Aristoteles (384-322 v. Chr.) wurde in der Stadt Stageira geboren.
4 Politik VII, 17; der Satz ist z. T. wörtlich aus der Erasmusschrift «Christiani matrimonii institutio» (LB V 719 B) zitiert.
5 In dieser Form ist das Wort nur als Name eines Flusses in Pyrrha bei Plinius (Nat. hist. XXXI, 2) belegt; Bullinger verwendet es im Sinne von greek (lat. venerius) = aphrodisisch, zum Liebesgenuß gehörig, sinnlich, geschlechtlich, wollüstig.
6 Symbolum suavis et probae matris familias, Zürich ZB, Msc C 86 a, Nr. 3; dazu s. Staedtke 287.


Briefe_Vol_01-125arpa

coenobitas et homines bonis litteris deditos, deinde, ut videas et apud christianos, nedum apud Graecorum Alcibiadem 7 , superesse Silenos 8 .

Vale.

3. aprilis anno 1527.

7 Alkibiades, etwa 450-404 v. Chr., athenischer Politiker und Feldherr.
8 Satyrähnliche dämonische Wesen der griechischen Mythologie; der bekannteste war Silen, der Erzieher und Begleiter des Dionysos. Bullingers Hinweis gilt der sprichwörtlichen Redewendung «Sileni Alcibiadis», die einerseits wohl auf die kleinen geschnitzten und zerlegbaren Silenus-Figuren zurückzuführen ist, welche geschlossen eine lächerlich-monströse Gestalt darstellten, in geöffnetem Zustand jedoch das göttliche Wesen erkennen ließen, andererseits auf eine Äußerung des Alkibiades über Sokrates. Der Ausdruck besagt, daß ein unscheinbares oder sogar lächerliches Äußeres oft etwas sehr Wertvolles in sich birgt. Der Gedanke, daß auch die größten Gestalten des Christentums in diesem Sinne Silene waren, wurde bereits von Erasmus ausführlich behandelt, Adagia, 3, 3, 1 (LB II 770-782).