Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2788]

Bullinger
an Oswald Myconius
[Zürich],
2. Februar 1547

Autograph: Zürich StA, E II 342, 164 (Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 935, Nr. 1051

[1]Für die Menschen ist die Lage zum Verzweifeln, nicht aber für Gott, der gewiss noch retten kann. [2] Johannes Oporin wird einen vertraulichen Bericht über den Eid zeigen, den die fünf Städte [Biberach, Isny, Kempten, Memmingen und Ravensburg dem Kaiser Karl V.] leisten mussten. Um die süddeutschen Städte ist es geschehen, sogar um Augsburg! [3]Bernardino Ochino ist nach Konstanz geflohen. So konnte er der Auslieferungsforderung des Kaisers zuvorkommen. Auch Sebastian Schertlin gelang die Flucht, doch ist dessen Aufenthaltsort noch unbekannt. Wie es um Johannes Haller und die anderen [in Augsburg wirkenden] Zürcher [Lorenz Meyer, Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer d.Ä.]steht, weiß Bullinger nicht. Der Zürcher Rat hat am Sonntag [30. Januar] einen Boten [Hans Zingg] dahin geschickt. [4]Anton Fugger hat den Frieden [zwischen Augsburg und dem Kaiser] ausgehandelt. Dadurch wird deutlich, dass Augsburgs Unheil von den "Zöllnern" kommt. Das kaiserliche Versprechen, laut dem die Augsburger weiterhin ihre Religion frei ausüben dürfen, ist eine List. [5] Lindau soll ebenfalls kapituliert haben. Wie lange wird Konstanz noch standhalten? Bischof Johann von Weeze hat sich angeboten, zwischen dieser Stadt und dem Kaiser zu vermitteln. Gott möge das Ende herbeiführen! Der Kaiser lässt sich persönlich sehen, um zu zeigen, dass ihm nichts fehlt. [6]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen sollen sich tapfer halten. Ob das stimmt, weiß Bullinger nicht. Myconius, der wohl Nachrichten aus dem Norden erhält, möchte diese doch jeweils mitteilen! [7]Gruß. [8]Die menschliche Treue ist dahin! Man muss sich zum Herrn wenden. Er wird die Seinen nicht verlassen, auch wenn er sie derzeit mit Recht bestraft. Unterdessen sollen Bullinger und Myconius weiterhin das Wort des Lebens verkündigen! — [9] Segenswunsch. [10]P.S.: Grüße an Johannes Gast. Warum schweigt er denn so lange?

G[nad] und f[rid]. Die sachen stand vast 1 ellendiklich der menschen halb, 2 aber der menschen halb, sag ich, nitt des herren halb, der gwüßlich sin eer retten a und unser heyl fürderet.

m Adresse ergänzt anhand anderer von Bullinger an Blarer verfassten Adressen und in Rücksicht auf die im vorliegenden Fall zu ergänzende Textlänge. Darunter von Blarers Hand: 3. Feb. ann[o 1547]. —
a Zu erwarten wäre retten wird.
1 sehr.
2 Hier im Sinne von "was die Menschen anbetrifft", und nicht im Sinne von "wegen der Menschen", da sonst die darauf-
folgende Angabe "nitt des herren halb" im Widerspruch mit der Aussage unten in Z. 26f stünde. —Für diese Bedeutung von "halb" s. FNHDW VII 905f.


Briefe_Vol_19-243arpa

Wie die 5 stett 3 ein füßfal und eyd gethan, wirt üch Oporinus zeigen; 4 doch spreytents nitt wyt 5 , dann 6 mitt sölichem geding 7 hab ich imms 8 gaben. Es ist überhin 9 umb und mitt allen oberlendischen stetten, ouch mitt Augspurg.

Bernhardinus Ochinus ist gen Constantz endrunnen 10 , dann inn der keyser 11 herusgeforderet 12 sampt h. Sebastian Schertli. Wo der hinkummen, weiß ich nitt. 13 Wie es umb Hallern und die unsern 14 stande, weiß ich nitt. Min herren habend hinuß sontags 15 ein loüffer 16 gesandt.

Anthoni Fugger hat den friden gemacht, 17 ut videamus hanc calamitatem oriri maxime ex publicanis 18 . Der keyser hat inen zügesagt, sy ze buben lassen by irer religion und libertet. 19 Sed fucus est; artes et mendacia sunt!

Lindow sol ouch überhin sin. 20 Wie lang Constantz constans blib, weist gott! Der bischoff von Lunden 21 embüt sich vil vätterlicher trüw und liebe, und wie er iren 22 by k[eyserlicher] m[ajestat] ein güten eerlichen friden bekommen wölle. Gott mache ein end dem ellenden laben! Der keyser sol sich fry sahen und hören lassen, ye das es kein mangel ist, 23 dann 24 das er läpt. 25

3 Biberach, Isny, Kempten, Memmingen und Ravensburg. — Zur Ergebung dieser Orte s. Nr. 2741, Anm. 4.
4 Dieser Angabe zufolge hat Oporin bei seiner Abreise aus Zürich (s. dazu Nr. 2783, Anm. 1) offensichtlich das Dokument mitgenommen, welches der Konstanzer Rat an den Zürcher Rat in Kopie (zusammen mit einem Begleitschreiben vom 26. Januar) übersandt hatte, und welches eine Zusammenfassung des Eids der fünf Städte enthielt; s. Nr. 2775,20f.
5 spreytents nitt wyt: verbreitet es nicht weiter; s. SI X 951f.
6 denn.
7 Bedingung.
8 ihm es.
9 geschehen; s. SI II 1324.
10 gen Constantz endrunnen: nach Konstanz entronnen. — Ochino traf dort am Abend des 29. Januars ein; s. Nr. 2782,49f. Allerdings war er am Abfassungstag dieses Briefes bereits auf dem Weg von St. Gallen nach Zürich, wo er noch am gleichen Tag ankam; s. Nr. 2789.
11 Karl V.
12 seine Auslieferung gefordert (hat). — Siehe dazu Nr. 2769,10f; Nr. 2782,49f; Nr. 2786,9f.
13 Zu Schertlins Route s. Nr. 2769, Anm. 18.
14 Lorenz Meyer (Agricola), (Hans) Thoman Ruman (Römer) und Rudolf Schwyzer d.Ä.
15 30. Januar.
16 Hans Zingg (1520-1580), dessen Reise 15 Tage dauerte; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1546/47, S. 67 der Ausgabenabteilung für laufende Boten. Zingg beförderte einen vom 30. Januar datierten Brief des Zürcher Rats an den Augsburger Rat (Zürich StA, B IV 16, f. 133 — Entwurf), dem auch ein Schreiben desselben an Haller beigelegt war; s. Nr. 2786, Anm. 8; Nr. 2805,1f.
17 Siehe dazu Nr. 2769,6f.
18 In Anspielung auf die im Neuen Testament geäußerte scharfe Kritik gegen die Zolleinnehmer, die hier mit den Kaufleuten in Verbindung gebracht werden.
19 Siehe Nr. 2769,7f; Nr. 2786,22-26.
20 Siehe dazu Nr. 2746, Anm. 9.
21 Johann von Weeze, nominell seit 1522 Erzbischof von Lund (Schweden). — Zur Sache s. Nr. 2784,10-13.
22 ihnen.
23 ye das es kein mangel ist: Damit alle gut sehen können, dass ihm nichts fehlt.
24 sondern; s. SI XIII 33.
25 Zu den Gerüchten um den angeblichen Tod des Kaisers s. die in Nr. 2782, Anm. 20, angeführten Stellen.


Briefe_Vol_19-244arpa

Saxen 26 und Hessen 27 söllend sich dappffer umbthün 28 . Weiß ich nitt b , ob es war oder wie vil daran ist. Ich hörte gern allwäg 29 von üch, was ir von under 30 heruff hättind, dann da söltend ir wol ettwas anzeigens haben.

Gott mitt üch. 2. februarii 1547.

Parum aut nihil fidei, 31 soliditatis et constantiae video superesse apud homines. Proinde convertamur ad dominum, qui, etsi afflixerit nos pro mentis, attamen suis non deerit; ac simus, quaeso, fortes in domino, verbum vitae 32 et consolationis nobis commissum a deo annunciantes. Dominus aderit suis!

Vale iterum.

Bullingerus tuus.

Valeat plurimum Gastius, de cuius silentio 33 plusquam nimio non possum satis mirari.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Myconio suo. Basel. 34