Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2662]

Georg Frölich
an Bullinger
[Augsburg],
8. November 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 327 (Siegel) Ungedruckt

[1] Frölich bedankt sich für das durch Lorenz [Meyer] und Rudolf [Schwyzer] übermittelte Schreiben Bullingers [nicht erhalten]. Gerne wird er sich diesen, wie auch schon den anderen treuen Kirchendienern, behilflich und freundlich erweisen. [2] Mit Freude hat er vernommen, dass die [protestantischen] Gesandten am [Treffen in Zürich]einig waren. [3] Die Antwort der Vier Orte an [die Schmalkaldener]hatte er bereits [aus Ulm]erfahren. Er glaubt leider nicht, dass die [Schmalkaldener] diese als nützlich erachten werden, zumal es ihnen nicht an Soldaten, sondern an Geld mangelt. Außerdem können sich [die Schmalkaldener]auf die Dauer nicht allein gegen den starken und breit unterstützten [Karl V.]durchsetzen. Die übrigen Protestanten sollten sich deshalb überlegen, ob sie nicht etwa schon zu lange stillgesessen sind. Kurz, die [Schmalkaldener] erwarten [finanzielle]Hilfe oder auch einen Angriff auf ihren gottlosen Feind. Doch sind Bullinger und etliche seiner Kollegen nicht schuld daran, wenn es nun nicht dazu kommt. Dies ist eher diesen ungerechten Zeiten zuzuschreiben. Fest steht, dass die Kriegslage noch nie so gefährlich wie jetzt war. Der Kurfürst [Johann Friedrich von Sachsen]wird von den Böhmen und von Herzog Moritz [von Sachsen]angegriffen, und es ist zu befürchten, dass er den größten Teil seines Herzogtums verlieren wird. Deshalb eilt er aus dem Feldlager in sein Land zurück Dann aber wird das restliche Heer [der Schmalkaldener] zu klein und zu schwach sein, um dem Feind Widerstand leisten zu können. Hoffentlich werden die von allen ihren Freunden verlassenen [Schmalkaldener]nicht auch noch vernichtet oder zu unfrommen [Friedens]verhandlungen gezwungen! Es tröstet Frölich immerhin, dass Gott ihn bis jetzt nicht in Versuchung geführt, sondern ihm Standhaftigkeit in seinen Pflichten verliehen hat. [4] Frölich hat den Kurfürsten und [den Landgrafen Philipp von] Hessen mit vertraulicher Post gebeten, [Franz I.] zur Einstellung der [Protestantenverfolgungen] in Frankreich zu bewegen. Aber wegen dessen pharaonischen Charakters ist diesbezüglich wohl keine Besserung zu erwarten. Allenfalls soll sich Bullinger nicht vor einem Bündnis mit ungläubigen Fürsten [wie etwa Franz I. oder Heinrich VIII.]fürchten! Es wird nie dazu kommen. Die bisherigen erfolglosen Verhandlungen dienten nur dazu, [den Kaiser] zu täuschen. [5] Bullinger möge für die [Schmalkaldener] beten. Grüße, besonders an Rudolf Gwalther, dem Frölich nicht mit dieser Post schreiben kann.

Vertrautister, furgeliebter herre unnd bruder. Eur schryben 1 bei herr magister Laurentio 2 und herr Rodolffo 3 hab ich zu fruntlichem dannckh vernumen. Will mich gegen diesen unnd allen trewen kirchendienern mit hilf gottis dermassen halten, darab sie christenlich unnd fruntlich 4 sollen zufriden sein, dann ich het ain frewde, me unnd allen bruedern liebs zu thun.

Ich vernimme gern, das die erbern 5 botten 6 jüngst dermassen eyng 7 unnd wolgesynnd abgeschieden.

1 Nicht erhalten.
2 Lorenz Meyer (Agricola).
3 Rudolf Schwyzer d.Ä. — Die genannten Zürcher Pfarrer waren am 2. November
wieder in Augsburg eingetroffen; s. Nr. 2663,124.
4 freundschaftlich.
5 ehrbaren.


Briefe_Vol_18-235arpa

So hab ich von ferrein 8 verstannden, wes die vier hauptort 9 gegen unns 10 zu thun möchten gesynnt sein. Meins wehnenns 11 werden unnser stennde die gegeben antwurt 12 nit fur sonnders tröstlich achten, dann ist nit an der grossen anzale des kriegßvolks, sonnder an der underhaltung 13 gelegen. Unnd wurdt diesen stennden gegen dem starcken, weitbefreündten feindt 14 die sach inn die lennge allain ußzedawern nit wol möglich sein. Was darnach den anndern der warhait bekennern 15 begegnen mag unnd ob sie nit zu viel lang zugesehen, das ist wol zu bedenncken. Summa: Nostri expectarunt aut suppetias, aut ut manus impio hosti inferretis; a vobis quorum si neutrum impetrant, non in te neque alios plerosque, sed in temporum iniuriam culpa reiicienda est. Causa beth huius nunquam tam periculosa fuit ac nunc. Princeps elector Saxonie 16 infestatur a Boiemis 17 ac duce Mauritio 18 , adeo ut timendum sit, ne brevi maiorem partem ducatus sui amittat. Propterea ex castris 19 domum properat, quo suis in afflictionibus succurrat, nec certe abs re. 20 Discedente electore ceteri pauciores atque imbecilliores sunt, quam ut

6 Die Gesandten der Vier protestantischen eidgenössischen Städte und der Zugewandten protestantischen Orte am Treffen in Zürich vom 19. bis 26. Oktober; s. Nr. 2606, Anm. 60; Nr. 2651, Anm. 4.
— 7 einig.
8 von ferrem: von Weitem - nämlich von Ulm; vgl. Nr. 2663,62-64.
9 Die Vier Städte.
10 d.h. die Schmalkaldener.
11 Meins wehnenns: Meiner Vermutung nach.
12 Der Entwurf der Antwort der Vier Orte an den Schmalkaldischen Bund vom 26. Oktober findet sich in Zürich StA, B IV 16 (Ratsmissiven), f. 70v.—72r.; eine Zusammenfassung davon in EA IV/1d 700f, Nr. 3. Mit Berufung auf die Erbeinung (s. dazu Nr. 2606, Anm. 56) und mit indirekter Erwähnung des Zweiten Kappeler Landfriedens mit den katholischen Eidgenossen (vgl. auch Nr. 2652,4-6) sowie in Anbetracht der negativen Folgen eines etwaigen Kriegseintritts der Vier Städte für die Schmalkaldener lehnten die Städte den von den Schmalkaldenern gewünschten Angriff auf habsburgische bzw. päpstliche Gebiete ab und erinnerten dabei an den guten Willen, den sie bereits erwiesen hatten, indem sie bei ihren katholischen Verbündeten den Durchzug kaiserlicher Truppen durch die Eidgenossenschaft verhindern konnten und
den Schmalkaldenern eine ausreichende Anzahl von Söldnern zukommen ließen. Ein neues konkretes Hilfsangebot wird dabei nicht erwähnt, doch erfolgte ein solches auf offiziöse Weise; vgl. Nr. 2663,61f.
13 Finanzierung. — So berichtete etwa Heinrich Thomann am 31. Oktober nach Zürich, dass es den Schmalkaldenern an Geld mangele und sie daher die Möglichkeit erwägen, von jedem Untertanen der im Krieg stehenden Gebiete eine zusätzliche Steuer zur Finanzierung des Krieges zu verlangen; s. Zürich StA, A 177, Nr. 116. Siehe ferner Nr. 2663, Anm. 47.
14 Kaiser Karl V., der gemäß der damaligen protestantischen Darstellung auf die Unterstützung von Papst Paul III. (was jedoch nicht gänzlich zutraf; s. Nr. 2626, Anm. 49), König Ferdinand I. von Böhmen und Herzog Moritz von Sachsen zählen durfte.
15 u.a. den eidgenössischen Protestanten.
16 Johann Friedrich I. von Sachsen.
17 Siehe dazu Nr. 2649 mit Anm. 11.
18 Moritz von Sachsen; s. Nr. 2664, Anm. 15.
19 aus dem schmalkaldischen Feldlager bei Giengen.
20 Auch Thomann berichtete am 7. November an die Zürcher, dass der Kurfürst in sein Land zurückkehren werde; s. Zürich StA, A 177, Nr. 126. — Zu diesem Zeitpunkt


Briefe_Vol_18-236arpa

hosti resistant. Utinam non cogamur ita ab omnibus extraneis amicis destituti extrema pati aut impie pacisci! 21 Hoc unum me solatur: dominum inter turbas has atrocissimas semper mihi puram mentem concessisse nec unquam in tentationes induxisse, quin non meum offitium strenue semper prestiterim, atque adhuc ipso duce facturus sum. 22 Absit autem omnis gloriatio nisi in domino.

Ich hab 23 an Saxen unnd Hessen treülich 24 geschrieben, bei Franckrich umb abstellung des jemerlichen der armen Christen mordens anzehalten. 25 Verhoffe, es soll geschehen, wiewol ich bei diesen des Pharaons 26 geschlecht kainer besserung verhoffe. Nec est, quod magnopere metuas de foedere cum quibusdam impiis principibus. 27 Ea, que hactenus inter eos et nos acta sunt, 38 mere fuerunt techne atque ob id in spongiam reciderunt .

Ditsmals nit mehr dann bittend gott, den vatter im himel, treülich fur unns. Furwar, es thut not. Grüesst mir yederman unnd sagt mynem furgeliebten herrn unnd bruder Rodolpho Gvalthero mein gnus und dienst. Ich hab ime izt 29 nit schryben konnen.

Datum, 8. novembris 1546.

G. Laetus tuus tantus quantus.

[Adresse auf der Rückseite:] Herrn Henrichen Bullinger etc. zw Zurch zu hannden 30 .

fasste der Kurfürst die Rückkehr in sein Herzogtum zunehmend ins Auge. Doch erst nachdem die Schmalkaldener sich endgültig über das weitere Vorgehen beraten hatten, erfolgte am 22. November der gemeinsame Abzug des Kurfürsten und des Landgrafen Philipp von Hessen. Am 24. November trennten sie sich in Heidenheim an der Brenz (Baden-Württemberg). In Eisenach traf der Kurfürst erst am 22. Dezember ein; s. Mentz III 39-54. —Zum Rückweg des Kurfürsten s. Nr. 2700, Anm. 5.
21 Zu Frölichs Abneigung gegen einen Frieden mit dem Kaisers. schon Nr. 2613,24— 26.
22 Siehe dazu Nr. 2663,51-59.
23 Philipp von Hessen.
24 vertraulich.
25 Zu den jüngsten Hinrichtungen von Protestanten in Frankreich s. Nr. 2645, Anm. 12; Nr. 2670,11-24.
26 Gemeint ist die Schlechtigkeit des Pharao,
der die Israeliten verfolgte; s. Ex 5-14.
27 Anspielung auf die damaligen Verhandlungen der Schmalkaldener mit den Königen Franz I. von Frankreich und Heinrich VIII. von England; s. Nr. 2607, Anm. 37; Nr. 2610,65-69; Nr. 2612,198f; Nr. 2639,34-36; Nr. 2658,36f; Nr. 2664 und Anm. 1.
28 im Sinne von: erfolglos blieben; vgl. "in spongeam incubuisse" bei Sueton, Augustus, 85, oder die häufiger bezeugte Wendung "in spongiam abiturum" in Johann Philipp Krebs, Antibarbarus der lateinischen Sprache, Frankfurt 1843, S. 798.
29 jetzt.
30 Nämlich durch den namentlich nicht bekannten Diener des Augsburger Kaufmanns Stephan Veit (s. Nr. 2663,6-9), der damals auch Hallers Brief Nr. 2663 nach Zürich beförderte.