Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2639]

Georg Frölich
an Bullinger
[Augsburg],
23. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 328 (Siegel) Ungedruckt

[1] Frölich hat Bullingers Brief vom 11. Oktober [nicht erhalten] am 22. empfangen, jedoch nicht durch den angekündigten Marx Wydler und dessen Begleiter [...] sondern durch Claudius [Pius]Peutinger. Frölich weiß nicht, warum die Zürcher sich nicht zeigten. Er hätte sie freundlich aufgenommen, auch wenn er ihnen in dieser Winterzeit [zu keiner Anstellung als Söldner] hätte verhelfen können. [2] Er hat sehr viel zu tun. Daher braucht Bullinger sich nicht so sehr für die späten und hastigen Antworten zu bedanken. [3]Gott hilft den [Schmalkaldenern] in diesem ihnen aufgezwungenen Krieg recht gut. So konnten die Feinde die Deutschen nicht um ihre Freiheit bringen. Obwohl sie kaum aus Bayern (wo sie den Krieg angezettelt hatten) hinausgekommen sind und sie sich auf keine offene Schlacht einließen, erlitten sie während der Scharmützel dreimal mehr Verluste als die [Schmalkaldener]. Ihr Vorhaben, an den Rhein zu ziehen, scheiterte ebenfalls. Jetzt liegen beide Heere unweit von Brenz nahe aneinander, eine Tagesreise von Augsburg entfernt. Täglich reizen die [Schmalkaldener] Kaiser [Karl V.] zum Angriff Dieser will aber nicht schlagen, hält sich weiterhin verschanzt und hat vor, die [Schmalkaldener]finanziell zu erschöpfen. Das Geld wird ihm jedoch auch irgendwann ausgehen, zumal die Erträge der Inseln Peru u.a. sinken. Frölich ist also zuversichtlich. Spätestens beim Abzug eines der Heere wird es zu Verlusten kommen. [4] Der französische König [Franz I.]sowie der englische [Heinrich VIII.]machen den [Schmalkaldenern] vielversprechende Angebote, denen man jedoch keinen Glauben schenken darf Immerhin wird dadurch der Feind eingeschüchtert... [5] Es heißt ferner, dass die [protestantischen] Eidgenossen gegen das Pfaffentum zu Felde ziehen werden. Und obwohl es noch nicht dazu gekommen Ist, faßt dies dem Feind ebenfalls Angst ein. [6] Am 16. Oktober wurden viele namhafte Spanier getötet und ein Italiener namens Hannibal Guerini gefangen genommen. Dieser liefert nun gute Auskünfte, vermutlich weil er ohnehin freiwillig übergelaufen wäre. Er berichtet, dass der Kaiser die [Schmalkaldener] durch Aufschieben des Gefechts besiegen wolle; dass er zu keiner Schlacht bereit sei; dass Papst [Paul III.] ihm kein Geld mehr geben wolle, und dass der Kaiser sein Unternehmen sehr bereue. Er soll auch vorhaben, in [Süddeutschland] zu überwintern. [7] Vor einigen Tagen hieß es zunächst, der Kaiser habe alle Einwohner Donauwörths umbringen lassen. Bald erfuhr man aber, dass dies falsch war, da die Stadt nicht gewaltsam, sondern durch den Verrat der Bürgermeister [Paul Mair und Johann Bucher] eingenommen wurde und demzufolge die Bevölkerung verschont blieb. [8] Aus taktischen Gründen haben die [Schmalkaldener]die Städtchen Dillingen, Lauingen und Höchstädt weder besetzt noch verteidigt. All diese ergaben sich freiwillig und werden ebenso leicht wieder zu erobern sein, wie sie aufgegeben wurden. Sie sind von keiner strategischen Bedeutung. [9] Die Augsburger und ihr Kriegsvolk sind guten Mutes. Auch hat Frölich sich in diesem gefährlichen Krieg nichts vorzuwerfen. [10] Gut, dass Bullinger über den ["Underscheid des Altten und nüwen gloubens"]schreibt. Das Werk soll jedoch nicht Frölich, sondern einer geeigneteren Persönlichkeit gewidmet werden. Durch die bereits erwiesene Freundschaft hat Bullinger sich nämlich Frölich so sehr verbunden, dass dieser ihm nie Genüge tun könnte! [11] Unterdessen arbeitet der Sohn [Hans] von Hans Vogler [d.A.] bei Frölich. Der Junge kann schön und elegant schreiben und ist auch im Lateinischen gar nicht schlecht. Frölich wird ihn fördern. [12] Grüße an die Bürgermeister [Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab], an Stadtschreiber [Hans Escher vom Luchs], an [Rudolf] Gwalther, [Theodor] Bibliander, [Konrad] Pellikan, [Konrad] Gessner, Vogler [d.Ä.] und an alle, die Frölich wohlgesinnt sind. Bullingers Familie möge es wohl ergehen. [13] Dieses Schreiben darf anderen mitgeteilt werden.


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S. Si mihi iucundum fuit ullo tempore quidquam, jucunda est digitis charta notata tuis, quas 1 11. octobris ad me dedisti, 2 22. eiusdem accepi, non autem per Marcum Widlerum 3 neque suos, quos nominas, comites 4 , sed per doctorem Claudium Peuttingerum 5 . Qui autem fiat, ut boni illi Tigurini me non convenerint, ignoro. Si me appellassent, illis fuissem humanus, si eos iuvare non potuissem, quemadmodum instans hiems profecto plurimum obstitisset. 6

De mea scriptione nihil est quod gratias agas, nam tardius et negligentius ad te scribo, quam ius amicitiae postulat, ac nisi me occupationes turbulentissimorum temporum excusarent, nihil diffugii reliquum foret. Tu autem pro innata dexteritate et amore in me tuo omnia quantumvis curva 7 mea equo animo ferre soles.

Der almechtig guetig gott, der nit unrecht thun kan, schaffet es auch mit 8 unnserm genotdrangten kriege unnd gegenwöhre noch wol Haben wir bishere nit mehr ußgericht, so ist doch den gotlosen fynnden ir vorhabend, ußtilgen der teutschen nation fryhait, geprochen. Sie sind zwar uber 5 meil wegs uß dem Beyrlannd, darinn sie diese verretterische empörung angetrifflet 9 , noch nit komen, synnd 10 von ainem flecken unnd vortail inn den anndern zogen, kain kriegstuckh nie frey gepraucht, viel weniger haben sie sich 11 zu ainiger schlacht ye begeben, aber wol scharmutzelt unnd inn denselben allzeit drifachen schaden genumen, da 12 wir nit ainfachen, got sei lobe, erlitten. So ist auch offennbar, das sich der fynnd gern abgeschwaifft, aintweder durch Francken oder Schwaben a 13 an den Rein gethon het , welchs ime

a Über der Zeile nachgetragen.
1 Wohl in Bezug auf "litterae" und nicht wie erwartet auf "charta".
2 Nicht erhalten.
3 Marx Wydler (gest. vor dem 13. Juli 1580), von Rapperswil, Zürcher Bürger von 1527 bis zur Aufgabe des Bürgerrechts 1557, dann in Aarau. Dort bat er 1572 erfolglos um den Stadtschreiberdienst; s. HBLS VII 604; Walther Merz, Wappenbuch der Stadt Aarau. Enthaltend die Siegel und Wappen der bis 1798 in Aarau verbürgerten Geschlechter, Aarau 1917, 5. 307. — Er ist nicht zu verwechseln mit seinem gleichnamigen, 1572 geborenen Sohn, der Pfarrer im Aargau wurde (s. Merz, aaO, Stammtafel) sowie mit dem 1545 in Zürich geborenen, 1613 gestorbenen Pfarrer Marcus Wydler (s. Pf-Zürich 641; Le livre du recteur de l'Académie de Genève (1559-1878), publié par Suzanne Stelling-Michaud, Bd. 6, Genf 1980, 5. 267).
4 Unbekannt.
5 Claudius Pius Peutinger, der damals versuchte, seine Söhne in Zürich unterzubringen; s. Nr. 2612, Anm. 26.
6 Diese Zürcher versuchten, sich als Söldner anzubieten und wurden in Ulm ins Heer aufgenommen; vgl. Nr. 2631,96f; Nr. 2641,9-17.
7 omnia curva: alles Verkehrte; vgl. Persius, Satiren, 3, 52.
8 notgedrungenen; s. Fischer IV 2064f.
q angezettelt (haben); s. SI XIV 398.
10 vorteilhafte Stellung.
11 irgendeiner.
12 während.
13 Vgl. auch Nr. 2624,13-16, sowie das Schreiben des Basler Rats und Bürgermeisters Theodor Brand an Zürich vom 19. Oktober 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 95), demzufolge Kaiser Karl V. in Richtung Rhein und von dort in die niederländischen Erblande zu ziehen versuchte.


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aber allmal gewöhrt 14 worden. Yetzt liegen abermals bede höhre 15 bei Brenntz 16 (ist 6 myl 17 wegs von hynnen, ain tagraiß) b gar nahend beisamen. Geben die unnsern täglichs mit schiessen unnd raitzung zu roß und fueß ursach zum schlahen. Er 18 ligt aber vergraben als ain dax. Will nit herfuere unnd ist entlichs willens 19 , unns am geldt zu erseigern 20 unnd ze matten 21 . Das 22 wurdt ime aber auch ze schaffen machen. Dann die insuln Peru, etc., sind nit mehr melckhikhue 23 . Ich bin der trösstlichen hoffnung unnd zuversicht zu gott, die sach soll unnsernhalb bald zu gutem ennde gelanngen. Dann ye ain tail dem anndern uß dem felde weichen muß, da wurdt es im abzuge kegel geben 24 .

Der Franzoß 25 unnd Engleß 26 erbietten sich treffenlich ding 27 . Sunt autem res gentium, in quibus nihil fidimus. Doch waiß es der feindt unnd bringt ime groß entsitzen 28 .

Man sagt hie, die Aidtgnossen werden ußziehen unnd das pfaffenthumb angriffen. Das erschreckht den gegentail auch, ob es gleich noch nichts ist.

lI 328v Auff den 16. tag dits monats haben die unnsern ettlich viel namhaffter Spanier erlegt unnd ainen Walhen 29 , Hannibal Guerini 30 genannt, lebendig gefangen. Der gibt guten bericht von des feindts vorhaben. Opinor enim illum sua sponte ad nos defecisse. Zaigt neben annderm an, der kaiser werde nit schlahen, sonnder unß außharren 31 wollen. Er sei auch mit volkh zu ainer schlacht gegen unns nit gefasst. Item der babst 32 wölle nit mehr geldt geben.

b Klammern ergänzt.
14 verwehrt; s. Fischer VI/1 695.
15 bede höhre: beide Heere.
16 Vgl. Nr. 2635,10f. — Mit "Brenntz" ist hier wohl die Ortschaft Brenz gemeint, heute Ortsteil von Sontheim an der Brenz, etwa 58 km nordwestlich von Augsburg.
17 Eine deutsche Meile entspricht ca. 8 Kilometern oder zwei Wegstunden.
18 Kaiser Karl V.
19 entlichs willens: fest entschlossen.
20 erschöpfen; vgl. Fischer II 843.
21 ze matten: matt zu machen; s. Fischer IV 1527.
22 Das Geld.
23 Milchkühe.
24 kegel geben: Menschenleben kosten; s. Fischer IV 304.
25 König Franz I.
26 König Heinrich VIII.
27 erbietten sich treffenlich ding: erklären sich zu angemessenen Handlungen bereit.
28 Fürchten; s. Fischer Il 740f.
29 Welschen, d.h. Italiener.
30 Zur Gefangennahme von Hannibal Guerini während der Scharmützel vom 16./17. Oktober (zu dem Scharmützel s. bereits Nr. 2631, Anm. 74) und zu Außerungen über den Kaiser und dessen Pläne s. Thomanns Bericht vom 18. Oktober 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 94 — wo Guerini als "Quirinus" bezeichnet wird); PC IV/1 441f. Anm. 1f (wo Guerini "Guaritius" und "Guarinus" genannt ist); Egelhaaf Nr. 21. Siehe auch die Erwähnung Guerinis bei Voigt, Geschichtschr. 128f, in Zusammenhang mit der Flugschrift Warhafftige zeitungen aus dem Feldlager bey Gengen vom funffzehenden bis in den zwentzigsten tag Octobris, [Magdeburg, Michael Lotter], 1546 (VD16 W 640; weitere Ausgaben: VD/16 W 641f), in welcher die Aussagen Guerinis auf f. Blr.-B2v. ausführlich dargestellt sind.
31 uns außharren: uns durch ausdauerndes Warten überwinden; s. SI II 1515.
32 Paul III. — Vgl. dazu schon Nr. 2626, Anm. 49.


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Item es hab den keyser fasst 33 gerewen, das er dieses spiel angefangen. Item der kaiser werde wollen inn diesen lannden 34 wynntern, etc.

Es hatt vor ettlichen tagen verlautt, wie der kaiser alles volkh, jung unnd alt, zu Thunawörde erschlahen lassen, etc. Dem ist gar nit allso, dann es ist mit kainem gewaldt, sonnder mit verretterei der burgermaistere 35 eingnumen; darumb yedermans verschonet worden.

So ist Dillingen, Laugingen unnd Hochstet 36 uß guten ursachen nit besetzt noch beschirmbt worden, darumb es sich alles gutwillig ergeben. Unnd sind stettlin, die eben so ringlich 37 wider zu erobern, als sie verlassen worden. Nimbt unnd gibt der hauptsäch nichts.

Wir synnd hie inn dieser stat unnd auch unnser kriegsfolkh beim hauffen 38 alle (dem herrn sei lobe) uffrecht unnd getrösst. Unnd sagt mir mein hertz, ob 39 ich schon ain sunnder 40 bin, nichts hochbeschwerdlichs inn diesem allergefarlichsten, beschwerdlichen krieg.

Te differentiam inter veterem et novam fidem describere 41 libenter et avide audio. Digniorem autem, cui id opens dedices, quam me tibi selecturus es. Nam preter hoc, quod nimium me diligas, alioqui tam tibi astrinxisti, ut iure optimo me perpetuo captivum teneas, cum nullis neque officiis neque gratitudine tibi respondere unquam possim. Dominus igitur rerum omnium 42 tibi respondeat.

Filius 43 Ioannis Vogleri 44 viri sane spectabilis, iam interdiu apud me agit; cui informationem diligenter administro meam videoque iuvenem non inhabilem ad usum scribendi. Novit Latine mediocriter scribere. Pingit quoque characteres elegantissimos. Propterea mihi magnam spem provectionis fauste facit. Ego si quid illi prodesse potuero, nihil morabor.

Vale et ex me salutem dicito dominis consulibus 45 , archigrammateo 46 Gvalthero, Bibliandro, Pellicano, Gesnero, Voglero atque singulis Leto benevolentibus. Tua domus precipue sit incolumis et salva.

33 sehr.
34 inn diesen lannden: Gemeint ist Süddeutschland. — Vgl. Nr. 2612, Anm. 38; Nr. 2632,5.
35 der Donauwörther Bürgermeister Paul Mair und Johann Bucher sowie des Stadtschreibers Jörg Tedtenrieder, die dem Kaiser die Schlüssel der Stadt herausgegeben hatten; s. Cölestin Königsdorfer, Geschichte des Klosters zum Heil. Kreutz in Donauwörth, Bd. 2: Vom Jahre 1518 bis 1648, Donauwörth 1825, S. 127f, sowie schon Nr. 2619,2-4 und Anm. 2.
36 Dillingen, Lauingen und Höchstädt gerieten am 12. bzw. 13. Oktober unter kaiserliche Kontrolle; s. Nr. 2621, Anm. 7.
37 leicht.
38 Im schmalkaldischen Hauptheer.
39 auch wenn.
40 eine Privatperson (im Gegensatz zu einem Kriegsführer).
41 Die schon von Enzinas erwähnte Schrift "Underscheid des Altten und nüwen gloubens"; s. Nr. 2608, Anm. 3.
42 Vgl. Dtn 30, 9.
43 Hans Vogler d.J. — Er war auf Wunsch seines Vaters in Johannes Hallers Obhut gekommen; s. Nr. 2631,110-113.
44 Hans Vogler d.Ä.
45 Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab.
46 Hans Escher vom Luchs.


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Communicabis hec scripta, cuicunque volueris. 23. octobris 1546.

Tuus Georgius Laetus, etc.

[Adresse auf f. 331v.:] Incomparabili viro domino Henricho Bullingero, ecclesiaste Tigurino vigilantissimo, amico ut fratri germano. 47