Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2607]

[Bullinger] an
Oswald Myconius
[Zürich],
5. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 342, 151 (Siegelabdruck) Ungedruckt

[1] Am 28. September haben die [Schmalkaldener] dem Kaiser [Karl V.] erneut etwa 60 Söldner getötet und weitere gefangen genommen. Die Nacht darauf versuchte einer [Pantaleon Ebner aus Lindau], Hauptmann Sebastian Schertlin zu ermorden. Letzterer wehrte sich tapfer, und der Täter wurde festgenommen. Dieser gestand, für 3'000 Gulden von einem [Wolfgang Kantz aus Bregenz]beauftragt worden zu sein, den Anschlag zu verüben. Es heißt ferner, dass ein Hauptmann des [schmalkaldischen]Lagers [Sebastian Schnell] in Donauwörth auch ein Verräter sei. [2] Die Truppen von [Christoph] von Oldenburg fingen einen italienischen Hauptmann [...], erstachen drei seiner Soldaten und nahmen drei Böhmen und einen schlecht gekleideten Kerl [...]fest. Letzterer (wohl ein Spion) hatte 100 Kronen bei sich. [3] Ein Kundschafter [...] war im Lager des Kaisers. Er erzählte (was auch von den Gefangenen bezeugt wird), dass im dortigen Lager Brot und Wein teuer sind. Er hat ferner gesehen, wie man an einem Tag 52 Menschen zu Grabe trug. [4] Der Kaiser wollte die Reichsabtei Kaisheim einnehmen. Landgraf [Philipp von Hessen] kam aber diesem Plan zuvor. [5] Der Kaiser soll mit seinem ganzen Lager die Donau überquert haben und in Marxheim (Bayern) liegen. Er will wohl in Richtung Süden ziehen. Dem fränkischen Adel verlangte er

f In der Vorlage sol. —
g Darunter Blarers Empfangsvermerk: 6. octobris 1546.
99 irgendetwas.
100 Der Überbringer des oben in Anm. 98 erwähnten Briefs. Wegen der darauffolgenden Angabe "Sagt, man hab imm guts than" wird es sich beim Boten um Schweri gehandelt haben.
101 denn.
102 mich vernugt wol: ich bin sehr zufrieden; s. SI IV 701.
103 Vermutlich Engelbert Milander; s. Nr. 2647, Anm. 1. — Ihm wurde wohl der in EA IV/1d 742 bezeugte Brief vom 3. Oktober anvertraut, den der Zürcher Rat an seinen Gesandten im Lager, Heinrich Thomann, geschrieben hatte.
104 Das Feldlager der Schmalkaldener, das am 3. Oktober in die Nähe von Nördlingen verlegt wurde; s. Nr. 2609,1-3.


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die Pferde ab. [6] Es gibt seltsame [Verhandlungen] zwischen den [Schmalkaldenern], Frankreich und England. Gott wende alles zum Guten! [7] Warum schreibt denn Myconius so selten? Sein letzter Brief [Nr. 2605] ist vom 2. Oktober. Hat er die dicke Briefsendung [von Bernardino Ochino] an Francisco de Enzinas übermittelt? Er soll Letzteren grüßen. [8]Die armen Bewohner Neuburgs [ad. Donau]werden elend misshandelt! [9]Grüße an [Johannes] Gast, dem die Nachrichten des vorliegenden Schreibens mitgeteilt werden sollen. [10] Myconius möchte mit dem gegenwärtigen Boten [...] die beiden beigelegten Briefe [HBBW XVII, Nr. 2595 und 2602]zurücksenden.

Gnad und frid. 1 Uff zinstag vergangen 28. septembris habend die unsern dem keyser 2 aber 3 ein scharmütz angewunnen, in 4 60 erlegt, ettlich gefangen. 5 Volgender nacht hatt ein mörder 6 h. Sebastian Schertlin zwüschen 1 und 2 ermorden wöllen, alls er die wacht besichtigen gewölt. Gott aber hatt inn bewart und er hat sich so ritterlich gewert, das der mörderisch verräter gefangen worden, bekandt hatt, wo 7 er inn 8 umbbringe, wölle imm einer 9 3'000 gl. gäben. 1. octobris ist er für rächt gestellt 10 . Es ist ouch verkundtschafftet ein houptman under den unsern, 11 zu Tonawerd im läger, sol ouch

1 Der größte Teil der hier vermittelten Nachrichten stammt aus dem Brief vom Konstanzer Rat an den Zürcher Rat vom 4. Oktober (Zürich StA, A 177, Nr. 65) und aus den vom Zürcher Gesandten im schmalkaldischen Lager, Heinrich Thomann, an den Zürcher Rat am 28. (ein Brief) bzw. am 29. September (zwei Briefe) verfassten Schreiben (Zürich StA, A 177, Nr. 48 bzw. 52f), deren jeweiliger Inhalt Bullinger wohl vorgelesen oder erzählt worden war, ihm aber nicht in schriftlicher Form zur Verfügung stand, als er vorliegenden Brief abfasste.
2 Karl V.
3 abermals.
4 etwa.
5 In seinem Brief vom 28. September (s. oben Anm. 1) hatte Thomann berichtet, dass 60 "Welsche" während eines Scharmützels, das am Abfassungstag seines Briefes stattgefunden hatte, getötet wurden. Die Konstanzer meldeten am 4. Oktober, dass am 27. und 28. September dem Kaiser "by 70 erlegt und gfangen" wurden.
6 Der Lindauer Pantaleon Ebner; s. Schertlin, Leben 50. — Zürich wurde darüber vom Konstanzer Rat mit einem Nachrichtenblatt (Zürich StA, A 177, Nr. 51) unterrichtet, das dem Konstanzer Brief vom 2. Oktober (Zürich StA, A 205/1,
Nr. 228) beigelegt wurde. Die Nachricht wurde erneut in dem oben in Anm. 1 erwähnten Brief Konstanz' kurz erwähnt. Weitere Details zum Anschlag finden sich im ersten (A 177, Nr. 52) der beiden Briefe Thomanns an den Zürcher Rat vom 29. September.
7 wenn.
8 Schertlin.
9 Der Bregenzer Amtmann Wolfgang Kantz, der den Anschlag in Auftrag gegeben haben soll; s. aaO, A 177, Nr. 51 (wohl das Verhörprotokoll; vgl. nämlich Schertlin, Leben 52; Thomann an Zürich, 1. Oktober, aaO, A 177, Nr. 56; Paulus, Schertlin 70.
10 für rächt gestellt: hingerichtet in Folge eines Rechtsspruches. Er wurde am 1. Oktober gevierteilt; PC IV/1 417; 424, Anm. 2. — Die Nachricht entstammt auch dem oben in Anm. I erwähnten Brief Konstanz'.
11 Im oben in Anm. 1 erwähnten Brief Konstanz' ist von einem "by unserem hufen" liegenden Hauptmann "Schnell" aus Bregenz die Rede, der sich bereiterklärt haben soll, mit seinem Fähnlein zum Kaiser überzulaufen, wenn er wieder nach Bregenz trotz des dort von ihm einst verübten Mordanschlages "gesichert haim kummen törffe". — Es handelt sich dabei um Sebastian Schnell; s. Benedikt Bilgeri,


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ein verräter sin; darvon ir on das 12 bald hören werdent. Ich hab allwäg 13 verrätery übel gefürcht; doch wirt inen 14 das die ougen uffthun.

29. septembris habend die Aldenburgischen 15 ein welschen houptman gefangen, sine knächt vertriben, 18 darvon 9 erstochen, 3 Behemm 19 gefangen und einen 20 in schlechter, böser beckleidung; hatt aber 100 kronen by imm gehept. Acht man, er sye ein kundtschaffter und der rächten knaben einer 21 .

Die unsern habend imm läger des keyssers ein kundtschaffter 22 gehept. Bringt (zue dem, das die gfangnen glichs och beckennend)a 23 , das es seer thür bim keysser: Brot, das by unsern 9 d. 24 , gillt by inen 6 crutzer 25 ; wyn by den unsern 4 crützer 26 , by inen 7 crutzer. Der kundtschaffter hatt eins tags zellt 52, die man vergraben. 27

a Klammern ergänzt.
Geschichte Vorarlbergs, Bd. 3: Ständemacht, Gemeiner Mann - Emser und Habsburger, Wien 1977, S. 399, Anm. 22.
12 on das: ohnehin.
13 stets.
14 den Schmalkaldenern.
15 Die schmalkaldischen Truppen des Grafen Christoph von Oldenburg, die am 14. September im Lager vor Donauwörth eingetroffen waren; s. HBBW XVII 371, Anm. 23.
16 italienischen; vgl. HBBW XVII 384 und Anm. 6; 387,74. 82; 452 und Anm. 50.
17 Unbekannt.
18 Vgl. Viglius van Zwichem 96 unter dem 29. September; PC IV/1 411, Nr. 387.
19 Böhmen.
20 Unbekannt.
21 der rachten knaben einer: Ironisch zu verstehen, im Sinne von "ein böser Kerl". — Die in diesem Abschnitt übermittelten Nachrichten stammen aus dem zweiten (A 177, Nr. 53) oben in Anm. 1 erwähnten Brief Thomanns vom 29. September. Allerdings wird dort die Festnahme der drei Böhmen und des Mannes "inn schlechten purs [= Bauers] kleydern" nicht mit Oldenburgs Kampfhandlung (während welcher neun "Welsche" erschlagen und deren Hauptmann festgenommen wurde) in Verbindung gebracht, geht aber letzterer Meldung unmittelbar voraus.
22 "Houptman Schradin", ein "Vetter" (Verwandter) Schertlins; s. den oben in Anm. 1 erwähnten ersten Brief Thomanns vom 29. September (A 177, Nr. 52). Die Ausspähung
ist auch in dem dort angeführten Brief des Konstanzer Rats erwähnt, aus dem die weiteren Angaben dieses Abschnittes (ohne Identifikation des Spions) stammen. — Falls Thomanns Angabe stimmt, handelt es sich um Hans Lorenz Schradin, der im damaligen Krieg als Hauptmann aufseiten der Schmalkaldener nachgewiesen ist; s. Heyd, Ulrich von Württ. III 442. Vielleicht aber kommt hier eher der Hauptmann Ludwig Schertlin oder der Venner Hans Lorenz Schertlin in Frage, die Sebastian Schertlin in seiner Autobiographie des Öfteren als "Vetter"bezeichnet; s. z.B. Schertlin, Leben 31. 37. 39. 52. 81.
23 Angabe, die ebenfalls aus dem oben in Anm. 1 erwähnten Brief Konstanz' stammt.
24 =Pfennig (1 Batzen besteht aus 20 Pfennigen). — Die hier überlieferten Preisangaben stammen aus dem Brief aus Konstanz.
25 Laut G. Budaei ... breviarium de Asse cui adiecta est ... supputatio Assis et partium eius ad monetam Basiliensem, Basel 1546 (VD/16 ZV2652), f. [A 7 ]v., galt damals ein Kreuzer 5 Pfennige. — Diese Teuerung wurde dem Kaiser durch Sebastian Schertlins Überfalle auf die kaiserliche Proviantzufuhr verursacht; s. Schertlin, Leben 58; und Nr. 2677, Anm. 10.
26 Im Brief von Konstanz wird dieser Preis als "1 Batzen" angeführt und die damit verbundene Menge als "1 maß win"präzisiert. Demzufolge war im Jahre 1546 1 Batzen 4 Kreuzer wert.


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Der keyser hatt wöllen Keyssa 28 ynnemen (ist ein rychkloster), aber der lantgraff 29 ist imm vorgefaren. 30

Also sol der keyser uff sin über die Tonow mitt allen sinen in das ander läger uff Peyerland, Marxen genampt. 31 Acht man, er werde sich heruff 32 lassen. Er hatt den frenckischen adel gemanet mitt iren pferden. 33

Anders mee hätt ich üch ze schryben. Das ist das fürnemmist. Bald mee. Wunderbarlich 34 sachen sind vorhanden zwüschen dem rych 35 , Franckrych, 36 Engelland, 37 etc., wider den keyser. Gott schick es uns zu gnaden!

Ir schribend so wenig 38 , das es mich verwundert. Das letst ist 2. octobris. 39 Lieber, zeigend 40 mir, habend ir den grossen brieff empfangen d. Francisco Dryandro 41 zugehörig? Den grüssend mir trüwlich.

27 Beim Tag könnte es sich um den 27. September handeln; vgl. Viglius van Zwichem 96. — Zur Epidemie s. Nr. 2606, Anm. 48.
28 Die Zisterzienserabtei Kaisheim, etwa 12 km westlich von Marxheim, wo der Kaiser bis zum 2. Oktober sein Lager hatte, und etwa 6 km nördlich von Donauwörth, wo die Schmalkaldener bis zum 3. Oktober stationiert waren. —Zum Angriff s. den oben in Anm. 9 erwähnten Brief Thomanns vom 1. Oktober.
29 Philipp von Hessen.
30 Im Brief aus Konstanz ist bei der Erwähnung dieses Ereignisses nicht ausdrücklich der Landgraf angeführt, doch wird er im Brief von Hieronymus Baumgartner an Melanchthon vom 30. September (MBW-T XV 461) mit diesem Ereignis verbunden.
31 Der Brief aus Konstanz berichtet, dass der Kaiser von Marxheim aufgebrochen und mit seinem ganzen Lager über die Donau nach Bayern gezogen sei. In der Tat aber wurden nur einige kaiserliche Truppen über die Donau geschickt, um die Schmalkaldener in die Irre zu führen, während der Kaiser am 2. Oktober Marxheim in Richtung Nördlingen verließ; s. Schüz, Donaufeldzug 60f und Skizze 5.
32 d.h. nach Süden. — Diese Stelle zeigt, dass Bullinger sich Marxheim am rechten Donauufer vorstellte.
33 Angabe aus dem zweiten (A 177, Nr. 53) oben in Anm. 1 erwähnten Brief Thomanns vom 29. September, in dem deutlicher als hier erklärt wird, dass der Kaiser den Einsatz des fränkischen Adels
und dessen Pferde verlangte. — Siehe auch PC IV/1 410, Nr. 385; Nr. 2625,38— 40.
34 Seltsame.
35 Zu verstehen: die schmalkaldischen Stände.
36 Siehe zuletzt HBBW XVII 503; und den ersten (A 177, Nr. 52) in oben Anm. 1 erwähnten Brief Thomanns vom 29. September.
37 Siehe dazu schon HBBW XVII 289, besonders aber Rory McEntegart, Henry VIII, the League of Schmalkalden and the English Reformation, Woodbridge/ New York 2002 — Royal Historical Society Studies in History. New Series, S. 212-214; PC IV/1 399-401, Nr. 376, 416f, Anm. 4; 418, Nr. 392. Aus Thomanns Brief vom 1. Oktober (s. oben Anm. 9) erfährt man, dass gerade damals sowohl Frankreich als auch England eine Gesandtschaft im Lager hatten.
38 selten; s. SI XVI 125.
39 Brief Nr. 2605. Der vorletzte Brief Myconius' war vom 13. September (HBBW XVII, Nr. 2582).
40 meldet.
41 Francisco de Enzinas. — Es handelt sich um einen unbekannten Brief von Bernardino Ochino (s. Nr. 2614,34f), dem wohl eine Abschrift der ursprünglichen italienischen Fassung der in Augsburg gehaltenen Predigten Ochinos über den Galaterbrief beilag, die im Juli 1546 in deutscher Fassung in Augsburg gedruckt wurden (VD/16 0224). Nicht ganz auszuschließen wäre ferner eine Abschrift der ursprünglichen italienischen Fassung


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42 43

Den armen lüten zu Nüwenburg wirt nitt eins gehalten, das inen zugesagt. Gadt jämerlich. Gott wirts finden 44 . b

Gastius salvus sit; ne nesciat haec. b45

Diß beid brieff 46 schickend mir by disem botten 47 wider.

Gott mitt üch! In yl, 5. octobris 1546.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse darunter:] Sinem früntlichen, fürgeliebten herren und brüder, h. Oßwalden Myconien, obristen predicanten zu Basel.