[2605]
Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
2. Oktober 1546
Autograph: Zürich StA, E II 336a, 250 (neu: 268)(Siegel)
Ungedruckt[1] Weil Myconius samstags viel zu tun hat, kann er nur kurz schreiben und mitteilen, dass vor
zwei Tagen jemand [...] aus dem [schmalkaldischen]Lager mit folgender Nachricht zurückkam:
Neuburg [a. d. Donau] und Rain [am Lech] wurden [vom Feind]besetzt, weil sie von
den [Schmalkaldenern], die nördlich der Donau liegen, nicht verteidigt werden konnten. Letztere
haben sonst genügend Streitkräfte, Nahrungsmittel und Geld. Sie sind auch guten Mutes.
Auch wurde bei der Besetzung der zwei Ortschaften niemand verletzt. Diese Mitteilung erfreute
Myconius sehr, während der Spanier Francisco [de Enzinas] außer sich geriet
—[2]Die [Schmalkaldener] bitten die [Vier Orte], die Ländereien des Kaisers [Karl V.]und
seines Bruders [Ferdinand I.] zu besetzen. Myconius hat dies schon längst befürwortet! Die
Fünf Orte, die man zu sehr fürchtet, sind schuld, dass es nicht dazu kam. Man hätte sie doch
wohl davon überzeugen können, und wenn nicht, hätte man auf Gott vertrauen sollen! Die
Angst der von Gott so sehr gesegneten [eidgenössischen]Städte ist unverständlich! Gott wird
sie deswegen wohl demütigen müssen. Wäre Myconius eine einflussreiche Persönlichkeit, würde
er etwas unternehmen! Als Greis aber kann er nur Gott bitten, dass dieser sein Wort nicht
im Stich lässt. —[3]Bullinger sei stark und stärke auch die Seinen.
S. Propter sabbatum 1 scribere non valui, que sunt in animo. Negocia enim
me impediunt. Hec tamen non possum tacere: Nudius tertius 2 venit huc ex
castris prius eo missus, qui 3 sic adtulit: Neoburgum 4 esse captum et Rhainum
5 receptum, quia nostri defendere non potuerint. Ultra Danubium 6 enim
sunt. Deinde hominum esse tantam copiam, ut nihil desideretur. Esse commeatum
abundantem; esse pecuniam sufficientem; esse incolumitatem per
deum, qualiter possent optare; esse demum et animos. Nihil itaque desideran,
nisi ut domini auxilium devotis precibus impetretur. Porro neminem
friedlich eingenommen wurde (s.
HBBW XVII 304, Anm. 16; 315,8;
342,8-19), wurde von diesen am 18. oder
19. September wieder verlassen; s. Viglius
van Zwichem 95. 117, Anm. 51;
Heinrich Thomann an den Zürcher Rat,
29. September (Zürich StA, A 177, Nr.
53).
militum 7 esse lesum, sed libere dimissum; cives oppidorum 8 quoque cum
bonis, que valuerint exportare, dimissos una cum suis. Postquam hec audieram,
satis eram contentus, ubi tamen Franciscus Hispanus 9 plane insaniebat.
10
De hoc autem, quod petunt Protestantes 11 res vel imperatoris 12 vel fratris 13
debere invadi, equidem libere dico, quod sentio: Idem et me iampridem
sensisse! Ceterum Quinquepagici 14 remorantur ut qui timendi sunt. Potuissent
hi quoque meo videre persuaderi huc, ut et ipsi fecissent officium.
Quodsi non potuissent, ego tamen quod est meum, non omisissem confisus
in domino. Non possum satis mirari post tanta beneficia dei erga nos tam
meticulosas 15
esse civitates evangelicas , imo post flagitia tam foeda adversariorum,
Freude hatte, wie es aus dessen Schreiben
an Zürich vom 1. Oktober (aaO, E I
1.5, Nr.
13[b]) hervorgeht. Die von Zürich
vorgeschlagene Antwort erschien
nämlich dem Berner Rat "schimpflich",
"in ansechen das sy [= die Schmalkaldener]
darab keinen Trost empfachen und
unser aller [= der Vier Städte] kleinmütte
gespüren wurden". Vielmehr befürwortete
Bern "die antwurt, dero wir uns
zletzt entschlossen unnd unsere potten
uch fürgehaltten haben, gevallen [zu] lassen".
Sollten die Zürcher eine solche
Antwortnicht gutheißen, "könen wir [=
Bern] uch nitt verhalten, das wir in gemeldte
anttwurtt [der Zürcher] nitt bewilligen
könnend". Die Zürcher, die geahnt
hatten, welche Anfrage vonseiten der
Schmalkaldener auf die Vier Städte zukommen
würde, beauftragten bereits einige
Tage zuvor ihren Gesandten im
schmalkaldischen Lager, Heinrich Thomann,
dem Landgrafen ihre Bedenken zu
eröffnen; eine Mission, die sie mit einem
Brief Bullingers
(HBBW XVII, Nr.
2597)
untermauerten. Siehe dazu ferner Nr.
2606,50-55, bes. Anm. 57 und Anm. 60;
Nr.
2616, bes. Anm. 2.
quae patrant tanquam in contemptum dei! Ego homo nihili, si quid
essem, aliquid agerem. Nihil autem dum sum et etate imbecillis
16 , nihil
possum nisi orare, ut dominus verbum non deserat; neque deseret,
17 sed
propter metum illum nostrum forsitan nos humiliabit.
Vale in Christo lesu. In eodem fortis et tuos roboraturus. Basileae, 2. octobris
anno 1546.
Os. Myco. tuus.
[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, ministro Christi, fratri
ac domino colendissimo suo.