Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2625]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
14. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 252 (neu: 270)(Siegelspur) Ungedruckt

[1] Dank Bullingers letztem Schreiben [nicht erhalten]weiß Myconius nun, dass [Sebastian] Schertlin kein Verräter ist, denn in der ganzen Stadt hatte man erzählt, dass er der Verräter sei, von dem auch Bullinger in seinem vorhergehenden Brief [Nr. 2607]geschrieben hatte. Der Attentäter [Pantaleon Ebner] von Lindau soll nämlich gesagt haben, dass er [mit dem Anschlag auf Schertlin] beauftragt wurde, weil Letzterer sich nicht, wie abgemacht, gegen die Schmalkaldener stellte, als Kaiser [Karl V.]diese angriff Zwar erschien dieses Gerücht kaum glaubwürdig, doch weiß auch Myconius, was Geld vermag. Angesichts Schertlins guten Rufes hoffte aber Myconius, [dass es sich dabei um ein falsches Gerücht handele]. Jemand [...] erzählte dann in Basel von [Bullingers letztem]Schreiben [an Myconius]. Und so kam es, dass einige Beamte Myconius heute baten, ihnen das Schreiben zur Lektüre zu übermitteln. Am Beispiel dieses Gerüchts erkennt man die Verschlagenheit des Kaisers! Er ist vom Teufel getrieben, zumal er sich nach dem Rat von Astrologen und Wahrsagern richtet. [2] Was Myconius ermutigt, ist die Überzeugung, dass es nicht mehr lange so weitergehen kann. Wie schlimm aber für die armen Opfer der Raubzüge, Brandstiftungen und Vergewaltigungen! Dies sollte zum Gebet und zu einem besseren Leben anspornen. Ein auswärtiger Edelmann [...] berichtete, dass in Neuburg a.d. Donau ein alter Prediger [...] von den Spaniern gefangen genommen, entmannt und solange gefoltert wurde, bis er starb. [3] Durch Bullingers Meldung, dass [Kurfürst Friedrich II. von der]Pfalz und [Herzog Ulrich von] Württemberg das Heer des Kaisers wohl aufhalten würden, konnte Myconius neuen Mut fassen. Die Nachricht von einem Rückzug [des Kaisers] hatte ihn nämlich nicht mehr schlafen lassen. Solch ein Rückzug wäre Deutschland schädlicher als eine Kampfhandlung, wie dies am Beispiel der Grafschaft Oettingen (über die Bullinger berichtete) gut zu beobachten ist. Würde sich doch Herzog Moritz von Sachsen den [Schmalkaldenern] anschließen und der Kaiser sich nicht zurückziehen! Bestimmt würde es dann besser werden! [4] Ein von Basel nach Mailand geschickter Bote [...] erzählte, wie dort ein Herold [...] verkündete, dass unter Androhung schwerer Strafe alle Einkünfte im Herzogtum Mailand, die dem Papst [Paul III.] zukommen sollten, in die kaiserliche Kammer gebracht werden müssen. Der Grund: Der Papst hätte 12'000 Reiter und 1'000 Fußsoldaten auf seine Kosten zugesagt, bis jetzt aber nichts bezahlt. Die bösen Geister sollen sich nur weiter so gegenseitig ausplündern! [5] Ein fränkischer Edelmann [...] berichtete, dass der bessere Teil der fränkischen Ritter schon im Dienste des [Kurfürsten Johann Friedrich von] Sachsen und des (Landgrafen Philipp von] Hessen stünde, während der [Bischof von]Würzburg [Melchior Zobel] seine Ritter [dem Kaiser]schon längst geschickt habe. Die zu Hause gebliebenen Ritter sind also für den Krieg kaum tauglich. [6]Ein Niederländer [...]meinte, dass der Kaiser die Eidgenossen solange bestechen werde, bis er aus ihnen Verrätern gemacht habe. Myconius erwiderte, dass der Kaiser viel zu geizig dafür sei. Darauf antwortete jener, dass andere es wohl für ihn tun würden. [7]Angeblich wirbt [Piero]Strozzi in Venedig Soldaten an und entzieht dem Kaiser so viele, wie er nur kann. [8]Gruß. Myconius wird schon noch an [Rudolf] Gwalther schreiben.

S. Gratissimum fuit hoc postremum scriptum 1, maxime quod Schertlium apud me liberavit a grandi infamia. Per totam urbem ferebatur proditorem

1 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers.


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eum 2 esse, de quo et priores tue 3 meminerunt. 4 Accusatum aiebant a latrone Lindaviensi 5 , ut qui propter hoc missus fuisset, quod non servasset fidem caesari 6 Schertlius. Nam sic constitutum, ut, dum cesar invasurus esset nostros 7 , ille 8 cum suis eosdem pariter invaderet. Equidem non potui credere, quamvis non nesciam, quantum valeat pecunia apud militem. Melioris tamen note vir ille ab omnibus, qui norunt, semper habitus est. Quamobrem et mihi spes mansit de eo hactenus non mala. Nescio quis 9 de hoc scripto 10 narrant. Miserunt hodie capita 11 , ut id mitterem a ad se legendum. Vides autem, mi Bullingere, quam vafer sit vir iste 12 , quibus artibus conetur delassare viros optimos et interim mala inferre non vulgaria! A malo 13 dingitur, quocirca fere credo, que narrantur habere ipsum Aegyptios et Chaldeos 14 , quorum consiliis obsequatur; nam isti demonia sequuntur.

Una spes hic mihi est: Non diutius ita fore. Sed interea fiunt latrocinia, incendia, stuprationes et alia mala, quod dolendum propter eos, qui patiuntur. Nam eadem debent esse nobis veluti stimulus 15 ad precandum et ad vitam emendandam. Adeo vero, dum stuprationes ilias violentas 16 audio, exhorresco, ut fide plaenus dicam apud me: Haud feret dominus! Fuit hic vir nobilis 17 , non nostras, qui narravit Neoburgi 18 concionatorem senem 19 ab Hispanis comprehensum (duos enim evasisse) et super mensam ligatum exectis pudendis acutissimis, quales gerunt, pugionibus tamdiu stimulatum, dum animam exhalarit. 20 Habemus exemplum tyrannidis et crudelitatis Hispanice contra ministros Christi.

a erem am Rande korrigiert.
2 Sebastian Schertlin von Burtenbach. — Offensichtlich hatte in Basel das Gerücht den sonst auch von Bullinger in Nr. 2607,7-9, erwähnten Verräter Sebastian Schnell aus Bregenz mit Schertlin identifiziert.
3 Gemeint ist Bullingers Brief Nr. 2607 vom 5. Oktober, den Myconius schon mit Nr. 2614 vom 7. Oktober verdankt hatte.
4 Aus Nr. 2632,3f, geht hervor, dass Bullinger fürchtete, Myconius könnte der Ansicht gewesen sein, er (nämlich Bullinger) habe den Verräter mit Schertlin identifiziert, wobei Myconius nur sagen wollte, dass der Verräter, von dem Bullinger in seinem Brief berichtet hatte, in Basel gerüchtweise mit Schertlin gleichgesetzt wurde.
5 Pantaleon Ebner von Lindau. — Laut diesem Gerücht also soll Ebner mit dem Mord an Schertlin bauftragt worden sein, weil dieser sich nicht (wie es angeblich zuvor mit dem Kaiser abgemacht worden
war) gegen die Schmalkaldener stellte, als der Kaiser diese angriff.
6 Karl V.
7 die Schmalkaldener.
8 Gemeint ist Schertlin.
9 In Frage käme vielleicht Johannes Gast, dem Myconius Bullingers Briefe zu lesen gab; vgl. Nr. 2624.2-4.
10 Gemeint ist der oben in Z. 1 erwähnte Brief Bullingers.
11 Die Stadtoberhäupter Basels.
12 Gemeint ist der Kaiser.
13 vom Teufel.
14 Aegyptios et Chaldeos: Sammelbegriff für Astrologen und Wahrsager.
15 Anspielung auf Lk 21, 28.
16 Anspielung auf die Misshandlungen der Frauen in Neuburg ad. Donau unter Bezug auf Bullingers Mitteilungen in HBBW XVII 513,3-6, und Nr. 2607.3 1f.
17 Unbekannt.
18 Neuburg ad. Donau.
19 Unbekannt.


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Reddidisti animum, ubi scribis, Palatinum 21 et Wirtembergensem 22 excepturos 23 exercitum caesaris. Adeo enim recessus ille 24 me vexavit, ut noctes duxerim propterea difficiles. Nam hac ratione multo graviora damna intulisset Germanis nostris quam repugnando, qualiter et iam coepit in ditione comitum Oetingensium 25 , ut scriptum tuum habet. Si dux Mauricius 26 se illis 27 adiungeret, modo pergeret cesar, rebus foret melius consultum.

Nescio, si hoc noris: Audivi ex ore tabellionis nostratis 28 , qui nudiusquintus 29 venit ex Mediolano, se vidisse et audisse aeneatorem 30 per totam urbem pronunciasse, ut omnia bona, que per ducatum Mediolanensem pertineant ad papam 31 , in cameram inferantur cesaream sub poena gravi. Adiecit causam: Papam promisisse 12'000 peditum et mille equitum suis expensis. Hactenus tamen ne teruncium 32 solvisse. Ego vero: Salva res cacodemonibus inter se invicem depilantibus!

De Francis equitibus 33 Francum nobilem 34 rogavi, qui respondit meliorem partem esse apud Saxonem 35 et Hessum 36 . Wirtzburgensem 37 suos misisse 38 iam pridem. Qui domi sint, tales esse, ut capita non facile gladiis submittant.

Ex Germania Inferiore dixit quidam 39 caesarem pecunia b tam diu obpugnaturum Helvetios, donec omnes faciat proditores. Ego tum: "Nunquam faciet hoc cesar, utpote avarior!" Ille: "Facient alii!"

Strotius 40 dicitur abiisse ad Venetos collecturus milites et abstracturus caesari, quocunque valeat, etc.

b Über der Zeile nachgetragen.
20 Zur Sache s. schon HBBW XVII 493, Anm. 23. Dort findet man aber auch nicht den Namen. Weissmann weiß nichts dazu. Es handelt sich vielleicht um ein falsches Gerücht, von dem auch in Nr. 2631,99-101, und MB W-T XV, Nr. 4398, die Rede ist.
21 Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz.
22 Herzog Ulrich von Württemberg.
23 Hier im Sinne von "aufhalten, auffangen"; s. Kirsch 1099.
24 Der vermutete Rückzug des Kaisers in die Niederlande; vgl. Johannes Gasts Mitteilung vom gleichen Tag in Nr. 2624,8-18.
25 In den Territorien von Ludwig XV. von Oettingen und seinem Sohn Ludwig XVI. ("der Igel") von Oettingen (vgl. schon Nr. 2612, Anm. 118) und sogar auch in der Herrschaft des katholischen Martin von Oettingen (1506-1549), die ebenfalls verwüstet wurde; s. den Brief von Konstanz an Zürich vom 11. Oktober 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 78).
26 Moritz von Sachsen.
27 den Schmalkaldenern.
28 Unbekannt. — Siehe PC IV/1 431, Nr. 405, wo diese Angelegenheit ausführlich beschrieben ist.
29 Am 10. Oktober. Aus PC aaO geht aber hervor, dass der Bote sich schon am 9. Oktober in Basel befand.
30 Trompeter (offizieller Bote); s. Kirsch 82. — Unbekannt.
31 Paul III.
32 ne teruncium: sprichwörtlich: nicht einen Heller; vgl. Cicero, Epistulae ad Atticum, 6,2,4.
33 Die fränkischen Ritter; s. Nr. 2607,24 mit Anm. 33.
34 Unbekannt.
35 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
36 Landgraf Philipp von Hessen.
37 Melchior Zobel, Bischof von Würzburg.
38 Nämlich dem Kaiser; s. HBBW XVII 467,34-36.
39 Unbekannt.
40 Piero Strozzi, dessen Reise nach Italien im Herbst 1546 in NBD IX 306-309, Nr. 93 mit Anm. 1, belegt ist.


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Vale cum tuis et Gvalthero, cui scribere non potui. 41 Scribam tamen Basileae, 14. octobris anno 1546.

Tuus Os. Myco.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, viro praestantissimo, ministro optimo, fratri ac domino in Christo venerando suo. Z[urich].