Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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BULLINGER AN
WERNER STEINER
Kappel,
24. Juni 1524

Autographe Abschrift: Zürich ZB, Msc K 40, 1r. 1 S. 4°, sehr gut erhalten Ungedruckt

Begleitbrief zu den drei Schulreden Bullingers, die er Steiner auf dessen Wunsch zuschickt.

Wernhero a suo gratiam precatur et pacem.

a Oben als Titel des ganzen Werkes von Bullingers Hand: Ad Magistrum Wernherum Steiner Tuginum, de cruce et patientia, charitate et pace ac de contemptu mundi orationes tres.
1 Werner Steiner (Lithonius), 1492-1542, Sohn des Ammanns von Zug, erhielt seine Ausbildung in Zürich und Paris, kehrte nach 1513 als Magister heim, wurde Priester und spätestens 1517 Helfer in Schwyz. Am 8. September 1515, vor der Schlacht von Marignano, war er Ohrenzeuge von Zwinglis Predigt in Monza. 1518 wurde er päpstlicher Protonotar, 1519 nahm er an einer Pilgerfahrt nach Jerusalem teil. Nach seiner Rückkehr erhielt er ein Kanonikat in Beromünster. Spätestens seit 1519 stand er mit Zwingli in brieflicher Verbindung. Am 24. März 1521 predigte er beim Kreuzgang auf der Musegg in Luzern wohl zum ersten Mal öffentlich evangelisch «vom ewigen Wort Gottes», am 2. Juli 1522 unterschrieb auch er die Supplikation um Freigabe der evangelischen Predigt und Priesterehe (Z I 208, 21). Bald galt er als Führer der evangelisch Gesinnten in Zug. Bullinger, der am 3. Februar 1523 nach Kappel kam und sich vor allem durch zahlreiche Schriften für den Durchbruch der Reformation in Zug einsetzte, nennt Steiner in seinem Diarium (HBD 8,20 f) unter den engsten Freunden aus dieser Zeit. Mehrere Schreiben Bullingers an ihn sind erhalten (vgl. Nr. 28, 37 und Anhang II, Nr. 5). Seit 1525 wurden Steiner und sein Freund Pfarrer Bartholomäus Stocker (s. S. 71, Anm. 1) öfters vor den Rat zitiert und als «Lutheraner» ermahnt oder verhört. Bis zum Jahr 1528 hat man gegen Steiner trotzdem nicht hart durchgegriffen. Nach dem Tode seines Onkels, des Ammanns Leonhard Steiner, 1527, und infolge der verschärften politischen Gegensätze wurde jedoch seine Lage allmählich unhaltbar. Aber auch seinerseits scheint er damals aus der Reserve herausgetreten zu sein: seit 1528 las er die Messe nicht mehr, kritisierte das Bündnis der V Orte mit Österreich, bekannte sich nach Entdeckung seiner evangelischen Bücher offen zu seinem Glauben und siedelte am 26. August 1529 nach Zürich über. Hier setzte er sich als reicher und unabhängiger Mann für die Sache der Reformation ein: Bullinger z. B. wohnte nach seiner Flucht aus Bremgarten vorübergehend bei ihm. Am 30. Oktober 1529 bestätigte Steiner seine Ehe mit Anna Rustin durch öffentlichen Kirchgang; aus der Ehe stammten 13 Kinder. Steiners Leben entbehrte nicht der Tragik: eine homosexuelle Verirrung aus der Jugendzeit, die 1541 durch einen Erpresser ans Licht kam, brachte ihm Gefangennahme und lebenslänglichen Hausarrest in Zürich ein. Er starb am 6. Oktober 1542 an der Pest. Die literarischen Arbeiten Steiners (Autobiographie, Liederchronik, Chronik über die Mailänder Kriege und Reformationschronik) sind wichtige Quellen zur Zeitgeschichte; außerdem schrieb er einen Kommentar zum Pentateuch. — Lit.: Steiners autobiographische Aufzeichnungen, Zürich StA, W 18, Steiner-Archiv 49; z. T. hg. v. Theodor von Liebenau, Aus Werner Steiner's Leben und Schriften, in: ASG IV, 1885, 432-441; Melchior Kirchhofer, Wernher Steiner, Bürger von Zug und Zürich, Winterthur 1818; Wilhelm Meyer, Der Chronist Werner Steiner 1492-1542. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte von Zug, Diss. phil. Freiburg/Schweiz, Stans 1910; Diethelm Fretz, «Steineri fata», in: Zwa IV 377-384; Rudolf Hess, Die zugerischen Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts, Zug 1951, S. 19-49; Iten 399f; Hans Erb, Die Steiner von Zug und Zürich, Gerichtsherren von Uitikon. Ein Beitrag zur Sozial- und Personengeschichte des alten Zürich, Zürich 1954. — MAGZ XXXVIII/2, S. 11-23; Staedtke, Zug; Staedtke 267; Feller-Bonjour I 177-180; Jean-Pierre Bodmer, Werner Steiners Pilgerführer, in: Zwa XII 69-73; ders., Werner Steiner und die Schlacht bei Marignano, in: Zwa XII 241-247.


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Mitto tibi, mi Wernhere, declamationes meas 2 elapsas venus quam diligenter conscriptas. Dedico eas nomini tuo, liberum relinquens, num velis opus hoc, quod tu mihi quasi vi extorsisti, boni consulere. Quod ad me pertinet, non potui quicquam amico tam syncero ac bene faventi denegare; imo animus quidem maiora dedisset, modo licuisset per inopiam. Ceterum quod habemus, id damus. Vale in Christo. Salvum te volunt fratres universi, et tu omnes vicissim salutabis, quotquot Christi nomen induerunt.

Ex academia nostra Cappell, 8. calendas iulii anno ab incarnato Christo 1524.

Henrichus Bull[ingerus],

tuus ex omni parte.

2 Vgl. Schriftenverzeichnis, HBD 14, Nr. 17-19; Staedtke 267 f. — Von den drei in Kappel gehaltenen Reden ist nur die erste vollständig erhalten, sie folgt in Abschrift gleich nach dem Briefmanuskript auf fol. 1v.; die zweite bricht bereits am Anfang ab (fol. 8v.).