Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3178]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz,
ca. Mittwoch, den 4. oder Donnerstag, den 5. April 1548]1

Autograph: Zürich StA, E II 357, 837 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 696f Nr. 1523

[1]Die Notlage der Konstanzer ist, wie Bullinger es in seinem Brief [nicht erhalten]richtig beurteilt, sehr groß. Möge ihnen Gott einen Ausweg weisen und ihnen im Dies- und im jenseits beistehen. Hoffentlich nimmt ihr [Unglück]bald ein Ende! -[2]Die [nach Augsburg von Kaiser Karl V einbestellte]Gesandtschaft wird genaue Anweisungen erhalten und ohne Rücksprache mit dem Konstanzer Rat keine [für Konstanz]nachteiligen Bedingungen [des Kaisers]akzeptieren dürfen. -[3]Blarer dankt für den Bericht über [die letzte Badener Tagsatzung]. Er wartet immer noch auf Neuigkeiten aus Augsburg. -[4]Er ist an der [angekündigten]deutschen Übersetzung des Schreibens [von Girolamo Franco, dem Nuntius] von Papst Paul III., interessiert, sobald diese Bullinger vorliegt. -[5]Bullingers Brief an Joachim Vadian [samt dem Bericht über die Badener Tagsatzung]dürfte noch vor Einbruch der Nacht nach St. Gallen weiterbefördert werden. -[6][Die Nachrichten] bezüglich Parmas sind aus mehreren Gründen eigenartig. Dem Kaiser dürfte es missfallen, wenn König Heinrich II. von Frankreich in Italien an Einfluss gewönne. -[7]Das Urteil gegen Joachim Mötteli vom Rappenstein ist überraschend [milde]ausgefallen. Diese Ungerechtigkeit wird vermutlich noch ein Nachspiel haben, zumal viele Leute [NN][der Bestechung]verdächtigt werden. Aber davon will Blarer lieber nichts schreiben. -[8]Ein zuverlässiger Mann [NN]hat eine briefliche Nachricht aus Nürnberg erhalten, die besagt, dass einige Hansestädte [Bremen und Magdeburg]Kriegsvorbereitungen [gegen Karl V] träfen. -[9]Zar Ivan IV ["der Schreckliche"]wirbt mit guten Anstellungsbedingungen [in Süddeutschland]Prediger, Schullehrer und Handwerker an. Auch der ehemalige Lindauer Schulmeister Gaspar Brusch hat sich für vier Jahre verdingt. Er erhält jährlich 300 Taler sowie Unterhaltskosten für sich und seine Bediensteten, die er nach dieser Zeit weiterhin beziehen kann, falls er dortbleiben wollte. Es gibt dort viele solch gut bezahlter Stellen! -[10]Bullinger möge für die Konstanzer beten, die der großen Gefahr ohne Gottes Hilfe völlig ausgeliefert wären. Noch ist Gott der Herr der Welt. Er wird die Seinen erretten, sofern sie sich mit ganzem Herzen zu ihm bekennen. Möge er die Konstanzer aus dieser angsterfüllten Welt führen! -[11]Grüße an Bullingers Frau Anna, [geb. Adlischwyler], und dessen Angehörige.

a Mit Schnittspuren. Die Datierung beruht auf folgenden Überlegungen: Dem vorliegenden Brief muss ein nicht erhaltenes Schreiben Bullingers vorausgegangen sein, mit dem dieser Blarers Brief vom 30. März 1548 (Nr. 3173) beantwortet (unten Z. 1f) und zudem einen Bericht über die letzte Badener Tagsatzung übermittelt hatte (unten Z. 8. 12); Letzteres wird
durch Joachim Vadians Brief vom 16. April 1548 (Nr. 3187,1-5) bestätigt. Aufgrund der etwa zweitägigen Reisezeit zwischen Zürich und Konstanz wird Bullingers nicht erhaltener Brief vermutlich in den ersten Apriltagen und das vorliegende Schreiben etwa am 4. oder 5. April 1548, womöglich am selben Tag wie Nr. 3177 verfasst worden sein.


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Der herr gott erhalt unß hie und dört 2 . Amen. Im 3 ist, wie ir schreibend 4 : Es ist angst und not. Stamus inter sacrum et saxum. 5 Der gott, aller herren oberster, zöge 6 das recht usskommen 7 und lasß unß seines willens nitt fälen 8 , damitt wir doch in jhener wellt 9 die seinen blybend, es gang hie 10 , wie es well und mög. Muß es doch bald ain end haben!

Die gesandten 11 werden ir instruction 12 und gemessnen 13 bevelch 14 haben. Werden nichts beschwerlichs 15 on hindersichbringen 16 bewilligen.

Um mittgetailt zeytung 17 sag ich euch grossen danck. Ich wart 18 nunmehr 19 widerum zeytung von Augspurg.

Was des papsts 20 werbung seye, wellt mich berichten, so 21 euch das vertollmetscht Latin zu handen kompt.

Ewer brieff 22 , hoff ich, werde dem Vadiano uff hinacht 23 uberantwurt.

2 hie und dört: im Dies- und Jenseits.
3 Hier: Es.
4 Hiermit ist Bullingers nicht erhaltenes, Anfang April 1548 verfasstes Antwortschreiben auf Blarers Brief vom 30. März 1548 gemeint. Dieser hatte ihm damit von der nach Augsburg einbestellten Konstanzer Gesandtschaft berichtet und eine Abschrift des kaiserlichen Geleitschreibens beigelegt; s. Nr. 3173,45. 54-58. 66-85. -Bullinger fügte seinem Antwortschreiben den Bericht über die Badener Tagsatzung bei, die am 12. März begonnen hatte. Diesen sollte Blarer, wie unten in Z. 12 angegeben, an Joachim Vadian nach St. Gallen weiterleiten.
5 Vgl. Adagio 1, 1, 15 (ASD II/1 128f Nr. 15).
6 zeige.
7 das recht usskommen: wie man gut aus der Bedrängnis herauskommen kann; vgl. SI III 276 s.v. uschommen.
8 lasß unß ... nitt fälen: lass uns nicht im Stich; vgl. SI XV 1276 s.v. Wille.
9 in jhener wellt: im Jenseits; s. FNHDW VIII 361 s.v. jener.
10 im Diesseits.
11 Thomas Blarer, Peter Labhart und Hieronymus Hürus. - Zur Konstanzer Gesandtschaft, die durch das kaiserliche Geleitschreiben vom 17. März 1548 nach Augsburg bestellt wurde, s. Nr. 3173,66-85 mit Anm. 89 und Nr. 3185,74
12 ir instruction: ihre Anweisung; s. FNHDW VII 164 s.v. instruktion.
13 einen genau festgelegten; s. FNHDW VI 689.
14 Auftrag; s. SI I 798.
15 Gemeint sind etwaige kaiserliche, für Konstanz nachteilige Bedingungen.
16 on hindersichbringen: ohne (vorhergehende) Rücksprache mit dem Konstanzer Rat; vgl. SI V 731.
17 Gemeint ist der Bericht über die Badener Tagsatzung; vgl. unten Z. 12 sowie Nr. 3187, 1-5. - Dieser Bericht sollte zuerst von den Konstanzern zur Kenntnis genommen werden, ehe diese ihn dann den St. Galler Behörden zur Einsicht weiterleiteten; s. HBBW XX, Nr. 2891,28-31.
18 erwarte.
19 immer noch.
20 Paul III. - Dessen Nuntius Girolamo Franco hatte auf der bereits genannten Badener Tagsatzung einige lateinische Schreiben von Kardinal Alessandro Farnese und Ennio Fibnardi, Bischof von Veroli, vorgelegt und zudem angekündigt, diese jedem Ort in deutscher Übersetzung zukommen zu lassen; s. EA IV/1d 931 o.
21 wenn; s. SI VII 28.
22 zu Bullingers nicht erhaltenem Brief an Vadian samt dem ebenfalls nicht erhaltenen Schriftstück mit den Nachrichten von der genannten Badener Tagsatzung, deren Empfang Vadian erst am 16. April bestätigte, s. oben Anm. 17 und Nr. 3187,1f.
23 uff hinacht: bis heute Nacht.


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Mitt Parma 24 ist seltzam zu vernemen uss vyl ursachen. Sollt der konig 25 allso ain fuß in Italiam setzen, wurde dem caesar 26 nitt gefallen.

Das Möttelis sach 27 dermassen ussgeschlagen 28 , ist hoch zu verwunderen. Sorgen ubel 29 ubel, es werde ain böß alter nemmen 30 . Dann solich ungerechtigkait mag in die harr 31 gewisslich nit bestohn. Man verdenckt 32 vyl leut 33 ubel, etc. Aber davon nitt ze schriben, etc.

Es ist ainem fürnemen mann 34 ain schreiben von Nürenberg kommen, das noch ettlich Seestett 35 sich treffelich rüstind.

24 Möglicherweise stehen die Nachrichten bezüglich Parma in Zusammenhang mit dem Plan, den Paul III. mit dem französischen Gesandten, Kardinal Charles de Lorraine (Guise), nach der Ermordung des Papstsohns und Herzogs von Parma, Pier Luigi Farnese, fasste. Dieser sah vor, die Städte Piacenza und Parma durch ein Bündnis in französische Obhut zu geben, um hierdurch die Kirche, die italienische Ordnung sowie die Familie des Papstes (Farnese) vor dem Einfluss des Kaisers zu schützen. In diesem Zusammenhang wurde Camillo Pardo Orsini, ein treuer Unterstützer von Heinrich II., Ende 1547 als Statthalter von Parma eingesetzt; s. EA IV/1d 907 1; Wilhelm Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten 1545-1555. Nebst einem Anhang von Aktenstücken aus dem spanischen Staatsarchiv von Simancas, Frankfurt a. M. 1865, S. 162f; DBI LXXIX 627f s.v. Orsini Camillo. 821 s.v. Ottavio Farnese; zur Ermordung von Pier Luigi Farnese s. auch HBBW XX, Nr. 2964,[3] mit Anm. 5. - Zu den diesbezüglich kursierenden Gerüchten s. zuletzt Nr. 3168, Anm. 15.
25 Heinrich II. von Frankreich.
26 Karl V.
27 Zur rechtlichen Untersuchung der despotischen Regierungsweise von Joachim Mötteli vom Rappenstein, Vogtherr zu Pfyn (Kt. Thurgau), s. Nr. 3137, Anm. 42, und zuletzt Nr. 3142,42-45. - Auf der bereits genannten Badener Tagsatzung war Mötteli wegen mutwilliger und gewalttätiger Handlung gegen seine Untertanen in Pfyn zu einer Strafe von 200 Pfund, die Gemeinde Pfyn hingegen zu einer Strafe von 100 Pfund verurteilt
worden, weil sie die gängigen Rechtspraktiken nicht eingehalten hatte. Beide Parteien hatten zudem ihre Gerichtskosten selbst zu tragen. Trotz der Urteilsverkündung sollten die Streitigkeiten der beiden Parteien kein Ende finden und auf der Badener Tagsatzung, die am 12. Juni 1548 beginnen sollte, erneut aufgegriffen werden; s. EA IV/1d 933 bb; 959 aa. -Blarer hatte, wie sein Brief vom 18. Februar nahelegt, bereits vor der Urteilsverkündung aufgrund der Bestechungen, mit denen Mötteli die Rechtsprechung zu dessen Gunsten zu beeinflußen suchte, ein ungerechtes Urteil erwartet; s. Nr. 3142,42-45 mit Anm. 48.
28 ausgegangen ist; s. SI IV 428 s.v. usschlahn.
29 sehr.
30 ain böß alter nemmen: ein böses Ende nehmen; s. Fischer I 161.
31 in die harr: auf die Dauer; s. SI II 1514 s.v. Harr.
32 verdächtigt; s. SI XIII 660.
33 Gemeint sind die von Mötteli bestochenen, nicht näher ermittelbaren Personen; s. oben Anm. 27.
34 Unbekannt.
35 Hansestädte. -Von diesen waren allerdings lediglich Bremen und Magdeburg noch nicht mit dem Kaiser versöhnt. Zu den militärischen Entwicklungen im Norden Deutschlands und zu den Gerüchten um ein 40000 Mann starkes Heer, mit dem sich die Herzöge Barnim IX. von Pommern-Stettin und Herzog Philipp I. von Pommern-Wolgast und die beiden genannten Städte gegen Karl V. angeblich rüsteten, s. Nr. 3139,58-61 mit Anm. 31 und Nr. 3145, Anm. 42; Nr. 3170,12-14 mit Anm. 9.


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Der Moscoviter konig 36 hat leut hieussen 37 , die nemmend prediger, schulmaister, ouch ettlich handtwercksleut an mitt gantz guten conditionen 38 und schickends hmm 39 . Der Bruschius 40 , so 41 schulmaister ze Lyndauw yetz gewesen, hat sich ouch lassen bestellen 42 uff vier jar. Dem gibt man underhaltung 43 sampt seinem gesind und uber dasselbig alle jar druhundert taler. Darnach, so 44 es im gefellig 45 , soll man inn widerum heruß 46 auch kostfrey 47 halten, etc. Der conditionen 48 sind vyl und gut.

Ach, bittend und bettend mitt allen frommen für unser statt! 49 Dann usserhalb gottes bistand sytzend 50 wir doch warlich gantz und gar bloß 51 und stond in mehr dann 52 grosser fahrlichait 53 . Noch ist der herr der allt gott und wirt die seinen nitt verlassen, wann 54 wir unß nun von hertzen zu ime bekarten 55 , das er unß für 56 die seinen erkante. Es ist nichts dann 57 angst und not in aller diser wellt 58 . Der herr der wellt hellff unß bald mitt gnaden uss der wellt.

36 Ivan IV. ("der Schreckliche") hatte sich am 16. Januar 1547 im Alter von 16 Jahren zum Zaren krönen lassen.
37 Gemeint: hier, im (süd)deutschen Raum; vgl. SI I 560 s.v. hieussen. - Unter Ivan IV. wurden zahlreiche deutsche, zumeist evangelische Fachkräfte angeworben, darunter Handwerker, Waffenschmiede und Baumeister. Diese wurden vor allem in Vororten Moskaus angesiedelt; s. Neuendorf Crusius 247, Anm. 1697.
38 (Anstellungs)bedingungen.
39 Gemeint ist: ins Zarenreich.
40 Gaspar Brusch, geb. am 19. August 1518, gest. am 20. November 1557, hatte Ende November/Anfang Dezember 1547 das Amt als Lindauer Schulmeister niedergelegt, das ihm am 24. Juni 1546 anvertraut worden war. Zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes hielt er sich womöglich in Augsburg auf Eine Reise nach Russland ist nicht belegt, das Gerücht hierüber geht jedoch auf Brusch selbst zurück: Wohl Anfang 1548 ließ er eine Flugschrift mit seinen Schediasmata (VD16 B8771) drucken, auf deren Titelblatt er seine Berufung als Schulvorsteher durch den Zaren hervorhob. Es ist unklar, ob er tatsächlich berufen worden ist; s. Beat R. Jenny, Der Historiker-Poet Gaspar Brusch (1518-1557) und seine
Beziehungen zur Schweiz, in: Aus der Werkstatt der Amerbach-Edition, Bd. 2, hg. y. Ueli Dill und Beat R. Jenny, Basel 2000, S 95-97. 147-155. 162-164 (mit Abb. des Titelblatts der Flugschrift auf S. 163).
41 der; s. SI VII 29.
42 anwerben; s. SI XI 184.
43 Unterhaltskosten.
44 wenn.
45 gefällt; Fischer III 153.
46 widerum heruß: darüber hinaus. Gemeint ist: weiterhin nach Ablauf der vier Jahre.
47 Gemeint ist, dass er weiterhin Unterhaltszahlungen erhalten soll; vgl. SI I 1262 s.v. kostfri.
48 (freien) Stellen.
49 Zur Lage der von den kaiserlichen Sanktionen schwer getroffenen Stadt Konstanz s. HBBW XX, Nr. 3092,27-34; Nr. 3110, Anm. 30; Nr. 3161,10-15 und unten Z. 6f mit Anm. 11.
50 Gemeint ist: stehen; vgl. Lexer II 944.
51 hilflos; vgl. SI V 155.
52 als.
53 Gefahr.
54 wenn.
55 bekehrten; s. FNHDW III 1106.
56 ais.
57 außer.
58 Gemeint ist das Diesseits.


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Grutz ewer erbaren, lieben husfrauwen 59 und gesind. [Ohne Unterschrift.]

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Heinricho Bullingero, venerando suo charissimoque in Christo frat[ri.]b Ti [guru