Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2480]

[Ambrosius Blarer
an Bullinger]
[Konstanz],
29. Juni [1546]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 590 (ohne Siegel) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 456-458, Nr. 1300

Blarer ist in Eile, da er Gäste hat und der Bote [...]aufbrechen will; es gibt aber auch nichts Neues. Bullingers Brief (Nr. 2474]hat er erhalten. Was Bullinger über den Kaiser (Karl V.] schreibt, ist wahr und erfordert Wachsamkeit. Herzog Wilhelm [von Bayern]hat dem König [Ferdinand] die Einrichtung eines Musterplatzes verweigert. Es ist also sicher, dass er sich nicht gegen [die Schmalkaldener] stellen wird. Augsburg ist angesichts der drohenden Gefahr verzagt. [Ferdinand]hat Herzog Wilhelm gegenüber behauptet, [Suleiman I.]sei mit 100'000 Soldaten in Stuhlwejßenhurg eingetroffen. [Die Schmalkaldener] schicken eine Gesandtschaft an den Tag [zu Baden vom 5. Juli]. Ihre Truppenrekrutierung geht gut voran. Die Mehrheit der Kriegsknechte will auf der Seite der Protestanten für das Reich und gegen den Kaiser ziehen. Der Kaiser hat aus Regensburg Herolde mit Mandaten abgesandt, die die Wiederherstellung des [Katholizismus] und Abschaffung des [Protestantismus] anordneten. Auf Bitte von [Nicolas de Perrenot, Herr von]Granvelle, [Weigand von Redwitz], Bischof von Bamberg, und Herzog Moritz von Sachsen hat er jedoch die Gesandten wieder zurückbeordert. Alles nur Täuschung! Der mutige Herzog Ulrich [von Württemberg] hat den [kaiserlichen] Musterplatz zu Riedlingen zerstört. Der Kemptener [Fürst]abt [Wolfgang von Grünenstein] durchschaut die Lage und will die Stadt Kempten unterstützen. Er ließ ihr schon Getreide und anderes zuliefern. Bullinger soll tröstend an die Augsburger schreiben und sie auf die Gelegenheit [ihren Glauben zu bekunden] aufmerksam machen. Die Konstanzer weisen Frauen und Kinder derjenigen aus, die dem Kaiser zuziehen, darunter auch [Barbara im Steinhaus], die Frau von Sigmund von [Hohen]landenberg, der Söldner anwirbt. Blarer hofft auf Besserung der Lage, wenn man nicht in faule Verhandlungen gerät. Auch die [Katholiken] werden sich für den Frieden einsetzen, wenn sie den Ernst der Lage erkennen. Bullinger soll knapp anzeigen, ob die Zürcher Pfarrer im Falle eines Feuers oder eines anderen Alarms sich rüsten und versammeln müssen. Die Stände haben [am Reichstag] zu Regensburg ein Gesuch

b In der Vorlage secundum mit gestrichenem m und ohne entsprechende Korrektur des u. —
a Mit Schnittspuren.
14 Jakob Ruf.
15 Näheres dazu in Hallers Antwort vom 12. Juli; s. Nr. 2498,32-38.
16 Si quid meticulosum, ne scribas: Wenn es etwas Beängstigendes gibt, [dann] schreibe nicht.
1 Der Brief reiht sich nahtlos in die Korrespondenz zwischen Blarer und Bullinger im Jahr 1546 ein.
2 Das Jahr ergibt sich aus dem Inhalt.


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um Bestrafung der Mörder [von Juan Diaz, Alfonso Diaz und Juan Prieto]eingereicht. Der Kaiser erwiderte, dass er angesichts der Tatsache, dass die Memminger [1531 Ludwig Vogelmann] trotz seines Geleitbriefs hingerichtet haben, die Aufregung nicht verstehe. [Karl V. ]hat noch zwei zusätzliche Fähnlein nach Regensburg verlegen lassen. Die Gesandten [der Protestanten in Regensburg]fühlen sich dermaßen unfrei, dass sie in ihren Briefen nichts mitteilen, vor dessen Bekanntmachung sie Angst haben müssten. Blarer muss aufhören, da der Bote aufbrechen will. Gruße. Am Abend treffen sich der Pfalzgraf [Friedrich) und Herzog Ulrich.

Yn hochster yl. Der bott 3 will uff sin. Hab ich äben ehrlich gest 4 . Aber es ist nichts news by unß. Ewer schriben 5 ist mir worden. Darinn spür ich ewer trüw flyß und ernst. Der herr seye ewer lon.

Was ir vom kaiser 6 schribt, 7 ist war. Es bedarff uffsechens 8

Hertzog Wilhalm 9 hat dem könig 10 ain musterplatz abgeschlagen und ist gewisß, das es sin ernst ist, das er nitt wider unß sein will. 11 Davon ain ander mal.

Augspurg ist nitt alls verzagt, 12 nach dem man mir schreibt, 13 dann das die fahr 14 um sy der gelegenhait und musterplatz 15 halber grösser sein will. Der könig hat hertzog Wilhalmen von Payer fürgeben, der Turck 16 sey 100,000 starck zu Kriechische Wissenburg 17 ankommen. 18 Was daran, ist bald zu erfaren.

Es wirt sonst uff dem tag by den ewern 19 durch unsere gesandten gehandelt und angebracht, wie ir vernemen werdt. 20

Es ist mengklich 21 willig, uff unser seyten ze ziechen. Und habend die knecht gmainklich 22 das gschray gemacht, das sy sagend: "Ich züch dem kaiser;" die andern sagend: "Ich zeuch dem reych," welche unß ziechend, das ir aige 23 sag den kaiser und das reych zu finden macht, und nennt unser syten das reych, diewils der mertail ist.

3 Unbekannt. Wohl der Bote, der auch den Brief des Konstanzer Rats an den Zürcher Rat vom 28. Juni (s. dazu Nr. 2466, Anm. 10) nach Zürich brachte. Der Bote ist in Zürich StA, Seckelamt Rechnungen F III 32, Rechnungsbuch 1545/46, S. 108 der Ausgabenabteilung, nachgewiesen.
4 ehrlich gest: vornehme Gäste.
5 Nr. 2474 vom 26. Juni. 6 Karl V.
7 Vgl. Nr. 2469.11-13.
8 Wachsamkeit.
9 Wilhelm IV. von Bayern.
10 Ferdinand I.
11 Siehe aber Nr. 2467, Anm. 4.
12 Zur in Augsburg herrschenden Angst s. Nr. 2462,25f; Nr. 2467,5f. 17f; Nr. 2471,45f; Nr. 2477.
13 Nicht in Blarer BW.
14 Gefahr.
15 Zu den Musterungen im Bistum Augsburg s. Nr. 2464.18f und Anm. 20.
16 Suleiman I.
17 Székesfehérvár (Stuhlweißenburg).
18 Vgl. dazu PC IV/1 230, Nr. 202. — Auch am Reichstag zu Regensburg wurde die Türkengefahr als möglicher Grund für die kaiserliche Rüstung genannt; s. RTA-JR XVII 334, Nr. 54. Vgl. aber PC IV/1 254, Nr. 232; und Nr. 2481 und Anm. 21.
19 Die künftige Badener Tagsatzung; s. Nr. 2474, Anm. 6.
20 Zur Gesandtschaft der Schmalkaldener s. Nr. 2466, Anm. 10.
21 jedermann.
22 gewöhnlich.
23 eigene; s. Fischer I 238. 1570.
24 Aussage.


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Der kaiser hat ettlich heroldt ussgeschickt mitt mandaten von Regenspurg 25 , das mengklich die allt religion widerum annemen und die newen abstellen, oder alle ungnad erwarten sölle, etc. Daruff ist glych der von Gravell 26 , ouch bischoff von Bamberg 27 sampt hertzog Moritzen von Sachsen zugefaren. Habend auff das demütigest begert, kai. mt. well nitt gächen 28 , etc. Daruff er die heroldt widerum abgefordert 29 . 30 Aber es sind alls angemacht butzen 31 ; gott well die unsern verwaren, das sy mitt hinderlisten nitt betrogen und in jamer gefürt werden!

Hertzog Ulrich 32 ist sehr handtlich 33 . Der musterplatz zu Rüdlingen 24 ist zerstört. 35 Der abbt von Kempten 36 will lyb und gut zu denen von Kempten setzen. Hat inen vyl korn und anders in die statt geben, dann er verstat die sach, wa es hinuß werd 37 .

Schreibt gen Augspurg trostlich, und das sy die schantz 38 nitt ubersechind. Will ich ouch thain 39 , doch das man sich vor allem zu gott bekere, on des gnad und gunst das ander alles vergeblich sin wirt. Bittend ouch mit truwen fur [uns]b .

|| 591 Meine herren schickend wyb und kind denen nach, die yetzund dem kaiser zuziechend. Under denen dann yetz ouch die reych frauw von Hof 40 aussgeboten 41 ist. Dann ir mann, Sigmund von Landenberg, ouch dem kaiser knecht zufürt. 42

b Textverlust durch Papierverlust am unteren rechten Rand.
25 Vom Reichstag.
26 Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle.
27 Fürstbischof Weigand von Redwitz.
28 sich beeilen.
29 zurückbeordert.
30 Vgl. dazu das Mandat an die Stadt Ravensburg vom 17. Juni zur Rücknahme ihrer reformatorischen Neuerungen (RTA-JR XVII 458-460, Nr. 81, bes. Anm. 1), das vom Kaiser wieder zurückgenommen wurde.
31 angemacht butzen: vorgetäuschte Lügen.
32 Herzog Ulrich von Württemberg.
33 entschlossen, mutig.
34 Der kaiserliche Musterplatz Riedlingen bei Donauwörth; s. RTA-JR XVII 335, Nr. 54; 434, Nr. 70.
35 Ein solcher Angriff war wohl geplant, erfolgte aber nicht; s. PC IV/1 212, Nr. 182, Anm. 7; 261, Nr. 240.
36 Wolfgang von Grünenstein, 1535 bis 1557 Fürstabt des Fürststifts Kempten. Mit Instruktion vom 26. Juni befahl der Kaiser diesem, bei den schwäbischen Prälaten die Bereitstellung des Gemeinen Pfennigs und Proviant für die kaiserliehen
Truppen zu erwirken; s. RTA-JR XVII 449, Nr. 78, Anm. 1.
37 wa es hinuß werd: worauf es hinausläuft.
38 Gelegenheit (nämlich ihren Glauben zu bekunden).
39 tun.
40 Barbara im Steinhaus, Witwe des Georg von Hof (gest. 1525); s. Konstanzer Häuserbuch. Festschrift zur Jahrhundertfeier der Vereinigung der Stadt Konstanz mit dem Hause Baden, Bd. 2/1: Geschichtliche Ortsbeschreibung. Bischofsburg und Niederburg, bearb. von Konrad Beyerle und Anton Maurer, Heidelberg 1908, S. 504.
41 aus der Stadt verwiesen.
42 Sigmund von Hohenlandenberg war 1544 in die Dienste des Kaisers getreten; s. Wolfang Dobras, Bürger als Krieger. Zur Reisläuferproblematik in der Reichsstadt Konstanz während der Reformation 1519-1548, in: Vermischtes zur neueren Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte des Bodenseeraums. Horst Rabe zum Sechzigsten, hg. v. Frank Göttmann, Konstanz 1990, S. 250f.


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Ich hoff zu gott, es werde bald besser, wann man nun nitt in faul underhandlungen geriethe. Dann die bischoff und pfaffischen, so sy den ernst sechend, werden sy selb rigel fürstossen 43 , das frid gemacht werd. Bescheche der gütig und best will gottes!

Lasst mich mitt ainem wort wissen, wie es mitt euch predigern zu Zürich gehalten werde, so man führs 44 oder anderer unru halb lerman 45 schlacht 46 oder sturm leüt, ob ir 47 ouch in wehr und harnisch auffsein und den plätzen zulouffen müssend oder nitt. Schreibt nun ja oder nain by disem botten. Vergessts nitt c !

Die stend habend zu Regenspurg 48 by kai. mt. angehalten des begangnen morts halber, 49 etc. Hat ir mt. geantwurt, sy seye noch nitt deliberiert, aber was es sein solle, ob glych dise 50 ainen 51 sölichen umbracht, diewyl doch die von Meiningen verruckter jar ainen gericht haben, der kaiserlich majestät gelait by im in büsen getragen habe 52 . Ach der ellenden, unfurstlichen antwurt! Er hat zway fennlin knecht noch zu den vorigen gen Regenspurg in die statt genommen. 53 Und sind die gesandten allso verstrickt 54 , das sy nichts, darab sy ain scheuchen 55 möchten haben, so es uskem, 56 den iren schreiben dörffen.

Ich muß abbrechen. Der bott ist uff. Bitten für unß und grüsst all gut herren und freund. Die empieten euch ouch alles guts. Datum in yl, zu 12 urn, 29. iunii.

Uff hinacht 57 komen der pfaltzgrauff 58 und hertzog Ulrichen zusamen. 59

[Ohne Unterschrift.]

[Ohne Adresse.]

c Vergessts nitt am Rande mit Zeigehändchen nachgetragen.
43 rigel fürstossen: einen Riegel vorschieben, d.h. hier: den Krieg verhindern.
44 Feuers.
45 Alarm; s. Fischer IV 996.
46 schlägt.
47 Gemeint sind die Pfarrer von Zürich. — Zu Bullingers Antwort s. Nr. 2483,17-28.
48 Am Reichstag zu Regensburg.
49 Die Ermordung des Juan Diaz; s. HBBW XVI Reg. — Das Ansuchen der evangelischen Stände um Bestrafung von Diaz' Mördern erfolgte am 2. Juni 1546. Zu diesem und zu den ausweichenden Antworten des Kaisers (am 2. Juni) und König Ferdinands I. (am 3. Juni) s. RTA-JR XVII 493-498, Nr. 98-100.
50 Alfonso Diaz und Juan Prieto.
51 Juan Diaz.
52 Der frühere Memminger Stadtschreiber Ludwig Vogelmann (geb. 1478) war 1531 trotz kaiserlichen Geleites wegen Landesverrats hingerichtet worden; s. Philipp Jakob Karrer, Memminger Kronik, oder Topographie und Geschichte der kurpfalzbayerschen Stadt Memmingen. Memmingen 1805. S. 192-195.
53 So auch in NBD 1/9 97, Nr. 33.
54 gebunden.
55 Angst.
56 Durch Abfangen ihrer Briefe.
57 Uff hinacht: Am heutigen Abend.
58 Friedrich II. von der Pfalz.
58 Zu diesem Treffen in Maulbronn am 30. Juni s. Hasenclever, Kurpfalz 80f; PC IV/1 192, Nr. 168.