Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2483]

[Bullinger
an Ambrosius Blarer]
Zürich,
1. Juli [1546]

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 153 (ohne Siegel a )

Druck: Blarer BW II 458f, Nr. 1301

Bullinger dankt für Blarers Brief [Nr. 2480]. Die Augsburger sollen weiterhin bestärkt werden. Sich gegen [Kaiser Karl V. zu entscheiden], hat ihnen bestimmt viel abverlangt. Ihr vorsichtiges Vorgehen ist besser als zu große Vermessenheit. Wenn König [Ferdinand] nicht lügt und [Suleiman I.] wirklich angreift, könnte sich Ähnliches ereignen wie früher, als die Philister [König] Saul angriffen, was David zugutekam. Den betrügerischen Brüdern [Ferdinand und Karl V.]kann man aber nicht glauben. Viele rechtschaffene Bekannte würden [im Kriegsfall für die Schmalkaldener] kämpfen. Und angeblich versammeln sich schon viele eidgenössische [Söldner] in Lindau. Gott möge Herzog Ulrich [von Württemberg]beistehen! Wie hat dieser den Musterplatz von Riedlingen zerstört? Es ist richtig, dass die Familien der Konstanzer, die dem [Kaiser] zulaufen, ausgewiesen werden. Alle Prediger und Kirchendiener in Zürich haben Zunft- und Burgrecht. Wenn es zu einem Einsatz kommt, versammeln sie sich gerüstet wie andere Bürger. Einige von ihnen nehmen an den Zunftversammlungen teil und haben Stimmrecht wie die anderen. Der Rat hat Bullinger und Leo [Jud] allerdings geboten, zu Hause zu bleiben, falls es zu einer Einberufung käme. Doch Bullinger besitzt immer noch sein Burg- und Zunftrecht. Wenn er sich aber bei einer Einberufung stellte, wurde er jeweils zurückgeschickt. Im Kriegsfall würde er einen Stellvertreter für sich bieten. Ihm war schon vorher klar, dass [Alfonso Diaz und Juan Prieto], die Mörder [von Juan Diaz], nicht bestraft werden würden, denn was stellt ein Einzelner im Vergleich zu den 100000 dar, die der Kaiser nun ermorden will? Wenn er den Memmingern [die Hinrichtung Ludwig Vogelmanns] vorwirft, so bezeugt dies sein gutes Gedächtnis! Sein [Verhalten am Reichstag] zu Regensburg lässt seine Pläne gegenüber Konstanz und den anderen Reichsstädten erkennen. Möge der Tag zu Baden erfolgreich sein! Zürich und das ganze Volk sind [den Schmalkaldenern] geneigt. Blarer möge weiterhin fleißig schreiben. Aus Basel [Nr. 2481]wird berichtet, dass die Truppen, die für Frankreich gegen England gekämpft haben, nun dem Landgrafen [Philipp von Hessen]zulaufen. Straßburg hat diesem ferner vier Fähnlein entsandt. Grüße. Der Kaiser hat mit Lug und Trug Frankreich gequält, Ungarn verheert, Mailand erobert und Geldern unterworfen. Man muss sich vor ihm hüten, denn er ist gefährlich!

a Mit Schnittspuren und Unterstreichungen.
19 1Thess 5, 17.
1 Das Jahr ergibt sich aus dem Inhalt.


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Gnad und frid. Uwer früntlich schryben 2 hab ich sins ynhallts verstanden. Sagen gott danck, das er die sachen denocht wol anschickt. Trösten und ernstlich anhallten zu Augspurg an vertruwten wirt sin frucht bringen. 3 Gloub, der erste rung 4 habe inen vil angewunnen 5 . Ist ouch weger 6 geförcht 7 dann ze vil vermessen sin.

Wenn der könig 8 nitt lügt 9 und der Türck 10 anzücht 11 , so sind es die Philister wider Saul für den David. 12 Es ist aber gantz nut uffrächts by den beiden brüdern 13 . Man kan inen keiner warheit glouben, diewyl sy immerdar mitt valsch und betrug umbgand.

Es sind vil gar redlich gesellen 14 , die willig werend zu louffen, wenn es nun angienge 15 . Doch kumpt die red, es louffe uß den eydgnossen vil volcks uff Lindow zu. 16

Gott verlyhe hertzog Ulrychen 17 gnad und glück. Wie hat er aber den musterplatz zu Riedlingen zerstört? Hatt er angryffen, oder wie ists? 18

Billich ist es, das allen denen wyb und kind nachgeschickt werdent, die wider das vatterland ziehend. 19

Alle prediger und kylchendiener habend zunfft und burgracht. 20 Was dann ynfallt 21 , thund und gebruchend sy sich wie andere burger mitt harnisch, weer 22 , mit dem zulouff und allem. Es werdent ouch iren ettlich uff den zünfften verordnet, und in den zünfften sind sy in den gepotten 23 , und gilt ir radt, stimm und hand wie eines andern burgers. Man ersticht sy ouch umb harnisch und gweer wie andere burger. Alein habend min herren vor langest

2 Nr. 2480 vom 29. Juni.
3 Vgl. Blarers Empfehlung in Nr. 2480,32— 34. —Bullinger hatte bereits am 29. Juni Johannes Haller Trost und Mut zugesprochen (Nr. 2479) und tat dies erneut am 1. Juli; s. Nr. 2498,48. Auch Georg Frölich (und vielleicht sogar dem Augsburger Rat) schrieb er am gleichen Tag; s. Nr. 2495,1f. Wir wissen ferner, dass die für Augsburg bestimmten Schreiben vom 1. Juli dem vorliegenden Brief beigelegt waren; s. Nr. 2485,2f.
4 Kampfrunde (gemeint ist wohl der Kampf, den Augsburger Rat dazu zu bringen, sich gegen den Kaiser zu entscheiden).
5 inen vil angewunnen: sie viel gekostet; s. Fischer I 210.
6 besser, angemessener.
7 furchtsam.
8 Ferdinand I.
9 Anspielung auf Nr. 2480,10-12.
10 Suleiman I.
11 angreift
12 Anspielung auf 1Sam 31. Bei diesem Angriff wurde Saul, der Feind Davids, umgebracht.
13 Kaiser Karl V. und Ferdinand I.
14 redlich gesellen: rechtschaffene Genossen, Freunde.
15 Zu verstehen: wenn es jetzt zum Krieg kommen würde.
16 Vgl. dazu EA IV/1d 632 g.
17 Herzog Ulrich von Württemberg.
18 In Bezug auf Blarers Bericht in Nr. 2480,28f.
19 Bullinger kommentiert hier Blarers Mitteilung über den Umgang Konstanz' mit denjenigen Bürgern, die dem Kaiser zuziehen; s. Nr. 2480,36-39.
20 Hier folgt eine ausführliche Antwort auf Blarers Frage vom 29. Juni; s. Nr. 2480,44-48.
21 Was dann ynfallt: wenn es zu einem Einsatz kommt.
22 Waffen.
23 Zunftversammlungen; s. Fischer III 131f.


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mitt M. Löwen seligen 24 und mir geredt, was 25 gelöuffs werde, söllend wir daheim blyben und nitt uußlouffen. Dann 26 ich ettl[icjh b maal ouch geloffen, schlug 27 man mir aber ab. Deß hallt ich mich noch. Hab aber min zunfft und burgrächt. Gan in die gepott wie ein anderer zünffter, etc. Und so es an mich käm, das man mich inn krieg uußnemm und man mich nitt ziehen ließ, wurde ich doch einen an min statt stellen, der mich verträt.

Ich wust vorhin wol das den parricidis 28 gar nut || 153v. beschach. Was solt man inen thun, diewyl der keysser nitt nun einen, sunder hunderttusend ermürden will? Gott richte! Kan er aber das 29 denen von Memmingen fürziehen 30 , so gedenckend, wie ein güte dächtnus er hab! Meinend ir nitt, das mee hinder dem stäcke wider üch und ander rychstett, so lernend by dem, das er mitt Regenspurg brucht, weß ir üch zu imm versähen söllend. 31

Gott schick den tag zu Baden 32 zu gutem! Min herren sind gantz yferig, und das gantze volck ist üch geneigt und willig.

Lieber, schribend fürohin 33 flyssig. Wil ich ouch thun. Die red kumpt heruff von Basel, 34 aller der frantzösisch fußzüg wider Engelland gelägen 35 zühe dem lantgraffen 36 zu trostlich. Weiß doch kein eigenschafft 37 . Straßburg hat imm gesandt 4 fendli knecht. 38

Datum Zürych, ze 5 ur nach mittag 1. iulii. Gott bewar üch! Grüssend mir gut herren und fründ.

Ich sich 39 und merck, womitt der keyser umgadt. Mitt glatten 40 worten und verräterischen hispanischen pratticken hat er Franckrych geplagt 41 , Ungarn verhergt 42 , Meyland eroberet, 43 Gellern undeworffen 44 , vil zugesagt, hin

b Text beschädigt.
24 Leo Jud, gest. am 19. Juni 1542.
25 was immer. 26 Als.
27 Bullinger war seit dem 18. Januar 1534 Mitglied der Zunft zur Meisen; s. HBD 23,19.
28 Alfonso Diaz und Juan Prieto, die Mörder von Juan Diaz. — Bezug auf Nr. 2480,49-54.
29 Die Hinrichtung Ludwig Vogelmanns; s. Nr. 2480, Anm. 52.
30 vorhalten. 31 weß ir üch zu imm versähen söllend: was ihr von ihm zu erwarten habt (gemeint ist die am Reichstag zu Regensburg sich offenbarende Kriegsabsicht des Kaisers).
32 Der auf den 5. Juli 1546 angesetzte Tag zu Baden.
33 weiterhin.
34 Vgl. Nr. 2481,5-9.
35 Mit dem Friedensabkommen zwischen England und Frankreich vom 7. Juni 1546 (s. Nr. 2470, Anm. 15) waren Tuppen
für den Landgrafen freigestellt; s. Nr. 2481 und Anm. 10.
36 Philipp von Hessen. 37 kein eigenschafft: keine Einzelheiten.
38 Vgl. Nr. 2481,3f. 39 sehe.
40 täuschenden.
41 Der seit der Niederlage König Franz' I. von Frankreich gegen Karl V. bei der Kaiserwahl 1519 bestehende Konflikt, der erst mit dem Frieden von Crépy am 18./19. September 1544 einigermaßen beigelegt wurde; s. HBBW XIV 419, Anm. 2.
42 verheert. — Zu den bis 1538 andauernden Auseinandersetzungen zwischen Ferdinand und Johannes I. Zápolya und dem Konflikt um Zapolyas Nachfolge s. HBBW IV 116, Anm. 10; X 175, Anm. 5. Zu den Kämpfen gegen die Türken in Ungarn, bes. seit 1538, s. HBBW VIII 196, Anm. 14; XI Nr. 1498 und Reg.; XII—XIV Reg.; Hammer-Purgstall III.


Briefe_Vol_17-140arpa

und har gute wort gäben: Und ist alles betrug und valsch gewäsen. Hütend üch! Gloubend nitt! Er ist gschwind 45 . Gott mitt üch.

Datum ut supra.

Der uwer alle zyt.

[Ohne Adresse.]c46