Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2228]

Johannes Gast an
Bullinger
Basel,
27. [August 1545]

Autograph: Zürich StA, E II 366, 213 (Siegelspur) Ungedruckt

Der Wittenberger Bote [...] überbrachte [Johannes] Oporin die Schrift [,,De admirabili Dei consilio ... libri tres"] von [Johannes] Rivius. Von einer Antwort Luthers gegen das [,,Warhaffte Bekanntnuß" der Zürcher] wusste er nichts; doch berichtete er vom Verbot des Buches [im ernestinischen Sachsen] und durch Herzog Moritz im [albertinischen Sachsen] sowie von Luthers Abgang aus Wittenberg und dessen Streit mit dem päpstlich gesinnten Hieronymus Schürpf Auch [Johannes Bugenhagen] und viele andere sollen Luthers Beispiel gefolgt sein, um diesen zur Rückkehr zu bewegen. Luther hält sich beim Bischof von Merseburg [Fürst Georg von Anhalt]auf Myconius ist wieder gesund. Auf dem Reichstag zu Worms haben die Nürnberger und die Augsburger Kaiser [Karl V. ] mit ihren Streitigkeiten wegen des Warenhandels beinahe zu Tode erschöpft. Ein Kaufmann [...] in Basel behauptet andauernd, in Nürnberg sei die [Zelebration der] Messe [=Abendmahl]auf Deutsch ganz abgeschafft worden. Es ist lobenswert, dass der Rat von [Zürich] ein Gastmahl für die Bürger ausgerichtet hat. Meganders Tod wird den Anhängern [Simon]Sulzers willkommen sein. Den Studenten [Johannes Schmid aus Bergheim], der [Bullingers] Brief [nicht erhalten] überbrachte, hat Gast nicht angetroffen, weil er gerade einen kranken Kollegen [...] in der [Basler]Landschaft besuchte. Gast dankt für Bullingers großzügige [Buchgeschenke]. Es ist seltsam, dass der

d Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
63 In der "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio" bzw. das "Warhaffte Bekanntnuß" (s. oben Nr. 2061, Anm. 9). —Vgl. auch oben Nr. 2223, 30-40; unten 2231, 30-46.
64 Ein solcher Brief ist nicht in Blarer BW zu finden. In Gwalthers Brief vom 28. August 1545 (Blarer BW 11383, Nr. 1209) erfährt man, dass Gwalther zuvor Briefe und
Päckchen über Blarer nach Augsburg weiterleiten ließ.
1 Monat und Jahr ergeben sich aus der Erwähnung der Streitigkeiten zwischen Nürnbergern und Augsburgern im Rahmen des Wormser Reichstags (Z. 19-21), aus der Erwähnung von Meganders Tod (17. August 1545) und des in Zürich am 23. August veranstalteten öffentlichen Festessens (Z. 26-28).


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dritte Band [der Gesamtausgabe von Zwinglis Werken]unvollständig erschienen ist. Einige Zürcher Kirchendiener werfen den [Basler] Kirchendienern vor, dass sie beständig vom französischen Gesandten [Antoine Morelet du Museau] zum Essen empfangen würden. Das stimmt ganz und gar nicht. Zwar hat sich [Sebastian]Lepusculus diesem einmal aufgedrängt. Gast hat mit [solchen Gesandten] aber nichts zu tun, auch wenn [Lepusculus]öfters mit [Morelet du Museau] verkehrte, als dieser als Flüchtling [in Basel] weilte. Gruße an Theodor [Bibliander], [Konrad] Pellikan, [Johannes] Fries und [Rudolf] Gwalther.

S. in domino. Tabellio Vittenbergensis 2 iis diebus apud nos fuit, Oporino librum a Rivio 3 adferens, quem diligenter de omnibus rebus, que Witebergae aguntur, interrogavi. Nihil omnino de responsione Lutheri 4 contra libellum vestrum 5 potui ab illo venari, et credo Lutherum nihil scripsisse nec etiam velle scribere. Sed hoc dixit: Libellus Tigurinorum in tota nostra ditione prohibitus. 6 Mulcta est amissio omnium bonorum. Multi cupiunt legere, sed non prostat. Idem fecit Moritius dux a in sua ditione. 7 Lutherani timent veritatis splendorem. Formidant nescio quid. Dixit praeterea Lutherum pulverem excussisse e calciamentis suis 8 et ecclesiam Witenbergensem rehquisse, eo quod poenitentiam nullam facere velint. Vitia enim apud illos inundant, et nescio quid contentionis sit inter Lutherum et d. Hieronymum

a dux über der Zeile nachgetragen.
2 Unbekannt. Wohl derselbe wie schon im Februar 1545 (s. oben Nr. 2088, 2f. 7f; 2089) und im Jahr zuvor (s. HBBW XIV 300, 22).
3 Johannes Rivius (Rivius von Attendorn; Atthendoriensis), geb. 1. August 1500 in Attendorn (Kr. Olpe, Nordrhein-Westfalen), gest. an der Pest am 1. Januar 1553 in der Nähe von Meißen (Sachsen), Theologe, Pädagoge, Humanist. August 1516 Immatrikulation in Köln unter dem Namen Ioh. Cristiani de Attendar, wo er mit Bullinger Schüler von Arnold von Wesel, Johann Matthäus Phrissemius und Johannes Caesarius war. 1522 bis 1523 Lehrer in Köln. Ab 1524 Schultätigkeit in Zwickau, wo er 1524 Anna Beerenwald heiratete. Ab 1527 (oder 1531?) Rektor in Annaberg und 1535 in Marienberg (beide Lb. Erzgebirgskreis, Sachsen). 1536 Rektor der Stadtschule Schneeberg (Lb. Erzgebirgskreis). 1537 Rektor in Freiberg (Sachsen) und Präzeptor des jungen Herzogs August I. von Sachsen (1526-1586). 1540 mit diesem an der Universität Leipzig. 1542 in der Verwaltung am Dresdener Hof. Im Ja-
nuar 1544 Inspektor der Fürstenschulen in Sachsen. 1545 Mitglied des Meißner Konsistoriums. Herausgeber von Werken antiker Autoren; Verfasser zahlreicher theologischer und pädagogischer Schriften und Lehrbücher. —Bei dem überbrachten Werk handelt es sich um: Johannes Rivius, De admirabili Dei consilio in celando mysterio redemptionis humanae libri tres, Basel, Johannes Oporin, 1545 (VD 16 R 2592). — Lit.: Köln, Matrikel II 768, Nr. 34; Cajetan August Jahn, Versuch einer Lebensbeschreibung des Johann Rivius von Attendorn, Bayreuth 1792; ADB XXVIII 709-713; RE XVII 48-50.
4 Siehe dazu zuletzt oben Nr. 2222, 19 und Anm. 15.
5 Das "Warhaffte Bekanntnuß" der Zürcher bzw. dessen lateinische Fassung; s. oben Nr. 2061, Anm. 9.
6 Siehe oben Nr. 2138, Anm. 7.
7 Herzog Moritz von Sachsen hatte dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen am 2. Mai 1545 seinen Entschluss mitgeteilt, die Schrift der Zürcher gleichfalls zu verbieten; s. Moritz von Sachsen PK II/I 232f, Nr. 691.
8 Vgl. Mt 10, 14par.; Apg 13,51.


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Schirpffium 9 , qui omnino papisticus est et sanctorum festa adhuc celebrat in suis aedibus cum tota familia. Subsecutus est Pomeranus 10 , et multi alii sequuntur Lutherum, non ut illi adhaereant, sed ut persuadeant, quo revertatur ach omnino de illis 11 non desperet. Agit apud episcopum Meresburgensem. 12 Hoc exemplo ostendere vult se verum esse apostolum Christi et illius yestigia sequi conatur.

Myconius pristine sanitati iterum restitutus. 13

In comitiis Wormatiensibus 14 Norembergenses et Augustam contentionem de mercimoniis habuere coram caesare acerbissimam, 15 et caesarem suis dissidiis fere enecarunt; sic etiam didicit mercatorum imposturas. De concordia inter ecclesiasticos componenda fere nihil est actum. Dominus nostri misereatur! Corruptibilia querimus et aeterna interim amittimus! Noremberge aiunt Germanicam missam prorsus esse abolitam; quod tamen vix credo, licet mercator quidam 16 apud nos constanter affirmant.

b ac über der Zeile nachgetragen.
9 Hieronymus Schürpf (Schurff), geb. 12. April 1481 in St. Gallen, gest. 6. Juni 1554 in Frankfurt a. d. Oder. Er besuchte wahrscheinlich die Lateinschule St. Gallen, wo sein Vater Arzt und Schulmeister war. 1494 Immatrikulation in Freiburg i. Br., bald darauf in Basel (1498 Magister artium), 1501 in Tübingen, 1502 in Wittenberg (im selben Jahr Dr. iur.). 1504 Rektor, 1507 Ordinarius iuris civilis in Codice und kurfürstlich-sächsischer Rat in Wittenberg; später Mitglied des sächsischen Oberhofgerichts in Altenburg und Leipzig. Um 1512 Heirat mit Susanna [...] (gest. 1552). 1521 Rechtsbeistand Luthers auf dem Reichstag zu Worms. 1536 erster Ordinarius für Pandekten. 1547 Ordinarius in Frankfurt a. d. Oder. Schürpf pflegte regen Kontakt mit Melanchthon, der die Verse auf Schürpfs Grabstein und die Gedächtnisrede verfasste. Er gehörte zu den berühmtesten Konsulenten seiner Zeit. Seit 1531 Differenzen mit Luther über den Wert des kanonischen Rechts, sodass Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen sich einschaltete. —Lit.: Freiburg, Matrikel Ill 117, Nr. 64; Basel, Matrikel I 231, Nr.6; Tübingen, Matrikel 1133, Nr. 1; Wittenberg, Matrikel Il; WA IL 294-307; HBLS VI 250; Theodor Muther, D. Hieronymus Schürpf, in: ders., Aus dem Universitäts
und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation. Vorträge, Erlangen 1866, S. 178-229; Wiebke Schaich-Klose, D. Hieronymus Schürpf. Leben und Werk des Wittenberger Reformationsjuristen 148 1— 1554, Trogen 1967; Conradin Bonorand, Personenkommentar III zum Vadianischen Briefwerk, SL Gallen-1985. — Vadian-Studien 13, S. 186f; Rolf Steding, Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther, in: lus commune 20, 1993, 186-192.
10 Johannes Bugenhagen.
11 Die Wittenberger.
12 In Merseburg (Lkr. Saalekreis, Sachsen-Anhalt) hatte Luther am 2. August 1545 den Fürsten Georg III. von Anhalt zum geistlichen Koadjutor im Bistum Merseburg ordiniert; s. WA XLVIII 228f; MBW-Reg IV 256f, Nr. 3983. Am Abend des 17. August befand er sich wieder in Wittenberg; s. WA-BW XI 168, Anm. 1. — Zu Luthers Reise s. ferner: Georg Buchwald, Lutherana. Notizen aus Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs zu Weimar, in: ARG 25, 1928, 23f; Otto Cleinen, Eine unbekannte Spottschrift auf Luther und Melanchthon von 1545, in: Theologische Studien und Kritiken 103, 1931, 119f.
13 Vgl. oben Nr. 2214, 24f.
14 Auf dem Reichstag zu Worms.
15 Vgl. oben Nr. 2219, 8f.


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Quod autem senatus vester epulum exhibuerit civibus, 17 vehementer laudo; coalescunt sic animi et alacriores redduntur ad quaevis obeunda. Megandri mors 18 Sulceranis grata erit, licet vobis tristissima sit.

Studiosum 19 illum, qui literas 20 attulit, non vidi. In agro enim nostro tum temporis eram apud fratrem diutino morbo iaborantem 21 , et reversus nusquam apparuit homo iste, quem, si domi fuissem, doctis, quibus cum mihi est ||213v. familiaritas, commendassem.

Liberalem praeterea animum tuum erga Gastium si superare non possum, tamen annitar, quantum licet, ne ingratus inveniar erga beneficia 22 exhibita. Mirum autem, quod tomus tertius imperfectus 23 sit exhibitus studi[o]sis c .

Hoc praeterire non possum: Quidam 24 Tigurinorum ecclesiae nostri ministro[s] accusant, quasi perpetuo excipiantur a Gallico legato 25 convivio. Dicam, quod res est: Nullus ex ministris unquam illum allocutus est; taceo, quod 26 convivio exce[p]tus sit. Lepusculus 27 se intrusit 28 semel; nescio, an paupertas 29 in causa fuit an quicquam aliud. Nihil mihi rei est cum illis hominibus, etsi, quum exul apud nos haereret, 30 saepius hospes illius 31 fuerit. Bene novi mores civium n[o]strorum d , qui nihil aliud cuperent et a dus efflagitarent quam nostram conversationem cum Gallicis, etc.

c Hier und unten Text teilweise im engen Einband verdeckt.
d Ergänzt aus Johann Jakob Simlers Abschrift (Zürich ZB, Ms S 58, 1).
16 Unbekannt.
17 Am 23. August 1545. —Pellikan, Chronikon 171, berichtet darüber: "Convivium generale habitum pro bove lucrato in Curia 500 et amplius hominum utriusque sexus, quale non prius visum, 23. die Augusti." — Siehe ferner Zürich StA, Seckelamt Rechnungen F III 32, Rechnungsbuch 1545/46, f. 77f.
18 Kaspar Megander war am 17. August 1545 verstorben; s. oben Nr. 2226, 10-12.
19 Wohl Johannes Schmid aus Bergheim, der damals auf dem Weg nach Marburg war und durch seine elsässische Heimat reiste. Am 2. September 1545 ist er in Reichenweier nachgewiesen; s. Rhenanus BW 537, Nr. 398; unten Nr. 2250.
20 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers an Gast.
21 Unbekannt.
22 Gast bezieht sich auf die von ihm gewünschten Bände der Gesamtausgabe von Zwinglis Werken (s. oben Nr. 2214, 16-23), die Bullinger Gast offensichtlich schenkte.
23 Im Inhaltsverzeichnis (f. Ç6r.) von Band I der Gesamtausgabe von Zwinglis Werken waren die Kommentare Zwinglis zu den Büchern Prediger (Kohelet) und Hiob für Band III angekündigt, wurden dann aber nicht gedruckt; s. oben Nr. 2214, 20f und Anm. 12f.
24 Unbekannt.
25 Antoine Morelet du Museau, Seigneur de la Marche-Ferrière. Im Jahr 1545 war er außerordentlicher Gesandter Frankreichs in der Schweiz und erwarb am 1. August 1545 ein Haus auf dem Nadelberg in Basel; s. Gast, Tagebuch 230-233 und Anm. 21.
26 taceo, quod: geschweige denn, dass.
27 Sebastian Lepusculus (Häslin).
28 se intrusit =hat sich aufgedrängt.
29 Zu Lepusculus' Verhältnissen s. Gast, Tagebuch 287f, Anm. 51.
30 Morelet, der aufgrund seiner evangelischen Gesinnung aus Paris nach Basel geflohen war, wo er sich zwischen 1534 und Juli 1537 aufhielt; s. Corr. des réformateurs III 194f und Anm. 1; IV 268, Nr.646; Gast, Tagebuch, 230-233 und Anm. 21.
31 Lepusculus.


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Vale in domino diu salvus cum optimis viris Theodoro 32 , Pellicano, Frisio et Gvalthero.

Basilea, 27. 33 15[45]e.

Tuus Gastius ex

animo.

[Adresse darunter:] Dem eerwürdigen und wolgelerten herren meyster Heinrych Bullinger, pfarher zu Zurich, mynem lieben herren und frundt. Zürich.