[2870]
Autograph a : Zürich ZB, Ms F 39, 741-744 (Siegelspur) Ungedruckt
[1]Bullingers Brief [nicht erhalten] war sehr willkommen, zumal Bullinger darin versprach,
dass er sich gut um die Zukunft von Lavaters Studium kümmern werde. — [2] Die im letzten
Brief [Nr. 2829] erwähnten Straßburger Abgeordneten nach Ulm kamen gut zurück und werden
dem Rat den Barmherzigen [Kaiser Karl V.] wärmstens empfohlen haben, da sie bei einer
zweiten Gesandtschaft diesen Frieden erlangten, der keiner ist! Dem Volk wurden die Friedensbedingungen
verschwiegen, da man einen Aufruhr fürchtet. Der Friede hat schlimme
Folgen für die Helvetier, was Lavater schon längst klar war. Der Kaiser hätte sich nichts
Besseres wünschen können, als dass die Straßburger ihn nicht mehr daran hindern, den Krieg
gegen die Helvetier und Frankreich aufzunehmen. In Straßburg hatte man zur Verteidigung
der Stadt so viele Lebensmittelvorräte angelegt, dass nun davon ein paar Tausend Spanier
ernährt werden können! — [3] Hausherr Matthias [Zell] sagte oft, dass es nicht genüge, die
Stadtmauern zu verstärken und eine Stadtgarnison aufzustellen. Damit aber konnte der unselige
Rat die Bevölkerung täuschen! Nuit behauptet er, dass selbst ein höchst ungerechter
Friede besser als ein gerechter Krieg sei! Warum hat er dies nicht schon zu Beginn gesagt?Briefe_Vol_19-467 arpa
Nachdem er Straßburg allen verhasst gemacht hat, müsste er doch mit den Frommen anders
umgehen! — [4] Dieses Versagen ist auf die Kaufleute zurückzuführen, die sich nicht so sehr
durch ihren Stand als vielmehr durch ihre Untugend auszeichnen! Lavater hätte nie gedacht,
dass es in Straßburg solch schlimme Menschen gibt, die mit ihren Ratschlägen die Vernichtung
des Vaterlandes betreiben. Fast alle Ratsherren sind durch Habgier verdorben, auch Jakob
Sturm, der seine Heimat der Gefahr aussetzt, obwohl er dem erschöpften Staatswesen hätte
beistehen müssen. Ratsherr Mathis Pfarrer, ebenfalls ein Kaufmann, der um sein Einkommen
fürchtet, schwieg im Rat und äußerte sich nicht gegen die Huldigung! Der Vorsteher aller
Kaufleute, Konrad Joham, sorgte als Ratsherr stets dafür, dass der Rat sich nicht dem Kaiser
widersetzte, und als Vasall des Letzteren finanzierte er sogar eine kaiserliche Schwadron!
Wolfgang Rehlinger. der ehemalige Bürgermeister von Augsburg, ging so weit, dass er sich
dem Gefolge des Kaisers anschloss. Ihm sind wohl die guten Friedensbedingungen zu verdanken!
Als die Bürger hörten, dass er sich zum Kaiser begeben hatte, waren sie sehr verärgert.
Seitdem er aber mit den Ratsherren, die an den Kaiser gesandt worden waren, zurückgekommen
ist, wird er von Kaufleuten und Adligen besucht. Was sollen denn die Bürger
angesichts solch einer Unanständigkeit noch tun? Ein Teil davon freut sich über den Frieden,
der andere wäre zum Äußersten bereit. Der Herr rette seine Kirche auf dieser aufgewühlten
See! —[5]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen soll Kriegserfolge verzeichnen und Zwickau
(wo Herzog Moritz von Sachsen eine Besatzung hinterlassen hatte) eingenommen haben.
— [6] Lavater weiß, was er zu tun hat. Wie im letzten Brief bereits angedeutet, wird er in
Straßburg den Verlauf des Krieges gegen den Kurfürsten und die weitere Entwicklung mit den
Helvetiern abwarten. Sollte er merken, dass die in die Stadt geflüchteten Adligen und Grafen
diese verlassen, wird er früh genug von Straßburg (wo er zwar gerne bleiben würde) weggehen
und sich in Begleitung vieler Bürger nach Basel begeben. Unterdessen schummelt der
Rat und behauptet sogar, dass dank der Huldigung Straßburg ein guter Zufluchtsort sei. Wer
soll jedoch diesen Verrätern glauben? —[7]Lavater dankt für die Übermittlung der Ratschläge
seines Vaters [Hans Rudolf]. Bei besserer Gelegenheit wird er sich dazu äußern. — [8] Bullinger
hat nach [Beat Rudolf] Göldli gefragt. Dieser machte in Straßburg derartige Fortschritte,
dass er wohl eines Tages eine Zierde für die Heimat sein wird. Das letzte Schuljahr
schloss er als Dritter seiner Promotion ab und wäre vielleicht Erster geworden, wenn es in
Straßburg nicht eine entscheidende Rolle spielen würde, ob man Zürcher, Schwabe oder Straßburger
ist. Seine Präzeptoren schätzten ihn wegen seines Fleißes und seines guten Lebenswandels.
Seine Eltern wollen, dass er Jura studiert. Allerdings ist er auch dem Theologiestudium
sehr verbunden. Die [von der Schule ausgestellte] Empfehlung lobt seinen guten
Lebenswandel, und bei der Examination in Zürich wird ja Bullinger Göldlis Fortschritte
feststellen können. —[9]Nachdem Straßburg, eine der stärksten Festungen Deutschlands, sich
ergeben hat, werden die Helvetier zu tun haben! Ja auch Straßburg, das des Öfteren von Zell
gewarnt wurde, wird die Tyrannei des Papsttums zu spüren bekommen. Mittlerweile sollen die
Zürcher darauf achten, dass die [katholischen] Orte ihren Verpflichtungen nachkommen. Lavater
befürchtet nämlich, dass sie sich verstellen und als zaghaft erweisen werden, sollte es zu
einem Angriff kommen. Denn wenn sie tatsächlich vom Papst [Paul 111.] und Kaiser verwirrt
wurden und sich an der letzten Tagsatzung zu Baden zänkisch aufgeführt haben, dann steckt
doch eine List dahinter! Oder glaubt Bullinger etwa, dass sie nicht verschlagen wären? Jeder
kennt sie als solche! Man muss besonders darauf achten, falls Nicolas Perrenot, Herr von
Granvelle, zur kommenden Tagsatzung kommt, dass er die Teilnehmer nicht überlistet. Jetzt
werden die Christen den erbitterten Hass von Kains Anhängern zu spüren bekommen! Und
sollte man die Orte nicht zur Verteidigung ihrer Heimat verpflichten können, wird auch nichts
Gutes von ihnen zu erwarten sein. Lavater hätte sich vielleicht nicht darüber äußern dürfen, da
dies der Zuständigkeit anderer entspricht. Doch weiß er aus Erfahrung, dass man denjenigen,
die Großes versprechen, nicht glauben darf ja dass die Väter sich gegen ihre Söhne stellen
können. — [JO] Alles Weitere wird Bullinger von Beat [Göldli] vernehmen. Gott bewahre
Bullinger! Dieser möge seine Familie wie auch Lavaters Eltern [Hans Rudolf und Anna, geb.
Röichli]grüßen. Auch Zell lässt grüßen.Briefe_Vol_19-468 arpa
S. D. Accepi tuas literas 1 , reverende pater, quae, quoniam te, ut hactenus, in meis rebus diligentissimum fore promittunt, gratissime fuerunt.
De statu Argentoratensis reipublicae sic accipe: Nostri, quos proxime petende pacis gratia Ulmam profectos esse significavi, 2 reversi sunt, 3 et indubio senatui fontem illum misericordiarum 4 , si dus placet, magnopere commendarunt; id quod eventus docet. Nam secundo ad caesarem profecti pacem non pacem impetrarunt! 5 Quibus conditionibus non facile in vulgus spargetur, ne motus fiat publicus. Verum, quantum ego intelligo et animus semper praesagiebat, in Helvetios malum hoc recidet, quorum periculo haec omnia erunt expedienda. Caesar potius nil optare potuit, quam ne Argentoratum bellum contra Helvetios et Galliarum regem 6 molientem impediat. Commeatum habent, quem sub praetextu muniende urbis pararunt, quo possunt aliquot millia Hispanorum alere.
Video nunc tandem, quod saepius memini me audire a domino meo Matthia 7 : Nihil esse munire urbem, colligere exercitum, imponere urbi praesidium. His enim omnibus plebem fefellit impius senatus! Praeterea etiamnum egregie possunt dicere, iniquam etiam pacem iustissimo bello anteferendam esse. 8 At quanto satius erat haec ab initio dicere! Postquam omnium odia in eos 9 concitata vident, longe aliter bonis erat agendum.
Hoc totum mercatoribus debetur et illis, qui non tam genere insignes quam vitiis nobiles sunt! 10 Nunquam putassem tam improbos in nostra republica inveniri potuisse, qui suis consiliis sicas in rempublicam distringerent, 11 civibus suis et patrie exitium machinarentur. Dolet id multis bonis et praestantibus viris. Pauci tamen sunt inter senatores, quos non studium pecunie in transversum egerit. Inter quos numerandus est d. Iacobus Sturmius, qui, cum fessis rebus 12 consulere debuisset, patriam periculo exposuit. Dominus Pfarrerus 13 metuens ne quid suo quaestui decederet (nam et hic mercator
Briefe_Vol_19-469 | arpa |
---|
est) b , nescio an c grec 14 sive grec passus, noluit acriter in senatu dicere obsistereque, quo minus in tur-|| 742 pem deditionem venirent. Conradus Ioachimus 16 , mercatorum coriphaeus 17 , semper totus fuit in hoc, ne se 18 caesari opponerent, et quamvis sedeat ad gubernacula reipublicae, 19 tamen dicitur hoc bello, quia caesaris fasallus 20 est, aliquot equites caesari alere coactum esse. Interim Rhelingerus 21 , qui superioribus annis consulem Auguste egit, caesarem sequutus est; et eius nimirum benefitis factum est, quod caesar aliquanto tolerabilibus conditionibus in deditionem accepit d . Cives, cum prirnum Augustanus ille caesarem esset sequutus, valde stomachabantur. Sed nuper cum dominis illis 22 , qui pacem impetrarunt, in urbem reversus est, et aedes eius frequentantur a mercatoribus et nobilibus. Quid agant reliqui cives, cum videant tantam indignitatem? Dumm nimirum est illis contra stimulum calcitrare. 23 Pars gaudet pacem impetratam, pars mallet extrema quaevis experiri. Deus, quando undarum pene procellis submergimur, ecclesiae sucurrat!
Fertur interim electorem 24 bonis auspiciis bellum gerere. Zvikaviam caepisse, cui Mauritius 25 praesidium imposuerat.
Quid ego agere debeam, obscurum mihi non est. Expectabo, ut scripsi superioribus literis, 26 eventum belli contra Saxonem. Tum Helvetiorum res agetur. Interim tutum est Argentinae haerere. Certissimum signum, quando hinc disceder[e]e debeam, possum ex nobilibus et comiti[ibus] petere, qui Argentinum defensione uti voluerunt: Nam et horum aliqui alio se conferent. Praeterea non dubito multos bonos cives Basileam abituros esse. Senatus dissimulat, quantum audio. Dicunt 27 enim dedi-||743 hanc non turpem esse et locum etiam profugis. Sed quis credat periuris illis nebulonibus?
Briefe_Vol_19-470 | arpa |
---|
Et quamvis mallem Argentinae haerere, donec ab his motibus orbis quiesceret, tamen, quoniam video, quid caesar moliatur, et in quo statu res nostre sint, mature satis Basileam me conferam. 28
Quae praeterea de parentem 29 consilio ad me dedisti, pergrata fuerunt. Sed de his, ad potiorem scribendi occasionem translatus, plura scribam. In calce literarum, quomodo se Goldlius 30 gesserit, cupis literis perscribi. Scias itaque hunc adolescentem tantos Argentinae progressus fecisse, ut dubium non sit, ornamento aliquando patrie futurum. In promotione enim superiori anno facta 3. locum habuit, et certe dignus primo fuisset, nisi forte plurimum referret, an Tiguri, an in Suevia aut Argentinae natus sis. Praeceptoribus tamen charus fuit propter diligentiam et morum integritatem. Parentes ipsius 31 eum iuris studio destinarunt. 32 Et certe videtur theologico studio mancipandus. Sic enim plurimum patrie prodesse potuerat; sed commendatione non indignum esse ex ipsius moribus, si observes, intelliges; et eruditione, si experimentum sumas.
Habent nunc Helvetii quod agant, postquam munitissima f haec totius Germanic arx 33 victritia arma sequuta est. Sed poenas et ipsa dabit papistica tyrranidi subiecta. Monuit saepe magna gravitate d. Matthias, quidque expectandum sit, praedixit. Sed quid profecerit, res ipsa clamat. [Interim]8 vobis 34 cura et opere elaborandum erit, ut p[agos]35 in offitio teneatis. Vereor autem, ne pagici [nostri] omnia pro tempore dissimulent et, cum serio age[nd~j res sint, tergiversentur. Nam si vera sunt haec, quod tumultuati sunt propter papae 36 et caesaris promissa, et quod comitiis Badenae nuper habitis 37 ||744 discordiam posuerunt, verendum certe est, ne lateat anguis in
Briefe_Vol_19-471 | arpa |
---|
herba. 38 Aut ulla putas pagicorum consilia dolis carere? Sic noti sunt isti homines! Quicquid sit, latet dolus. Praesertim autem timendum est, si Granvella 35 malitia h istis comitiis interfuit. Videmus certe his temporibus implacabile Cainitarum contra Christianos odium! 40 Et nisi pagici illi patris sive privato studio adducantur ad defendendam patriam, ab eis nil boni venire potent. Sed forte haec ad me nihil attinent. 41 Aliis 42 haec negotia curae esse debent. Didici in multis, quid splendida promittentibus credendum sit, quidque sit. Erit pater contra filium, 43 etc.
Haec sunt, quae hoc tempore ad te scribenda putavi. Reliqua ex Beato 44 accipies. Deus te nobis diu incolumem servare dignetur! Ne graveris meo nomine plurimam salutem parentibus 45 dicere, tuaeque familiae. Salvum te cupit d. Matthias. Argentorati, pridie cal. aprilis anno 1547.
Tuus ex animo Ludovicus
Lavatherus.
[Adresse darunter:] Clarissimo viro Henrico Bullingero, Tigurine ecclesiæ vigilantissimo antistiti, patri suo colendissimo. Tiguri.
Briefe_Vol_19-472 | arpa |
---|
Briefe_Vol_19-473 | arpa |
---|
Register
In das Register wurden Personen- und Ortsnamen aufgenommen. Gattinnen sind unter dem Nachnamen ihres Ehemannes eingeordnet; bei ihrem Mädchennamen, soweit bekannt, findet sich ein entsprechender Verweis. Kinder werden unter dem Eintrag des Vaters verzeichnet, und gegebenenfalls findet man dort einen Verweis auf einen gesonderten Eintrag. Nicht berücksichtigt wurden Heinrich Bullinger (mit Ausnahme seiner Schriften und seiner Familienangehörigen), Deutschland, Schweiz (mit Ausnahme der Orte und der sich am Schmalkaldischen Krieg beteiligenden Söldner), Zürich (mit Ausnahme hier relevanter Stichworte), Personen nach dem Jahr 1800 sowie Bücher des Alten und Neuen Testaments. —Schriften des 16. Jhs. (einschließlich der von Bullinger) sind unter dem Namen des Autors verzeichnet; kollektiv oder anonym verfasste Schriften unter ihrem Titel; Bekenntnisschriften unter eben diesem Stichwort. Es gibt ferner die Einträge Konzil und Täufer (Anabaptisten). Reichstage, Religionsgespräche (wie das Marburger und das Regensburger Gespräch), Disputationen (wie die Berner Disputation von 1528) und die Wittenberger Konkordie sind unter den jeweiligen Orten zu finden. Nicht identifizierte Personen sind unter NN eingeordnet. Ein"[....]"weist auf einen nicht ermittelten Vor- oder Nachnamen hin. —Halbfett gesetzte Namen bezeichnen Korrespondenten. Halbfett gesetzte Seitenzahlen betreffen von ihnen ausgehende, kursiv gesetzte an sie gerichtete Briefe. —Ein * verweist auf Mitteilungen über Leben oder Beziehungen des Genannten in einer Anmerkung. Die römischen Ziffern bezeichnen die einzelnen Bände der Edition.
Briefe_Vol_20-001 | arpa |
---|
Briefe_Vol_20-002 | arpa |
---|