Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2829]

Ludwig Lavater
an Bullinger
Straßburg,
28. Februar 1547

Autograph a : Zürich ZB, Ms F 39, 735f (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Bullingers Brief [nicht erhalten]hat Lavater große Freude bereitet, da daraus hervorgeht, dass Bullinger sich über das [Weiterstudium] von Lavater Gedanken macht. Dieser hat nie Bullingers Wohlwollen bezweifelt, befürchtete aber, dass man ihn (weil man sich zu große Sorgen um ihn macht) länger als nötig in Straßburg lassen würde. Auch ist er Bullinger gegenüber, der ja sein Wohltäter ist, keineswegs undankbar. Noch wollte er diesen für die [in seinem letzten Brief]erwähnten Unannehmlichkeiten verantwortlich machen, da er wohl weiß, dass diese den schwierigen Zeiten zuzuschreiben sind. [2]Wichtig ist, dass Bullinger sich um Lavaters Weiterstudium kümmert (während dieser sich bemühen wird, die [Fächerwahl] besser einzuteilen), zumal er nicht daran zweifelt, dass seine Eltern [Hans Rudolf Lavater und Anna, geb. Röichli]Bullingers Plan zustimmen werden. Ihm ist derzeit einfach unklar, was er machen soll: Ein Wechsel nach Basel wird seinem Studium kaum dienlich sein, jedoch auch nicht sein Verbleib in Straßburg, falls Kaiser Karl V. sich der Stadt bemächtigt. [3]Es stärkt und freut Lavater festzustellen, wie viele vortreffliche Bürger Straßburgs lieber sterben wollen, als sich einer gottlosen Knechtschaft zu unterwerfen. Die Stadt bereitet sich gut auf einen Angriff des Kaisers vor, sodass dieser kaum eine Belagerung wagen wird. Jakob Sturm und Mathis Pfarrer sind zu Verhandlungen nach Ulm aufgebrochen. Was sie erreicht haben, weiß man noch nicht. Wenn sie zurückkommen und klar wird, wie es mit der Stadt und der Schule weitergeht, kann man immer noch entscheiden, was zu tun sei. Sollte die Stadt einen gottlosen Frieden billigen, wird Lavater sie wohl nicht als einziger verlassen müssen. Eine Unterwerfung unter den Kaiser wäre aber schlimmer als eine Belagerung. Denn dank eines Friedens mit Straßburg würde der Kaiser die Helvetier und Franz I. besser bekriegen können, um dann, nach seinem Sieg, über Straßburg zu herrschen. Dies wissen die Straßburger, die nicht dumm sind. Es gibt zwar etliche angesehene Bürger, die dem Kaiser anhängen, die restliche Bürgerschaft aber, die durch das Schicksal der anderen [Städte] aufgeklärt wurde, wird wohl lieber zur Waffe greifen. [4]Lavater ist erfreut zu hören, dass die Zürcher den, Gesang der Sirenen nicht nachgeben. Viele wurden ja durch diesen bereits verführt und sind, wie Bullinger es mit Recht schreibt, dem Diener des Antichristen, dem Kaiser, zu Füßen gefallen. Deren [Huldigungs]reden hätte Lavater übersandt, wenn er nicht davon ausginge, dass Bullinger diese schon gesehen hat. Wenn nur die Eidgenossenschaft einig bleibt! Lavater fürchtet jedoch, dass die Fünf Orte, die so hartnäckig an ihrem Glauben festhalten (wie Bullinger es berichtet), großes Leid bringen werden. Sie ziehen das Joch des Antichristen dem lieblichen Joch Christi vor! Dies aber könnten sie nur durch echte Buße erkennen. [5] in Straßburg geht das Gerücht um, dass auch Konstanz sich dem Kaiser ergeben wolle. Lavater hofft dennoch, dass [die Eidgenossenschaft] die Stadt nicht im Stich lassen wird. Der Kaiser könnte nämlich von dort aus mit wenigen Reitern das Land verwüsten. Auch wenn dies eher [die Politiker]betrifft, darf sich ja Lavater Sorgen um seine Heimat machen! [6]Nun zur Abendmahlsangelegenheit. Bullinger will wissen, wie die Antwort der Zürcher [Nr. 2745]auf das Schreiben [HBBW XVIII, Nr. 2704]der Straßburger [über die Teilnahme der Zürcher Studenten am Abendmahl] aufgenommen wurde: Entgegen seinem Versprechen hat Bucer diese Antwort nie zum Lesen übermittelt. Bucer könnte sogar den Brief vernichtet haben. Denn als Lavater sich kürzlich mit Kaspar Hedio über die Lage in der Heimat unterhielt, sprach dieser die Angelegenheit nicht an. Bullinger ist überrascht, dass Matthias [Zell](Lavaters Hausherr) das Straßburger Schreiben

a Mit Randbemerkungen von Johann Heinrich Hottinger und Überschrift: Consultatio, an Argentinae sit subsistendum.


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nicht unterschrieben hat: Zell fand es unangemessen, den Abendmahlsstreit mit solch einem Brief wieder zu beleben. Übrigens verhindert das Ansehen, das er in Straßburg genießt, so manches Vorhaben der Pfrirrerschaft. Lavater war erstaunt, dass Luther sogar in seiner jüngsten Schrift ["Contra 32 articulos Lovaniensium theologistarum"] die [Zürcher] als Häretiker verurteilt hat. Damit sind für ihn die Lutheraner nicht mehr glaubwürdig. Sie [d.h. die Straßburger Lutheraner] hätten keine Antwort verdient. Allerdings ist Zell dankbar, dass Bullinger sich darum bemüht hat, wobei Lavater der Meinung ist, dass Bucer eine noch schärfere Antwort verdient hätte! Einige Straßburger Pfarrer erkennen unterdessen die fromme Fürsorge Zwinglis für sein Vaterland. Sie weigern sich jedoch, ihre [theologische]Ansicht auch nur im Geringsten zu ändern. [7] Der Herr bewahre Bullinger und die Heimat! Grüße, auch an Bullingers Gattin, Anna, geb. Adlischwyler, und an die Kinder, sowie an Lavaters Eltern. Zell lässt ebenfalls grüßen.

S. D. Magnam voluptatem ex tuis literis 1 cepi, reverende pater. Sensi enim [1] te in mea causa laborasse. Etsi autem de tua in me voluntate nunquam dubitarim, semper tamen timui, ne nimio in me studio, plus iusto tempore mihi Argentinae haerendum putares. Non ergo non possum, nisi vehementer ingratus sim, tuam operam boni consulere. Nec in te, benefactorem, de quibus scripsi proxime, 2 sed in difficultatem temporum omnem culpam conferam.

Utque meis in posterum studiis consulas, rogo. Ego deinceps, si locus [2] dabitur, mea studia melius formabo. Nec aliud volui superioribus literis 3 , quam ut posthac te mihi facilem praeberes, cum meorum studiorum curam quodammodo b susceperis; parentesque mei 4 , si suasor esse pergas, me promovere non dedignabuntur. Verum quid his temporibus mihi agendum sit, non video. Non puto pulchre consultum esse meis studiis, si ex Argentina Basileam me conferam, aut e re mea futurum Argentine haerere, si imperator 5 rerum potiatur.

Recreat interim et reficit me, cum video Argentinensem rempublicam [3] multis praestantissimis civibus ornatum esse, qui extrema quaeque potius quam impium servitium malunt experiri. Praeterea urbem muniunt, 6 et caesar (modo viriliter agant) c multas ob causas non facile adduci potent, ut urbem obsidione cingat. Quicquid sit, d. Jacobus Sturmius et d. Matthias Pfarrer Ulmam profecti sunt. 7 Quid acturi sint, nescio. Hi, postquam reversi fuerint, indicabunt, quid de civibus et schola futurum sit. Tum mature satis (equidem existimo) et ego, quid agam, possum videre. Non enim dubium mihi est, quin plurimos itineris comites habiturus essem, si iniquas pacis conditiones acciperent. Plus tamen deditio quam obsidio metuenda est. Et forte Carolus tollerabiles pacis conditiones praescribet, ut contra Helvetios

b in der Vorlage quodamodo. —
c Dieses und das folgende Klammerpaar ergänzt.
1 Nicht erhalten.
2 Nämlich in Nr. 2773,34-39.
3 Lavaters letzter Brief vom 26. Januar (Nr. 2773).
4 Hans Rudolf Lavater und Anna, geb. Röichli.
5 Karl V.
6 Vgl. Nr. 2773,19-21; und Nr. 2810, Anm. 45.
7 Siehe dazu Nr. 2822, Anm. 16.


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et Gallum 8 bellum facilius gerere possit, quibus devictis (quod deus avertat!) tum demum suam etiam tyrranidem in Argentinam exercere posset. Non tamen adeo iniquos aut stolidos esse puto, qui singula haec non possint expendere. Plurimi quidem nec homines vulgares sunt apud nos, qui imperatoris partes sectantur; reliqui tamen cives, aliorum cladibus edocti, armis poterunt compescere 9 .

Plurimum delectatus sum, cum audivi vos mortiferos Syrenarum cantus surda aure 10 praeterire. His 11 enim multos demulsos videmus, ut vere scribis, supplices se d ad antichristiani furoris satellitis 12 pedes abiicere, quorum orationes 13 tibi mitterem, nisi putarem te dudum vidisse. Utinam Helvetia concordie 14 studeret! Sed multum vereor, ne Pagici illi 15 , quos mordicus suam religionem tenere scribis, magnum nobis malum daturi sint. Nolunt enim Christum regnare super eos. Malunt antichristi quam servatoris nostri suave iugum 16 portare. Quo in statu simus, cognoscimus, modo solida poenitentia ad deum converteremur.

Fama est apud nos, Constantiam quoque in manus caesaris deditione venturam. Spero tamen nostros 17 et in hac re non defuturos esse. Posset enim caesar ex Constantia paucis equitibus agrum depopulari nostrosque affligere et se in urbem 18 tanquam latibulum recipere. Sed haec fortassis aiis 19 relinquenda sunt. Cogit tamen interdum amor patrie. Ea, quae ab aiis et viris praestantissimis audio, liberius perscribere. Nunc quo ad literas 20 de negotio eucharistie. Cupis te certiorem fieri, quid post hasce nobiscum actum sit. Breviter. Bucerus, etsi prommiserat, || 736 cum

d Über der Zeile nachgetragen.
8 Franz I.
9 Zu verstehen: compescere caesarem.
10 Vgl. Otto 47f, Nr. 212.
11 cantibus.
12 Mit "antichristianus furor" ist Papst Paul III. gemeint und mit "satelles" der Kaiser.
13 Es scheint sich hier um eine gedruckte Schrift zu handeln, in der die Versprechen bzw. die Bitten der dem Kaiser Huldigenden nachgedruckt wurden. Dabei könnte z.B. folgende achtblättrige Schrift gemeint sein: Hertzog Ulrichs von Wirttenberg underthenigst schreiben an Röm. Kay. Maiestat umb friede. Item warhafftiger ausszug des Wirtenbergischen vortrags den dritten Januarii Anno M.D.xlvii. zwischen Röm. Kay. Maiestat auffgericht. Weiter volgend, wie des hochgedachten hertzogen von Wirttenberg gesandte für 1= vor] Röm. Kay.
Maiestat fussfall gethan. Desgleichen auch wie sich die Stad Franckfurt am Meyn dermassen kegen irer Kay. Maiestat verhalten, Leipzig 1547 (VD16 ZV15611), die mindestens an einem weiteren nicht identifizierten Ort nachgedruckt wurde; s. VD]6 ZV20413.
14 Gemeint ist die politische Einheit zwischen den eidgenössischen Orten unterschiedlicher Religionszugehörigkeit.
15 Fünf Orte.
16 Mt 11, 29f.
17 Die Eidgenossen, besonders die Zürcher, die guten Grund hatten, eine etwaige Ergebung von Konstanz an den Kaiser zu fürchten.
18 Konstanz.
19 den Politikern nämlich.
20 Der Brief der Zürcher an die Straßburger vom 10. Januar 1547 (Nr. 2745).


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suas 21 scriberet, se mihi responsionem 22 daturum esse, dissimulat. Fortasse literas suppressit. Nam interim Hedio 23 mecum de statu patrie contulit, nec verbo huius rei mentionem fecit. Cur Matthie 24 facta mentio non sit, miraris. Causa haec est: Noluit subscribere, 25 nec conducere existimabat, ut quaestio illa et odiosum certamen eucharistie sopitum nova epistola moveretur. Multis eorum conatibus obstat domini mei 26 authoritas. Satis mirari non potui Lutherum novissimo etiam scripto 27 tam serio nos haereticos censere. Lutheranus sit, quicunque velit; cessat apud me omnis eius authoritas! Non opus fuisset responsione; melius enim hoc tempus collocari potuit. Sed quia id muneris non gravatim suscepisti, vehementer gratum fuit 28 Et certe dignus fuisset etiam vehementiore responsione Bucerus ! 29 Quidam ex ministris 30 nunc demum d. Zvinglii in patriam eximiam pietatem incipiunt agnoscere. Nec tamen latum unguem 31 de sua cedunt sententia.

Deus te nobis et patriam diu incolumem servare dignetur! Honestissimae uxori tuae 32 , duicissimis liberis 33 totique familie parentibusque meis ex me salutem dicere ne dedigneris. Salutat te d. Matthias. Argentorati, pridie calendas martias anno 1547.

Tuus ex animo Ludovicus

Lavatherus.

[Adresse darunter:] Vigilantissimo Tigurinae ecclesiae antistiti, Henrico Bullingero, patri suo unice colendo. Tiguri.

21 Der von Bucer im Namen der Straßburger an die Zürcher gerichtete Brief vom 6. Dezember 1546 (HBBW XVIII 370— 373, Nr. 2704).
22 Gemeint ist die oben in Anm. 20 erwähnte Antwort der Zürcher.
23 Der Straßburger Domprediger Kaspar Hedio.
24 Matthias Zell.
25 Nämlich das oben in Anm. 21 erwähnte Schreiben.
26 Zell, insofern Lavater bei diesem wohnte; s. HBBW XVIII 146,17-20.
27 Nämlich mit der Schrift Contra XXXII
articulos Lovaniensium theologistarum (s. dazu HBBW XVI 83, Anm. 8), in der Luther die "Sakramentierer" erneut angegriffen hatte; s. Nr. 2745 bei Anm. 8.
28 Subjekt ist Zell.
29 Diese Angabe scheint darauf hinzudeuten, dass Bullinger seinem oben in Z. 1 erwähnten Brief an Lavater eine Kopie des Zürcher Briefes Nr. 2745 beigelegt hatte.
30 Argentoratensibus.
31 Vgl. Otto 356, Nr. 1825.
32 Anna, geb. Adlischwyler.
33 Zu deren Namen s. Nr. 2735, Anm. 10.