Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2704]

Martin Bucer, Kaspar Hedio und Peter Martyr Vermigli
an Bullinger, Theodor Bibliander, Konrad Pellikan und an die übrigen Pfarrer von Zürich
Straßburg,
6. Dezember 1546 Original von unbekannter Hand mit

autographen Unterschriften:

Zürich StA, E II 337a, 379r.-381r. (Siegelspur)

Druck: CO XII 437-442, Nr. 860

[1]Der Herr erlaubt es, dass es bis zu diesem Zeitpunkt Fragen gibt, über die man [unter den Protestanten] nicht gleicher Meinung ist. Doch glaubt und lehrt man gemeinsam, dass die Heilige Schrift allein maßgebend sei; dass die alten Glaubensbekenntnisse zu halten und zu unterrichten seien; dass unser Heil nur auf dem wahren Glauben Christi beruhe; dass Christus anerkannt werden müsse, damit dieser den Seinen beistehen und ihren Glauben stärken könne, wann immer sie sich versammeln, um die Sakramente zu spenden bzw. zu empfangen. All dies haben die Zürcher im Basler Glaubensbekenntnis [d.h. mit dem Ersten Helvetischen Bekenntnis] bekundet. Deshalb waren die Straßburger zu Recht der Meinung, dass man mit Zürich eine Gemeinschaft in Christus pflegen könne; deshalb hielten sie auch die Zürcher stets für Freunde und äußerten sich stets wohlwollend über sie. Ging einer von ihnen nach Zürich, wurde er dazu angehalten, sich freundschaftlich zu verhalten. Auch waren sie immer dankbar dafür, wenn die Zürcher ihnen einen der Ihren sandten: Sie bemühten sich, diesen mit aller Freundlichkeit zu behandeln. Die zwischen ihnen beobachteten unterschiedlichen Glaubensauffassungen, sei es in Bezug auf einige Bibelstellen, auf die Kirche oder auf das Pfarramt, empfahlen sie dem Herrn an und baten diesen, sie doch zur gleichen Auffassung zu führen. [2] Die zwei Zürcher, Ludwig Lavater und Jakob Gessner, sowie den Schaffhauser [... Zingg], die dem Kollegen Johannes Marbach anvertraut worden waren, hat dieser wie eigene

sein, mit dem die Berner Behörden den Schüler Peter Zeller und dessen Lehrer Thomas Grynäus aus der Stadt verwiesen haben; s. Nr. 2708,34-38.
4 Jodocus Kilchmeyer, der seit Oktober 1546 eine Probezeit von sechs Monaten als Dekan (erster Pfarrer) des Berner Münsters absolvierte; s. HBBW XVII
457, Anm. 5. — Aus der vorliegenden Stelle scheint hervorzugehen, dass Kilchmeyer in jenen Monaten an Bullinger schrieb, doch sind keine entsprechenden Briefe erhalten. Der nächste überlieferte Brief Kilchmeyers an Bullinger datiert vom 11. Januar 1547 (Zürich StA, E II 360, 415).


Briefe_Vol_18-371arpa

Söhne behandelt. Er hat so gut wie möglich für ihre Frömmigkeit und ihr Studium Sorge getragen und nie mit ihnen über die Eucharistie oder andere Finessen gestritten. 1 Da sie aber nie am Tisch des Herrn teilnahmen und man auf das Osterfest 2 zuging, an dessen Abendmahlsfeier die ganze Schule zur Teilnahme verpflichtet ist, dachte Marbach, dass es seine Aufgabe als Pfarrer und Hausherr wäre, die Zürcher Studenten zur Teilnahme am Tisch des Herrn zusammen mit all ihren Kameraden und der ganzen Kirche Straßburgs zu ermahnen, ohne dass sie sich als Beurteiler des Abendmahlszwistes aufspielen oder gar vorerst erforschen wollen, mit welcher Auffassung die Straßburger zum Abendmahl gehen. Es ziemt sich nämlich nicht, dass einer, der glaubt, dass es nur einen Leib Christi gibt, sich weigert, mit anderen Christen an diesem Leib teilzuhaben. Nach Marbachs Ermahnung entschloss sich der Schaffhauser, dem Abendmahl beizuwohnen, die zwei Zürcher aber schlugen dies weiterhin ab. 3 [3] Als Dr. [Konrad] Gessner sich während der jährlichen Messe [Ende Juni 1546] in Straßburg aufhielt, 4 erklärte man ihm, dass von den Studenten wirklich nur ein unkompliziertes und allgemeines Bekenntnis über Christi Anwesenheit und Wirkung im Abendmahl verlangt wurde; ja dass man von ihnen nichts anderes gewünscht hatte, als dass sie mit einem dem Basler Bekenntnis konformen Glauben am Abendmahl teilnähmen. Man betonte dabei auch, wie sehr das Benehmen der Zürcher Studenten ein schlechtes Beispiel gäbe. Dr. Gessner versprach, mit den Jungen zu sprechen und die Sache den Zürcher Kollegen darzulegen. Er meinte, dass man wohl eine Lösung für diese Unstimmigkeit finden werde. [4]Man versuchte also weiterhin, die Angelegenheit geheim zu halten. Doch dann brach der unselige Krieg aus. Öffentliche Gebete wurden eingerichtet, und am Beispiel der apostolischen und der Alten Kirche wurden öfters als sonst Abendmahlsfeiern organisiert. Wiederum weigerten sich die zwei Zürcher, daran teilzunehmen; doch schloss sich ihnen diesmal auch der Schaffhauser an, während all die anderen Pensionäre Marbachs zum Abendmahl gingen. Dies sorgte für Gesprächsstoff Einige andere fingen sogar an, sich auf das Beispiel der Zürcher zu berufen. Als Präzeptor dieser jungen Leute erkannte Marbach zugleich seine Verantwortung wie auch die mit diesem Verhalten verbundene Gefahr sowohl für die städtische Kirchenordnung als auch für seine eigene Hausordnung. [5] Da er jedoch die Zürcher Kollegen nicht verstimmen wollte, verwies er die Jungen nicht aus seinem Haus und bat seine Kollegen um Rat. Diese luden die Studenten vor und ermahnten sie väterlich. Man versuchte ihnen klarzumachen, welche schwerwiegenden Folgen ihr Benehmen hatte. Keiner könne sich nämlich vom Abendmahl fernhalten, ohne dass die Kirche dies missbilligen und ihn verstoßen würde. Ferner würden die Straßburger solch ein Verhalten nicht verdienen. Sie können auch nicht begreifen, dass die Jungen eine so schlechte Meinung über ihre Kirche hegen. Man verlange von ihnen schließlich nichts anderes, als dass sie am Abendmahl teilnähmen in Übereinstimmung mit dem Basler Bekenntnis oder mit Paulus' Aussage: "Das Brot, das wir brechen, ist Teilnahme am Leibe Christi; der Kelch, für den wir danken, ist Teilnahme am Blut Christi" [1 Kor 11, 24f]. Was sie so heftig bestreiten, sei es in Bezug auf die Gegenwart des Herrn im Abendmahl, auf die Auslegung einiger Bibelstellen oder auf die Kirche und das Pfarramt, sollten sie dem Herrn anvertrauen. Das Reglement der Straßburger Schule verlange, dass, wer deren Dienste benutzt, ebenfalls die Dienste der damit verbundenen Kirche in Anspruch nehmen muss. Die Zürcher würden ja auch nicht dulden, dass ein Bürger, zumindest ein Ratsherr, die Teilnahme am Abendmahl verweigert, weil er der Meinung ist, dass dieses nicht richtig verabreicht werde! [6]Auf diese Weise also wurden die Jungen ermahnt, und dies mit größter Milde. Die
1 Vgl. HBBW XVI, Nr. 2320 und 2338.
2 25. April 1546. — In seinem Brief vom 30. April an Bullinger (HBBW XVI, Nr. 2440) schreibt Lavater noch nichts zu diesem Dilemma. Erst in einem nicht mehr erhaltenen Brief von Anfang Juli besprach er das Thema mit Bullinger und
bat um dessen Meinung, welche in Bullingers Antwort vom 31. August (HBBW XVII, Nr. 2557) zum Ausdruck kommt.
3 Zu Lavaters Standpunkt s. HBBW XVII, Nr. 2600.
4 Siehe dazu HBBW XVII 510 u. Anm. 6.


Briefe_Vol_18-372arpa

Straßburger zweifelten keinen Moment daran, dass die Studenten Christen sein wollten und demzufolge die Straßburger nicht verdammen würden, da diese an demselben Christus teilhaben. Als die Jungen sich rechtfertigten, indem sie sich auf die Anweisungen beriefen, die sie von ihrer Kirche erhalten hätten, erinnerte man sie daran, dass ihre Kirche weder das Basler Bekenntnis verworfen hat noch die Meinung verteidigt, dass im Abendmahl nur Symbole eines abwesenden Christus ausgehändigt werden. Man bat also die Jugendlichen, sich durch den Heiligen Geist erleuchten zu lassen. Wären sie nicht so gut erzogen oder würden sie sich Gott gegenüber nicht als so ehrfürchtig erweisen, würde man sich über ihre Enthaltung vom Abendmahl keine Gedanken machen. Wäre man ferner der Ansicht, dass ihre Kirche falsch lehre oder Gott nicht fürchte, würde man sie auch nicht zum Abendmahl zulassen. [7] Drei Tage nach dieser Ermahnung erfuhren die Straßburger Pfarrer, dass die Jungen sich beklagt hätten, dass man ihnen mit einer Entlassung aus der Schule gedroht habe. Ich, Bucer, lud sie deshalb in Anwesenheit des Hausherrn Marbach wieder vor und fragte sie, ob sie tatsächlich Derartiges behauptet hätten. Sie bestritten dies, sagten aber (da ihnen eingeschärft worden war, dass jeder Studierende an der Straßburger Schule auch die dortige Kirche in Anspruch nehmen müsse, und da man sie ferner darauf hingewiesen hatte, dass ein solches Verhalten auch in Zürich nicht geduldet werden würde), dass sie nun fürchten würden, bald aus der Schule entlassen zu werden, wenn sie weiterhin nicht am Abendmahl teilnähmen. Man antwortete ihnen, dass man nichts überstürzen wolle; dass sie lieber über die an sie gerichtete Ermahnung nachsinnen, ja sich unbekümmert ihrem Studium widmen sollten, statt sich bereits zu überlegen, wie man mit ihnen umgehen würde, falls sie nicht einlenkten. [8] Da aber die Straßburger Pfarrer wohl spüren, dass die Zürcher Studenten sich an die Anweisung ihrer Pfarrer halten wollen, 5 beschlossen sie, ihren Kollegen in Zürich diesbezüglich zu schreiben in der Hoffnung, dass diese ihre Jungen auffordern werden, die Straßburger nicht länger aus der Gemeinschaft Christi zu verstoßen, indem sie sich weigern, am Straßburger Abendmahl teilzunehmen. Dies wurde den Jungen mitgeteilt. Auch wurde ihnen gesagt, dass man ihnen in Zukunft zeigen werde, was man über sie nach Zürich schreibt, damit sie auch wüssten, was sie diesbezüglich in ihren Briefen an Zürich erörtern wollten. (9) Daraufhin waren die Jungen entschlossen, ihre Pension zu wechseln. Eine Stunde danach packte der Schaffhauser [Zingg] seine Sachen völlig unerwartet zusammen, ließ von einem Handelsmann [Richard Hilles? 6 ]die Rechnung für seine Unterkunft begleichen und sagte seinem Hausherrn, Präzeptor und Pfarrer, Herrn Marbach, nichts anderes als: "Leben Sie wohl, Herr Präzeptor. Ich gehe!" Dieser war zu Recht bestürzt über solch eine Undankbarkeit, ermahnte den Jungen, ließ ihn aber dann trotzdem gehen. 7[10]All dies wollten die Straßburger Kollegen hiermit genau berichten, denn sie zweifeln nicht, dass auch die Zürcher Kollegen sich wünschten, dass ihre Jungen weiter ungestört von der Schule und der Kirche in Straßburg profitieren würden, zumal sie sie ja aus eigener Initiative nach Straßburg zum Studium geschickt haben. Deshalb sollen sie auch ihre Studenten zur Teilnahme am Abendmahl anhalten, umso mehr, als von diesen nichts verlangt wird, das in Widerspruch mit dem Basler Bekenntnis oder den Aussagen Paulus' stünde. Diese Studierenden sind sich nicht bewusst, wie sehr sie sündigen, indem sie die Gemeinschaft mit Christen abschlagen, besonders die ihrer Lehrer! Die Zürcher werden sich wohl vorstellen können, was für schlechte Folgen dieses Verhalten in Straßburg hat. Die Zeiten sind schon schwer genug! Darüber hinaus versucht der Teufel, die Gläubigen gegeneinander aufzuhetzen! Doch was Letztere vom Herrn empfangen haben, sollten sie vielmehr mit Dankbarkeit
5 Diese Analyse könnte nicht ganz stimmen. Ludwig Lavater scheint sich von selbst dagegen entschlossen zu haben, und vielleicht nicht zuletzt auch wegen der Art und Weise, wie das Problem vonseiten Marbachs angegangen wurde; s. HBBW XVII 508-512, Nr. 2600.
6 Vgl. nämlich HBBW XVI, 69,15-18; 116f.
7 Auch Ludwig Lavater war zu Matthias Zell umgezogen; s. Nr. 2629,17-20.


Briefe_Vol_18-373arpa

weitergeben, ohne sich dabei gegenseitig zu beleidigen oder zu verachten! In der Kirche sollte einem jeden die Freiheit Christi gewährt werden. Einem jeden sollte nämlich gestattet sein, in Übereinstimmung mit seinem Glauben zu unterrichten und zu handeln. So verhalten sich die Straßburger anderen gegenüber; das Gleiche sollte man ihnen auch zugestehen, solange sie sich am Worte Gottes orientieren. Demzufolge bitten sie die Zürcher und die von ihnen gesandten Studenten, sie wie zuvor als Brüder zu behandeln. [11] Die Straßburger Pfarrer wünschen ihren Zürcher Kollegen alles Gute und hoffen, dass diese sie in dieser bedrängten Zeit mit der erwünschten Antwort erleichtern werden.