Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2822]

Johannes Gast an
Bullinger
[Basel],
24. Februar [1547]

Autograph: Zürich StA, E II 366, 204 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Das Befinden des schwerkranken Myconius verschlechtert sich täglich. Gott möge ihn wieder gesund machen! [2]Graf Georg von Württemberg kam nach Basel mit einem jungen, frommen Grafen von Castelberg aus Franken [Friedrich XI. von Castell], der von Kaiser Karl V. um seinen Besitz gebracht wurde. [3] Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle, zog von

130 Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg-Gifhorn.
131 Herzog Philipp I. von Braunschweig-Grubenhagen.
132 Graf Christoph von Oldenburg; vgl. HBBW XVII 506,10. — Bei Pariset, Relations 70. 81, Anm. 108, werden ebenfalls Truppenanwerbungen durch Franz von Braunschweig-Lüneburg und Christoph von Oldenburg gemeldet.
133 Graf Hubert von Beichlingen, erst hessischer, dann kursächsischer Oberst; s. Mameranus, Rebel, f. A8r.; Gerber, Kriegsrechnungen III 273.
134 Georg (Jörg) von Reckerode (Reckrodt). — Er hatte im Schmalkaldischen Krieg dem Landgrafen gedient (s. Mameranus, Rebel, f. B 1v.; HBBW XVII, 144, mit Anm. 24; AK VI 458f, Anm. 1), darauf-
hin an der Seite des Kurfürsten Leipzig belagert (s. Georg Voigt, Die Belagerung Leipzigs 1547, in: Archiv für die Sächsische Geschichte, hg. v Karl von Weber. Bd. 11. Leipzig 1873, S. 275f) und Rochlitz bestürmt (s. MBW-T XVI 163, Nr. 4628a).
135 in des.
136 Vermutlich ist hier Sigismund II. August gemeint und nicht dessen Vater Sigismund Ï.
137 Ferdinand I., König von Böhmen.
1 Das von Gast unten angeführte Jahr "1546" ist in Anbetracht des Inhalts dieses Briefes (besonders der Z. 8-10) auf den Matthiastag im Februar (und nicht auf jenen im September) 1547 zu datieren.


Briefe_Vol_19-346arpa

Freiburg i.Br. über Breisach und Ensisheim nach Thann in Burgund. Als ihn der Bürgermeister [Hans Schi rin] in Neuenburg am Rhein fragte, wann denn der Kaiser Frieden geben werde, antwortete er, wann dieser es wolle. Man erfuhr auch von ihm, dass der Kaiser über 30'000 Mann verloren habe. [4] In Freiburg, wo sich viele Landsknechte mit unbekanntem Ziel befinden, wirbt man Truppen für den Kaiser an. [5] Johann Hilchen von Lorch ist noch in Frankfurt. Man wartet darauf dass Maximilian von Egmont, Graf von Büren, [aus Ulm] vom Kaiser zurückkehrt. [6]Die Straßburger haben Jakob Sturm und Mathis Pfarrer zum Kaiser entsandt. Was diese erreicht haben, kann Gast noch nicht sagen. [7] Es heißt, dass Johann Friedrich von Sachsen gegen den Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach und auch gegen den Würzburger Bischof Melchior Zobel zieht. Der Herr möge ihm zum Sieg verhelfen! Schenkt Gott keinen Frieden, kommt es zu einem gewaltigen Aufstand in der Christenheit. [8]Verbürgt ist, class ein Bauer [...] aus dem Dorf Häsingen, eine Meile von Basel entfernt, schriftlich verlangt hat, dass seinem Junker Hans Ludwig von Eptingen 80 Hauptleute geschickt werden. Denn es gebe sehr viele Todesfälle bei ihnen, und von den neun Söldnern, die der Junker aus ihrem Dorf angeworben hatte, seien bereits acht gestorben. Mögen alle Feinde Christi und seiner Diener zugrunde gehen! [9][P.S.:]Größe.

S. in domino. Myconius noster gravissimo morbo laborat, 2 qui in singulos dies crescit periculosiorque fit. Rogate itaque dominum, ut eum restituat, si ei visum fuerit, pristinamque sanitatem recuperet.

Nova: Graff Jörg von Wirtenberg 3 ist by unß. Hat mit im bracht ein graven von Castelberg uß Francken 4 , dem der keyser 5 alles genomen hatt: ein fast 6 frommer gotzförchtiger mann. Ist noch jung.

Granvella 7 ist zü Friburg 8 gsin, durch Ensisheim und Brisach zogen uff Dan 9 in Burgundt. 10 Hat inter prandendum zü Nüwenburg 11 gsagt, do im

2 Myconius war seit Anfang 1547 öfters krank; vgl. Nr. 2753,22f; Nr. 2797,1. 55f; Henrich, Myconius BW 939, Nr. 1055.
3 Georg von Württemberg-Mömpelgard. — In seinem Brief von Mitte Januar (Nr. 2753) hatte Gast an Bullinger berichtet, dass man in Basel noch auf Georg warte. Deshalb die hier schon längst überholte Angabe, zumal Gast nicht wissen konnte, dass Bullinger bereits am 20. Januar durch Myconius in Nr. 2761,47, über Georgs Ankunft informiert worden war.
4 Höchstwahrscheinlich Graf Friedrich XI. von Castel! (geb. 29. Juli 1522 zu Castell in Unterfranken, gest. 16. September 1552), der vom Katholizismus zum Protestantismus übertrat und von Kaiser Karl V. in die Acht genommen wurde, weil er sich am Schmalkaldischen Krieg auf der Seite der Protestanten beteiligt hatte. Dass er schon damals in Kontakt mit dem Hause Württemberg stand, ist nicht auszuschließen, zumal sein Bruder Heinrich IV. von Castell (1525-1595) später in die Dienste Christophs von Württemberg
trat; s. Friedrich Wilhelm Viehbeck, Abriß einer genealogischen Geschichte des Gräflichen Hauses Castell in Franken, [Rüdenhausen] 1813, S. 52f; Gustav C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna, 1289-1562. Biographischer Index zu den Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, [Berlin] 1899, S. 238f, Nr. 1672f.
5 Karl V.
6 sehr.
7 Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle.
8 Freiburg i.Br.
9 Thann (Dép. Haut-Rhin, F).
10 Diese Nachricht stimmt. Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle, war am 6. Februar nach Burgund aufgebrochen und wollte spätestens nach dreieinhalb Monaten wieder zurückkehren; s. Venetianische Depeschen II 167f, Anm. 2; NBD IX 470,13; Daniel Antony, Nicolas Perrenot de Granvelle. Premier conseiller de Charles Quint, Clamecy 2006, S. 500— 503.
11 Neuenburg am Rhein.


Briefe_Vol_19-347arpa

gfragt der burgenmeyster 12 , wann k[eyserliche] m[ajestat] frid weite machen: Der keyser mache frid, wann er wölle; so habe er uff den hüttigen tag mer dan 30'000 mann verloren.

Die von Friburg nemen im namen k. m. knecht an. Es louffen ouch vii lantzknecht by unß umb her. Wo sy hin wendt 13 , weiß ich nit.

Herr Johan Hilchi 14 ligt noch zü Francfurt. Wartet mann, wan der von Büren 15 widerumb komme vom keyser.

Die von Straßburg sollent hernn Jacob Sturm und Matthis Pfarrer, ammeyster 16 , zür a k. m. gschickt haben. Was sie wellen außrichten, kan ich noch nit wüssen.

a In der Vorlage zun oder zum.
12 Vermutlich Hans Schirm, der irgendwann zwischen dem 10. September 1546 (Todesdatum des Bürgermeisters Leonhard Fuchs; s. AK XI/2 LXIX ) und dem 21. März 1550 (s. AK VII 411, Anm. 2) als Bürgermeister von Neuenburg nachgewiesen ist; s. AK VI 371.
13 wollen.
14 Johann Hilchen von Lorch (geb. 1484, gest. am 15. April 1548), kaiserlicher Feldmarschall, 1547 in Diensten des Grafen Wilhelm (des Reichen) von Nassau-Dillenburg; s. F[riedrich] Otto, Johann Hilchen von Lorch, in: Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 24, 1892, Wiesbaden 1892, 16-19.
15 Maximilian von Egmont, Graf von Büren. — Dass Büren sich zum Kaiser begeben hatte, geht auch aus Nr. 28 12,25— 32, hervor.
16 1547 war weder Sturm noch Mathis Pfarrer amtierender Ammeister von Straßburg. Vor diesem Zeitpunkt aber hatte Pfarrer schon mehrmals das Amt des Ammeisters und Sturm das des Stettmeisters innegehabt; s. Jacques Hatt, Liste des membres du Grand Sénat de Strasbourg, des Stettmeistres, des ammeistres, des Conseils des XXI, XIII et des XV, du XIII e siècle à 1789, Strasbourg 1963, S. 211. 610. 624.—Sturm, Pfarrer und Marx Hag verließen Straßburg am 12. Februar, trafen am 19. in Ulm ein (s. Nr. 2810, Anm. 45) und wurden am Tag darauf von Antoine Perrenot, Bischof von Arras,
empfangen (s. PC IV/I 613-615; Nr. 562). Ihnen wurden noch zwei weitere Straßburger Gesandte beigesellt, nämlich Hans von Lindenfels und Konrad Joham; s. ebd. 624, Anm. 9. Am 23. handelte man die Bedingungen zu einer versöhnung aus (s. ebd. 622; 646f, Nr. 578 — zum endgültigen vertrag s. ebd., S. 658— 660, Nr. 588). Dabei blieb der Stadt eine kaiserliche Besatzung erspart (s. auch S. 620f. 647). Anfang März besprach man in Straßburg die Bedingungen (626-633, Nr. 569), und der Rat gab am 7. März den Gesandten die Zustimmung dazu (635-640, Nr. 572). Daraufhin gelangte Sturm mit drei weiteren Gesandten (zu deren Namen s. Nr. 2848, Anm. 27), allerdings ohne Mathis Pfarrer (s. dazu Nr. 2870,26-29), am 13. März nach Nördlingen (654), wo der Kaiser sich aufhielt, nachdem er Ulm am 4. verlassen hatte. Am 21. leisteten sie den Fußfall, ehe der Kaiser noch am selben Tag Nördlingen in Richtung Nürnberg verließ (658). Die Friedensbedingungen wurden im Vertrag vom 21. März festgehalten (658-660, Nr. 588). Offiziell wurde den Straßburgern keine Geldstrafe auferlegt. Dennoch verlangte der Kaiser 30'000 oder 36'000 Florin (Gulden) sowie die Lieferung von 12 Kanonen und die entsprechende Munition; s. Johann Georg Saladins Straßburger Chronik (MGEGDE 2 XXIII 351) und Daniel Specklins , ,Collectanea" (MGEGDE2 XIV 361f, Nr. 2383).


Briefe_Vol_19-348arpa

Mann sagt, elector Saxonic 17 sölle dem margraff Albrecht 18 entgegenziehen, in willens, mit den keyserischen zü schlagen. Got geb den sig! Der elector sol ouch den bischoff von Würtzburg 19 angriffen. Es wirt ein wunderberlicher lermen 20 werden in der christenheyt, ||204v wo 21 got nit wirt frid nemmen 22 .

Hoc certum est: Es hat ein bür 23 von Hägigen 24 (est pagus miliare 25 a Basilea distans) b geschriben, das mann sym junckeren solle 80 centner c26 schicken. Heist Hans Ludwig von Eptingen. 27 Scribt derby, wie ein grosser sterbent noch by inen sey. Dann 28 diser juncker hat 9 buren in den dorff uffgebracht 29 . Die 8 sindt gstorben; der nünt lebt noch. Utinam omnes perirent, qui male volunt Christo et eius verbo et ministris! Amen.

In die Mathie 1546 30 .

Tuus G.

Salutabis omnes fratres in domino.

[Adresse darunter:] Dem wolgelerten herren m. Heinrychen Bullingern, lütpriester zu Zürich, mynem geliebsten herren. Zurich.

b Klammern ergänzt.
c Auflösung einer aus einem c gefolgt von einer Schleife bestehenden Abkürzung, wie diejenige, die etwa bei Paul Arnold Grun, Schlüssel zu alten und neuen Abkürzungen, Limburg an der Lahn 1966, S. 236, 1. Spalte, 2. Zeile, belegt ist.
17 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
18 Markgraf Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach. — Siehe dazu Nr. 2810, Anm. 38.
19 Melchior Zobel. — Siehe dazu Christoph Bauer, Melchior Zobel von Giebelstadt, Fürstbischof von Würzburg (1544-1558), Münster 1998, S. 299f.
20 wunderberlicher lermen: großer Aufstand; s. SI III 1383; XVI 629.
21 wenn.
22 frid nemmen: Frieden schaffen; s. SI IV 729.
23 Unbekannt.
24 Gemeint ist vermutlich Häsingen (Hésingue,
Dép. Haut-Rhin. F), etwa 7 km von Basel entfernt, damals ein Lehen des Klosters Murbach.
25 Eine deutsche Meile entsprach etwa 7 bis 8 km.
26 Vom lat. centuria (Hauptleute). Hier vermutlich im allgemeinen Sinn von Kriegsleute.
27 Die Grafen von Eptingen standen seit dem 15. Jh. in österreichischen Diensten. — Ein Graf dieses Namens ist für diese Zeit belegt, doch konnte nichts Näheres über ihn ermittelt werden.
28 Denn.
29 angeworben; s. SI V 710.
30 Siehe oben Anm. 1.