Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2761]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
20. Januar 1547

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 269f (Siegelspur)

Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 929-931, Nr. 1046

[1] Ganz offensichtlich hat Christus [den Protestanten] seinen Beistand entzogen und die Deutschen und Eidgenossen ängstlich gestimmt, sodass diese nicht entschlossen und pflichtbewusst für ihr Vaterland eintreten. 15'000 Spanier und Italiener verwüsten und besetzen ungehindert die oberdeutschen Städte, deren Obrigkeiten sogar bei Androhung von schweren Strafen jeglichen Widerstand untersagen! Es ist nicht zu fassen! [2] Dabei bereichern sich die gottlosen Feinde und stürzen die Deutschen ins Elend. Eidgenössische Söldner, die von den Spaniern aufgerieben wurden, ziehen als verachtete Bettler umher. Die übrigen Eidgenossen sitzen untätig daheim und erwarten das gleiche Schicksal wie die Schwaben, als wollten sie lieber alleine zugrunde gehen als mit den anderen siegen! Kaiser Karl V. häuft das Gold und Silber der Deutschen deshalb an, um überall neue Soldaten anzuwerben, sogar aus dem

30 Auch Bosius genannt. — Er stammte aus Münstereifel und war ein Schulfreund Bullingers; s. Krafft, HBKöln 24. Er hatte sich als "Chrisantus Boess de Monasterio Eyfflie" im Juli 1519 an der Universität Köln immatrikuliert; s. M-Köln 812, Nr. 523,7 (mit Anm.).
31 Siehe Krafft, HBKöln 24f; Pollet, Relations II 179, Anm. 1.
32 St. Maria ad gradus, eine Stiftskirche in Köln.
33 Höchstwahrscheinlich der mit Medmann befreundete und oben erwähnte Gerhard Westerburg, Doktor der Rechte, der bis
zum Sommer 1547 als Pfarrer in Friesland wirkte und in oder bei Loppersum (Ostfriesland) lebte; s. Alexandra Kess, Ein neu entdeckter Entwurf einer Rosswindmühle des ehemaligen Täufers Gerhard Westerburg aus dem Jahr 1545, in: Emder Jahrbuch für historische Landeskunde Ostfrieslands 95, 2015, 52.
34 Theodoreti de providentia sermones X, Zürich 1546; s. dazu HBBW XVI 80f, Anm. 1. — Vorliegende Angabe erlaubt es, HBBW XVIII 251, Anm. 1, zu korrigieren.


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[protestantischen Lager](viele Württemberger sind ihm schon zugelaufen, weil die Straßburger nicht mehr mustern). Mit diesen Truppen wird er die [Protestanten]besiegen! [3] Da Letztere solches in ihren Beratungen nicht berücksichtigen wollen, muss man davon ausgehen, dass Gott sie strafen will. Glücklich diejenigen, die Gottes Vorhaben verstehen und sich geduldig seinem Willen anvertrauen, auch wenn es sie sogar körperlich schmerzt, all dies mitansehen zu müssen, besonders weil sie genau wissen, dass man Erfolg gehabt hätte, wenn man sich nur hätte wehren wollen! Doch es geschehe der Wille des Herrn. Er gebe Standhaftigkeit im Glauben! [4] Über die Ulmer, Frankfurter und Württemberger ist Bullinger bestimmt besser informiert als Myconius. Außerdem wird Francisco de Enzinas [bei seinem Besuch in Zürich]darüber berichten. Angeblich wollen die Ulmer ihr frevelhaftes Verhalten jetzt wieder gutmachen. Kann Bullinger Näheres darüber mitteilen? Maximilian von Egmont, Graf von Büren, soll sogar die des christlichen Namens unwürdigen, listigen Frankfurter getadelt haben! Herzog Ulrich von Württemberg hat jeglichen Widerstand gegen die herandrängenden Feinde verboten, angeblich um die Bevölkerung vor Brandstiftungen zu schützen. Dies missfällt seinem sich derzeit in Basel aufhaltenden Sohn Herzog Christoph von Württemberg. Die Artikel des Friedensschlusses mit dem Kaiser sind noch nicht bekannt; doch steht der Herzog bereits in schlechtem Ruf Ein Gelehrter [...] von dessen Hof erzählte, dass an die 30000 Mann in Württemberg bereit gewesen wären, gegen den spanischen und italienischen Abschaum zu kämpfen. Doch wollte es der Herzog nicht. Vielleicht ist sein Alter schuld daran, gewiss aber auch sein Leichtsinn. Ein anderer Angehöriger [...]des Hofes bestätigte, dass der Herzog auch jetzt noch finanziell und militärisch in der Lage wäre, an die drei Monate lang Krieg mit dem Kaiser zu führen. Stattdessen aber sucht er aus Angst den Frieden dort, wo keiner zu finden ist. Die Folgen davon wird man deutlich zu spuren bekommen, wenn Gott nicht eingreift! [5]Aus dem Heer des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen teilt ein Mann [...] an einen in Basel weilenden Adligen [...] gute Nachrichten mit: Dresden, die Residenz Herzog Moritz' von Sachsen, sei eingenommen, und man hätte dort 70 Kanonen auf Wagen, 200'000 Taler und ebenso viel Gold beschlagnahmen können. Dies wurde auch an Herzog Christoph geschrieben. Dessen Frau, Herzogin Anna Maria [geb. von Brandenburg-Ansbach], brachte in Basel ein Kind [Hedwig von Württemberg] zur Welt. Auch Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard befindet sich in Basel. [6] Seit einigen Tagen hört man gerüchtweise, dass der dänische König Christian III. gestorben ist, Landgraf Philipp von Hessen an dessen Stelle gewählt wurde und die Hansestädte sich bestens mit ihm verstehen. In Straßburg erhält man weder Nachrichten vom Kurfürsten noch vom Landgrafen. Die Straßen sind nämlich gesperrt, weil Frankfurt sich ergeben hat und die Bischöfe von Bamberg [Weigand von Redwitz], Eichstätt [Moritz von Hatten] und Würzburg [Melchior Zobel] zusammen mit Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach neue Truppen gegen Johann Ernst [von Sachsen-Coburg], den Bruder des Kurfürsten, mustern. [7] Ein in Basel geborener Bürger [...] aus Lübeck meint, dass zu Frühlingsbeginn 100'000 Mann aus Dänemark und den Hansestädten [den Protestanten zuziehen würden]. Er wollte mit einigen Pfaffen aus Freiburg [i.Br.] um 100 Kronen wetten, dass der Kaiser bis zum Sommer aus Deutschland vertrieben sein würde. [8] In einem Brief König Franz' I. von Frankreich ist die Rede von 10'000 Mann aus der Gascogne, 15'000 Italienern unter [Piero]Strozzi sowie 15'000 Mann aus Frankreich samt Reiterei. Dazu verlangt der König noch 12'000 bis 15000 Eidgenossen [um gegen den Kaiser zu ziehen]. [9]Myconius gab Johannes Gast das Geld [für die Wolle] und teilte dies Bullinger in einem nie abgesandten Brief vom 7. Januar mit (der Bote verschwand, ohne sich zu meiden). [10]Enzinas wird am kommenden Montag aus Basel abreisen, um Bullinger zu besuchen. Gruß.

|| 270 S. Equidem arbitror dominum lesum nobis amiciciam renunciasse ad tempus, adeo nihil evenit hodie, quod prae se ferat animi eius favorem ac benevolentiam! Animos abstulit et Germanis et Helvetiis. Caremus enim consiliis et fortitudine, imo et pietate in patriam. Quindecim millia Hispanorum et Italorum vastant Germaniam Superiorem et civitates occupant nemine


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resistente, imo proceribus prohibentibus, ne quis resistat sub poena gravi. Quis crederet ista, nisi forent ante oculos?

Congerunt interim et thesauros ingentes, quibus ditantur hostes impiissimi, Germani depauperantur. Helvetii bene contusi vulneratique ab Hispanis mendicant et mirabiliter contemnuntur. Reliqui domi desident absque consiliis bonis, fatum nimirum expectantes, quod et Svevos obpressit, tanquam malint perire soli quam cum aliis vincere. Quantam vim auri et argenti congregavit iam ex Germanis cesar 1 et ad quid, nisi ut milite novo collecto undique, etiam e nobis (nam ex Wirtemberga multi ad eum profecti sunt vel hodie, postquam apud Argentinenses neque spem neque pecuniam invenerunt), et nos tandem expugnet. Id enim est illi in consiliis!

Dum igitur ista multi norunt, in consultationibus 2 autem dissimulantur, equidem nihil aliud cogitare possum quam dominum de nobis quoque corrigendis constituisse aliquid. Bene illis, qui, dum hic domini voluntatem norunt, sese eidem patienter subdere non dubitant! 3 Horrendum est tamen interim et carni ipsorum mala illa velut in conspectu habere, maxime dum sibi persuadent eis cum bono eventu posse, modo nostri vellent, in obviam. Age vero, quod videtur bonum in oculis domini, id fiat, 4 tantum benigne nos interim respiciat et constantiam in fide sua largiatur.

Nova de Ulmensibus, Francofordensibus, Wirtembergensibus melius nosti. De iisdem quoque narrabit d. Dryander. 5 Ulmenses valde egerunt impie contra deum et homines, 6 quamvis rumores sint in corrigendo nunc ipsos esse. Qua de re velim aliquid intelligere ex te. Francofordienses toti sunt perfidi et interim indigni, qui vel christiani vel viri nominentur. Aiunt has ob causas et a Bürensi 7 gravissime obiurgatos; quod minim. Wirtembergensis 8 prohibuit suis, ne hostibus advenientibus resistant, praetensa causa, ut sic ab incendiis cessent facilius. Displicet fluo 9 (qui apud nos est nunc) a pater valde ob dictam causam, et adhuc ignoramus omnes pacificationis articulos. 10 Male dux audit apud omnes bonos. Dixit mihi ex aula vir bonus et

a Hier und unten Klammern ergänzt.
1 Karl V.
2 Gemeint sind die Beratungen unter den Protestanten.
3 Vgl. Hi 36, 11.
4 Vgl. 1Sam 3, 18.
5 Francisco de Enzinas, der bald seine schon längst versprochene Reise nach Zürich (s. HBBW XVIII, Nr. 2718; sowie Nr. 2736) antreten sollte; s. unten Z. 63.
6 Anspielung auf die Unterwerfung Ulms unter den Kaiser (s. Nr. 2734, Anm. 4) und Ulms Versuch, die anderen süddeutschen Städte zu einem Frieden mit dem Kaiser zu bewegen; s. Nr. 2738; Nr. 2752,13-15; Nr. 2757,64-66.
7 Maximilian von Egmont, Graf von Büren.
Er hatte Frankfurt Ende Dezember 1546 besetzt; s. HBBW XVIII 375, Anm. 21.
8 Herzog Ulrich von Württemberg.
9 Christoph von Württemberg. — Er hatte sich Anfang Januar 1547 (spätestens am 6.) nach Basel zurückgezogen; s. Franz Brendle, Dynastie, Reich und Reformation. Die württembergischen Herzöge Ulrich und Christoph, die Habsburger und Frankreich, Stuttgart 1998, S. 307 und Anm. 163.
10 Zum Friedensschluss zwischen Württemberg und dem Kaiser s. Nr. 2746, Anm. 21.


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doctus 11 esse adhuc per Wirtembergam viros ad 30'000, qui contra grec 12 Hispanica et Italica pugnare voluissent ac potuissent cum laude, sed ille noluit ob metum forsitan senilem 13 illum, qui tamen plerumque caret prudentia. Dixit mihi alius quispiam 14 ex eadem familia ducem potuisse propriis sumptibus et hominibus belligerari cum cesare ad treis usque men ||269 ses, et adhuc posse, verum timorem ita occupasse hominem, ut pacem quesierit, ubi tamen non est pax; 15 id quod sequens tempus abunde comprobabit, nisi dominus viros nequam prohibeat.

Ex Saxonis 16 scribit exercitu quidam 17 ad nobilem quendam, qui apud nos est, 18 omnia felicia et inter alia Traezen 19 esse captam, sedem Mauricii 20 , in qua et 70 tormenta in curribus, 200'000 talerorum et totidem auri. Eadem felicitas scripta est ad ducem Wirtembergensem juniorem, cuius uxor 21 apud nos 22 agit puerperam. 23 Adest et Georgius comes 24 .

Per aliquot dies fama constanter volat obiisse Danum 25 , et Hessum 26 esse electum in regem Danie, et civitatibus maritimis 27 optime convenire cum eo. Argentinenses neque de electore neque de Hesso aliquid norunt, 28 quod clause sint vie propter Francofurtum deditum et propter novum exercitum, quem episcopi Bambergensis 29 , Eistetensis 30 et Wirtzburgensis 31 cum marchione Alberto 32 contra Ioannem Ernestum 33 , fratrem 34 electoris, cogunt. 35

11 Unbekannt.
12 Abschaum.
13 Er war damals 60 Jahre alt.
14 Unbekannt.
15 Vgl. Jer 8, 11.
16 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
17 Unbekannt.
18 Unbekannt.
19 Dresden. — Die Nachricht ist falsch. Erst ab dem 8. April kam es zu einem einige Tage währenden Angriff gegen Dresden; s. Oswald Artur Hecker. Dresden im Schmalkaldischen Kriege (1547), in: Dresdner Geschichtsblätter, Jg. 18/1, 1909, S. 1-11. —Der Kurfürst lag damals vor Leipzig, von wo er am 27. Januar abzog; s. Nr. 2757, Anm. 76.
20 Herzog Moritz von Sachsen.
21 Herzogin Anna Maria von Württemberg, Tochter des Markgrafen Georg des Frommen von Brandenburg-Ansbach.
22 In Basel.
23 Tochter Hedwig von Württemberg wurde in Basel am 14. Januar 1547 geboren; s. Christian Wurstisen, Baßler Chronick, Basel 1580, S. 620.
24 Georg von Württemberg-Mömpelgard.
25 König Christian III. — Ein falsches Gerächt. Er starb am 1. Januar 1559.
26 Landgraf Philipp von Hessen.
27 die Hansestädte (,,Seestädte").
28 Am 23. Januar 1547 erkundigten sich tatsächlich die Dreizehn von Straßburg beim Landgrafen Philipp nach ihm und dem Kurfürsten, weil sie seit dem 16. Dezember 1546 nichts mehr von beiden gehört hatten; s. PC IV/1 577f, Nr. 532, mit Anm. 3.
29 Weigand von Redwitz.
30 Moritz von Hutten.
31 Melchior Zobel.
32 Albrecht II. Alcibiades, Markgraf von Brandenburg-Kulmbach.
33 Johann Ernst von Sachsen-Coburg.
34 Halbbruder.
35 Dies bezieht sich auf im Januar 1547 begonnene Rüstungen des Markgrafen Albrecht und der fränkischen Kreisstände (u.a. Bamberg und Würzburg), mit denen diese einem Befehl des Kaisers von Dezember 1546 zufolge die Pflege Coburg einnehmen und verwalten sollten, die der geächtete Herzog Johann Ernst verwirkt hatte. Trotz der Rüstungen kam die Einnahme schließlich nicht zustande, da in-


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Lubecensis civis Basilee natus, 36 vir statura plane Helvetius, promittit ad veris initium centum millia Danorum et e civitatibus maritimis. Centum coronatis voluit concertare cum pfaffis hic Friburgensibus 37 , si cesar hac estate non pellendus esset e Germania.

Litere, quas rex 38 misit, sic habent: 10'000 Gasconiorum, 15'000 Italorum, quibus praeest Strozius 39 , 15'000 e media Gallia una cum equitatu. Ad hos petit ex Helvetiis 12'000 vel 15'000. 40

Ego ipse pecuniam dedi Gastio, 41 quod et scripsi 7. ianuarii (non misi, quod nuncius 42 evolarat). 43

Dryander proxima die Lune 44 solvit hinc recta ad te. Vale in Christo. Basilee, 20. ianuarii anno 1547.

Tuus Os. Myc.

[Adresse darunter:] D. Heinricho Bullingero doctissimo pientissimoque in domino suo. Zur[ich] b .